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34. An Voltaire1
(26. Juni 1750)

Ihr Renner vor der Post, ihr steifen,
Ihr Schinder, heut gilt's auszugreifen!
Zu Rossen, die im Liebe leben,
Verwandl' ich eure Niedrigkeit;
Ein Schwingenpaar soll euch erheben,
Das gern der Pegasus euch leiht.
Euch ward das Amt heut übertragen
Der edlen Rosse, die den Wagen
Des Gottes aller Künste ziehn,
Und seltne Würde euch verliehn.
Apollos Bruder, einen Gott,
Dürft ihr Gebenedeiten
Nach Potsdam von Versailles geleiten,
Trabt zu, ihr Rößlein, frisch und flott!
Hei, Rabikan! Hei Parangon!2
Wie würden die vor Neide schäumen,
Sähn sie, wie ihr vom Helikon
Mit kecken Sprüngen, stolzem Bäumen
Den Gott der Kunst, der Geisteskraft
So fiott in unsre Heimat schafft!
Ruhmvoll Geschick, das eurer harrt!
Der Gott, gerührt, er macht euch gnädig
Der Stränge und der Deichsel ledig,
Daran ihr jahrelang gekarrt,
Euch vor der Menschheit Blicken
Als Sternbild zu entrücken
Zum Himmelszelt empor.
Wenn dann in böser Stunde
Der Astronom mit seinem Rohr
Absucht die nächt'ge Runde
Und er auf einmal euch erblickt,
Denkt er mit offnem Munde:
Das Fernrohr ist verrückt!


1 Am 10. Juli 1750 traf Voltaire auf Einladung des Königs zum Besuche in Potsdam ein (vgl. Bd. IX, S.VI).

2 Rabikan, Name eines Heldenrosses aus den Roland-Dichtungen (vgl. Bd. IX, S. 271); der Ursprung des Namens Parangon ist nicht festzustellen.