<236> Unvermutet ward ich des Nachts verhaftet und in Ketten gelegt. Die Dänen kannten Machiavell nicht; sie sahen das Große nicht, das in meinem Benehmen lag. Nachdem ich der eigentliche König gewesen war, schlug man mir den Kopf ab. Aber wer sind Sie, Herr Frager?

Choiseul: Ich bin der berühmte Herzog von Choiseul, vormals König von Frankreich, wie Sie von Dänemark. Auch ich war allein das Werkzeug meines Glückes; durch mein Ränkespiel erlangte ich den Platz neben dem Thron — oder auf dem Thron, wenn Sie wollen — und verlieh ihm den höchsten Glanz. Ich bin der UrHeber des berühmten Familienvertrages, durch den ich Spanien zum Opfer eines Teils seiner Flotte und seiner amerikanischen Besitzungen bewog, nur um die Ehre zu haben, Frankreich beizustehen, als es am Ende seiner Kräfte war, erschöpft durch den Krieg, den es mit England in Deutschland führte, geschlagen zu Wasser und zu Lande1. Unter solchen Umständen gelang es mir, einen möglichst vorteilhaften Frieden zu schließen und ...

Sokrates: Das ist das einzig Vernünftige, was Du zeitlebens vollbracht hast.

Choiseul: Es freut mich, daß Sie wenigstens etwas an mir loben. Seitdem vertrieb ich die Jesuiten aus Frankreich2, weil ich mich als Gesandter in Rom mit ihrem Ordensgeneral verfeindet hatte3.

Sokrates: Zu meiner Zeit gab es solches Gezücht nicht. Aber andere Verstorbene haben mir erzählt, es wären Sophisten, die mit Dolch und Gift arbeiten. Sollte Herr von Struensee wohl zu ihrer Sekte gehören?

Struensee: Ich gehöre zur Sekte Cromwells, Cäsar Borgias und Catilinas. Aber fahren Sie fort, mich zu belehren, Herr Herzog.

Choiseul: Nach diesem schönen Streich setzte ich mich in den Besitz von Avignon4. Ich vertrieb den Papst daraus, um die Grafschaft für ewig dem Königreich Frankreich einzuverleiben. Ebenso gewann ich Korsika, das ich den Genuesen geschickt fortstibitzte5.

Sokrates: Du warst also ein Eroberer?

Choiseul: Diese Eroberungen machte ich von meinem Kabinett aus. In Vergnügen und Zerstreuungen schwimmend, am Busen der Wollust störte ich den Frieden Europas. Je aufgeregter die anderen Mächte waren, um so ruhiger konnte Frankreich sein. Die Kriege und die Mißwirtschaft meiner Vorgänger hatten unsere Finanzen zerrüttet; der Kredit war dahin, und der Staatsbankrott stand vor der Tür.


1 In dem bourbonischen Familienpakt vom 15. August 1761 garantierten sich die aus bourboniWem Stamm entsprossenen Herrscherhauser von Frankreich, Spanien, Neapel und Parma gegenseitig ihren Besitz. Wr Spaniens Teilnahme am Kriege gegen England vgl. Bd. IV, S. 121 ff.

2 1762.

3 Choiseul war 1754-1757 Gesandter in Rom gewesen.

4 1768.

5 Durch den Versailler Vertrag vom 15. Mai 3768 trat Genua Korsika gegen Geld ab.