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18. Kapitel

Inwieweit die Fürsten ihr Wort halten sollen.

Was einmal von Grund aus schlecht ist, wird ewig schlecht bleiben; kein Cicero und kein Demosthenes wird je mit Aufgebot all seiner Redekunst darüber der Welt etwas vormachen; man würde ihrer Redefettigkeit alle Gerechtigkeit widerfahren lassen, doch ihnen ihren kläglichen Mißbrauch verdenken. Des Redners Beruf ist's wohl, die Unschuld vor Bedrückung und Verleumdung in Schutz zu nehmen, Gründe zu erörtern, die einen Entschluß annehmbar machen oder einer Entscheidung das Übergewicht geben über eine andere, darzutun, wie erhaben und schön doch die Tugend, wie verworfen und häßlich das Lasier. Doch geht mir mit einer Redekunst, die dem Gegenteil von alledem dienen soll.

Machiavell, der Menschen bösartigster und ruchlosester, arbeitet in diesem Kapitel mit allen Gründen, soviel seine Tollheit ihm eingibt, um das Lasier zu Ehren zu bringen, doch strauchelt und fällt er auf diesem Schandwege so oft, daß ich mich lediglich an die Stellen zu halten brauche, wo er verunglückt. Das Durcheinander, die Fehlschlüsse in diesem Kapitel sind garnicht zu zählen; es ist wohl im ganzen Buche das Kapitel, wo die Niedertracht der Gesinnung zugleich mit darstellerischer Schwäche ihren Höhepunkt erreicht. Sein Denkvermögen ist so unzulänglich, wie sein sittliches Gefühl verkommen ist.

Dieser Sophist des Verbrechens wagt den Satz: „Ein Fürst vermag die Welt durch Verstellung mit Erfolg zu täuschen.“ Hier soll meine Widerlegung einsetzen.

Wie neugierig die Welt ist, ist bekannt; sie ist ein Wesen, das da alles sieht, alles hört und alles, was es gesehn und gehört hat, um sich herum zum besten gibt. Steckt diese Neubegier ihre Nase in das Tun und Lassen des Bürgers, so ist's zu müßigem Zeitvertreib; macht die Öffentlichkeit sich an die Begutachtung eines Fürsten, wes Geistes Kind er wohl sei, so geschieht's, well es sie ernstlich angeht. Daher denn fürstliche Personen gründlicher als andere Menschen dem Lose, von der Welt beredet und abgeschätzt zu werden, ausgesetzt sind — ein Los, das sie mit den Sternen teilen, auf die ein Heer von Astronomen seine Sextanten und Rohre eingestellt hat. Die Höflinge, die sie aus nächster Nähe beobachten, fangen täglich irgendwas auf; eine Be<71>wegung, ein flüchtig Ausschauen, ein sprechender Blick, und sie sind erkannt, und ihre Völker suchen ihnen bereits durch ihre Vermutungen nahezukommen. Kurz, sowenig die Sonne ihre Flecke, der Mond seine wandelnde Gestalt, der Saturn seine Ringe hehlen kann, ebensowenig ist ein großer Herrscher in der Lage, seine Fehler und seine innerste Wesensart vor so vielen beobachtenden Blicken zu bergen.

Mag gleich die Maske der Verstellung eine geraume Zeit eines Fürsten seelische Mißgestalt verdecken, ohn' Unterlaß kann er unmöglich diese Maske tragen, ab und an muß er sie lüften, sei's auch nur, einmal aufzuatmen — eine Gelegenheit, hinreichend, dem Späher genug zu verraten!

Umsonst, daß Kunst und Heuchelei auf den Lippen dieses Fürsten wohnen, um-sonst all seine List in Reden und Tun; beurteilt doch keiner die Menschen nach dem, was sie reden, es wäre ja das unfehlbarste Mittel der Selbsttäuschung. Ihre Handlungen insgesamt hält man nebeneinander, und daneben hält man dann wieder ihre Reden — vor solcher Prüfung vermag dann keine Falschheit und keine Verstellung zu bestehen.

Nur der spielt seine Rolle gut, der sich gibt, wie er ist. Man muß eben seinem inneren Menschen nach der sein, für den man vor der Welt gelten will. Sonst ist, wer die Leute zu betrügen vermeint, selber der Betrogene.

Sixtus V., Philipp II., Cromwell galten in der Welt als schlau und verschlagen, als heuchlerisch und unternehmend, für tugendhaft hat sie keiner angesehen. Es ist eben ein Ding der Unmöglichkeit, sich ein ander Gesicht zu geben, als man hat; so vermag denn auch kein Fürst, und war' er noch so gewandt, und wär' er in allen Stücken Machiavells gelehrigster Schüler, den Schein edler Eigenschaften, die seinem Wesen fremd sind, seinen Verruchtheiten zu leihen, die diesem Wesen nun einmal entsprechen.

Die Gründe, mit denen Machiavell, der Tugendverderber, den Fürsten Betrug und Heuchelei angelegentlich empfiehlt, haben ebensowenig Hand und Fuß. An den Haaren herbeigezogen und unstatthaft ist die Verwendung der Kentaurensage hier, sie beweist nichts; well der Kentaur halb wie ein Mensch, halb wie ein Pferd gestaltet war, soll daraus folgen, daß Fürsten listig und gewalttätig sein müssen? Man muß schon gesonnen sein, eine förmliche Heilslehre des Verbrechens aufzustellen, wenn man mit so schwächlichen und dazu weit hergeholten Gründen arbeitet.

Nun kommt eine Gedankenfolge, deren Kläglichkeit alles Bisherige noch überbietet. Unser Staatslehrer verlangt von einem Fürsten die Eigenschaften des Löwen und des Fuchses: des Löwen, damit er sich der Wölfe erwehre, des Fuchses wegen dessen Schläue, und er schließt: „Woraus erhellt, daß ein Fürst nicht verpflichtet ist, sein Wort zu halten.“ Eine Schlußfolgerung ohne Ober- und Untersatz! Ein Schüler der zweiten Klasse, der solche Schlüsse bauen wollte, würde von seinem Lehrer gehörig gezüchtigt werden, und unser Doktor des Verbrechens schämt sich nicht, sein ruchlos Lehrstücklein so herzustammeln?

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Wollte man in den Gedankenwirrwarr Machiavells etwas wie Sinn und Verstand hineinbringen, auch etwas von der Weise eines anständigen Menschen, so könnte man's etwa solchergestalt wenden: die Welt gleicht einer Spielpartie, da gibt's anständige Spieler, aber auch Gauner, die betrügen. Da muß denn, um nicht betrogen zu werden, ein Fürst, der sich dem Spiele nicht entziehen darf, sich auf sämtliche Falschspielerknisse verstehen, nicht um jemals solche Wissenschaft selber zu üben, sondern nur, um nicht der Angeführte zu sein.

Doch zurück zu den Entgleisungen unseres Staatslehrers. „Weil alle Menschen Schurken sind und euch zu jeder Zeit ihr Wort brechen, so verpflichtet euch nichts, ihnen das eure zu halten.“ Zunächst gibt's da gleich einen Widerspruch, denn we-nig später heißt's, die Heuchler würden immer Menschen finden, die einfältig genug seien, sich täuschen zu lassen. Wie reimt sich das? Alle Menschen sind Schurken, und dabei wollt ihr Einfältige finden, die sich betrügen lassen? Soweit sein Widerspruch. Doch die ganze Betrachtung ist nichts wert; denn daß die Welt nur aus Schurken be-siehe, ist grundfalsch! Man muß schon ein ausgemachter Menschenfeind sein, um sich der Einsicht zu verschließen, daß es in jeglicher Gesellschaft eine ganze Menge Redlicher gibt, daneben die große Zahl derer, die nicht gut und nicht böse sind, und daneben auch einige Lumpe, hinter denen die Gerechtigkeit her ist, und die sie streng bestraft, wenn sie sie faßt. Wenn freilich Machiavell nicht eine ganze Welt der Ruchlosigkeit angenommen hätte, worauf hätte er seine niederträchtige Lehre dann stützen sollen? Man sieht, hatte er sich einmal darauf eingelassen, ein Glaubens- und Lehrgebäude der Schurkerei zu errichten, so war's Ehrensache für ihn, so vorzugehn; und er hielt es für sein gutes Recht, die Menschen hinters Licht zu führen, lehrt er sie doch selber, wie man betrügt.

Wenn wir übrigens die Annahme Machiavells von der Schlechtigkeit der Menschen teilten, so wäre daraus noch lange nicht zu schließen: also müssen wir sie nachahmen. Stiehlt, raubt und mordet Cartouche, so schließe ich daraus: Cartouche ist ein elender Lump, aber doch beileibe nicht, daß ich mich in meinem Wandel nach ihm zu richten hätte! Gäb's auf Erden nicht Ehre und Manneswert mehr, so sagt ein Geschichtschreiber, so müßte man bei den Fürsten doch ihre Spuren noch vorfinden72-1. Doch kurz gesagt, es gibt überhaupt keine Betrachtungsweise, die einen anständigen Menschen im Ernste bestimmen könnte, vom Wege der Pflicht zu weichen.

Wie notwendig das Verbrechen, hat der Verfasser dargelegt, nun will er seine Gläubigen ermuntern durch die Versicherung, wie leicht es sei: „Wer die Kunst der Heuchelei meistert, wird stets Leute finden, die einfältig genug sind, sich anführen zu lassen“ — mit anderen Worten: dein Nachbar ist ein Dummkopf, du hast Witz, also mußt du ihn hineinlegen. Um solcher Schlußfolgerungen willen sind manche der Schüler Machiavells auf dem Richtplatz gehängt und gerädert worden.

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Doch genügt's unserem Staatsweisen nicht, die Leichtigkeit des Verbrechens schlecht und recht, nach seiner Art, nachgewiesen zu haben, gleich muß er auch Herausstreichen, wie prächtig weit man mit der Hinterlist kommt. Ärgerlich ist nur, daß es gerade diesem Cäsar Borgia, dem größten Verbrecher, dem hinterlistigsten Verräter, dem Heros Machiavells, in Wirklichkeit ganz gehörig schlecht gegangen ist; er hütet sich auch wohlweislich, in diesem Zusammenhange auf ihn zu kommen. Beispiele brauchte er, doch wo solche hernehmen als aus den Aufzeichnungen der Kriminalrechtsfälle oder der Geschichte der Päpste? So entscheidet er sich für die zweiten und versichert nun, daß Alexander VI., der falscheste und gottloseste Mensch seiner Zeit, mit seinen Schurkereien immer Glück hatte, denn er verstand sich ausgezeichnet auf die Schwäche der Menschen, ihre Leichtgläubigkeit.

Ich möchte die Behauptung wagen, daß es weniger die Leichtgläubigkeit der Menschen gewesen, als vielmehr ganz bestimmte Ereignisse und Umstände, die die päpstlichen Anschläge gelingen ließen, wozu dann der Wettbewerb des französischen und spanischen Machtanspruchs kam, der Zwist und Haß unter den italienischen Familien, die Leidenschaften und die Schwachheit Ludwigs XII. und die Summen, die Seine Heiligkeit zu erpressen gewußt, die ihm ein großes Übergewicht verliehen; all dies sprach mit.

Betrügerei ist sogar ein ausgesprochener politischer Fehler, wenn man darin zu weit geht. Ich berufe mich auf einen großen Meister der Staatskunst, den Kardinal Mazarin; der sagte dem Don Luis de Haro73-1 nach, er leide an einem großen staatsmännischen Fehler, dem, daß er immer Betrüger sei. Derselbe Mazarin wollte einmal zu einer heiklen Verhandlung den Marschall de Fabert verwenden, da erklärte ihm der: „Monseigneur, gestatten Sie, daß ich es ablehne, den Herzog von Savoyen zu betrügen, um so mehr, da es hier nur eine Sache von untergeordneter Bedeutung gilt; man kennt mich in der Welt als Ehrenmann, sparen Sie meinen ehrlichen Namen für eine Gelegenheit auf, wo es sich um das Wohl und Wehe Frankreichs handelt.“

Ich lasse an dieser Stelle die Frage von Ehre und Tugend einmal ganz beiseite, halte mich nur an das, was einem Fürsten frommt, und da sage ich: sie machen ihre Sache spottschlecht, wenn sie Schurken sein wollen und der Welt ein X für ein U machen; einmal gelingt's, damit haben sie aber das Vertrauen aller Fürsten verwirkt.

Eine gewisse Großmacht73-2 legte in einem Manifest bündig die Gründe ihres Vorgehens dar; nachher handelte sie in einer Weise, die ihrer Erklärung ins Gesicht schlug. Ich muß gestehen, derartige Ungeheuerlichkeiten ertöten jegliches Vertrauen; je unmittelbarer die Widersprüche sich folgen, um so gröber wirken sie. Die römische Kirche hat denn auch, um sich derartige Widersprüche zu ersparen, mit großer Weisheit für alle, die sie unter die Heiligen aufzunehmen gedenkt, ein Noviziat von hundert Jahren, von ihrem Tode an gerechnet, angeordnet; auf diese Weise schwindet die Er<74>innerung an ihre Fehler und dummen Streiche mit ihnen. Zeitgenossen, die etwa wider sie Zeugnis ablegen könnten, weilen nicht mehr unter den Lebenden, und das Volk hat nichts mehr einzuwenden gegen die Heiligkeit, die man ihm einreden will.

Doch man verzeihe diese Abschweifung. Im übrigen gebe ich zu, daß es bittere Notwendigkeiten gibt, da ein Fürst wohl oder übel seine Verträge und Bündnisse brechen muß. Doch muß er auch in solcher Zwangslage auf Anstand halten und seine Verbündeten rechtzeitig benachrichtigen; jedenfalls bleibt die Voraussetzung dafür immer: daß das Heil seines Volkes es gebietet und eine ernste Notlage es zur Pflicht macht.

Widersprüche, die sich auf dem Fuße folgen, wie ich sie soeben einer gewissen Macht zum Vorwurf machte, finden bei Machiavell sich in Fülle. In einem und demselben Absatz sagt er an erster Stelle: „Es ist notwendig, daß einer barmherzig, treu, mild, fromm und redlich erscheine, und man soll es auch in Wirklichkeit sein.“ Und bald darauf: „Unmöglich kann ein Fürst all das beobachten, was sonst zu einem Menschen, wie er sein muß, gehört; er muß sich also entschließen, sich danach einzurichten, wie just der Wind weht und das Schicksal gelaunt ist; dabei, soweit es möglich ist, niemals sich vom geraden Wege trennen; zwingt ihn dazu aber die Notwendigkeit, so kann er's ruhig auf den Eindruck eines solchen Seitensprungs ankommen lassen.“

Man muß zugeben, das ist ein haarsträubender Gedankenwust! Wer sich solchen gestalt äußert, der weiß selber nicht, was er sagen will, und ist nicht wert, daß man sich den Kopf zerbricht, um sein Rätsel aufzulösen oder sein Chaos zu lichten.

Noch eine einzige Bemerkung zum Schluß. Beachtenswert ist die Fruchtbarkeit, mit der die Lasier unter den Händen Machiavells sich fortpflanzen. Daß ein Fürst zu seinem Unglück nicht gläubig ist, genügt ihm nicht; er will seinen Unglauben noch mit Scheinheiligkeit krönen. Er meint, ein Fürst könne damit, daß er dem Kardinal Polignac den Vorzug vor Lucrez gibt74-1, dem Volke eher ans Herz greifen als mit aller schlechten Behandlung, die es von ihm erdulden muß. Mancher teilt seine Auffassung; was mich anlangt, so meine ich, bei Verirrungen des Denkens sei Nachsicht am Platze, wofern sie keinen Verderb des Herzens nach sich ziehen, und daß ein Volteinen Fürsien, der nichts glaubt, aber ein Ehrenmann ist und sein Bestes will, eher lieben wird als einen rechtgläubigen Bösewicht. Nicht was die Fürsien denken, macht die Menschen glücklich, sondern was sie leisten.


72-1 Dieses Wort wird Johann II., dem Guten, König von Frankreich, zugeschrieben.

73-1 Spanischer Staatsmann.

73-2 Gemeint ist Kaiser Karl VI.

74-1 Der Kardinal Melchior von Polignac war der Verfasser eines lateinischen Gedichtes „Der Antilucrez“.