<89>vernehmen gesetzt hatte, sodaß beide Mächte ihre Besitzungen trotz des Geschreis der Polen unverkürzt behielten. Während sie gleichzeitig den russischen Hof zu beruhigen suchten, verfolgte Fürst Kaunitz in seiner doppelzüngigen Politik nur das Ziel, den Berliner Hof mit dem Petersburger zu entzweien. Zu dem Zweck ließ er dem letzteren erklären, die Kaiserin-Königin habe lediglich aus Gefälligkeit gegen die Zarin beschlossen, der Republik Polen einen Teil der Woiwodschaft Lublin zurückzuerstatten, alles Gebiet am rechten Ufer des Bug, die Krakauer Vorstadt Casimir und noch einige andere Stücke, die sie in Besitz hatte.

Unter diesen eigentümlichen und heiklen Umständen kam Prinz Heinrich nach Petersburg. Er hatte die Franzosen, Spanier und Österreicher gegen sich. Kaum war er von der Zarin empfangen worden, so starb die Großfürstin bei der Geburt eines toten Kindes1. Prinz Heinrich, der der Szene beiwohnte, stand der Zarin bei diesem Schicksalsschlage bei, soviel er vermochte. Besonders aber nahm er sich des Großfürsten an, der durch diesen ebenso ungewohnten wie düstern Vorgang tieferschüttert war. Prinz Heinrich wich nicht von seiner Seite; es gelang ihm nicht allein, zur Wiederherstellung seiner Gesundheit beizutragen; sein Meisterwerk war die völlige Wieder-aussöhnung zwischen Mutter und Sohn. Hatten doch die Zerwürfnisse und die Feindschaft zwischen beiden seit der Heirat des Großfürsten derart zugenommen, daß für einen von beiden Teilen schlimme Folgen daraus zu erwachsen drohten. Die Zarin war tiefgerührt über den Liebesdienst, den Prinz Heinrich ihr erwiesen hatte; seither wuchs sein Einfluß von Tag zu Tag. Er machte den besten Gebrauch davon. Die Zarin war willens, ihren Sohn sogleich wiederzuverheiraten. Prinz Heinrich schlug ihr die Prinzessin von Württemberg2 vor, die Großnichte des Königs, und dieser Vorschlag fand sofort ihren Beifall. Außerdem wurde beschlossen, daß der Großfürst den Prinzen Heinrich nach Berlin begleiten sollte, um die Prinzessin zu sehen und sich mit ihr zu verloben. Darauf sollte er sie nach Petersburg geleiten und sich dort mit ihr vermählen.

Schwieriger fiel es dem Prinzen, die Forderungen der Polen zu durchkreuzen, die von Preußen die Rückgabe einiger Landstriche verlangten. Die Österreicher waren mit dem Beispiel voraufgegangen; Rußland bestand darauf, daß der König ihrem Vorgang folgte. Die Sache wurde dem russischen Gesandten in Polen, Stackelberg, zur Vermittlung überwiesen, und nachdem man sich schlecht und recht geeinigt hatte, erstattete der Berliner Hof der Republik den Goplo-See, das linke Drewenz-Ufer und einige Dörfer in der Umgegend von Thorn zurück.

Wir wollen den Empfang des Großfürsten hier nicht ausführlich schildern: es war von der Grenze bis nach Berlin eine Kette von Festlichkeiten, bei denen sich Prunk und Geschmack um die Ehre stritten, den erlauchten Gast würdig zu feiern3. Nicht


1 26. April 1776.

2 Prinzessin Dorothea (vgl. S. 88).

3 Der Besuch des Großfürsten Paul am Berliner Hofe währte vom 21. Juli bis 5. August 1776. Am 23. Juli erfolgte seine Verlobung mit der Prinzessin Dorothea, die bei ihrem Wertritt zum griechisch-katholischen Bekenntnis die Namen Maria Feodorowna erhielt. Die Vermählung fand am 18. Oktober statt.