<31>Durch Fleiß erringt und zärtliche Geduld.
Liebst Du sie wahr, wird sie Dir viel bescheren,
Und recht genützt, kannst Du das Gut noch mehren —
O heil'ger Hort der Tugend, frei von Schuld!

Die Wahrheit führt den Griffel der Geschichte,
Sitzt über alle Zeiten zu Gerichte;
Versunkne Reiche läßt sie neu erstehn,
Zeigt sie im Wachsen, Blühen, Untergehn.
Da lernt man ohne äußre Macht regieren,
Nur durch des Worts Gewalt die Geister führen;
Man lernt sich selbst erkennen und bezwingen,
Die Herrschaft übers eigne Ich erringen.
Von der Erfahrung läßt sich unser Geist
Ins Innre der Natur behutsam leiten;
Mit Maß und Zahl durchdringt er dreist
Des Weltenraumes grenzenlose Weiten.
Im Urgrund der Natur, der Dinge Schoß,
Legt er geheimnisvolle Faden bloß.

So wird der Weise Herr der Elemente,
Vereint in sich, was Raum und Stunde trennte.
Mitleidig sieht er auf dem Erdenball
Der Herrschermacht Gepränge — Rauch und Schall,
Und jene aufgebauschten Nichtigkeiten,
Um die sich wutentbrannt die Menschen streiten.

Der Sinne Zauberbann entgeht der Weise.
Ob auch Marcellus Syrakus bekriegt, 1
Zieht Archimedes ruhig seine Kreise
Und weiß nicht, daß die Römer schon gesiegt.
In seinem unstillbaren Drang nach Licht
Der Welt, der er Erleuchtung bringt, entrückt,
Allein nach Wahrheit ringend, sieht er nicht
Das Scheusal, das den Mordsiahl nach ihm zückt.
Ein Himmelsbürger, auf die Welt verschlagen,
Beklagt er ihre Kriege, ihre Not;
Sein Geist, gefeit gegen des Schicksals Plagen,
Verachtet falsche Güter, Schmerz und Tod.


1 Marcus Claudius Marcellus eroberte 212 v. Chr. Syrakus.