November.

A.

November 1769

Der König in Potsdam.

15. November 1769

Der König an d'Alembert :

"Es ist mir ungemein angenehm, daß ich die Bekanntschaft des Herrn Grimm gemacht habe. Es ist ein junger Mann von Geist und philosophischer Kopf und dessen, Gedächtniß mit schönen Kenntnissen ausgeschmückt ist. etc. Meine Gesundheit hat er ziemlich gut gefunden etc. Uebrigens ist ohne allen Streit die beste Arznei für Jünglinge, so wie für Greise, Seelenruhe, sie stößt uns eine sanfte Heiterkeit ein, mischt<328> einen neuen Balsam in unser Blut und besänftigt jene stürmischen Bewegungen, welche unser schwaches Maschinenwerk zerstören. etc.

Ein Engländer hat der Hierarchie die Nativität gestellt, und bei der Berechnung ihrer Dauer ihr letztes Ziel auf das Ende dieses Jahrhunderts bestimmt. Nicht ungern möcht' ich dies Schauspiel mit ansehn, aber ich glaube immer, es wird nicht so geschwind gehen; die Hierarchie wird wohl noch ein Paar Jahrhunderte ihre Ungereimtheiten emporhalten, besonders, da der Pöbel sie unterstützt.

Was ich eben da sage, veranlaßt die Frage : ob in einem Religionssystem das Volk der Fabel entbehren könne? Ich glaube es nicht; und das darum, weil die Thiere, welchen die Schule die Ehre erweist, sie vernünftige zu nennen, eigentlich wenig Vernunft besitzen. Was wollen denn ein Paar aufgeklärte Professoren, einige weise Akademisten sagen, im Vergleich mit der unabsehbaren Menge, welche einen Staat bildet? Die Stimme dieser Lehrer des Menschengeschlechts wird wenig gehört, und verbreitet sich nicht über die Schranken einer engen Sphäre. Wie soll man so viele Vorurtheile besiegen, die schon mit der Ammenmilch eingesogen sind? Wie gegen das Herkommen kämpfen, welches bei Dummköpfen für Vernunft gilt? Wie aus dem Herzen der Menschen einen Keim des Aberglaubens mit der Wurzel ausreißen, den die Natur selbst hineingepflanzt hat, und das Gefühl der den Menschen eigenthümlichen Schwachheit darin nährt? Das alles bestärkt mich in der Meinung, daß nicht viel mit dieser saubern Gattung von zweifüßigen ungefiederten Thieren anzufangen ist, und daß sie wahrscheinlich immer der Ball von Betrügern sein werden, welche Lust haben, sie zu berücken."

25. November 1769

Der König an Voltaire 328-+ :<329> "Sie sind zu bescheiden, wenn Sie wirklich geglaubt haben, ein zweijähriges Stillschweigen, wie das Ihrige, lasse sich geduldig ertragen. Ohne Zweifel muß Jeder, der die Wissenschaften liebt, sich für Ihre Erhaltung interessiren, und es sehr gern sehen, wenn Sie selbst ihm Nachrichten davon geben, etc. Ich schicke Ihnen einen Prolog zu einem Lustspiel, den ich in aller Eil aufgesetzt habe, um der Kurfürstin von Sachsen, die mich besucht hat, meine Achtung zu bezeigen. Sie ist eine Prinzessin von großen Verdiensten und wäre wohl eines besseren Dichters werth gewesen. Wie Sie sehen, behalte ich meine alten Schwachheiten. Ich liebe die schönen Wissenschaften bis zur Thorheit; sie allein machen unsere Muße reizend und geben uns wahres Vergnügen. Die Philosophie würde ich völlig eben so sehr lieben, wenn unsere schwache Vernunft in ihr die Wahrheiten entdecken könnte, die vor unser Augen verborgen sind, und die unsere eitle Neugierde doch so begierig sucht, aber sobald man Kenntnisse bekommt, lernt man zweifeln. Ich verlasse also dieses Meer, das so sehr von Klippen der Ungereimtheit wimmelt, und bin überzeugt, da alle die abstrakten Gegenstände der Spekulation außer unserm Fassungskreise liegen, so würde uns die Bekanntschaft mit ihnen ganz unnütz sein, wenn wir auch bis zu ihnen hindringen könnten. Mit dieser Denkart lebe ich mein Alter ruhig hin, und suche mir alle Brochüren von dem Neffen des Abbé Bazin 329-+ zu verschaffen. etc."


328-+ Nach langem Stillschweigen hatte endlich Voltaire in diesem Monat den Briefwechsel mit dem König wieder angefangen.

329-+ Unter diesem Namen hat Voltaire eine Vertheidigung seines Versuchs einer Schilderung der Sitten etc. geschrieben.