<108>lässe erteilt. Das heißt, jedem, der sich dem Diensie der Kirche und des Heiligen Vaters widmete, wurde Straflosigkeit für alle seine Verbrechen zugesichert. Um sich in Palästina herumzuschlagen, wo man garnichts zu fordern hatte, um das Heilige Land zu erobern, das die Kosten des Zuges nicht wert war, verließen Fürsten, Könige und Kaiser mit zahllosen Heerscharen aus allen europäischen Ländern ihre Heimat und setzten sich in weiter Ferne unvermeidlichen Gefahren aus. Angesichts der unglücklichen Folgen so schlecht entworfener Pläne lachten sich die Päpste ins Fäustchen über die törichte Verblendung der Menschen und freuten sich ihres eignen Erfolges. Während der freiwilligen Verbannung so vieler Menschen fand Rom nirgends Widerstand gegen seinen Willen, und solange dieser Wahnsinn dauerte, schalteten die Päpste unumschränkt über Europa. Als man in Rom merkte, daß die Völker durch die Mißerfolge der Kreuzzüge den Mut verloren, war man klüglich darauf bedacht, sie wieder anzufeuern durch die Hoffnung auf besseres Gelingen, die ihnen irgend ein tonsurierter Betrüger machen mußte. Bei mehreren Gelegenheiten diente Bernhard von Clairvaux dem Heiligen Stuhle zum Werkzeuge1. Seine Beredsamkeit war ganz dazu angetan, das Gift dieser Epidemie zu verbreiten. Er schickte viele Schlachtopfer nach Palästina, hütete sich aber wohl, selbst hinzugehen. Was war der Erfolg so vieler Unternehmungen? Kriege, die Europa entvölkerten, Eroberungen, die, kaum gemacht, wieder verloren gingen. Ja, die Christen öffneten dadurch selbst die Bresche, durch die die Türken in Europa eindrangen und sich in Konstantinopel festsetzten.

Noch größer war das moralische Elend, das die Kreuzzüge hervorriefen. All die Ablässe, all die Vergebungen von Verbrechen, die man an den Meistbietenden vertaufte, bewirkten eine allgemeine Entsittlichung. Die Gesinnung der Menschen wurde immer verderbter. Die so heilige und lautere christliche Moral geriet ganz in Verfall, und auf ihren Trümmern erhoben sich äußerlicher Gottesdienst und abergläubische Gebräuche. Waren die Schätze der Kirche erschöpft, so versteigerte man das Paradies und bereicherte damit die päpstlichen Kassen. Wollten die Päpste einen Herrscher, mit dem sie unzufrieden waren, bekriegen, so predigten sie den Kreuzzug gegen ihn, bekamen Truppen und konnten sich schlagen. Wollte der Heilige Stuhl einen Fürsten stürzen, so ward er für einen Ketzer erklärt und in den Bann getan. Auf dies Losungswort hin rottete sich alles gegen ihn zusammen.

Durch solche Maßnahmen wurde das despotische Joch der Päpste immer drückender. Die Großen der Welt waren seiner längst überdrüssig und hätten es gern abgeschüttelt, wagten es aber nicht. Die Macht der meisten war zu wenig befestigt, und die große Masse ihrer Untertanen, die in der tiefsten Unwissenheit schmachtete, war durch die Ketten des Aberglaubens gleichsam gebunden und geknebelt. Zwar versuchten einige ihre Zeit überragende Geister, den betörten Völkern die Augen zu öffnen und


1 Nur an dem Zustandekommen des Zweiten Kreuzzugs (1147—1149) war Abt Bernhard von Clairvaux beteiligt.