<284>

Schreiben des Königs an Prinz Heinrich von Preußen284-1

Grüssau, 10. August 1758.



Mein lieber Bruder!

Ich bitte Dich um das unverbrüchlichste Stillschweigen über alles, was dieser Brief enthält. Er soll nur Dir allein zur Richtschnur dienen.

Morgen marschiere ich gegen die Russen. Da die Kriegsereignisse die verschiedenartigsten Zufälle zeitigen können, und da es leicht möglich ist, daß ich totgeschossen werde, so habe ich es für meine Pflicht gehalten. Dich von meinen Maßnahmen zu unterrichten, um so mehr, als Du der Vormund meines Neffen284-2 mit unbegrenzter Vollmacht bist.

1. Wenn ich totgeschossen werde, so müssen unverzüglich alle meine Armeen meinem Neffen den Eid leisten.

2. Die Operationen müssen mit solcher Tatkraft fortgesetzt werden, daß der Feind keinen Wechsel im Oberbefehl merkt.

3. Mein jetziges Vorhaben besieht darin, die Russen, wenn möglich, vollkommen zu schlagen, Dohna sofort wieder gegen die Schweden zu senden und mit meinem Korps selbst zurückzugehen, sei es nach der Lausitz, wenn der Feind von dorther eindringen sollte, sei es, um mich wieder mit der Armee284-3 zu vereinigen und 6 bis 7 000 Mann nach Oberschlesien zu detachieren, um de Ville284-4, der es beunruhigt, zu verjagen. Was Dich betrifft, so stelle ich Dir frei, so zu handeln, wie die Gelegenheit sich bietet. Dein Hauptaugenmerk muß auf die Pläne des Feindes gerichtet sein. Sie müssen gestört werden, bevor sie zur Reife gelangen.

<285>

Hinsichtlich der Finanzen glaube ich Dich unterrichten zu müssen, daß alle letzthin eingetretenen Schwierigkeiten, und besonders die, welche ich noch kommen sehe, mich zur Annahme der englischen Subsidien gezwungen haben285-1. Sie sind erst im Monat Oktober zahlbar.

Was die Politik betrifft, so ist eins gewiß: wenn wir diesen Feldzug gut bestehen, wird der Feind, der des Krieges überdrüssig, müde und erschöpft ist, der erste sein, der den Frieden wünscht. Ich hoffe bestimmt, im Laufe des Winters soweit zu gelangen.

Das ist im großen und ganzen alles, was ich Dir über die Staatsgeschäfte sagen kann. Was die Einzelheiten angeht, so wird es Deine Aufgabe sein. Dich unverzüglich über alles zu unterrichten. Zeigt man indes unmittelbar nach meinem Tode Ungeduld und allzu heftiges Verlangen nach dem Frieden, so erreichen wir damit nur, daß er ungünstig ausfällt und daß wir gezwungen sind, die Bedingungen unserer besiegten Feinde anzunehmen.

Ich muß zu alledem meine Marschroute hinzufügen, damit Du weißt, wo ich bin und wo Du mich finden kannst. Am 13. werde ich in Liegnitz sein, am 14. zwischen Lüben und Raubten, am 15. Ruhetag, am 16. nach Grünberg, am 17. bei dem Dorfe, wo ich, wie ich Dir schrieb, über die Oder gehen will285-2. Am 18. Brückenschlag, am 19. Übergang, am 20. Vereinigung mit Dohna, und in den Tagen vom 20. bis 25. hoffe ich, zwischen Meseritz und Posen eine Schlacht zu liefern.

Das ist alles, was ich Dir bis jetzt sagen kann. Du wirst umgehend von dem Erfolge meiner Operationen Nachricht erhalten.

F r i d e r i ch.


284-1 Der obige Brief an Prinz Heinrich in Sachsen ist geschrieben vor dem Aufbruch des Königs aus Schlesien zum Marsch gegen die Russen. Friedrich vereinigte sich am 21. August 1758 mit dem Korps des Grafen Dohna, das bisher in Pommern gekämpft hatte, und schlug am 25. die Russen bei Zorndorf.

284-2 Friedrich Wilhelm, der älteste Sohn des am 12. Juni 1758 gestorbenen Prinzen August Wilhelm und präsumptive Thronfolger (vgl. S.204).

284-3 Der König hatte 51 Bataillone und 75 Schwadronen in Schlesien zurückgelassen.

284-4 Marquis Karl de Ville de Canon, österreichischer Generalfeldzeugmeister.

285-1 Am 11. April 1758 hatte der König einen Subsidienvertrag mit England geschlossen.

285-2 Tschicherzig, südlich von Züllichau.