<375> müssen bauen, Befestigungen errichten, Wege herstellen, Brücken und Dämme anlegen, an geeigneten Stellen Schanzen aufwerfen. Aber solche Zeit und Geduld erfordernden Arbeiten, solche langsame Methode paßte nicht zu dem ungestümen Charakter und dem ungeduldigen Geiste des Königs. Man sieht ihn bewunderungswürdig bei allen Gelegenheiten, wo es auf Tapferkeit und Schnelligkeit ankommt. Aber er ist nicht mehr derselbe, wo berechnete Maßregeln und Pläne erforderlich sind, die Zeit und Geduld zur Reife bringen müssen. Wie wahr ist es doch, daß der Krieger seine Leidenschaften bändigen soll, und wie schwer, alle Talente eines großen Feldherrn in sich zu vereinigen!

Ich übergehe hier das Treffen bei holowczyn1 und viele andre Gefechte, die während jener Feldzüge stattfanden, weil sie für den Ausgang des Krieges ebenso unnütz wie für die dabei Geopferten verderblich waren. Unser Held hätte bei mancher Gelegenheit sparsamer mit Menschenblut sein können. Es gibt freilich Lagen, wo eine Schlacht kaum zu vermeiden ist. Man soll sich aber nur dann schlagen, wenn man weniger zu verlieren als zu gewinnen hat, wenn der Feind, sei es beim Lagern oder auf dem Marsche, fahrlässig ist, oder wenn man ihn durch einen entscheidenden Schlag zum Frieden zwingen kann. Überhaupt bemerkt man, daß die meisten Feldherren, die immer eine Schlacht liefern wollen, dies nur tun, weil sie sich nicht anders zu helfen wissen. Statt ihnen das zum Verdienst anzurechnen, sieht man es vielmehr als ein Zeichen für die Unfruchtbarkeit ihres Geistes an.

Wir kommen nun zu dem unglücklichen Feldzuge von Pultawa. Die Fehler der Großen sind nachdrückliche Lehren für Leute von beschränkteren Anlagen. Europa hat wenige Feldherren, die nicht aus Karls XII. Mißgeschick Besonnenheit und Vorsicht lernen könnten.

Der verstorbene Feldmarschall Keith hat, als er in russischen Diensten in der Ukraine befehligte, Pultawa gesehen und untersucht. Er sagte mir, die Stadt hätte keine andren Verteidigungswerke als einen Erdwall und einen schlechten Graben gehabt. Er war überzeugt, die Schweden hätten sie gleich bei ihrem Eintreffen im ersten Anlauf nehmen können, aber Karl XII. hätte die Belagerung eigens in die Länge gezogen, um den Zaren herbeizulocken und zu schlagen. In der Tat gingen die Schweden anfangs nicht mit ihrem gewohnten Ungestüm und Eifer zu Werke. Ferner muß man zugeben, daß sie nicht eher zum Sturm schritten, als bis Menschikow Sukkurs hineingeworfen und sich in der Nähe der Stadt, auf dem andern Worskla-Ufer, gelagert hatte. Nun aber hatte der Zar in Pultawa ein beträchtliches Magazin. Mußten also die Schweden, denen es an allem fehlte, sich nicht so schnell wie möglich dieses Magazins bemächtigen, um den Russen ihre Vorräte zu nehmen und sich selbst Überfluß zu verschaffen? Karl XII. hatte zweifellos alle Ursache, die Belage-


1 Karls XII, letzter großer Sieg am 13. Juli 1708.