<289> anständiges Einkommen und brauche mein Brot nicht im Schweiße meines Angesichts zu verdienen, wie es nach Ihrer Versicherung unsren Voreltern anbefohlen ward. Ich genieße meine Freiheit. Welche Torheit sollte mich dazu bringen, mich für mein Benehmen gegen andre verantwortlich zumachen? Die Eitelkeit? Ich kenne sie nicht. Der Wunsch, Gehalt zu beziehen? Das brauche ich nicht. Ich soll mich also ohne irgend einen Grund in Geschäfte mischen, die mich nichts angehen, Geschäfte, die unbequem, peinlich, ermüdend sind und angestrengte Tätigkeit erfordern? Weswegen sollte ich all diese Mühen auf mich nehmen? Um mich dem Urteil irgend eines Vorgesetzten zu unterwerfen, von dem ich nicht abhängen will noch mag? Sehen Sie nicht, wie viele Menschen sich schon um Ämter bewerben? Warum soll ich ihre Zahl vermehren? Ob ich Diensie nehme oder nicht, es geht doch alles seinen Gang.

Aber gestatten Sie mir, diesen Gründen noch einen stärkeren hinzuzufügen. Zeigen Sie mir das Land in Europa, wo das Verdienst seines Lohnes stets sicher ist! Nennen Sie mir den Staat, wo das Verdienst anerkannt wird und ihm Gerechtigkeit widerfährt! Ach, wie ärgerlich ist es, wenn man Zeit, Ruhe und Gesundheit seinem Amt aufgeopfert hat und dann beiseite geschoben wird oder noch empörenderen Undank erdulden muß! Beispiele solchen Mißgeschicks fallen mir in Menge ein. Wenn Ihr Sporn mich zur Arbeit antreibt, hält dieser Zügel mich auf der Stelle zurück.

Meine offene Sprache zeigt Ihnen, daß ich Ihnen nichts verhehle. Ich öffne Ihnen mein Herz als Freund, lege Ihnen all die Gründe dar, die Eindruck auf mich gemacht haben, zumal wir uns ja nicht streiten, sondern jeder nur seine Meinung auseinandersetzt und die triftigste siegen muß. Ich erwarte, daß Sie mir nichts schuldig bleiben und mir in kurzem Stoff zu neuen Betrachtungen geben. Das wird Ihnen dann wieder eine neue Antwort von mir eintragen. Ich bin mit herzlicher Hochachtung usw.

6. Brief des Philopatros

Ich bin stolz darauf, lieber Freund, einige Ihrer Vorurteile untergraben zu haben. Sie sind alle gleich schädlich, und man kann sie nicht genug zerstören. Sie sagen mit Recht, der Streit herrsche in Wirklichkeit nicht zwischen uns, sondern zwischen den Gründen, von denen die stärksten und triftigsten über die schwächeren siegen muffen. Wir tun ja auch nichts, als einen Gegenstand zu erörtern, um zu entdecken, wo die Wahrheit liegt, und uns auf feiten des Augenscheins zu stellen. Glauben Sie indes nicht, meine Gründe seien erschöpft. Bei nochmaliger Durchsicht Ihrer