<148> sie durch ihre Reue verdient hatte. Nun sieht sie ihre Missetaten in ihrer ganzen Schrecklichkeit. Ein furchtbarer Augenblick, die ihr den eifersüchtigen Gott zeigt, den Blitzstrahl in der Hand, bereit, ihn auf sie zu schleudern. Regungslos, fast entseelt, läßt sie den Schlüssel fallen. Doch was tun? Sie muß ihn aufheben; er ist ganz mit Blut besudelt. Das ist das unschuldige Blut, das vom Totschlag des gerechten Abel bis zur Steinigung Sacharjas1 geflossen ist. Es schreit gen Himmel, es fleht zum Herrn, der so lange gegen das Seufzen der wenigen Gerechten, die es in Israel noch gibt, taub war. Es steht, ihnen Den zu senden, der die Hoffnung der Völker ist und der den Erbfeind Gottes und der Menschheit zu Boden schlagen wird. Die junge Gattin war in furchtbarer Lage. Ihre Seele war verwirrt vom Anblick jener blutigen Leichname, von der Reue über ihre Missetaten, von der Macht der wirk, samen Gnade und von dem Abscheu, den sie gegen Blaubart faßte. In Tränen ge, badet, verläßt sie die Stätte des Schreckens. Sie will das Blut abwischen, das den verhängnisvollen Schlüssel besteckt. Umsonst versucht sie es mehrmals; es gelingt nicht. So unauslöschlich sind die Spuren unsrer Missetaten, so schwer ist es, reinzuwaschen, was durch Verbrechen besudelt ist!

Unterdessen erhält Blaubart auf seiner Reise die Nachricht, daß seine Geschäfte zu seinen Gunsten erledigt sind; denn des Teufels Geschäfte gehen rasch. Das Lasier ist leicht, aber die Tugend ist schwer. Er kehrt in seinen Palast zurück und fordert von seiner Gattin sofort den Schlüssel der schrecklichen Kammer. Ein Augenblick des Grausens für die Ärmste, die nun erkennt, welches Unheil ihre Neugier über sie gebracht hat. Aber auch ein Augenblick des Heils, wo die Gnade sie stark macht und sie ihrem Schöpfer zurückgibt. Mit gellender Stimme schreit Blaubart: „Wo ist der Schlüssel zur Kammer?“ Mit zitternder Hand reicht die junge Gattin ihn dar; denn schon fühlt sie heilsamen Abscheu vor jeder Verbindung mit dem Bösen. „Woher“, fragt Blaubart, „kommen die Blutspuren an diesem Schlüssel?“ — „Ich weiß es nicht“, antwortet sie, bleicher als der Tod. „Wohlan, Madame,“ entgegnet Blaubart — denn der Teufel ist höflich — „Sie werden die Kammer betreten, um Ihren Platz unter den Frauen einzunehmen, die Sie dort sahen.“ Ach, Ihr armen Sterblichen, lernet den Teufel kennen! Mißtraut ihm ohn' Unterlaß; seid stets auf Eurer Hut! Blumen streut er auf den Weg, auf dem er Euch zur Hölle führt! Zu Anbeginn schmeichelt er Euren Leidenschaften; dann auf einmal verwandelt er sich in den Henker Eurer Seelen und stürzt Euch in den Abgrund der Qualen.

Doch man beachte hierbei mit den heiligen Vätern, wie anders Gottes Wege sind als die Wege der Menschen! Die von der Vorsehung bestimmte Stunde, da Gott der jungen Bußfertigen zu helfen gedachte, war noch nicht gekommen. Um diesen Augen, blick des Heils herbeizuführen, legt der Heilige Geist dem jungen Weibe die rührendsten Worte in den Mund, Worte, die auch den wildesten Tiger und Leuen erweicht hätten.


1 Vgl. Chronika II, Kapitel XXIV. Vers 20 f.