<189> Ströme der Wonne zu schlürfen, die unaufhörlich für die Gläubigen stießen und die er jetzt mitten unter den Auserwählten genießt. Er nahte dem heiligen Altar, um das Brot des Lebens zu empfahen, stets mit Furcht und heiligem Schauder. Er sagte: „Herr, ich bin nicht wert, daß Du bei mir wohnest, der ich nur Staub und Asche bin.“ Und verließ er den Tisch des Herrn, so fühlte er sich gestärkt, als hätte ein neuer Strahl der Gnade ihn erleuchtet. Diese Frömmigkeit, dieser blinde Glaube war es, der ihn seine unerschütterliche Seelenruhe bis an sein Ende bewahren ließ.

Bis an sein Ende? Ja, meine Brüder, alles, was einen Anfang hat, muß auch ein Ende haben. Nur der Allerhöchste ist immerwährend, ewig in sich selbst bestehend und in alle Ewigkeit unwandelbar. Aber das Gesetz, das uns seit dem Sündenfall im Paradies auferlegt ward, wirkt weiter und weiter über Adams unseliges Geschlecht. Unser heiliger Handwerksmann sah den Tod nahen. Eine Krankheit, die Vorbotin seines Endes, mahnte ihn, daß er seine Laufbahn bald beschließen werde. Er ward zusehends schwächer. Sein von Krankheit erschöpfter Körper ging der Auflösung entgegen, aber seine Seele war seine feste Stütze, gleichwie eine starke Säule ein in Trümmer sinkendes Bauwerk noch aufrecht erhält. Er sah dem Tod unerschrocken ins Gesicht. Sein gerechtes Leben hatte ihn auf einen christlichen Tod vorbereitet. Wie oft demütigte er sich vor seinem Schöpfer und seufzte über seine Mängel! Wie oft klagte er sich schlechter Gedanken und der geringsten Fehltritte in seinem Wandel an! Wie oft flehte er zu Gott um Verzeihung, daß er über der Arbeit die Zeit verloren habe, die er dem Gebet hätte widmen müssen! Der barmherzige Gott krönte seine Beharrlichkeit und stand ihm mächtig bei. In jenen letzten Augenblicken, da Welt, Freunde, Verwandte und die Kunst derer, die dem Tode jeden Schrittbreit seines Lebens streitig machten, ihm nicht mehr zu helfen vermochten, sah er den Himmel offen, glaubte den Lobgesang der Engel und der Greise der Apokalypse1 zu hören, die ein ewiges Halleluja singen. Er vergaß die Welt und seine eignen Schmerzenward schon auf Erden zum Bürger des Himmels und stimmte auf seinem Schmerzenslager den Siegespsalm an. Welche Bestürzung ergriff die Stadt, als mittags auf dem Marktplatz eine Stimme die Trauerbotschaft verkündete: „Mathias Reinhart liegt im Sterben!“ Das Volk strömt herbei, drängt und staut sich in breiten Massen vor dem Sterbehaus. Man hört und sieht nichts als Wehklagen, Schmerzensaute, Tränen, Seufzer, Wehmut und Schluchzen. Jedermann nimmt an diesem Verlust tell, und der Tod eines Einzigen wird zum öffentlichen Unglück.

Den Tribut der Trauer, den man seinen Verdiensien zollte, die Nachrufe, die seiner Tugend galten, die bittren Klagen derer, die, nun er tot war, nicht mehr wußten, bei wem sie ihr Schuhwerk bestellen sollten, alles, was zum Ruf, zur Eitelkeit, zum Nachruhm gehört, müssen wir aus unsrem Geist verbannen. Spräche ich Euch davon, ich fürchtete, die kalte, erloschene Asche dieses Bescheidenen möchte wieder aufleben


1 Offenbarung Johannis, Kap. IV, VII.