<83> Herrn, ohne daß irgendwelche geheimen Umtriebe von dessen Seite vorangegangen wären: hier, meine ich, muß der Fürst das Vertrauen, das man ihm entgegen, bringt, in vollem Maße erwidern. Ließe er's hier, bei diesem Anlaß denen gegenüber, die ihr kostbarstes Eigen in seine Hände legten, daran fehlen, so wäre das ein so würdeloses Stück von Undankbarkeit, daß es seinen Namen schänden müßte. Wilhelm von Oranien1 bewahrte bis an sein Lebensende denen, die seinen Händen die Zügel der englischen Herrschaft anvertraut hatten, seine Freundschaft und sein Vertrauen: seine Gegner aber verließen ihre Heimat und schlossen sich dem König Jakob an.

In Wahlkönigtümern, wo die Wahlen zumeist durch Umtriebe zustande kommen und wo der Thron, was man auch dawider sage, käuflich ist, wird der neue Herr nach meiner Ansicht mit Leichtigkeit Mittel und Wege finden, nach seiner Thronbesteigung seine Gegner in gleicher Weise zu erkaufen, wie er die Stimmen seiner Wähler gewonnen hat. Dafür ist das Beispiel Polen. Dort nimmt der Thronschacher so plumpe Formen an, daß der Kauf anscheinend auf offenem Markte vor sich geht, und die offene Hand eines Polenkönigs weiß jede Gegnerschaft aus dem Wege zu räumen; er ist auch in der Lage, die großen Familien sich zu gewinnen: durch Woy-wodschaften, Starosteien und Übertragung sonstiger Ämter. Freilich die Polen haben für Wohltaten ein sehr kurzes Gedächtnis, und so muß man immer wieder nachschütten, sodaß die polnische Republik das reine Danaidenfaß ist: vergeblich wird der freigebigste König seine Wohltaten ausgießen, genug werden sie nie bekommen. Da jedoch ein König von Polen recht viele Gnaden austeilen muß, so spart er mit seinen Mitteln, wenn er nur bei solchen Gelegenheiten seineHand auftut, wo er eine Familie, die er mit Reichtum segnet, wirklich braucht.

Die dritte Frage Machiavells erörtert die Fürsorge um die Sicherheit eines Fürsten in einem Erbreiche: Frommt's ihm mehr, unter seinen Untertanen Eintracht zu fördern oder Uneinigkeit? Diese Frage war vielleicht zur Zeit der Voreltern Machiavells in Florenz angebracht, heutzutage wird sie wohl kein Mensch von staatsmännischer Einsicht in ihrer urwüchsigen Ungeschminktheit zulassen wollen. Ich brauchte ja nur die bekannte hübsche Gleichnisrede des Menenius Agrippa zu wiederholen, mit der er die Eintracht unter dem Römervolke wiederherstellte. Freilich die Freistaaten sind gewissermaßen auf die Erhaltung einer eifersüchtigen Spannung unter ihren Gliedern angewiesen; denn bei völligem Einvernehmen wandelt sich die Form der Regierung in eine Monarchie. Das geht natürlich die einzelnen Bürger nicht an, für sie ist Uneinigkeit nur vom Übel, sondern lediglich solche Persönlichkeiten, die durch leichtgeschlossenes Einvernehmen in die Lage kommen können, sich der höchsten Gewalt zu bemächtigen.


1 Wilhelm III., Prinz von Oranien, Erbstatthalter der Niederlande, seit 1689 nach Vertreibung König Jakobs II. König von England († 1702).