<301> Lebens von uns fordern, so kann es erst recht verlangen, daß wir uns ihm durch unsre Dienste nützlich machen: der Gelehrte durch Unterricht, der Philosoph durch Enthüllung der Wahrheit, der Finanzmann durch treue Verwaltung der Einkünfte, der Jurist, indem er der Sache die Form zum Opfer bringt, der Soldat, indem er sein Vaterland eifrig und tapfer verteidigt, der Staatsmann durch kluges Komdinieren und richtiges Schlußfolgern, der Geistliche durch Predigen der reinen Sittenlehre, der Landmann, der Handwerker, der Fabrikant, der Kaufmann durch Vervollkommnung des erwählten Berufes. Jeder Bürger, der so denkt, arbeitet für das Allgemeinwohl. Diese verschiedenen Zweige vereint und auf das gleiche Ziel gerichtet, bringen das Gedeihen der Staaten, ihr Glück, ihre Dauer und ihren Ruhm hervor. Das, lieber Freund, hat mein Herz mir in die Feder diktiert. Ich habe nicht wie ein Professor über diesen Gegenstand geschrieben; denn ich habe nicht die Ehre, ein Gelehrter zu sein, und unterhalte mich mit Ihnen einzig und allein, um Ihnen auseinanderzusetzen, was ich unter den Pflichten eines redlichen und treuen Bürgers gegen sein Vaterland versiehe. Diese flüchtige Skizze genügt für Sie, da Sie die Dinge rasch erfassen und durchdringen. Ich versichere Ihnen, ich hätte nicht so viel Papier bekritzelt, ohne die Absicht, Ihnen gefällig und dienstbar zu sein. Ich bin mit aufrichtiger Zuneigung usw.

9. Brief des Anapistemon

Ihr letzter Brief, lieber Freund, bringt mich zum Schweigen; ich bin gezwungen, mich zu ergeben. Von nun an schwöre ich meine Trägheit und Gleichgültigkeit ab. Ich entsage den Enzyklopädisten wie der Lehre Epikurs und weihe alle Tage meines Daseins dem Vaterlande. Ich will künftig Bürger sein und Ihrem löblichen Vorbild in allen Stücken folgen. Meine Fehler gestehe ich Ihnen offen ein. Ich habe mich mit unbestimmten Begriffen begnügt, habe über den Gegenstand nicht genügend nachgedacht und ihn nicht reiflich erwogen. Meine sträfliche Unwissenheit hat mich bisher an der Erfüllung meiner Pflichten gehindert. Sie leuchten mir mit der Fackel der Wahrheit ins Gesicht, und meine Irrtümer verschwinden. Ich will die verlorene Zeit nachholen, indem ich jeden durch meinen Eifer für das allgemeine Wohl übertreffe. Zum Vorbild nehme ich mir die größten Männer des Altertums, die sich im Dienste des Vaterlands ausgezeichnet haben, und nie werde ich vergessen, daß Ihr tugendsiarker Arm es war, der mir die Laufbahn erschloß, in der ich Ihren Schritten folge. Wie und wodurch könnte ich Ihnen meinen Dank für alles heimzahlen, was ich Ihnen schulde? Seien Sie wenigstens versichert, wenn etwas die Gefühle der Hochschätzung und Freundschaft, die ich für Sie hege, übertreffen kann, so ist es meine tiefe Dankbarkeit, mit der ich zeitlebens bin usw.