<105> Abzug. Zwei Tage darauf schlug er mit seiner Besatzung, von der die Hälfte desertierte, die Straße ein, die Kyau gezogen war.

Der König erhielt all diese niederschmetternden Nachrichten auf einmal. Er ließ sich durch die Schicksalsschläge nicht niederdrücken, sondern sann nur auf Abhilfe und beschleunigte seinen Marsch, um das Oderufer möglichst bald zu erreichen. Unterwegs umging er Liegnitz, das die Österreicher befestigt hatten, und rückte stracks auf Parchwitz vor. Seine Avantgarde stieß unvermutet auf ein feindliches Detachement, schlug es gründlich und machte 300 Gefangene1. Am 28. November traf er in Parchwitz ein. Er hatte den Marsch von Leipzig bis zur Oder in zwölf Tagen zurückgelegt. Kyau sollte bei Köben über die Oder gehen, konnte den Befehl aber nicht ausführen, da der größte Teil seiner Truppen bereits Glogau erreicht hatte. Nichts war unter solchen Umständen kostbarer als Zeit. Kein Augenblick war zu verlieren. Man mußte die Österreicher um jeden Preis unverzüglich angreifen und aus Schlesien herauswerfen oder sich für immer in den Verlust der Provinz fügen. Die schlesische Armee ging bei Glogau wieder über die Oder, konnte sich mit den Truppen des Königs aber erst am 2. Dezember vereinigen. Sie war mutlos und durch die eben erlittene Niederlage tief gedrückt. Man faßte die Offiziere bei ihrer Ehre, erinnerte sie an ihre früheren Siege, suchte durch Frohsinn den frischen Eindruck der traurigen Bilder zu verwischen. Selbst der Wein mußte zur Wiederbelebung der niedergeschlagenen Geister herhalten. Der König sprach mit den Soldaten und ließ unentgeltlich Lebensmittel verteilen. Kurz, er erschöpfte alle Mittel, die die Einbildungskraft ersinnen konnte und die die Zeit irgend erlaubte, um im Heere wieder Vertrauen wachzurufen, ohne das die Hoffnung auf Sieg eitel ist2. Schon begannen die Gesichter sich aufzuhellen. Die Truppen, die soeben die Franzosen bei Roßbach geschlagen hatten, redeten ihren Kameraden zu, guten Mut zu fassen. Etwas Ruhe gab den Soldaten frische Kraft, und die Armee war bereit, bei der ersten Gelegenheit die am 22. erlittene Schmach wieder abzuwaschen. Der König suchte nach dieser Gelegenheit und fand sie bald.

Am 4. Dezember rückte er bis Neumarkt vor. Er hatte nur die Avantgarde der Husaren bei sich und erfuhr, daß der Feind seine Bäckerei in Neumarkt einrichte, daß die Stadt von Panduren besetzt sei und daß die Armee des Feldmarschalls Daun in kurzem erwartet würde. Erlaubte man dem Feinde die Besetzung der Höhen hinter Neumarkt, so gab man ihm einen großen Vorteil in die Hand. Andrerseits war es schwer, den Ort zu nehmen. Infanterie war nicht da und konnte auch nicht vor dem Abend heran sein. Außerdem hatte man keine Kanonen. Die Husaren waren die einzigen verfügbaren Truppen. Der König entschloß sich, aus der Not eine Tugend zu machen. Da er um keinen Preis zulassen wollte, daß der Prinz von Lothringen sich ihm zum Trotz gegenüber lagerte, ließ er einige Husarenschwadronen absitzen und das Stadttor sprengen. Ein Regiment folgte zu Pferde und drang in voller Karriere ein.


1 Scharmützel bei Parchwitz, 28. November 1757

2 Vgl. auch die Rede des Königs an die Generale vom 3. Dezember im Anhang, Nr. 16.