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Sie sagen ferner, nach den Enzyklopädisten sei der Weise ein Weltbürger. Zugegeben, wenn der Verfasser damit meint, alle Menschen seien Brüder und müßten einander lieben. Aber ich höre auf, seine Meinung zu teilen, wenn es seine Absicht ist, Landstreicher heranzubilden, Menschen, die an nichts hängen, die aus Langeweile die Welt durchstreifen, aus Not Spitzbuben werden und schließlich hier oder dort für ihr zügelloses Leben bestraft werden. Dergleichen Ideen finden leicht Aufnahme und setzen sich in leichtfertigen Köpfen fest. Ihre Folgen sind dem Wohl der Gesellschaft stets zuwider. Sie führen zur Auflösung des gesellschaftlichen Verbandes; denn sie entwurzeln im Herzen der Bürger unmerklich den Eifer und die Anhänglichkeit, die sie ihrem Vaterlande schulden.

Dieselben Enzyklopädisten haben sogar die Vaterlandsliebe, zu der das Altertum uns so sehr mahnt und die jederzeit die Quelle der edelsten Handlungen war, so lächerlich gemacht, wie sie konnten. Über diesen Gegenstand urteilen sie ebenso kläglich, wie über viele andre. Sie dozieren, es gäbe kein Ding, das sich Vaterland nennt. Das sei der hohle Begriff irgend eines Gesetzgebers, der das Wort geschaffen habe, um die Bürger zu regieren. Was aber in Wirklichkeit nicht vorhanden sei, könne unsre Liebe nicht verdienen. Das nenne ich eine erbärmliche Beweisführung! Sie machen keinen Unterschied zwischen dem, was die Schulweisheit ens per se und ens per aggregationem nennt. Das eine bedeutet ein einzelnes Ding für sich, wie Mensch, Pferd, Elefant; das andre faßt mehrere zu einem Ganzen zusammen, z. B. die Stadt Paris, worunter man ihre Einwohner versieht, ein Heer, das heißt eine Menge Soldaten, ein Reich, das heißt eine zahlreiche Gesellschaft von Menschen. So heißt das Land, in dem wir zur Welt kamen, das Vaterland. Es ist also wirklich vorhanden und kein abstraktes Wesen. Es besieht aus einer Menge von Bürgern, die im selben Gesellschaftsverbande, unter den gleichen Gesetzen und Sitten leben. Da unsre Interessen mit den ihren eng verknüpft sind, schulden wir ihm Anhänglichkeit, Liebe und Dienstleistungen. Was könnten diese lauen und schlaffen Seelen antworten, was könnten alle Enzyklopädisten der Welt erwidern, wenn das Vaterland plötzlich in Person vor sie träte und sie etwa so anredete:

„Ihr entarteten, undankbaren Kinder, denen ich das Leben gab, werdet Ihr denn stets fühllos gegen die Wohltaten sein, mit denen ich Euch überhäufe? Woher stammen Eure Voreltern? Ich habe sie erzeugt. Woher nahmen sie ihre Nahrung? Aus meiner unerschöpflichen Fruchtbarkeit. Ihre Erziehung? Sie verdanken sie mir. Ihr Hab und Gut? Mein Boden hat sie geliefert. Ihr selbst seid meinem Schoß entsprossen. Kurz, Ihr, Eure Eltern, Eure Freunde, alles, was Euch aus Erden teuer ist — ich gab ihm das Dasein. Meine Gerichtshöfe schützen Euch vor Unbill, verteidigen Eure Rechte, verbürgen Euer Eigentum. Meine Polizei wacht über Eure Sicherheit. Ihr zieht durch Land und Stadt ebenso sicher vor dem Überfall von Räubern wie vor dem Dolche der Mörder. Meine Truppen schützen Euch vor den Gewalttaten, der Raubgier und den Einfällen unsrer gemeinsamen Feinde. Ich befriedige nicht nur“