<225>

1. Zur Charakteristik König Friedrich Wilhelms I.1

Man erwarte hier keine Darstellung eines Herrschers, den die Wahrzeichen des Stolzes und der Eitelkeit umgeben, keinen unruhigen, abenteuerlustigen Geist, dessen ungestüme Leidenschaften so weit um sich greifen, als die Macht der Ränke reicht. Das Leben eines Numa ist es, was ich schreibe, ein Leben ohne Überraschungen, ohne irgend etwas von dem, was den Ehrsüchtigen erstaunlich dünken könnte, ohne eine jener glanzvollen Taten, die ans Wunderbare grenzen. Wohl aber werden die Kenner des wahren Verdienstes hier Tugenden finden, die weit über alle Taten der Welteroberer zu setzen sind. Denn der Gesetzgeber hat bei all seinem Handeln die öffentliche Wohlfahrt im Auge, während der Eroberer einzig nach Ruhm lechzt. Dieser ist wie ein wütender Gießbach, der überschwillt und das Land ringsum verwüstet, jener ein wohltätiger Strom, dessen Fluten die Wiesen bewässern und Fruchtbarkelt und Überfluß verbreiten. Haben die Helden Hindernisse zu überwinden und Feinde zu besiegen, welcher Standhaftigkeit bedürfen dann erst die Neuordner der Staaten, um den Menschen die Wohltaten aufzuzwingen, die sie ihnen zugedacht haben! Wie schwer ist es, sie den nützlichen Neuerungen gefügig zu machen und ruhig den Weg zu gehen, auf dem man sie führen will! Findet schon Heldengröße Bewunderung, wieviel mehr gehört Weite des Blickes, wägender Sinn, Weisheit und Kombinationsgabe zum Plan jener wohltätigen Schöpfer! Gefällt sich der menschliche Geist in der Aufzählung der zerstörten Städte und Reiche, wie sollte er so verkehrt sein, nicht mit Freuden zu sehen, wie Städte und Dörfer erbaut und bevölkert werden und ganze Reiche erstehen? Des Gesetzgebers Geist muß umfassender sein als der des Eroberers, sein geistiger Mut größer als die Tapferkeit jenes. Überhaupt muß er reinere und für das Wohl der Menschheit ersprießlichere Absichten hegen. Der König hat so tiefe Spuren seines weisen Wirkens in seinem Lande hinterlassen, daß sie bleiben werden, solange der preußische Staat besteht.


1 Das Folgende bildet die erste Fassung der Charakteristik Friedrich Wilhelms I., in der König Friedrich seinen Vater als Ideal eines Friedensfürsten feiert (vgl. S. 136).