12454. AN DEN ETATSMINISTER GRAF FINCKENSTEIN IN MAGDEBURG.

Hauptquartier Kemberg, 28. October 1760.

Ich bin ohnendlich erfreuet gewesen, aus Ew. Excellenz gnädigem Schreiben vom 25. dieses zu ersehen, dass Dieselbe meine wenige Gedanken wegen des gewissen jetzo abwesenden Minister38-3 nicht nur nicht desapprobiret, sondern auch<39> goutiret haben. Ich bin persuadiret, dass das Schreiben, so Dieselbe an denselben abgelassen, auf ihn Impression machen und ihn aus einem Labyrinth ziehen werde, welchen er vielleicht einmal selbst regrettiren dörfte. Ich muss es gegen Ew. Excellenz frei gestehen, obschon in höchster Confidence, dass mir dieses Mannes geändertes bisheriges Betragen ganz sehr étrange vorgekommen. Als des Königs Majestät Dero Marsch aus Sachsen Allerhöchstselbst bekannt machten39-1 und die damit verknüpfte Hasards und sehr fatigante Märsche vorstelleten und ihm dabei auf das gracieuseste überliessen, ob er solche mitthun oder sich entschliessen wollte, weil Sie ihm in Sachsen inzwischen keinen sicheren Ort seines Aufenthaltes dermalen anzuweisen wüssten, nach Berlin oder Magdeburg gehen wollte,39-2 um alsdenn Höchstderoselben, nachdem sich die Umstände geändert hätten, wiederum zu folgen, so antwortete er darauf mit vieler Politesse, dass er des Königs Majestät folgen und alle Gefahr und Fatigues um so weniger ansehen würde, als er von seinem Hofe die positive Ordre ein- vor allemal habe, des Königs Majestät überall in Campagne zu folgen. Es ist an dem, dass die Gesundheit und Kräfte desselben bei denen dermaligen extrem fatiganten Märschen etwas gelitten, daher er auch aus dem Lager bei Hermannsdorf nach Breslau, um sich zu remittiren, abgegangen, woselbst ihn auch, als auf ein paar Stunden dahin gehen müssen, ziemlich remittiret gefunden habe. Wie er aber, sowie vorhin gemeldet, bei des Königs weiterem Marsch nach dem Gebirge und nachher nach Sachsen zu folgen Bedenken trug, so gestehe, dass seit der Zeit eine gewisse Froideur, selbst in Égard des Königs, an ihm gespüret, die mich so betrübet als Soupçons gegeben und worunter mich ein sicherer Brief, den ich heute früh noch von einer vertrauten Hand aus Glogau erhalten, so mehr bestärket, da man darin schreibet: „Der M[itchell] ist ganz hingerissen, er siehet niemand als den P.39-3 Ich glaube, dass gewisse Sentiments sehr adoptiret werden. Die Abwesenheit des M[itchell] vom Könige schlägt hier viele sonst gut gesinnete nieder, da sie daraus übele Urtheile fällen.“ — Ich kann vor die Richtigkeit dieses Avis nicht repondiren, gehe auch mit zitternden Händen daran, Ew. Excellenz etwas davon zu melden, geschweige mich weiter darin zu meliren, mich einig und allein auf Deroselben Gewogenheit und Discretion verlassend; ich glaube aber, dass es sehr gut und nöthig sei, dass Ew. Excellenz auf eine so gute Art einen Versuch gethan haben, gedachten Minister von dort weg und näher à portée an des Königs Majestät zu bringen. Hier wird doch das Théâtre sein, wo sich der Ausgang der Campagne wird decidiren müssen und wo man alsdenn wird auf den Frieden oder Continuation des Krieges zu denken haben.

Ich gestehe, dass mir nunmehro die Last zu schwer und unerträglich wird, so vielen Eifer und Lust ich auch sonsten zu allem, und aller Beschwerlichkeiten ohnerachtet, bezeiget und gefühlet habe. Ausser allen äusserlichen Nachrichten über alle betrübte Begebenheiten, so mir das Herze navriren, seind andere Umstände, so ich der Feder ohnmöglich anvertrauen kann, die mich in eine derer affreusesten und gefährlichen Situation setzen und die mir den Kopf so derangiren, dass solcher mir drehen müsste, wenn mich der Höchste nicht soutenirte. Es ist aber auch ohnmöglich, solches länger zu souteniren, ohne zu succumbiren. Ich würde mich vor den glücklichsten Menschen von der Welt schätzen, wenn ich nur eine Gelegenheit finden könnte, die Gnade zu haben, mit Ew. Excellenz nur eine Stunde darüber zu expectoriren ; so etwas glückliches aber hat mein hartes Sort mir nicht vorbehalten, dahero ich auch ohne Miracul unterliegen muss. Es ist mir genug, wenn Ew. Excellenz nur einiges gnädiges Mitleiden mit mir deshalb haben und etwas davon wissen; vermittelst der Feder aber deshalb in einiges Détail zu gehen, ist mir ohnmöglich und würde insensé sein. Ich bitte Ew. Excellenz indess, nur darüber Sich nicht beunruhigen, noch einige Umstände davon approfondiren zu wollen.

Des Königs Majestät, die heute wegen eines verspüreten innerlichen Échauffe<40>ments zur Ader gelassen, brechen morgen früh wieder von hier auf, um Sich gegen Daun zu nähern, der zwischen Düben und Eilenburg stehet. So gar sehr interessant es auch wäre, wenn es einmal zu einer decisiven Action käme, so wenig Hoffnung habe ich dazu, da dem Verlaut nach Daun schon ein Lager bei Grimma abstechen lassen, welches die Thüre zu einem chicaneusen Gebirgskriege ist, wo sich vor keinen Theil was decidiret. Ich muthmaasse daher, dass es zwar dahin kommen dörfte, dass der König wieder Maître von Leipzig, Torgau und dem übrigen Sachsen bis auf Dresden und dem Meissenschen Kreise, mithin dessen Position wieder wie im vorigen Winter werden wird; was wird dieses aber decidiren und zu einem Frieden contribuiren, der sonsten wohl allen kriegenden Puissancen und ihren, auch andern unschuldigen devastirten Ländern so nöthig wäre! und wie wird es im Frühjahre und kommende Campagne aussehen! Alle Subsides, wenn sie auch verdoppelt wären, helfen nichts, wegen der grossen Supériorité derer feindlichen Forces, und daferne nicht entweder ein Theil der Feinde diesen Winter [abspringet] oder in Zeiten ein ganz anderer Operationsplan wie dieses Jahr communément und in Zeiten concertiret [wird], auch endlich Engelland mit Ernst und ohne weitere Verstellung darauf arbeitet, dass R[exin] zu C[onstantinopel] reussiret, so sehe ich ein honteuses Ende des Krieges sowohl vor Engelland als uns zuvor und dass alle Conqueten, so jene in denen Indien gemachet haben, im Brunnen fallen. Wie nöthig wäre es also, wenn Mr. Mitchell] zu Magdeburg wäre, damit Ew. Excellenz Sich mit ihm darüber vertraut, wenn es auch nur par manière de discours wäre, vorläufig besprechen könnten.

Ew. Excellenz werden vielleicht schon erfahren haben, was mit denen Russen, so sich selbst Stettin nähern, passiret. Der Herzog von Bevern hat per estafette deshalb hieher geschrieben. Ich habe den Brief ohnerbrochen zurückbekommen, 40-1 mit der Antwort, man wollte solchen nicht lesen. Solcher40-2 ist inzwischen angekommen. Der Herzog bittet um schleunige Antwort.40-3 Prinz Eugène ist hier und der Generalmajor Werner aus einem ihm angewohnten esprit de pillardise40-4 im Mecklenburg-Schwerinschen. O Gott! in was vor Zeiten und Umstände bin ich aufbehalten! Die von Ew. Excellenz eingesandte Vollmacht vor den Herrn von Knyphausen40-5 ist vollenzogen und erfolget bei dieser Gelegenheit zurück.

Der Herzog von Württemberg hat sich weiter auf Leipzig zurückgezogen, und die Reichsarmee stehet der Gegend Bitterfelde. Gott weiss, wie alle diese Complication sich noch unter einander developpiren wird.

[Eichel spricht sein Befremden darüber aus, dass der Minister von Schlabrendorff nicht alle Rexinschen Papiere, die bei ihm deponirt waren, an Finckenstein zurückgesandt habe.] Hier ist inzwischen nicht das geringste mehr von R[exini]anis als das Déchiffré seiner letztern Dépêche. Es seind niemalen seit mehr als einem Jahre her zwei Jäger an den R[exin] gegangen, und der, wovon er letztlich erwähnet, ist der einige, so Anfang Augusti mit dem Skrodski zugleich von Breslau abgegangen, wie mir der Herr von Schlabrendorff auch noch heute geschrieben. Da nach der vermisseten Antwort der R[exin] instruiret worden, sich zu congediiren und wegzugehen, auch zu declariren, sich nicht länger amusiren zu lassen, wenn man nicht mit Ernst zur Sache thun wollte; daferne aber der erste Minister darüber embarrassiret wäre und ihn noch zu bleiben nöthigte, zu simuliren, als ob er solches auf seinen Kopf nähme, noch zu bleiben,40-6 so muthmaasse fast, wenn sonst der R[exin] nicht aufrichtig zu Werke gehet, als ob er, um länger zu bleiben und seine bisherige Haushaltung zu continuiren, die Défaite von der nicht erhaltenen Antwort und einem zu<41> erwartenden Duplicat gebrauchet; denn es gewiss ist, dass Skrodski und der Jäger zu einer Stunde und zugleich abgegangen. Wenn die Correspondance mit Benoît offen bleibet, hoffe dieses durch den Herrn von Schlabrendorff epiiren zu lassen.

In Schlesien ist, so viel Niederschlesien angehet, alles in so weit ruhig, ausser dass der österreichische General Nauendorff mit einigen Corps bei Liegnitz stehet und das Land mit Exactionen quälet, der auch neulich eine neue Tentative auf die Nicolsvorstadt bei Breslau thun wollen, um ein Magazin daselbst im Brand zu stecken, aber ganz ohnverrichteter Sache zurückgehen müssen. Hergegen ist Laudon nach Oberschlesien mit seinem Corps marschiret, um Cosel zu belagern, wohin ihm aber der General Goltz mit seinem Corps folgen und ihn allenfalls attaquiren wird.

Es ist an dem, dass alle diese Sachen des Königs Majestät ohnendliche Peine geben müssen und vielleicht kein Souverain alles dieses zusammen gnug Force haben würde zu ertragen; ich aber wünschete nur dabei, so viel meine Wenigkeit angehet, dass ich nicht so vielen Hasards dabei exponiret wäre.

Ich bitte tausend Mal um Vergebung wegen meines höchst confusen Schreibens; meine assiette d'esprit ist aber so derangiret, dass ich fast nicht mehr ordentlich denken, geschweige dann schreiben kann. Ew. Excellenz conserviren mir nur Dero Vertrauen und gnädiges Wohlwollen, so mir allemal, so lange es Gott gefallen wird, mich noch in dieser betrübten Situation zu lassen, zur besonderen und grossesten Consolation dienen wird. . .

Eichel.

Auszug aus der Ausfertigung.



38-3 Mitchell; vergl. Nr. 12446.

39-1 Vergl. Nr. 12412.

39-2 So.

39-3 D. i. den Prinzen [Heinrich].

40-1 D. h. vom Könige.

40-2 So.

40-3 Auf einem Berichte des Herzogs, d. d. Stettin 26. October, mit der Meldung, dass die Russen Stettin einzuschliessen drohten, finden sich die Weisungen für die Antwort: „Ged[anke] richt[ig], aber jetzt ohnmöglich detachiren; 2, 3 Tage Décision kommen, alsdenn schicken werde.“

40-4 So.

40-5 „Plein pouvoir pour le baron de Knyphausen et le sieur Michell“ (zum Abschluss einer neuen Subsidien-Convention mit England), d. d. Magdeburg 27. October.

40-6 Vergl. Bd. XIX, 643.