<88> Gebärde der Größe trage. Nun, Fürsten von edler Art kommen ohnehin schon zu Glanz und Ansehn, zumal wenn ihre Freigebigkeit, ohne selbstische Zwecke, einfach der Ausdruck ihrer Seelengröße ist. Herzensgüte wird ihnen leichter denn jeder andere Vorzug den Weg zur Größe bahnen. Cicero1 sagte zu Cäsar: „Das Größte, was dein Glück dir gegeben, ist die Macht, so vielen Mitbürgern ein Retter zu sein, nichts was deiner Güte würdiger wäre, als der Wille, es zu tun.“ Alle Strafen also, die ein Fürst verhängt, sollten hinter dem Maße der Kränkung, die er erfuhr, zurückbleiben, alle Belohnungen, die er spendet, hinausgehn über die Bedeutung des Dienstes, den er empfing.

Hier aber ein Widerspruch! Unser Doktor verlangt an dieser Stelle vom Fürsten unbedingte Bündnistreue, im achtzehnten Kapitel hat er ihn in aller Form seines Wortes entbunden! Wie ein Wahrsager: zu einem sagt er weiß, zum andern schwarz!

So unrichtig die eben betrachteten Ausführungen Machiavells sind, so zutreffend ist seine Warnung an die Fürsten, sich mit anderen Herrschern, die mächtiger sind als sie, leichtfertig einzulassen, die, anstatt ihnen beizustehn, sie gar erst in den Abgrund stoßen könnten. Das wußte sehr wohl ein großer deutscher Fürst, gleich geachtet bei Freund und Feind. Die Schweden fielen in sein Land zur Zeit, da er mit allen seinen Truppen fern am Niederrhein stand, den Kaiser in seinem Kriege gegen Frankreich zu unterstützen. Seine Minister rieten ihm auf die Kunde von dem überraschenden Einbruch, den russischen Zaren zu Hilfe zu rufen. Der Fürst jedoch, scharfsichtiger als sie, erwiderte, die Moskowiter seien wie die Bären: wehe dem, der sie loskette; einmal freigelassen, seien sie schwer wieder an die Kette zu legen! Hochgemut nahm er das schwere Werk der Vergeltung auf seine eigenen Schultern, und er brauchte es nicht zu bereuen2.

Lebte ich im kommenden Jahrhundert, so gäb's sicherlich so mancherlei Betrachtungen, die hier hingehörten, diesen Abschnitt zu erweitern; allein über die Fürsten meiner Zeit sieht mir kein Richteramt zu, man muß auf dieser Welt zur rechten Zeit zu reden und zu schweigen wissen.

Ebenso verständig wie das Bündnisverhältnis behandelt Machiavell die Neutralität. Alte Erfahrung lehrt, daß ein Fürst, der neutral bleibt, dadurch sein Gebiet rücksichtsloser Behandlung durch beide kriegführende Parteien aussetzt; seine Staaten werden das Kriegstheater, stets verliert er nur durch seine neutrale Haltung, ohne je einen greifbaren Vorteil dabei zu gewinnen.

Auf zwiefache Art kann ein Herrscher sich vergrößern: einmal durch Eroberung, wenn ein kriegerischer Fürst mit Waffengewalt die Grenzen seiner Herrschaft erweitert; der andere Weg ist der der rührigen Arbeit, wenn nämlich ein fleißiger Landesherr in seinen Staaten alle Künste und alle Wissenschaften zur Blüte bringt, die ihnen


1 pro Ligario, cap. 12.

2 Hier liegt ein Irrtum vor, da Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, Rußland, wenngleich erfolglos, um Unterstützung bat. Durch den Sieg bei Fehrbellin am 28. Juni 1675 zwang er die Schweden zum Rückzug.