<292>

Glauben Sie nicht, ich beschränke mich auf Beispiele aus den Republiken. Ich muß Ihnen auch solche aus den Annalen der Monarchien anführen. Frankreich darf sich rühmen, große Männer hervorgebracht zu haben: Bayard, Bertrand du Guesclin1, Kardinal d'Amboise2, den Herzog von Guise, der die Picardie rettete3, Heinrich IV., Kardinal Richelieu, Sully, kurz vorher den Kanzler L'Hôpital4, einen trefflichen, tugendhaften Bürger, dann Turenne, Conde, Colbert, die Marschälle von Luxemburg und Villars, kurz, eine Fülle berühmter Namen, die sich in einem Briefe nicht alle aufzählen lassen.

Wenden wir uns nun nach England und übergehen wir Alfred den Großen und eine Menge berühmter Männer aus vergangenen Jahrhunderten, um gleich auf die neuere Zeit zu kommen. Da finde ich einen Marlborough, Stanhope Ehesterfield5, Bolingbroke und Pitt6, deren Namen nie untergehen werden.

Deutschland hat im Dreißigjährigen Krieg Energie entfaltet; ein Bernhard von Weimar, ein Herzog von Braunschweig7 und andre Fürsten taten sich durch ihren Mut hervor, eine Landgräfin von Hessen, die Regentin des Landes8, bewies hohe Standhaftigkeit.

Man muß gestehen, wir leben in einem kleinen Jahrhundert; die Epochen großer und tugendhafter Geister sind vorüber. Wenn aber in jenen für die Menschheit so ruhmreichen Zeiten verdienstvolle Männer, von edlem Wetteifer getrieben, sich ihrem Vaterlande nützlich machten, warum folgen Sie dann nicht ihrem glorreichen Beispiel, Sie, der Sie gleichfalls Verdienste haben? Entsagen Sie hochherzig den abstoßenden Ausreden, die Ihnen die Trägheit einflüstert, und ist Ihr Herz nicht fühllos, so beweisen Sie durch Ihre Dienste Ihre Liebe zum Vaterland, dem Sie Dank schulden. Sie sind nicht ehrgeizig, sagen Sie. Das billige ich, aber ich tadle es, wenn Sie ohne Wetteifer sind; denn es ist eine Tugend, unsre Mitbewerber in unsrer Laufbahn in edlen Taten zu überholen. Ein Mensch, der aus Trägheit nicht handelt, gleicht einer Statue von Erz oder Marmor, die stets die gleiche Stellung bewahrt, die der Künstler ihr gab. Tätigkeit unterscheidet uns und erhebt uns über das Pflanzenreich; Müßiggang aber bringt uns ihm näher.

Doch kommen wir der Sache noch näher und greifen wir unmittelbar die Beweggründe an, mit denen Sie Ihre Nutzlosigkeit und Ihre Gleichgültigkeit gegen das öffentliche Wohl zu rechtfertigen wähnen. Sie fürchten sich, sagen Sie, sich für irgend ein Amt verantwortlich zu machen. Wahrhaftig, diese Entschuldigung sieht


1 Bertrand du Guesclin (1320—1380), Connetable von Frankreich.

2 Georg d'Amboise (1460 bis 1510), Kardinal und Minister Ludwigs XII.

3 Gemeint ist Franz von Lothringen, Herzog von Guise (1519—1563), und die Eroberung von Calais (1558), das den letzten englischen Besitz in Frankreich bildete.

4 Vgl. S. 28.

5 Philipp Dormer Stanhope Lord Chesterfield (1694—1773), Staatsmann und Schriftsteller.

6 Vgl. Bd. IV, S. 122.

7 August der Jüngere (1635—1666), Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Begründer der jüngeren Wolfenbüttler Linie des braunschweigischen Hauses.

8 Amalie Elisabeth (1602—1651), Enkelin Wilhelms I. von Oranien, Gemahlin des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel, führte nach dessen Tod (1637) die Regentschaft.