<376>rung zu beschleunigen. Er hätte sich jenes Nestes um jeden Preis bemächtigen müssen, bevor es Verstärkung erhielt.

Rechnet man die umherschweifenden Kosaken Mazeppas ab, die an einem Schlachttage bloß eine last sind, so blieben dem König nur 18 000 Schweden. Was konnte ihn bei dieser Schwäche veranlassen, mit so wenig Truppen eine Belagerung zu unternehmen und zugleich eine Schlacht zu liefern? Beim Anrücken des Feindes mußte er die Belagerung entweder ganz aufheben oder ein starkes Korps zum Schutze der Laufgräben zurücklassen. Das eine war schimpflich; das andre verringerte die Zahl der Kämpfer fast auf Null. Karls Plan lief also dem Vorteil der Schweden zuwider, gab dem Zaren leichtes Spiel und scheint unsres Helden unwürdig. Dergleichen traut man kaum einem General zu, der nie mit Überlegung Krieg geführt hat.

Suchen wir indes keine Feinheiten, wo keine sind, und schieben wir dem Schwedenkönig keine Pläne unter, an die er wohl nie dachte. Erinnern wir uns vielmehr, daß er über die Bewegungen seiner Feinde oft schlecht unterrichtet war. Es ist also wahrscheinlicher anzunehmen, daß er vom Anmarsch Menschikows und des Zaren keine Nachricht hatte und sich daher einbildete, es sei garnicht eilig und er könne Pultawa in aller Gemächlichkeit einnehmen.

Hinzu kommt, daß Karl immer nur Feldkriege geführt hatte und im Belagerungskrieg ein völlig unerfahrener Neuling war. Bedenkt man ferner, daß die Schweden drei Monate vor Thorn lagen, dessen Festungswerke, beiläufig gesagt, nicht mehr taugen als die von Pultawa, so kann man von der Ungewandtheit der Schweden im Belagerungskrieg überzeugt sein. Wenn Mons und Tournai, Plätze, die ein Coehoorn und Vauban befestigt haben, dem Angriff der Franzosen kaum drei Wochen standhielten, aber Thorn und Pultawa sich gegen die Schweden monatelang behaupten konnten, folgt daraus nicht, daß diesen die Kunst, Festungen zu erobern, fremd war? Keine Stadt widerstand ihnen, wenn sie sie mit dem Säbel in der Faust erstürmen konnten, aber das elendeste Nest hielt sie auf, sobald Laufgräben angelegt werden mußten. Reichen aber alle diese Beweise noch nicht hin, so füge ich noch hinzu, daß Karl XII. bei seinem ungestümen und heftigen Charakter die Stadt Danzig gewiß belagert und eingenommen hätte, um sie für einige Anlässe zur Unzufriedenheit zu bestrafen. Da er aber der Meinung war, daß das Unternehmen seine Kräfte überstieg, so ließ er davon ab und begnügte sich mit einer starken Geldbuße.

Kehren wir nun zu unserm Gegenstand zurück. Da die Belagerung von Pultawa nun einmal im Gange war, konnte sich Karl bei der Annäherung des Zaren und seiner Armee noch immer den geeignetesten Ort auswählen, um sich mit seinem Nebenbuhler im Ruhme zu messen. Er konnte ihn am Worskla-Ufer erwarten, ihm den Übergang streitig machen oder ihn gleich danach angreifen. Die Lage der Schweden erforderte einen raschen Entschluß. Entweder mußten sie über die Russen gleich