Schlußbetrachtungen

Aus all diesen schon zu weitläufig behandelten Einzelheiten erseht Ihr jedenfalls, wie wichtig es ist, daß der König von Preußen selbständig regiert. Sowenig Newton in gemeinsamer Arbeit mit Leibniz und Descartes sein Gravitationsgesetz hätte<165> entdecken können, sowenig kann ein politisches System aufgestellt werden und sich behaupten, wenn es nicht aus einem einzigen Kopfe hervorgeht. Es muß aus dem Geiste des Herrschers entspringen wie die gewaffnete Minerva aus Jupiters Haupt: das heißt, der Fürst muß sein System entwerfen und es selbst zur Ausführung bringen. Denn da seine eigenen Gedanken ihm mehr am Herzen liegen als die der andern, so wird er seine Pläne mit dem Feuer betreiben, das zu ihrem Gelingen nötig ist, und so wird seine Eigenliebe, die ihn an sein Werk fesselt, auch dem Vaterlande zum Nutzen gereichen.

Alle Zweige der Staatsverwaltung stehen in innigem Zusammenhang. Finanzen, Politik und Heerwesen sind untrennbar. Es genügt nicht, daß eins dieser Glieder gut verwaltet werde; sie wollen es alle gleichermaßen sein. Sie müssen in gradgestreckter Flucht, Stirn an Stirn, gelenkt werden, wie das Viergespann im olympischen Wettkampf, das mit gleicher Wucht und gleicher Schnelle die vorgezeichnete Bahn zum Ziele durchmaß und seinem Lenker den Sieg gewann. Ein Fürst, der selbständig regiert, der sich sein politisches System gebildet hat, wird nicht in Verlegenheit geraten, wenn es einen schnellen Entschluß zu fassen gilt; denn er verknüpft alles mit dem gesteckten Endziel. Zumal in den Einzelheiten des Heerwesens muß er sich die denkbar größten Kenntnisse erworben haben. Vom grünen Tisch aus entwirft man schlechte Feldzugspläne, und wohin führen die schönsten Pläne, wenn sie durch die Unwissenheit des mit ihrer Ausführung Betrauten scheitern? Wer die Bedürfnisse einer Armee nicht kennt, wer sich um die zahllosen Einzelheiten ihrer Verpflegung nicht kümmert, wer nicht weiß, wie man ein Heer mobil macht, wer die Regeln der Kriegskunst nicht kennt, wer es nicht versteht, die Truppen in der Garnison zu schulen und im Felde zu führen, der wird, und wäre er sonst auch der geistvollste Mensch, der beste Volkswirt, der schlaueste Politiker, niemals Großes ausrichten, wenn er nicht selber Feldherr ist. Ich gedenke, im folgenden Abschnitt auf zahlreiche Einzelheiten der Kriegswissenschaft einzugehen. Hier will ich Euch nur überzeugen, daß der König von Preußen den Krieg unbedingt zu seinem Hauptsiudium machen und den Eifer derer anfeuern muß, die den edlen und gefährlichen Waffenberuf ergriffen haben.

Preußen ist von mächtigen Nachbarn umgeben .... Ihr müßt daher auf häufige Kriege gefaßt sein. Es folgt daraus auch, daß das Militär in Preußen die erste Stelle einnehmen muß, genau wie bei den welterobernden Römern in der Periode ihres Aufstiegs, genau wie in Schweden, als Gustav Adolf, Karl X. und Karl XII. die Welt mit ihrem Ruhm erfüllten und der Ruf des schwedischen Namens bis in die fernsten Lande drang. Ämter, Ehren, Belohnungen, die man abwechselnd verleiht, spornen und feuern die Talente an. Lob, das dem Verdienst gezollt wird, erweckt in den Herzen des Adels edlen Wetteifer, treibt ihn dazu an, den Waffenberuf zu ergreifen und sich Kenntnisse zu erwerben, verschafft ihm Auszeichnungen und Vermögen. Die Offiziere verachten und von ihnen fordern, daß sie mit Ehren dienen, ist ein Widerspruch. Einen Beruf ermutigen, der die Macht des Königreichs bildet, die Säulen des<166> Staates (wenn ich mich so ausdrücken darf) achten, sie dem Geschlecht verweichlichter und schwachherziger Menschen vorziehen, die nur zur Dekoration eines Antichambres gut sind: das heißt, nicht allzu hohe Gunstbeweise erteilen noch launenhaft handeln, sondern dem Verdienst seine Krone geben, heißt ein schwaches Rauchopfer auf dem Altar der Offiziere darbringen, die jeden Augenblick bereit sind, ihr Blut für das Vaterland zu vergießen.

Ich habe selbst Krieg geführt und gesehen, daß Obersten biswellen über das Schicksal des Staates entschieden haben. Man kann nicht Krieg führen, ohne daß es zu entscheidenden Schlägen käme, die das Geschick der Reiche bestimmen. Der Gewinn oder Verlust einer Schlacht verleiht dem Sieger ftöhlichen Mut und schmettert den Besiegten zu Boden. Durch die Schlacht bei Ramillies (1706) verlor Frankreich ganz Flandern. Durch die Schlacht bei Höchstädt (1704) verlor der Kurfürst von Bayern sein Kurfürstentum und ganz Schwaben166-1. Die Schlacht bei Turin (1706) verjagte die Franzosen aus der Lombardei, und die Schlacht bei Villa-Viciosa (1710) setzte Philipp V. auf den spanischen Thron und zwang Karl VI. zum Verzicht auf Spanien. Daher sagte Heinrich l V.: eine Schlacht hat einen langen Schwanz. An solchen wichtigen und entscheidenden Tagen lernt man den Wert guter Offiziere schätzen. Da lernt man sie lieben, wenn man sieht, mit welch hochherziger Todesverachtung, mit welch unerschütterlicher Ausdauer sie den Feind zur Flucht zwingen und den Sieg und das Schlachtfeld behaupten. Es genügt aber nicht, ihnen in dem Augenblick Achtung zu zollen, wo man ihrer bedarf und wo ihre Taten Euch Beifall abringen. Auch in Friedenszeiten müssen sie das Ansehen genießen, das sie sich mit so großem Recht erworben haben. Ehren und Auszeichnungen gebühren denen, die ihr Blut für die Ehre und Erhaltung des Staates vergossen haben.

Alle Welt blickt in den Monarchieen auf den Herrscher. Die Öffentlichkeit schließt sich seinen Neigungen an und scheint bereit, jeder Anregung, die er gibt, zu folgen. Daher kam es, daß die römischen Prälaten unter Leo X. üppig und prachtliebend, unter Sixtus V. verschlagen und weltklug waren, daß England unter Cromwell zur Grausamkeit neigte und sich unter Karl II. einem galanten Leben ergab, daß unter dem anfeuernden Beispiel der Prinzen von Oranien die Niederlande, obwohl eine Republik, zur kriegerischen Nation wurden, daß das römische Reich, unter Titus und den Antoninen noch heidnisch, sich unter Konstantin, der als der erste den neuen Kult annahm, zum Christentum bekehrte. In Preußen muß der Herrscher das tun, was für das Staatswohl am ersprießlichsten ist; daher muß er sich an die Spitze des Heeres stellen. Auf diese Weise gibt er dem Waffenberuf Ansehen und erhält unsere vortreffliche Mannszucht und die bei den Truppen eingeführte Ordnung. Ich sage ausdrücklich: er erhält diese Ordnung; denn besitzt er keine Sachkenntnis, wie will er da über Ordnung und Mannszucht bei den verschiedenen Regimentern und<167> Truppenteilen urteilen? Wie kann er verbessern, was er selbst nicht versteht? Wie kann er die Obersten wegen begangener Fehler tadeln, wie ihnen sogleich angeben, worin sie es versehen haben, und sie belehren, wie und wodurch sie ihre Regimenter in guten Stand setzen können? Wenn er selber nichts von der Regiments- und Kompagniewirtschaft, von der Truppenführung und Manövrierkunsi versieht, wird er dann so unklug sein, sich hineinzumischen? Dann würde er sich ja durch seine sinnlosen Forderungen ebenso der Lächerlichkeit preisgeben, wie durch Anordnung falscher Truppenbewegungen. Alle diese Kenntnisse erfordern beständige Übung, die man nur erwerben kann, wenn man selber Soldat ist und mit ununterbrochenem Fleiße dem Heeresdienst obliegt.

Endlich wage ich die Behauptung, daß nur der Herrscher diese bewundernswerte Mannszucht im Heere einführen und erhalten kann. Denn oft muß er seine Autorität aufbieten, muß die einen ohne Ansehen der Person und des Grades sireng tadeln, die anderen freigebig belohnen, die Truppen soviel als möglich mustern und ihnen nicht die geringste Nachlässigkeit hingehen lassen. Der König von Preußen muß also notwendig Soldat und oberster Kriegsherr sein. Dies Amt, um das man sich in allen Republiken und Monarchieen mit Eifer und Ehrgeiz bewirbt, wird dennoch von den Königen Europas recht gering geschätzt. Sie glauben, ihrer Würde etwas zu vergeben, wenn sie ihre Armee selbst führen. Aber dem Throne gereicht es zur Schande, wenn verweichlichte und träge Fürsten die Führung ihrer Truppen den Generalen überlassen. Ja, sie stellen sich damit stillschweigend ein Zeugnis ihrer Feigheit oder Unfähigkeit aus.

In Preußen ist es gewiß ehrenvoll, in Gemeinschaft mit der Blüte des Adels und der Elite der Nation an der Befestigung der Mannszucht zu arbeiten. Erhält sie doch dem Vaterlande seinen Ruhm, verschafft ihm in Friedenszeiten Achtung und führt im Kriege den Sieg herbei. Man müßte ein ganz erbärmlicher Mensch, in Trägheit versunken, von lasterhaftem Leben entnervt sein, wollte man die Mühe und Arbeit scheuen, die die Erhaltung der Mannszucht im Heer erfordert. Wird man dafür doch sicher belohnt durch Eroberungen und den Ruhm, der für den Herrscher noch viel wertvoller ist als der höchste Gipfel der Erhabenheit und die größte Machtentfaltung.


166-1 Vgl. S. 106.