<235>gleichen um seinen Ruf beneidet? Die Tugendhaften verabscheuen euch, ihre Meinung gibt in der Welt schließlich den Ausschlag, und sie diktieren das Urteil der Nachwelt. Du wirst in der Geschichte nur als berühmter Störenfried gelten, als Rakete, die einen Augenblick blendet, doch bald in dem Rauche verlischt, den sie selbst erzeugt.

Choiseul: Wahrhaftig, Herr Sokrates, Sie sind gallig; denn das müssen Sie sein, um einen Minister wie mich nicht anzuerkennen. Die französische Monarchie ist keine athenische Republik.

Sokrates: Du wähnst Dich noch in Versailles mit Deinem Weibe, oder vielmehr Deiner Schwester, Frau von Grammont1, von kriechenden Schmeichlern umgeben. Da log Dich die Falschheit unter der Maske der Höflichkeit reichlich an. Teils aus Furcht vor Deiner Macht, teils aus schnödem Eigennutz streute man Dir Weihrauch und sang Loblieder auf Deine Torheiten. Hier braucht keiner den anderen, hier beweihräuchert man keinen und sagt nur die lautere Wahrheit.

Choiseul: Ach, welch ein übler Aufenthaltsort! Wie verdrießlich ist es für einen Versailler Höfling, was sag' ich, für einen allmächtigen Minister, mit so plumpen Flegeln leben zu müssen! Doch was seh' ich da? Was für ein Wesen schickt man uns aus der anderen Welt zu? Was ist das für eine Bestie? Sie hat keinen Kopf! Gott verdamm' mich, ich glaube, es ist der heilige Dionysius. Wer bist Du, Mensch ohne Kopf?

Struensee: Ich habe leider nicht die Ehre, heilig zu sein, ich bin sogar ein Ketzer. Ich kam ohne Kopf her; denn man brauchte ihn in dem Lande, wo man ihn mir abschlug, well man sonst keinen anderen hatte.

Choiseul: In Frankreich ist man nicht so brutal. Bei uns sind die Gesetze für das Volk da und nicht für die Großen. Wir werden nicht geköpft. Aber welche Rolle spieltest Du auf Erden und warum hat man Dich derart behandelt?

Struensee: Ich bin Graf Struensee, einer von denen, die alles ihrem eigenen Verdienst danken; ich bin meines Glückes Schmied. Ich war Arzt in Holstein, als der Beherrscher Islands, Norwegens, Holsteins und Dänemarks nach Kiel kam. Er war schwer krank; ich heilte ihn glücklich, gewann seine Gunst und mehr noch die der Königin, die mich nicht mit gleichgültigen Blicken betrachtete. Ich wurde Minister und wollte Herrscher werden. Ich dachte wie Pompejus: ich wollte keinen Gleichen neben mir dulden. Ich fand Mittel und Wege, meinen Gebieter zu fesseln. Um ihn in Abhängigkeit zu erhalten, ließ ich ihn so viel Opium schlucken, daß er davon verblödete; dann wollten ich und die Königin uns zu Regenten des Reiches machen. Wenn man der Zweite ist, will man gern der Erste sein. Ich schuf mir einen großen Anhang. Wir waren im Begriff, den Monarchen für regierungsunfähig zu erklären.


1 Die Herzogin Beatrix von Grammont war bereits im Juli 1770 verbannt worden.