<176> wenn der Liebling des Publikums nicht für sie arbeitet. Dann gilt es, die Zahl der Lehrlinge zu verdreifachen und zu vervierfachen, die Werkstatt zu vergrößern, ein Auge auf die Gesellen zu haben, damit die Arbeit den Erwartungen entspricht. Nur mit unendlicher Mühe läßt sich der erste, so schwer zu bewahrende Ruf ausrechterhalten. In seiner Emsigkeit kam dieser gute Bürger der Morgenröte zuvor, um das Publikum zu bedienen, und er beschloß seine Arbeit erst lange nach den Stunden, die die Menschen sonst der Ruhe, der Muße und oft der Schwelgerei widmen. Ihr unnützen Bürger der Welt, die Ihr in Müßiggang und Zerstreuung lebt, Euer strafwürdiges Dasein in Spielhäusern verbringt, um Eure FamUien zugrunde zu richten, Euren Nächsien Ärgernis zu geben, Eure Gesundheit in Völlerei und Ausschweifungen zu zerrütten, Ihr lebt! Ihr lebt, sage ich, und ich beweine den, dessen Wachsamkeit und unermüdlicher Fleiß nicht bloß einem schlichten Bürger, sondern allen seinen Landsleuten, ja selbst Fremden so nützlich ward!

Doch die Menschenliebe verbietet mir, in meinen Klagen und traurigen Betrachtungen noch weiterzugehen. Gebührt es doch nicht uns, die Opfer des Todes zu wählen, sondern Ihm, dem allmächtigen Herrn über Leben und Schicksal der Menschen. Der Schöpfer entscheidet über die Geschöpfe, und uns gebührt es, mit dem heiligen Paulus auszurufen: „O welch eine Tiefe des Reichtums beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“1 Beten wir, meine Brüder, Gottes Wege in Demut an, ohne nach den Gründen seiner unerforschlichen Ratschlüsse zu fragen, und dulden wir in Ergebung, wenn seine Hand uns empfindlich trifft. Von ihm haben wir alles. Schickt er uns Trübsal, dann geschieht es, um uns von der Welt abzukehren, damit wir unsre Zuversicht nicht auf seine Werke, sondern auf ihn setzen, damit wir unser Herz nicht an die Dinge der Schöpfung, sondern an den Schöpfer hängen, damit wir Weisheit und Mäßigung lemen, indem wir nacheinander die sterben sehen, die mit uns zwischen denselben Mauern, unter demselben Dach wohnen, deren Talente wir bewunderten und deren große Eigenschaften wir ehrten.

Aber wenn Gott auch nicht will, daß wir unser Herz allzusehr an die Schöpfung hängen, so verbietet er uns doch nicht, die zu lieben, denen er gnädig den Stempel der Größe und besonderen Tugend aufgedrückt hat. Jawohl, meine Brüder, auch ein Schuster kann zum großen Manne bestimmt sein. Jedes nützliche Handwerk ist eben darum nicht verächtlich. Die Art, wie es betrieben wird, kann seinen Wert noch erhöhen. Es ist verdienstvoller, einen Acker gut zu bestellen, gutes Tuch oder bequemes Schuhzeug zu machen, als die Justiz schlecht zu handhaben, die Finanzen liederlich zu verwalten, im Kriege keine Detachements führen zu können oder sich den Sieg durch einen beherzteren oder geschickteren Feind entreißen zu lassen. Es liegt nichts Erniedrigendes im Stande eines Mannes, der unsre unentbehrlichen Bedürfnisse befriedigt. Ja fürwahr, was ist


1 Epistel an die Römer, Kap. XI, Vers 33.