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Wer nicht weiter drüber nachdenkt, mag's befremdlich finden, daß die Völker so gelehrig und geduldig die Bedrückungen durch derartige Herrscher sich gefallen lassen, daß sie blind scheinen für die entwürdigenden Lasier und Ausschweifungen der Geistlichkeit, und daß sie von einem geschorenen Haupte hinnehmen, was sie von einem lorbeergekrönten nimmermehr ertragen würden. Diese Erscheinung verliert an Befremdlichkeit für jeden, der die Macht des Aberglaubens über die Dummheit, der die Macht des Glaubenseifers über das Menschengemüt richtig einschätzt; ein solcher weiß, die Religion ist ein altes Werkzeug, das nie sich abnutzen wird, das von jeher seinen Dienst getan, wenn es galt, sich der Treue der Völker zu versichern und der Ungebärdigkeit der menschlichen Denkkraft einen Zaum anzulegen; ein solcher weiß, wie dieser Wahn den Hellsten Blick zu trüben vermag, und daß nichts der siegenden Gewalt derer gleichkommt, die für ihr Machtbestreben Himmel und Hölle, Gott und Teufel einzusetzen wissen. So ist es Tatsache, daß selbst die wahre Religion, die lauterste Quelle alles dessen, was wir gut nennen, durch einen beklagenswerten Mißbrauch zum Ursprung aller unsrer Leiden wird.

Der Verfasser bemerkt mit gesundem Urteil, was am meisten zur Erhöhung des Heiligen Stuhles beigetragen hat, und sieht die Hauptursache in der geschickten Haltung des Papstes Alexander VI., gerade jenes Priesters, dessen Grausamkeit und Ehrgeiz jedes Maß überstieg, dessen richterliches Walten nur eitel Tücke war. Es wäre also nahezu Lästerung, wollte man das Gebäude, das dieser Priester in seinem Machtstreben getürmt hat, mit dem Werke Gottes verwechseln. Der Himmel konnte unmittelbar keinen Teil haben an der Aufrichtung dieser weltlichen Macht, sie ist nur die Schöpfung eines arg entarteten Bösewichts. So wird es sich immer empfehlen, bei den Herren der Kirche, welchen Rang sie auch immer bekleiden mögen, sorglichst zu unterscheiden zwischen dem Vermittler des Gotteswortes, soweit er sein Amt der Verkündung göttlicher Weisung ausübt, und zwischen dem verderbten Menschen, der nur an die Sättigung seiner Leidenschaften denkt.

Eine Lobrede auf Leo X. beschließt das Kapitel; doch da Machiavell dieses Papstes Zeitgenosse ist, wiegt sie gar leicht. Jegliches Lob eines Untertanen für seinen Herrn, eines Schriftstellers für einen Fürsten gerät nun einmal, was man auch einwenden möge, in gar zu bedenkliche Nähe der Schmeichelei. Über unfern Wandel kann nur die Nachwelt zu Gericht sitzen, die ohne jede Leidenschaft und selbstlos richtet. Machiavell war der letzte, in den Fehler der Schmeichelei zu verfallen, er, der durchaus lein berufener Richter über wahres Verdienst ist; weiß er doch nicht einmal, was Tugend ist. Und ob es wünschenswerter gewesen wäre, von ihm gelobt oder getadelt zu werden, weiß ich nicht und stelle die Frage dem Leser anheim, er kann darüber entscheiden.