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Sie werden mir diese Betrachtungen nicht hingehen lassen, werden sie zu weichlich und weibisch finden. Sie verlangen eine Regierung, in der alle Bürger nur Nerv und Energie sind, alle nur Tatkraft zeigen. Ich glaube, Sie dulden Ruhe nur bei Schwachsinnigen, Kranken, Blinden und Greisen. Da ich zu diesen nicht gehöre, so bin ich auf meine Verdammung gefaßt.

Ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß der Gegenstand, den wir erörtern, weit umfangreicher ist, als ich mir gedacht hatte. Wie viele ineinander verschlungene Zweige, wie unendlich viele Verknüpfungen sind nötig, um einen so vielgliedrigen Körper wie eine regelrechte Regierung zu bilden! Bücher gibt es nur wenige über dies Thema, und die sind auch noch von tätlicher Pedanterie. Sie haben alles ergründet und machen mir Ihre Kenntnisse zugänglich. Ihnen verdanke ich es, daß Sie mich bis auf die angedeuteten Schwierigkeiten belehrt haben. Fahren Sie bitte fort, wie Sie angefangen haben. Ich betrachte Sie als meinen Lehrer und rechne es mir zur Ehre an, Ihr Schüler zu sein.

Die Beziehungen der Bürger zueinander, die verschiedenen gesellschaftlichen Bande, die Forderungen unsrer Pfiichten — all diese Gedanken kochen und gären unaufhörlich in meinem Kopfe. Ich denke an fast weiter nichts mehr. Begegne ich einem Landmann, so segne ich ihn für die Beschwerden, die er erträgt, um mich zu ernähren. Sehe ich einen Schuhmacher, so danke ich ihm im Herzen für die Mühe, die er sich gibt, mir Schuhe zu machen. Geht ein Soldat vorüber, so bete ich für den tapferen Vaterlandsverteidiger. Sie haben mein Herz mitfühlend gemacht. Nun schließe ich alle meine Mitbürger dankerfüllt hinein, besonders aber Sie, der mir die Natur meiner Pfiichten erklärt und mir dadurch ein neues Vergnügen verschafft hat. Sie haben gesprochen, und die Nächstenliebe erfüllt meine Seele mit einem göttlichen Gefühl. Ich bin mit der größten Hochachtung und der vollkommensten Dankbarkeit Ihr usw.

8. Brief des Philopatros

Nein, lieber Freund, ich bekriege Sie nicht, ich ehre und achte Sie. Ich trenne Ihre Person von dem Gegenstand, der uns beschäftigt, und greife lediglich die Vorurteile und Irrtümer an, die sich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen würden, gäben die Freunde der Wahrheit sich nicht die Mühe, sie zu enthüllen und der Welt die Augen zu öffnen. Ich sehe mit größter Genugtuung, daß Sie sich mit einigen meiner Meinungen vertraut zu machen beginnen. Mein System zielt einzig und allein auf das Allgemeinwohl ab; es will die Bande zwischen den Bürgern nur enger knüpfen, um sie dauerhafter zu machen. Ihr wohlverstandener Vorteil soll