<71>wegung, ein flüchtig Ausschauen, ein sprechender Blick, und sie sind erkannt, und ihre Völker suchen ihnen bereits durch ihre Vermutungen nahezukommen. Kurz, sowenig die Sonne ihre Flecke, der Mond seine wandelnde Gestalt, der Saturn seine Ringe hehlen kann, ebensowenig ist ein großer Herrscher in der Lage, seine Fehler und seine innerste Wesensart vor so vielen beobachtenden Blicken zu bergen.

Mag gleich die Maske der Verstellung eine geraume Zeit eines Fürsten seelische Mißgestalt verdecken, ohn' Unterlaß kann er unmöglich diese Maske tragen, ab und an muß er sie lüften, sei's auch nur, einmal aufzuatmen — eine Gelegenheit, hinreichend, dem Späher genug zu verraten!

Umsonst, daß Kunst und Heuchelei auf den Lippen dieses Fürsten wohnen, um-sonst all seine List in Reden und Tun; beurteilt doch keiner die Menschen nach dem, was sie reden, es wäre ja das unfehlbarste Mittel der Selbsttäuschung. Ihre Handlungen insgesamt hält man nebeneinander, und daneben hält man dann wieder ihre Reden — vor solcher Prüfung vermag dann keine Falschheit und keine Verstellung zu bestehen.

Nur der spielt seine Rolle gut, der sich gibt, wie er ist. Man muß eben seinem inneren Menschen nach der sein, für den man vor der Welt gelten will. Sonst ist, wer die Leute zu betrügen vermeint, selber der Betrogene.

Sixtus V., Philipp II., Cromwell galten in der Welt als schlau und verschlagen, als heuchlerisch und unternehmend, für tugendhaft hat sie keiner angesehen. Es ist eben ein Ding der Unmöglichkeit, sich ein ander Gesicht zu geben, als man hat; so vermag denn auch kein Fürst, und war' er noch so gewandt, und wär' er in allen Stücken Machiavells gelehrigster Schüler, den Schein edler Eigenschaften, die seinem Wesen fremd sind, seinen Verruchtheiten zu leihen, die diesem Wesen nun einmal entsprechen.

Die Gründe, mit denen Machiavell, der Tugendverderber, den Fürsten Betrug und Heuchelei angelegentlich empfiehlt, haben ebensowenig Hand und Fuß. An den Haaren herbeigezogen und unstatthaft ist die Verwendung der Kentaurensage hier, sie beweist nichts; well der Kentaur halb wie ein Mensch, halb wie ein Pferd gestaltet war, soll daraus folgen, daß Fürsten listig und gewalttätig sein müssen? Man muß schon gesonnen sein, eine förmliche Heilslehre des Verbrechens aufzustellen, wenn man mit so schwächlichen und dazu weit hergeholten Gründen arbeitet.

Nun kommt eine Gedankenfolge, deren Kläglichkeit alles Bisherige noch überbietet. Unser Staatslehrer verlangt von einem Fürsten die Eigenschaften des Löwen und des Fuchses: des Löwen, damit er sich der Wölfe erwehre, des Fuchses wegen dessen Schläue, und er schließt: „Woraus erhellt, daß ein Fürst nicht verpflichtet ist, sein Wort zu halten.“ Eine Schlußfolgerung ohne Ober- und Untersatz! Ein Schüler der zweiten Klasse, der solche Schlüsse bauen wollte, würde von seinem Lehrer gehörig gezüchtigt werden, und unser Doktor des Verbrechens schämt sich nicht, sein ruchlos Lehrstücklein so herzustammeln?