<77>spiel geliefert: den „Postzug“.1 Es sind unsre Sitten, unsre Lächerlichkeiten, die der Dichter da auf der Bühne bloßstellt. Das Stück ist gut gearbeitet. Hätte Molière das gleiche Thema bearbeitet, er hätte es nicht besser machen können.

Es tut mir leid, Ihnen kein größeres Verzeichnis unsrer guten Erzeugnisse vorlegen zu können. Ich klage die Nation deshalb nicht an: es fehlt ihr weder an Geist noch an Talent, aber äußere Ursachen verhinderten sie daran, sich mit ihren Nachbarn zugleich emporzuschwingen.

Gehen wir, wenn es Ihnen gefallt, bis zur Wiedergeburt der Künste und Wissenschaften zurück, und vergleichen wir die Lage Italiens, Frankreichs und Deutschlands zur Zeit jener Umwälzung des menschlichen Geistes.

Wie Sie wissen, stand ihre Wiege wieder in Italien. Das Haus Este, die Medizäer und Papst Leo X., die sie beschützten, trugen zu ihren Fortschritten bei. Während Italien sich kultivierte, zerfiel Deutschland, durch Theologen verhetzt, in zwei Parteien, die sich durch ihren Haß aufeinander, durch Schwärmerei und Fanatismus hervortaten. Zur selben Zeit versuchte Franz I. von Frankreich, sich mit Italien in den Ruhm zu teilen, zur Wiederherstellung der Künste und Wissenschaften beizutragen. Er erschöpfte sich in vergeblichen Anstrengungen, sie in sein Land zu verpflanzen: seine Bemühungen blieben fruchtlos2. Die Monarchie war durch das Lösegeld erschöpft, das sie für ihren König an Spanien zahlen mußte3, und befand sich in einem Zustande der Entkräftung. Die Kriege der Ligue, die nach dem Tode Franz' I. ausbrachen, hinderten die Bürger, sich den schönen Künsten zu widmen. Erst gegen Ende der Regierungszeit Ludwigs XIII., als die Wunden der Bürgerkriege verheilt waren, unter dem Ministerium des Kardinals Richelieu, in einer Zeit, die dem Unternehmen günstig war, nahm man den Plan Franz' I. wieder auf. Der Hof ermunterte die Gelehrten und Schöngeister. Alles wurde von Wetteifer ergrissen, und bald darauf, unter Ludwig XIV., stand Paris weder Rom noch Florenz nach.

Was geschah damals in Deutschland? Gerade als Richelieu sich durch die Geschmacksbildung seiner Nation mit Ruhm bedeckte, tobte der Dreißigjährige Krieg. Deutschland wurde von zwanzig verschiedenen Heeren verwüstet und geplündert, die bald siegreich, bald unterliegend, Not und Elend verbreiteten. Das Land war verheert, die Felder lagen brach, die Städte waren fast menschenleer. Nach dem Westfälischen Frieden fand Deutschland keine Zeit, sich zu erholen. Bald kämpfte es gegen die Macht des türkischen Reiches, das damals sehr furchtbar war. Bald widerstand es den französischen Heeren, die Germanien überschwemmten und das Reich der Gallier vergrößern wollten. Als die Türken Wien belagerten (1683) oder Mélac die Pfalz verwüstete (1689), als die Flammen Häuser und Städte in Asche legten, als die wilde Zügellosigkeit der Soldateska selbst das Asyl des Todes entweihte und


1 „Der Postzug oder die noblen Passionen“ (1769) von Cornelius Hermann von Ayrenhoff(1733 bis 1819).

2 Vgl. S. 60 und Anhang (Nr. 1).

3 Nach der Schlacht von Pavia (1525). Vgl. Bd. VII, S. 252 f.