17. Kapitel Alle Märsche, die eine Armee machen kann

Eine Armee marschiert entweder, um Fortschritte in Feindesland zu machen, oder um ein vorteilhafteres Lager zu besetzen, oder um eine Verstärkung an sich zu ziehen, oder um eine Schlacht zu liefern, oder um sich zurückzuziehen.

Es ist eine allgemeine Regel, nachdem man für die Sicherheit des Lagers gesorgt hat, sofort alle Straßen, die von ihm ausgehen, und die ganze Umgegend rekognoszieren zu lassen, damit man seine Anordnungen für alle eintretenden Fälle zu treffen vermag. Zu dem Zweck schickt man unter allerlei Vorwänden starke Detachements nebst Ingenieuren und Quartiermeisiern aus. Sie begeben sich an alle Orte, die für einen Marsch in Betracht kommen, nehmen das Gelände auf und erkunden zugleich, in wieviel Kolonnen man marschieren kann. Man gibt diesen Detachements<43> Jäger mit, die sich die Straßen merken müssen, damit sie jede Kolonne führen können, falls der General mit der Armee dorthin rücken will. Die Offiziere erstatten Meldung über die Lokalität des Lagers, die Straßen, die zu ihm führen, die Beschaffenheit des Geländes, ob man Wälder, Berge, Ebenen oder Flüsse antrifft. Weiß der Heerführer über alle diese Einzelheiten Bescheid, so trifft er danach seine Dispositionen.

I. Gewöhnliche Märsche

Ist man nicht in zu großer Nähe des Feindes, so trifft der Heerführer seine Dispositionen etwa folgendermaßen. Ich nehme dabei an, daß vier Straßen nach dem neuen Lager führen.

Marschbefehl:

„Die Avantgarde bricht heute abend 8 Uhr unter dem Befehl von N. auf. Sie besteht aus 6 Grenadierbataillonen, I Infanterieregiment, 2 Dragonerregimentern zu 5 Schwadronen und 2 Husarenregimentern.

Alle Fourierschützen der Armee gehen mit der Avantgarde. Sie nimmt nur ihre Zelte mit; ihre große Bagage bleibt bei der Armee. Sie rückt zwei Meilen voraus, um das Defilee, den Fluß, den Berg, die Stadt, das Dorf oder die Ortschaft usw. zu besetzen, und wartet dort den Anmarsch der Armee ab. Dann rückt sie in das neue Lager, das sie abstecken läßt.

Die Armee folgt morgen früh um 3 Uhr in vier Kolonnen. Die Wachen in den Dörfern kehren zu ihren Regimentern zurück, sobald diese unter Gewehr stehen.

Die Kavallerie vom rechten Flügel beider Treffen marschiert rechts ab und bildet die erste Kolonne. Die Infanterie vom rechten Flügel beider Treffen marschiert rechts ab und bildet die zweite Kolonne. Die Infanterie vom linken Flügel beider<44> Treffen marschiert rechts ab und bildet die dritte Kolonne, und die Kavallerie vom linken Flügel marschiert rechts ab und bildet die vierte Kolonne.

Die Infanterieregimenter N. N. N. vom zweiten Treffen, die Dragonerregimen-ter N. N. vom zweiten Treffen und 3 Husarenregimenter unter dem Befehl des Generals N. decken die Bagage, die hinter den beiden Infanteriekolonnen folgt.

Vier Adjutanten führen die Aufsicht über die Bagagewagen und sorgen dafür, daß sie in guter Ordnung fahren und so dicht wie möglich zusammenbleiben.

Der Kommandeur der Arrieregarde läßt den Höchstkommandierenden rechtzeitig benachrichtigen, falls er Verstärkung braucht.

Die vier Kolonnen werden von den Jägern geführt, die die Straßen rekognosziert haben. Vor jeder Kolonne marschiert eine Abteilung Zimmerleute, nebst den Wagen mit Balken, Riegeln, Brettern usw. zum Brückenbau über kleine Flüsse.

Die Kolonnen haben sich während des Marsches nacheinander zu richten, damit keine mit der Spitze über, die andre hinauskommt. Die Generale haben darauf zu achten, daß ihre Bataillone geschlossen bleiben und dicht hintereinander marschieren, auch daß die Zugführer ihre Abstände gut einhalten.

Wenn ein Defilee passiert werden muß, marschiert die Spitze langsam oder macht halt, damit die Queue Zeit hat, hindurchzurücken und sich wieder anzuschließen.“

So ungefähr werden Marschbefehle gegeben. Sind Defileen, Gehölze oder Gebirge zu passieren, so teilt man die Kolonnen. Die Spitze besieht dann nur aus Infanterie, hinter der die Kavallerie schließt. Liegt eine Ebene in der Mitte, so weist man sie der Kavallerie an, und die Infanterie bildet die beiden Flügelkolonnen, die durch den Wald marschieren. Der Feind darf aber nicht zu nahe sein; denn in diesem Falle darf man nur ein paar Grenadierbataillone vor der Kavallerie hermarschieren lassen, um nicht die ganze Ordre de bataille zu zerreißen.

II. Märsche, um eine Verstärkung an sich zu ziehen

Soll eine Verstärkung sicher zur Armee stoßen, so ist es am besten, ihr durch ein schwieriges Gelände entgegenzurücken und sich dabei vor dem Feinde zurückzuziehen, um eine Schlacht zu vermeiden. Dank der Überlegenheit, die man durch die Verstärkung erhält, gewinnt man dem Feinde das Terrain, das man ihm sozusagen geliehen hat, nachher bald wieder ab.

III. Parallelmärsche

Muß man der feindlichen Stellung parallel marschieren, so geschieht es entweder nach rechts oder nach links, und zwar in zwei Treffen, deren jedes eine Kolonne bildet. Man schickt eine Avantgarde voraus und trifft im übrigen die weiter oben vorgeschriebenen Maßregeln. Solcherart waren alle Märsche, die wir von Franken<45>stein bis Hohenfriedberg machten, und zwar zur Rechten des Feindes45-1. Diese Anordnung ziehe ich allen andern vor; denn wenn man nur rechts- oder linksum macht, sieht die ganze Armee in Schlachtordnung, und das ist die schnellste Art, sich zu formieren. Hätte ich die Wahl, ich würde es beim Angriff auf den Feind stets so machen. Ich habe den Nutzen davon bei Hohenfriedberg und Soor gesehen45-2.

IV. Anmärsche zur Schlacht

Marschiert man gegen den Feind, um ihm eine Schlacht zu liefern, so entledigt man sich zuvor seiner ganzen Bagage und schickt sie unter Bedeckung zur nächsten Stadt. Dann bildet man eine Avantgarde, die der Armee höchstens eine kleine Vier-telmeile vorausrückt. Marschiert die Armee frontal gegen den Feind an, so müssen die Kolonnen nicht nur in gleicher Höhe nebeneinander bleiben, sondern auch, wenn sie sich dem Schlachtfelde nähern, sich genügend ausbreiten, damit die Truppen nicht mehr noch weniger Gelände einnehmen, als sie zum Aufmarsch brauchen. Das ist sehr schwierig. Gewöhnlich haben einige Bataillone leinen Platz oder es entstehen Lücken. Beim Anmarsch in Linie kommen solche Unzuträglichkeiten nie vor; darum halte ich ihn für den besten. Die Anmärsche zur Schlacht erfordern viel Vorsicht; der Heerführer muß behutsam vorgehen und das Gelände, ohne sich dabei selbst auszusetzen, in gewissen Abständen selbst rekognoszieren, damit er die verschiedenen Stellungen fertig im Kopfe hat, um sie benutzen zu können, falls der Feind ihm entgegenrückt. Zum Rekognoszieren des Geländes bedient man sich der Kirchtürme und Anhöhen45-3.

V. Rückzugsabmärsche

Die gewöhnlichen Rückzüge finden folgendermaßen statt. Man entledigt sich ein bis zwei Tage vor dem Marsche seiner Bagage, die man unter guter Bedeckung wegschickt. Dann teilt man die Armee in Kolonnen, je nach der Zahl der Straßen und der Beschaffenheit des Geländes. In der Ebene bildet die Kavallerie die Arrieregarde. In bedecktem Gelände übernimmt die Infanterie diese Aufgabe. In der Ebene marschiert die Armee in vier Kolonnen. Der rechte Infanterieflügel des zweiten Treffens marschiert rechts ab. Dann folgt der rechte Kavallenefiügel des zweiten Treffens. Beide zusammen bilden die vierte Kolonne. Der rechte Infanteriefiügel des ersten Treffens marschiert gleichfalls rechts ab, gefolgt vom rechten Kavallenefiügel des ersten Treffens, und bildet mit ihm die dritte Kolonne. Der linke Infanterieftügel und der linke Kaoalleriefiügel des ersten Treffens bilden die zweite Kolonne, und der linke Infanteriefiügel nebst dem linken Kavallenefiügel des zweiten Treffens die erste. Derart besieht die ganze Nachhut aus Kavallerie. Zur größeren Vorsicht wird sie von allen Husaren der Armee unterstützt.

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VI. Rückzüge durch Defileen, wenn man Berge hinter sich hat

Führt Euch Euer Rückzug durch Defileen, so müßt Ihr sie am Abend vorher durch Infanterie besetzen lassen und diese derart aufstellen, daß sie die Kolonnen, die sich durch das Defilee zurückziehen, überflügeln, damit die Wege des Defilees frei bleiben. Angenommen, Ihr geht in zwei Kolonnen zurück. Dann marschiert die Kavallerie vom rechten Flügel links ab, das zweite Treffen zuerst, und setzt sich an die Spitze der zweiten Kolonne. Der rechte Infanteriefiügel folgt, und zwar zuerst das zweite, dann das erste Treffen. An der Spitze der ersten Kolonne marschiert die Kavallerie des linken Flügels, ebenfalls links abgebrochen, das zweite Treffen zuerst. Dahinter folgt der linke Infanterieflügel, links abmarschiert, das zweite Treffen zuerst. Das sind Eure beiden Kolonnen. Sechs Bataillone, und zwar die letzten vom ersten Treffen, nebst 10 Husarenschwadronen bilden die Nachhut und stellen sich in Schlacht-ordnung vor das Defilee, während die Armee hindurchzieht, und zwar schachbrettförmig in zwei Treffen46-1. Die Truppen, die das Defilee schon durchschritten haben, müssen diese Nachhut unbedingt überflügeln, um sie durch ihr Feuer unterstützen zu können. Ist die ganze Armee hindurch, so rückt das erste Treffen der Nachhut durch die Zwischenräume des zweiten und geht durch das Defilee. Nach seinem Abmarsch macht das zweite Treffen das gleiche Manöver, wobei es vom Feuer der jenseits des Defilees aufgestellten Truppen unterstützt wird. Diese Truppen folgen dann zu allerletzt und bilden ihrerseits die Nachhut.

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A.

B.

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VII. Rückzüge über Flüsse

Das allerschwierigste Manöver ist ein Rückzug über einen Fluß angesichts des Feindes. Ich kann hiervon kein besseres Beispiel anführen als unfern Rückzug im Jahre 1744, wo wir bei Kolin über die Elbe gingen48-1. Da man aber an solchen Stellen nicht immer Städte findet, so will ich annehmen, man habe nur zwei Brücken zur Verfügung48-2. In diesem Falle muß man eine gute Verschanzung herstellen lassen, die beide Brücken umfaßt. Außerdem muß jede Brücke noch einen befestigten Brückenkopf erhalten. Ist dies geschehen, so schickt man Truppen und viel Geschütz aufs andre Ufer. Man wählt dazu eine hochgelegene, aber nicht zu stelle Ufersirecke, die das diesseitige Ufer beherrscht. Danach besetzt man die Hauptverschanzung mit Infanterie. Ist das geschehen, so geht die Infanterie zuerst über den Fluß. Die Kavallerie bildet die Nachhut und zieht sich schachbrettförmig durch die Verschanzung zurück, die den ersten Rückzug deckt. Ist alles hinüber, so besetzt man die beiden kleinen Brückenköpfe mit Infanterie. Dann zieht sich die Infanterie aus der großen Verschanzung zurück und geht ebenfalls über die Brücken. Drängt der Feind nach, so gerät er ins Feuer der beiden Brückenköpfe und der am andern Ufer postierten Truppen. Hat die Infanterie, die in der Verschanzung gestanden hat, den Fluß passiert, so werden die Brücken abgebrochen, und die in den Brückenköpfen befindlichen Truppen setzen in Schiffen über, unter dem Schütze der am andern Ufer Aufgestellten, die dann möglichst nahe heranrücken, um sie desto wirksamer zu verteidigen. Sobald die Pontons verladen sind, setzen sich die letzten Truppen gleichfalls in Marsch48-3.


45-1 Vgl. S. 29.

45-2 Zusatz von 1752: „Man muß bei solchen Märschen nur darauf achten, dem Feinde nicht die Flanke zu bieten.“

45-3 Zusatz von 1752: „Man öffnet sich den Weg dazu durch alle leichten Truppen, die man vor der Avantgarde vorausrücken läßt.“

46-1 En échiquier, d. h. mit Abständen von Frontbreite, das zweite Treffen gerade hinter diesen Lücken. Siehe Plan A.

48-1 Vgl. Bd. II, S. 183.

48-2 Siehe Plan B (S.47).

48-3 Zusatz von 1752: „Man kann auch Flatterminen an den Winkeln der Verschanzungen legen, die die letzten Grenadiere auffliegen lassen, wenn sie über den Fluß gehen.“