<211> geboren sein, wo die Monarchen einem Aretin1 ihren Tribut zahlten. Sein Schweigen wurde erkauft; die Witze, die er unterdrückte, wurden bezahlt, und sobald ein Fürst glaubte, eine Dummheit begangen zu haben, sandte er ihm Geschenke. Damals konnte man damit reich werden. Aber alles verändert sich. Unser Zeitalter ist griesgrämig geworden; unsere modernen Aretine erhalten statt Belohnung Unterkunft auf Staatskosten von den Herrschern, die sie beleidigt haben, und vor allem untersagt man ihnen die Ausübung ihrer Talente und Fähigkeiten.

Beispiele dieser Art schüchtern freilich solche nicht ein, die mit der Liebe zu so schönem Ruhme geboren sind. Sie gehen auch weniger ermuntert als Aretin ihren Weg, und ihre Begeisterung geht bis zum Martyrium. Um sich Mut zu machen und sich ihre Schlechtigkeit selbst zu verbergen, reden sie sich ein, für das Gemeinwohl zu wirken, die Sitten zu bessern und die Großen durch die Furcht vor ihrem grimmen Tadel in Zaum zu halten. Sie wähnen, ihre Stiche werden verspürt; man muß sie auf die geistreiche Fabel Lafontaines vom Ochsen und der Milbe verweisen2. In ihrem hochmütigen, weichlichen Wohlleben vernehmen die Mächtigen das Gesumme dieser Insekten des Parnasses entweder garnicht, oder sie bestrafen sie, sobald sie es hören.

Weder Lästerungen, noch Schmähschriften und Verleumdungen bessern die Men-schen; sie erbittern nur die Gemüter und reizen sie auf. Sie vermögen ihnen wohl den Wunsch nach Rache einzuflößen, nicht aber den, sich zu bessern. Im Gegenteil! Ein ungerechter Vorwurf beweist die Schuldlosigkeit und nährt die Eigenliebe, anstatt sie zu ersticken. Die Großen bleiben, wie sie sind; ein Höfling wird die Gunst seines Herrn nicht minder suchen, weil er in einer Schmähschrift beschimpft worden ist. Ränke sind unvermeidlich an einem Orte, wo viele Menschen zusammenkommen und ein Wettstreit des Ehrgeizes herrscht; sie werden also nach wie vor an den Höfen gesponnen werden, und die Minister werden den Gang der Geschäfte aus dem bisherigen Gesichtspunkt weiter verfolgen.

Die, auf deren Haupt die höchste Macht und Gewalt vereinigt ist, verdienen weit eher Mitleid als Neid. Den Weltbeherrschern entsinkt oft der Mut bei einem mühevollen Werke, dessen Ende nicht abzusehen ist. Unaufhörlich müssen sie mit ihren Gedanken in der Zukunft leben, alles vorhersehen, allem zuvorkommen. Sie sind für die Ereignisse verantwortlich, die der Zufall, menschlicher Klugheit spottend, herbeiführt, um ihre Maßregeln zu durchkreuzen. Sie sind überhäuft mit Geschäften, und die Anstrengungen wirken auf sie schließlich wie ein Schlafmittel, das auf die Dauer alles Streben nach Ruhm abtötet und sie die philosophische Ruhe des Privatlebens herbeisehnen läßt. Es ist viel nötiger, die Liebe zum Ruhme in ihnen zu erwecken, als danach zu trachten, sie zu ersticken. Ermuntern muß man die Menschen, aber nicht abschrecken, und das werden Schmähschriften niemals zustande bringen.


1 Vgl. S. 189.

2 Eine solche Fabel von Lafontaine gibt es nicht. Vielleicht meint der König die Fabel „Die Mücke und der Ochs“ von Phärus.