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49. An Lord Marschall1
Auf den Tod seines Bruders
(Dezember 1758)

Ihr weint, Mylord, und Eure Tränen rinnen
Um einen Helden, Bruder, Freund so wert,
Und selbst der Ruhm, der seinen Tod verklärt,
Gibt keinen Trost den trauervollen Sinnen.

Mehr durch Verdienst als gleiches Blut geschlungen,
Ward dennoch rauh gelöst ein edles Band.
Das Aug' erlosch, die Stimme ist verklungen,
Sein Lorbeer schmiegt sich um des Grabes Rand.
Sank er im wilden Kampf nicht todeswund,
Er hätte neuen Sieg gefügt zu Siegen,
So aber ließ der Blitz aus ehrnem Schlund
Den so Triumpfbereiten jach erliegen.

Traurige Ehrsucht, wieviel Freunde, Helden
Und edle Opfer streckst du roh und blind!
Und keine Stätte, wo nicht Tränen melden,
Wie elend Eltern, Witwen, Waisen sind.
Durch keine Klagen können neu genesen,
Die unsrer Heimat treuer Hort gewesen.
O Ruhm, dich kauft man nur um Qual und Pein:
Mit Tränen wasch' ich blut'gen Lorbeer rein.


1 George Keith, Lord Marschall von Schottland, war 1748 nach Preußen übergesiedelt. Nachdem er preußischer Gesandter in Paris, Madrid und Gouverneur von Neuchâtel gewesen war, schlug er 1764 seinen dauernden Wohnsitz in Potsdam auf. Sein Bruder, Ialob Keith, preußischer Feldmarschall, fiel am 14. Oktober 1758 bei dem Überfall von Hochkirch (vgl.Bd.III, S.144: IX, S. 124).