<37> Seite. Beide Gesandten schienen über die Hauptpunkte des Vertrages, ja selbst über die Unabhängigkeit der Tartaren einig. Als man jedoch den Vertrag Artikel für Artikel durchging, legte Osman Effendi einen anderen Entwurf vor, nach dem dem Sultan das Recht bleiben sollte, die Wahl des neuen Tartaren-Khans zu bestätigen und die Rechtspflege in der Krim auszuüben. Dieser Vorschlag ward abgelehnt; Osman Effendi legte einen gemäßigteren Entwurf vor, der aber sowenig wie der erste angenommen wurde. Darauf erklärte er: nachdem er alle Mittel erschöpft hätte, die ihm seine Instruktion gestatte, und nachdem er alle Bedingungen herabgesetzt hätte, die den Russen am mißfälligsten seien, sähe er doch, daß man alle seine Vorschläge ohne Rücksicht auf die Mäßigung des Sultans verwerfe, und so bliebe ihm nichts übrig, als um Pferde zur Rückkehr nach Konstantinopel zu bitten. Orlow nahm ihn beim Worte. Seine eigenen Interessen riefen ihn nach Petersburg zurück, wo seine Feinde ihn während seiner Abwesenheit verdrängt hatten. So dauerte dieser mit soviel Mühe zusammengebrachte Kongreß nicht einmal bis zum Ende des Monats.

Je vorteilhafter sich die Dinge in Nord- und Osteuropa für Rußland gestalteten, desto mehr bemühte sich Frankreich, aus Mißvergnügen über das geringe Ansehen, in dem es stand, sich durch Umtriebe für seinen verlorenen Einfluß zu entschädigen. Es hoffte ihn wiederzugewinnen, wenn es Schweden ins Spiel zöge. Der schwedische Krom prinz, der sich damals auf Reisen in Frankreich befand, war gerade in Paris, als er den Tod seines Vaters, des Königs, erfuhr1. Die Minister Ludwigs XV. benutzten die günstige Gelegenheit, um geheime Vereinbarungen mit dem jungen Herrscher zu treffen. Sie versprachen ihm die vom letzten Kriege her rückständigen Subsidien zu bezahlen, die Frankreich den Schweden noch schuldete. Die Summe belief sich auf 1 Million 300 000 Taler; ein Teil davon wurde ihm in Paris ausgehändigt und die Tilgung des Restes in Aussicht gestellt, falls er ihn zum Umsturz der schwedischen Verfassung benutzte und die Königsmacht wiederherstellte. Seitdem gab sich der lebhafte, ehrgeizige, aber leichtsinnige junge Herrscher der Ausführung dieses Planes rückhaltlos hin. Der Reichstag, der sich zu seiner Krönung versammeln sollte, bot ihm die erwünschte Gelegenheit dazu. Nach Stockholm zurückgekehrt, schickte er Sendlinge, mit Geld versehen, in alle Provinzen seines Reiches, um die Landboten und einen Teil der Truppen zu bestechen. Sein Bruder, Prinz Karl, stellte sich an die Spitze eines dieser Korps, um es zur Unterstützung des Königs nach der Hauptstadt zu führen. Allein der junge Monarch wartete sein Eintreffen garnicht ab; er hatte das Garderegiment und das Artillerieregiment gewonnen, bemächtigte sich mit ihrer Hilfe des Zeughauses, ließ Kanonen auf den Straßen und Plätzen auffahren, berief den durch diese ungewohnten Maßregeln eingeschüchterten Senat und ließ sich von dieser Körperschaft, die die ganze Nation repräsentierte, zum Selbstherrscher erklären (19. August 1772).


1 König Adolf Friedrich starb am 12. Februar 1771; ihm folgte sein Sohn Gustav III.