<190> und zu mir sprechen: „Wie kannst Du wagen, so leichtfertige Worte vor diesem Male der Trauer zu sprechen? Wie kannst Du bei meinem Lobe verweilen, wo ich auch den leisesten Beifall nicht hören mochte? Stehst Du nur darum auf Deiner Kanzel, um dem Stolz der Lebenden zu schmeicheln und die Erinnerungen an meinen eitlen Ruf aufzufrischen? Sagt Dir der Ort, wo Du stehst, sagt Dir Dein heiliges Amt nicht, daß Du sie von dort oben beschämen sollst? Preise lieber den Höchsten, ewig Anbetungswürdigen, der mich aus den Banden des Fleisches erlöst und in sein Himmelreich aufgenommen hat.“

Folgen wir diesem Rat, meine Brüder! Möge sein Tod uns zur Lehre dienen, daß die flüchtige Zeit unsre Tage und Jahre hinwegnimmt, daß wir alle zu Staub und Asche werden, daß das prunkvolle Mausoleum, worin die Hoffahrt der Menschen die Zerstörung ihres Leibes zu überleben wähnt, und der schlichte Sarg, der unter der Last seiner Erddecke zusammenbricht, die gleiche Behausung sind, daß mit dem Tode all die Standes- und Geburtsunterschiede aufhören, von denen die schwachen Sterblichen in ihrer Verblendung soviel Aufhebens machen. Ihr Ungläubigen, die Ihr Eure gottlosen Blicke in das Heiligtum zu werfen wagt, erzittert beim Anblick dieser Bahre. Möge die Gläubigkeit dieses Frommen, der uns soviel Tränen entlockt hat, Euch zum Vorbild dienen. Gebet Eure stolze Vernunft preis, die Euch nur irreführt, und nehmet die Herzenseinfalt dieses Wiedergeborenen an, die ihn erlöst hat, dieses Heiligen, der stolz darauf war, nichts zu verstehen und doch zu glauben. Und Ihr, verstockte Christen, die der ungestüme Strom der Welt fortreißt, sinnt nach über den Tod eines Gerechten, der vergänglichen Anfechtungen widerstanden hat, um jetzt ein dauerndes Glück zu genießen.

Ihr, die Ihr Zunftgenossen des Mannes seid, dessen Tugenden ich Euch geschildert: möge sein Vorbild Euch anspornen, soviel hervorragenden Eigenschaften nachzueifern. Wisset und behaltet es wohl, daß man in jeglichem Stand sich hervortun kann, daß Gottes Sohn nicht unter den Reichen Die auserwählt hat, die er zu Gefährten seines Heilswerkes begnadete, sondern unter der Hefe des jüdischen Volkes. Und Ihr, seine trostlose Familie, trocknet Eure Tränen und besteckt nicht durch unmäßige Trauer den Ruhm dessen, der jetzo zur Rechten des Vaters zwischen dem Sohn und dem Heiligen Geist sitzt. Folget seinem Beispiel, dessen Zeugen Ihr waret, und bereitet Euch durch ein heiliges, christliches Leben vor, mit ihm wieder vereinigt zu werden, wenn Eure Stunde gekommen ist.

Ich, meine Lieben, habe nun der traurigen Pflicht genügt, die mir auferlegt ward. Nachdem ich das Lob der seltenen Tugenden verkündet habe, die so wahr, offenkundig und allbekannt sind, werde ich von dieser Kanzel herab nie mehr die Stimme zum Gedächtnis derer erheben, die Euch noch entrissen werden. Anstatt mein heiliges Amt durch Verherrlichung erheuchelter Verdienste und angedichteter Eigenschaften zu entweihen, bleibe ich in den Schranken meines priesterlichen Berufes und widme den Rest meiner schwachen Kräfte der mir anvertrauten Herde. Ich beschränke mich