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7. Kapitel

Der Friede. Dessen Mitteilung an die Verbündeten. Vereinigung der Hannoveraner mit den Engländern in Flandern. Krieg in Finnland. Übergabe von Friedrichshamn. Ernennung des Herzogs von Holstein zum Thronfolger in Schweden. Maillebois rückt nach Böhmen, von da nach Bayern. Französische und englische Unterhandlungen in Berlin und alle Begebenheiten bis zum Jahre 1743.

Der Anstand erheischte, den soeben geschlossenen Frieden den alten Verbündeten Preußens anzuzeigen. Der König hatte triftige Gründe zum Friedensschluß gehabt, aber einige waren derart, daß man sie nicht mitteilen durfte, und die anderen konnte man nicht sagen, ohne Frankreich mit Vorwürfen zu überschütten. Der König dachte aber nicht daran, es mit Frankreich zu verderben, und wünschte alle äußeren Formen zu wahren. Nur auf der neuen gefährlichen Bahn wollte er die französische Politik nicht begleiten und vertauschte die Rolle des Mitspielers mit der eines bloßen Zuschauers.

Es war vorauszusehen, daß dieser Systemwechsel dem Kardinal Fleury sehr ungelegen kommen mußte, weil dadurch seine geheimsten Pläne über den Haufen geworfen wurden, die tatsächlich sehr im Gegensatze zu seinen öffentlichen Kundgebungen standen. Er hatte eine so hohe Meinung von Frankreichs Prestige, daß er eine Handvoll Menschen für hinreichend hielt, um Böhmen zu behaupten. Seine Absicht war, alle Last dieses Krieges auf seine Verbündeten abzuwälzen und die Unternehmungen im Felde je nach Frankreichs Vorteil zu fördern oder zu hemmen, um dadurch die Friedensunterhandlungen zum größtmöglichen Nutzen seines Königs zu lenken. Dies Verhalten stand aber in schroffem Gegensatz zu den Verpflichtungen, die er bei Abschluß des Bündnisses eingegangen war.

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Unter allen Verbündeten Frankreichs war der Kaiser am meisten zu beklagen. Denn Broglie war weder ein Catinat noch ein Turenne, und auf Leute wie den Feldmarschall Törring und die bayerischen Truppen war gar nicht zu rechnen. Der Kurfürst von Sachsen sah zwar mit scheelen Blicken auf die Vergrößerung des Hauses Brandenburg, war aber dem König Dank schuldig, weil dieser ihn in den Breslauer Frieden mit einbegriffen hatte und er sich so mit Ehren aus einem schlimmen Handel herausziehen konnte. Übrigens hatte August III. so wenig Ahnung, wozu man seine Truppen verwandte, daß er den Grafen Wartensleben, der ihm im Namen seines Verbündeten die Nachricht von dem Siege bei Czaslau überbrachte, fragte, ob seine Truppen sich auch gut dabei gehalten hätten. Wartensleben antwortete, sie wären gar nicht dabei gewesen und hätten sich lange vor der Schlacht nach dem Kreise Saaz an der sächsischen Grenze zurückgezogen. König August schien erstaunt; er ließ Brühl rufen, der sich herauszureden suchte.

Bei so wenig gutem Willen auf seiten seiner Verbündeten war der König über seine Rechtfertigung nicht verlegen. Hier die Abschrift des Briefes, den er an den Kardinal Fleury schrieb123-1:



Mein Herr Vetter!

Es ist Ihnen bekannt, daß ich, seit wir im Bundesverhältnis stehen, mit unverbrüchlicher Treue alle Absichten Ihres königlichen Herrn unterstützt habe. Durch meine Vorstellungen habe ich dazu mitgeholfen, die Sachsen der Partei der Königin von Ungarn abtrünnig zu machen. Ich habe dem Kurfürsten von Bayern meine Stimme gegeben und seine Krönung beschleunigt. Ich habe Ihnen mit allen Kräften beigestanden, den König von England im Zaume zu halten. Ich habe den König von Dänemark in Ihr Interesse gezogen. Kurz, durch Unterhandlungen wie durch das Schwert habe ich nach besten Kräften die Sache meiner Bundesgenossen fördern helfen, obwohl die Erfolge hinter meinen Wünschen und meinem guten Willen stets zurückgeblieben sind. So sehr auch meine Truppen nach den ununterbrochenen Strapazen des Feldzuges von 1741 nach verdienter Ruhe verlangten, so habe ich doch dem dringenden Ersuchen des Marschalls Belle-Isle nachgegeben, sie noch in Böhmen zu gebrauchen, um dort den linken Flügel der Verbündeten zu decken. Mehr noch: um Herrn von Ségur, der in Linz eingeschlossen war, zu befreien, ging ich im Eifer für die gemeinsame Sache nach Sachsen, wo ich durch zudringliche Vorstellungen beim König von Polen durchsetzte, daß seine Truppen zusammen mit den meinen eine Diversion nach Mähren machten. Sie marschierten auf Iglau, von wo Herr von Lobkowitz sich hastig zurückzog. Diese Diversion wäre von ent<124>scheidender Wirkung gewesen, wenn Herr von Ségur so viel Geduld gehabt hätte, die Folgen dieser Unternehmung abzuwarten, und wenn Herr von Broglie an der Wottawa stark genug gewesen wäre, um meine Bemühungen zu unterstützen. Aber die Voreiligkeit des ersten, die geringe Truppenzahl des zweiten und der böse Wille der sächsischen Generale, endlich der Mangel an schwerem Geschütz zur Belagerung Brünns brachten diese Unternehmung zum Scheitern und zwangen mich, eine Provinz zu verlassen, die die Sachsen bekommen sollten, zu deren Eroberung sie aber keine Lust zeigten. Nach Böhmen zurückgekehrt, trat ich dem Prinzen von Lothringen entgegen und griff ihn an, um Prag zu retten, das er belagert hätte, wäre er nicht geschlagen worden; ich verfolgte ihn, soweit mein Proviantvorrat es erlaubte. Sobald ich erfuhr, daß der Prinz von Lothringen auf Tabor und Budweis rückte, benachrichtigte ich Herrn von Broglie davon und riet ihm, Herrn von Lobkowitz, den er eben bei Sahay geschlagen hatte, zu vernichten, bevor die Armee der Königin von Ungarn sich mit ihm vereinigen konnte. Herr von Broglie fand es nicht für gut, diesen Entschluß zu fassen. Statt nach Pisek zurückzukehren, wo das Gelände ihm günstig war, zersplitterte er seine Truppen. Die verhängnisvollen Folgen davon haben Sie erfahren. Jetzt ist Bayern von Böhmen abgeschnitten, und die Österreicher sind im Besitz von Pilsen und in der Lage, die Hilfstruppen, die Herr von Broglie aus Frankreich erwarten kann, aufzuheben. Ich erfahre, daß die Sachsen ihr dem Marschall Belle-Isle gegebenes Versprechen, sich mit den Franzosen zu vereinigen, nicht halten, sondern Böhmen verlassen und in ihr Kurfürstentum zurückkehren. In dieser Lage, wo das Verhalten der Sachsen mehr als verdächtig und von Herrn von Harcourt124-1 nichts zu hoffen ist, zeigt mir die Zukunft nichts als einen endlosen Krieg, dessen Hauptlast ich zu tragen hätte. Einerseits bringt das englische Geld ganz Ungarn in Waffen; andrerseits zaubert die Kaiserin-Königin stets neue Truppen in ihren Ländern hervor. Die Ungarn rüsten sich zum Einfall in Oberschlesien. Die Sachsen, deren üble Gesinnung mir wohlbekannt ist, sind imstande, zu den Österreichern überzugehen und in meine von jedem Schutz entblößten Erblande einzufallen. Ich sehe also sehr schwarz in die Zukunft. In dieser kritischen Lage bin ich, obwohl mit Kummer im Herzen, genötigt, mich aus dem allgemeinen Schiffbruch in einen sicheren Hafen zu retten. Haben mich aber widrige Umstände auch gezwungen, einen Entschluß zu fassen, den die Notwendigkeit rechtfertigt, so werden Sie mich stets treu in Erfüllung meiner Verpflichtungen finden, wo es von mir allein abhängt. Nie werde ich den von mir unterschriebenen Verzicht auf die Herzogtümer Jülich und Berg124-2 widerrufen. Weder mittelbar noch unmittelbar werde ich die festgesetzte Ordnung dieser Erb<125>schaft stören. Lieber würde ich meine Waffen gegen mich selbst als gegen Frankreich kehren. Mit stets gleichem Eifer werde ich zu allem beitragen, was Ihrem königlichen Herrn zum Vorteil und seinem Lande zum Wohle gereichen kann. Der ganze Verlauf dieses Krieges ist ein fortlaufendes Gespinst von Beweisen meines guten Willens gegen meine Bundesgenossen; davon müssen Sie so überzeugt sein wie von der Wahrheit der hier angeführten Tatsachen. Ich bin sicher, Sie werden es mit mir bedauern, daß die Laune des Schicksals unsere Pläne mißlingen ließ, die für Europa so segensreich waren. Ich bin usw.

Die Antwort des Kardinals125-1 lautete:



Sire!

Eure Majestät werden sich leicht den lebhaften Schmerz vorstellen, den der Brief vom 18. des Monats, mit dem Sie mich zu beehren geruhten, mir verursacht hat. Gegen das traurige Ereignis, das alle unsere Entwürfe in Deutschland umstürzt, hätten sich gewiß noch Mittel gefunden, wenn Ew. Majestät Herrn von Broglie hätten zu Hilfe kommen und wenigstens die Stadt Prag retten können. Aber das ist Ihnen nicht möglich gewesen, und wir müssen uns Ihrer Einsicht und Weisheit fügen. Es sind freilich große Fehler gemacht wor-den; man braucht sie nicht erst zu erwähnen; aber hätten wir alle unsre Truppen vereinigt, so wäre gegen das Unglück noch Abhilfe gewesen. Aber nicht daran wollen wir denken, sondern nur an den Frieden, den Ew. Majestät für nötig halten und den der König ebenso sehr wünscht wie Sie. Ew. Majestät werden die Friedensbedingungen regeln, und der Marschall Belle-Isle wird von hier Vollmacht erhalten, alles, was Sie beschlossen haben, zu unterschreiben. Ich kenne Ew. Majestät gerade und edle Denkungsart zu gut, um den geringsten Verdacht zu hegen, daß Sie uns im Stich lassen könnten, nachdem wir so echte Beweise unserer Treue und unseres Eifers für Ihre Interessen gegeben haben. Ew. Majestät werden jetzt zum Schiedsrichter Europas. Das ist die glorreichste Rolle, die Sie je übernehmen können. Spielen Sie sie zu Ende, Sire, indem Sie Ihre Verbündeten schonen und den Vorteil des Kaisers nach Kräften wahrnehmen: das ist alles, was ich bei meiner jetzigen Niedergeschlagenheit Ihnen zu sagen die Ehre habe. Niemals werden meine Wünsche für das Wohl Ew. Majestät aufhören, und ich verharre mit Ehrerbietung usw.

So endigte dieses Bündnis, bei dem alle Teilnehmer sich zu überlisten suchten, wo die Truppen der verschiedenen Fürsten gegenüber den Heerführern einen derartigen Ungehorsam an den Tag legten, als hätte man sie eigens zu dem Zweck zusammengebracht, um nicht zu gehorchen, bei dem die Feldlager Staaten ohne Obrigkeit<126> glichen, bei dem alle Entwürfe der Generale der Entscheidung eines alten Priesters unterworfen waren, der ohne jede Kenntnis des Krieges und des Kriegsschauplatzes wichtige Pläne oft ganz verkehrt billigte oder verwarf. Dies war in Wirklichkeit das Mirakel, welches das Haus Österreich rettete. Wäre man klüger zu Werke gegangen, so war sein Untergang unvermeidlich.

Sobald die Ratifikationen des Friedensschlusses zwischen Preußen und Österreich ausgetauscht waren, garantierte ihn der König von England aufs feierlichste unter Zustimmung des Parlaments, gemäß den Wünschen der ganzen Nation, die es so verlangte. Lord Carteret war es vor allem, der dieses Friedenswerk betrieb, weil er hoffte, Preußen unverzüglich in den Krieg gegen Frankreich, den er plante, hineinziehen zu können. Schon hatte er, wie gesagt, in Flandern 16 000 Engländer und ebenso viele Hannoveraner zusammengebracht, zu denen noch 6 000 Hessen stießen. Der König von Schweden, Landgraf von Hessen, hielt die gleiche Anzahl im Dienste des Kaisers126-1, und es hätte geschehen können, daß durch die Soldatenehre Hessen gezwungen wurden, gegen Hessen zu kämpfen. So verblendet niedre Gewinnsucht die Menschen!

Die Versammlung dieser Truppen in Brabant machte den Franzosen aber nicht so viel Sorge, daß sie versäumt hätten, etwas zu Broglies Rettung zu tun. Maillebois wurde mit seinem Heere nach Böhmen geschickt, um den französischen Marschall und seine Armee aus dem belagerten Prag zu befreien. Die Pariser, die über alles ihre Witze machen, nannten das Entsatzheer die Mathuriner, well es Gefangene befreien sollte126-2. Maillebois ging bei Mannheim über den Rhein und rückte in der Richtung auf Eger vor.

Seitdem die Preußen Frieden gemacht hatten und die Sachsen nach Hause gegangen waren, hatte sich das Glück ganz für die Königin von Ungarn erklärt. Der Prinz von Lothringen hatte Pilsen genommen und lag jetzt vor Prag. Broglie hatte bei Bubenetsch in sehr ungünstiger Stellung gestanden. Das feindliche Geschützfeuer nötigte ihn, sie zu räumen und sich mit all seinen Truppen nach Prag zu flüchten, wo er sich sehr bald belagert sah. Die deutschen Truppen der Königin schlossen die Klein-Seite ein; die Ungarn, die Kroaten und die irregulären Truppen vollendeten die Einschließung vom Hradschin bis zum Neu-Tor und schlugen Verbindungsbrücken über die obere und untere Moldau. Für das denkwürdigste Ereignis bei dieser Belagerung gilt der große Ausfall der Franzosen, bei dem sie dem Feinde einen Verlust von 3 000 Mann an Toten und Gefangenen beibrachten und die Kanonen seiner Batterien vernagelten. Im Triumph kehrten die Marschälle Belle-Isle und Broglie mit den Gefangenen und den erbeuteten Siegeszeichen nach Prag zurück (19. August).

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Aber mochten die Franzosen durch ihre tapfere Verteidigung den Österreichern auch furchtbar werden, ihr Heer war doch in einer erbärmlichen Verfassung. Ihre Lage war kläglich; Zwistigkeiten herrschten unter den Generalen und schreckliches Elend unter den Truppen. Die Not war so groß, daß man die Pferde tötete und verzehrte, da Schlachtvieh kaum für die Tafel der Marschälle vorhanden war. In dieser verzweifelten Lage, wo die Besatzung nur noch den Tod oder die Schande vor sich sah, rückte Maillebois zur Befreiung heran. Hätte man ihm freie Hand gelassen, so hätte Böhmens Schicksal sich wenden können. Doch der Kardinal führte ihn von Versailles aus am Gängelbande. Umsonst boten sich dem Marschall die schönsten Gelegenheiten: er wagte keine zu benutzen.

Der Wiener Hof sah, welchen Streich der Kardinal ihm versetzen konnte. Zu schwach zur Abwehr, half er sich mit dem Ersatzmittel der Kraft: mit List. Graf Ulfeld, Minister des Auswärtigen bei der Königin von Ungarn, kannte den Charakter des Kardinals und verstand ihn mit Unterhandlungen so geschickt hinzuhalten, daß Khevenhüller Zeit gewann, aus Bayern herbeizueilen und sich mit dem Prinzen von Lothringen zu vereinigen. Ja, die Franzosen ließen sich so lange nasführen, daß die Österreicher ihnen um einen Tagemarsch zuvorkamen und Maillebois vor die Wahl zwischen Schlacht oder Rückzug stellten. Er wurde allgemein getadelt, daß er dem Prinzen Karl kein Treffen lieferte. Aber er war unschuldig daran. Wir wissen bestimmt, daß sein Hof ihm den ausdrücklichen Befehl erteilt hatte, nichts aufs Spiel zu setzen. Maillebois gehorchte, und da er sich Prag ohne Schlacht nicht nähern konnte, so kehrte er wieder um und ging nach Eger zurück. Zum Ziele führte diese Diversion also nicht, aber sie brachte den in Prag eingeschlossenen Truppen doch Nutzen. Die Marschälle Belle-Isle und Broglie wurden von der österreichischen Armee befreit. Sie schickten starke Truppenabteilungen zur Beitreibung von Lebensmitteln aus und verproviantierten die Stadt aufs neue. Maillebois wurde in Böhmen, wo er keinen festen Fuß fassen konnte, überflüssig. Er ging über Regensburg und Straubing zurück und vereinigte sich mit dem Marschall Seckendorff, der die Truppen des Kaisers in Bayern befehligte. Wäre es Maillebois gelungen, das Heer des Prinzen Karl von Lothringen in Böhmen länger aufzuhalten, so hätte Seckendorff Passau, Straubing und alle noch österreichisch gesinnten Städte wiedergewinnen können. Nun suchte Maillebois umsonst Braunau wieder einzunehmen127-1. Der Prinz von Lothringen war ihm nach Bayern gefolgt, aber da die Jahreszeit schon vorgeschritten und beide Heere erschöpft waren, so bezog man Winterquartiere.

In Italien war die Lage der Dinge für das Haus Österreich noch ziemlich unentschieden. Die Spanier waren unter Führung von Montemar bis ins Herzogtum Ferrara gedrungen. Feldmarschall Traun hatte sie etwas zurückgedrängt. Die Kö<128>nigin von Spanien, die keine schlaffen Generale wünschte, sandte Gages zur Ablösung von Montemar nach Italien.

Das Jahr 1742 konnte das Jahr der Diversionen heißen: der Einfall Khevenhüllers in Bayern, der des Königs in Mähren, die Versammlung des englischen Heeres in Flandern, Maillebois' Marsch nach Böhmen, die Flotte des Admirals Mathews, die Neapel zu bombardieren drohte, um den König zur Neutralität zu zwingen, Don Philipps Zug durch Savoyen, um den König von Sardinien zu nötigen, seine Truppen von der österreichischen Armee am Panaro zurückzuziehen. Keine dieser Diversionen erreichte völlig den gewünschten Zweck. Nach dem Rückzuge von Maillebois ward Prag aufs neue von den leichten Truppen, Kroaten und Ungarn, eingeschlossen.

Während all dieser Vorgänge im Süden Europas befestigte sich zu Petersburg die Regierung der neuen Kaiserin von Rußland128-1. Ihre Minister verstanden geschickt durch ihre Unterhandlungen sowohl den französischen Gesandten wie Lewenhaupt, den Befehlshaber der schwedischen Truppen in Finnland, einzulullen. Die so gewonnene Zeit benutzten die Russen klug zur Verstärkung ihres Heeres. Sobald der russische Oberkommandierende Lacy sich stark genug sah, rückte er vor. Er brauchte sich nur zu zeigen, und die Schweden wichen überall. Der russische Name, den sie zur Zeit der Schlacht von Narva (1700) nur mit Verachtung aussprachen, war für sie ein Schreckenswort geworden. Selbst unangreifbare Stellungen schienen ihnen keine Sicherheit mehr zu bieten. Nachdem sie von Ort zu Ort geflohen waren, sahen sie sich zu Friedrichshamn von den Russen eingeschlossen, die ihren einzigen noch offenen Rückweg abgeschnitten hatten. Schließlich streckten sie feig die Waffen und unterzeichneten eine schmähliche und schimpfliche Kapitulation128-2, einen Schandfleck auf der Ehre ihrer Nation: 20 000 Schweden krochen vor 27 000 Russen zu Kreuz. Die eingeborenen Schweden im Heere wurden von Lacy entwaffnet und heimgeschickt; die Finnländer leisteten den Treueid. Welch ein demütigendes Beispiel für den Stolz und die Eitelkeit der Völker! Schweden, das unter Gustav Adolf und Karl XII. für die Heimat der Tapferkeit galt, ward jetzt ein Muster an Feigheit und Ehrlosigkeit. Das Land, das in seinen guten Tagen Helden hervorgebracht hatte, erzeugte unter republikanischer Regierungsform Generale ohne Ehre und Energie, statt der Achilles die Thersites. Derart werden Königreiche und Staaten, die sich zur Macht erhoben haben, wieder schwach und sinken in Verfall. Hier sind die Worte am Platze: „O Eitelkeit der Eitelkeiten! Alles ist eitel!“

Die politische Ursache dieses Niederganges liegt wahrscheinlich in den verschiedenen Regierungsformen, die Schweden durchgemacht hat. Solange es eine Monarchie war, stand seine Armee in Ehren. Sie diente dem Staate zur Verteidigung und konnte ihm niemals gefährlich werden. In einer Republik verhält es sich umgekehrt. Die Regierung muß ihrer Natur nach friedliebend sein, der Wehrstand muß erniedrigt werden, denn von Generalen, welche die Truppen für sich haben, ist alles zu <129>befürchten; nur von ihnen kann eine Revolution ausgehen. In Republiken legt sich der Ehrgeiz auf Intrigen, um emporzukommen. Bestechlichkeit demoralisiert nach und nach das öffentliche Leben, und der wahre Ehrbegriff geht verloren, weil man auf Wegen emporkommen kann, auf denen vom Bewerber kein Verdienst verlangt wird. Außerdem werden in Republiken die Staatsgeheimnisse nie gewahrt. Der Feind erfährt ihre Pläne im voraus und kann sie durchkreuzen. Sehr zur Unzeit erweckten die Franzosen den noch nicht ganz erloschenen Eroberungsgeist der Schweden, um sie gegen die Russen ins Feld zu stellen, zu einer Zeit, da die Schweden weder Geld noch disziplinierte Soldaten und vor allem keine brauchbaren Heerführer hatten.

Die damalige Überlegenheit der Russen nötigte die Schweden, zwei Senatoren nach Petersburg zu senden, um die Thronfolge dem jungen Großfürsten Peter, Herzog von Holstein, dem Neffen der Kaiserin, anzutragen. Es läßt sich nichts Demütigenderes denken als die Ablehnung des Großfürsten, dem die schwedische Krone zu gering schien. Der österreichische Gesandte zu Petersburg, Marchese Botta, machte dem Großfürsten das Kompliment: „Ich wünschte, es fiele der Königin, meiner Herrin, ebenso leicht, ihre Königreiche zu behaupten, als Eurer Kaiserlichen Hoheit, Kronen auszuschlagen.“ Nach der Absage des Großfürsten verlangten die Priester und die Bauern, die im Reichstage Sitz und Stimme haben, man solle den Kronprinzen von Dänemark129-1 zum Thronfolger wählen. Die Senatoren der französischen Partei stimmten für den Pfalzgrafen von Zweibrücken129-2; aber die russische Kaiserin erklärte sich für den Bischof von Lübeck, den Oheim des Großfürsten129-3, und ihr Wille siegte über den Einfluß der andern Parteien. Die Wahl dieses Fürsten geschah erst 1743; so sehr hielten die zu Stockholm entstandenen Kabalen die Beschlüsse des Reichstages auf.

Seit dem Breslauer Frieden nahmen die Unterhandlungen kein Ende. Die Engländer wollten den König in den von ihnen geplanten Krieg hineinziehen. Die Franzosen wollten ihn zu Schritten verleiten, die mit der Neutralität, zu der er sich verpflichtet hatte, unvereinbar waren. Der Kaiser suchte seine Vermittlung nach. Aber der König blieb unerschütterlich. Je länger der Krieg dauerte, um so mehr erschöpfte sich das Haus Österreich; und je länger Preußen Frieden hatte, um so mehr Kraft gewann es. Die schwierigste Aufgabe in dieser politischen Konstellation war die Erhaltung des Gleichgewichts zwischen den kriegführenden Mächten, damit die eine nicht zuviel Übergewicht über die andre erlangte. Es mußte verhindert werden, daß der Kaiser entthront und daß die Franzosen aus Deutschland vertrieben wurden. Zwar waren den Preußen durch den Breslauer Frieden die Hände gebunden, aber es ließ sich durch Intrigen doch das gleiche wie durch die Waffen erreichen. Die Gelegenheit dazu bot sich bald. Der König von England beabsichtigte, seine Truppen aus Flandern der Königin von Ungarn zu Hilfe zu senden. Dieser Beistand hätte die Sache des Kai<130>sers und Frankreichs rettungslos zugrunde gerichtet. Eine so dringende Gefahr veranlaßte den König von Preußen zu den nachdrücklichsten Vorstellungen. Er ging so weit, dem König von England mit einem Einfall in sein Kurfürstentum zu drohen, wenn er es wagte, fremde Truppen über den Rhein zu führen und sie ohne Einwilligung der Reichsstände nach Deutschland zu bringen. Durch sanftere Überredungen ließen sich die Holländer bewegen, ihre Truppen damals nicht mit den Bundesgenossen der Königin von Ungarn zu vereinigen. So gewannen die Franzosen Zeit, sich zu erholen und Maßregeln für ihre Verteidigung zu treffen.

Nicht so vollständig gelang dem König ein andres Projekt, das er zur Erhaltung des Kaisers entworfen hatte. Es galt, die Truppen des Kaisers in Bayern zu unterstützen. Die Franzosen hatten doppelte Ursache, dazu beizutragen. Denn erstens waren sie nach einer Räumung Bayerns gezwungen, über den Rhein zurückzugehen und an die Verteidigung ihres eignen Herdes zu denken, und zweitens war es eine Schande für sie, den Kaiser, den sie auf den Thron gesetzt hatten, im Stiche zu lassen und der Willkür seiner Feinde preiszugeben. Allein ihre Generale hatten den Kopf verloren. Der Schrecken war stärker als die Vernunft und übermannte sie. Um Ersatz für die französischen Truppen zu schaffen, wurde der Plan gefaßt, einen Bund der Reichskreise zur Aufstellung einer Neutralitätsarmee zu bilden. Unter diesem Deckmantel hätte der König seine Truppen zu dem Heere stoßen lassen können, das dann Bayern gedeckt hätte. Aber der Plan scheiterte an der knechtischen Furcht der Reichsfürsten vor dem Hause Österreich. Die Königin von Ungarn drohte, die Fürsten zitterten, und der Reichstag wollte sich zu nichts entschließen. Hätte Frankreich diesen Plan mit einigen richtig verteilten Summen unterstützt, so wäre er gelungen. Das ist die schlechteste Sparsamkeit eines Fürsten, wenn er sein Geld nicht auszugeben versteht, sobald die Verhältnisse es erfordern.

So endigte das Jahr 1742, dessen wechselvolle Ereignisse nur das Vorspiel eines viel blutigeren Krieges bildeten. Die Franzosen waren die einzigen, die den Frieden wünschten. Der König von England glaubte fest an die Schwäche der französischen Regierung und wähnte, es bedürfe nur noch eines Feldzuges, um sie niederzuwerfen. Die Königin von Ungarn verbarg ihren Ehrgeiz unter dem Schleier rechtmäßiger Verteidigung. Wir werden in der Folge sehen, wie sie aus einer kriegführenden Partei zu einer Macht wurde, die sich mit Hilfsleistungen an ihre Alliierten begnügte.

Preußen bestrebte sich, den Frieden, dessen es sich erfreute, zur Wiederherstellung seiner Finanzen zu benutzen. Die Mittel waren verbraucht. Es galt, mit Fleiß neue zu sammeln. Es galt, die Organisation der Einnahmen aus Schlesien, die in der Eile nur mangelhaft eingerichtet war, zu verbessern und die österreichischen Schulden an England abzubezahlen. Gleichzeitig ging man an die Neubefestigung der fünf Plätze Glogau, Brieg, Neiße, Glatz und Kosel und vermehrte das Heer um 18 000 Mann. Geld und gute Wirtschaft waren nötig, um das alles rasch ins Werk zu setzen. Zur Bedeckung Schlesiens wurden 35 000 Mann verwandt, die selbst bei der Eroberung<131> mitgeholfen hatten. Man dachte also nicht daran, die Ruhe zu weichlichem Genußleben zu benutzen. Vielmehr ward der Friede für die preußischen Truppen zur Schule des Krieges. In den Festungen wurden Magazine angelegt; die Kavallerie erwarb sich Übung und Geschick, und überall im Heere wetteiferte man in der Befestigung jener Mannszucht, welche die Römer einst zu Siegern über alle Völker machte131-1.


123-1 Die im folgenden mitgeteilte Fassung des Schreibens vom 18. Juni 1742 ist nicht genau, zum Teil gekürzt.

124-1 Der französische Generalleutnant Herzog Franz Harcourt befehligte das zum Schutz von Bayern bestimmte französische Hilfskorps.

124-2 Vgl. S. 79.

125-1 Das vom König dazu vermerkte Datum des 20. Juni 1742 beruht auf Irrtum.

126-1 Friedrich I. war als Landgraf von Hessen mit Kaiser Karl VII. verbündet; außerdem hatte er sich verpflichtet, den Engländern gegen Subsidien Truppen zu liefern.

126-2 Der Orden der Mathuriner hat die Pflicht, christliche Gefangene aus türkischer Sklaverei freizulaufen.

127-1 Der König irrt; Prinz Karl von Lothringen suchte sich in den Besitz von Braunau zu setzen.

128-1 Elisabeth.

128-2 Zu Helsingfors, 4. September 1742.

129-1 Friedrich (V.).

129-2 Christian IV.

129-3 Herzog Adolf Friedrich von Holstein-Gottorp, am 4. Juli 1743 gewählt; er bestieg 1751 den schwedischen Thron.

131-1 Flavius Vegetius, „De re militari“, I, 1.