<115>Der schöne Wahn der Unerfahrenheit
Entschwand zu schnell; im schrecklichen Gewühl,
In das ich dann geschleudert ward, gebot
Nun die Erfahrung bald. Da glänzte hell
Die leidenvolle Wahrheit meinem Blick.
Ich suchte Tugend, Laster fand' ich nur.
Wie oft sah' ich die Thaten hassenswerth,
Die Denkart schaudervoll! Betrüger, Gauner etc.
Getroffen von der Uebel Schaar gestand —
Ich denn zuletzt : Hat auch der Mensch Vernunft —
So wild, so grausam ist kein Thier, als er.
Nein! Nein! des Thieres Seel' ist nicht so schwarz,
Der Hunger giebt ihm Gier — Verstellung nicht;
Entbrennt sein Zorn, so ist er bald verraucht,
Der Mensch haßt, wenn er sich gerächt hat, noch.
Zwar dies Geschlecht, das gegen sich so wild,
So frevelnd, so voll Hang zu Bosheit ist,
Bringt mitten unter Lasterthat und Gräueln
Bisweilen Götterseelen auch hervor,
Die ganz gewiß der Himmel werden sah,
Die uns im Unglück trösten, das uns trifft,
Und Engel mitten unter Teufeln sind;
Doch immer gab nur kargend die Natur
Dies schöne, theure, seltene Geschenk. etc.
Wie? schuf der große, der erhabene,
Vollkommne Gott mit seiner Allmachtshand
Den Engel, der zu Ehrfurcht mich erweckt,
Und dieses Monstrum voll Unmenschlichkeit?
Ich weile starr an dieses Abgrunds Rand,
Wo forschend sich der größte Geist verliert,
Und wende schnell den unbescheidnen Blick
Von dem Mysterium mit Ehrfurcht ab.