<27> Urbild, nach dem der Verfasser seinen Fürsten gestaltet, solch ein Muster mutet er schamlos denen zu, die es mit Hilfe ihrer Freunde oder ihrer Waffen in der Welt zu etwas bringen. Es ist also durchaus erforderlich, uns diesen Cäsar Borgia einmal näher anzusehen, damit wir uns eine Vorstellung machen können von dem Helden und seinem Verherrlicher.

Es gibt kein Verbrechen, das Cäsar Borgia nicht begangen hätte, keine Gemeinheit, für die er nicht das Beispiel gegeben, keine erdenkbare Untat, deren er sich nicht schuldig gemacht hätte. Er ließ seinen Bruder1 ermorden, der seinem Streben nach Ruhm in der Welt im Wege stand sowie seiner Liebe zu seiner Schwester2. Die Schweizer des Papstes ließ er niedermetzeln aus Rache, weil einige von ihnen seine Mutter3 beleidigt hatten. Zahllose Kardinäle, zahllose Reiche plünderte er aus, um seine Habgier zu sättigen. Die Romagna entriß er dem Herzog von Urbino4, ihrem rechtmäßigen Besitzer; seinen Statthalter, den grausamen d'Orco, ließ er aus dem Wege räumen; schmählichen Verrat beging er zu Sinigaglia an einer Anzahl von Fürsten, deren Leben, wie er meinte, seinen Zwecken im Wege stand; eine venezianische Dame ließ er ertränken, nachdem er sie geschändet hatte. Wieviel Grausamkeiten wurden nicht auf seinen Befehl begangen! Wer vermöchte die ganze Fülle seiner Verbrechen zu zählen? So sieht der Mann aus, den Machiavell allen großen Geistern seiner Zeit und den Helden des Altertums vorzieht; sein Leben und seine Taten hält er als würdiges Muster denen vor, die ihr Glück emporhebt.

Ich wage es, die Partei der Menschlichkeit gegen den zu ergreifen, der es auf ihren Verderb abgesehen hat, muß aber bei meinem Kampfe wider Machiavell doch noch auf mehr Einzelheiten eingehn, damit seine Gesinnungsgenossen keine Ausflüchte mehr finden, hinter denen sie immer noch ihre Bosheit verschanzen könnten.

Cäsar Borgia gründete den Plan seiner Größe auf die Uneinigkeit der italienischen Fürsten; er beschloß, sie gegeneinander aufzuhetzen, um sich an das zu halten, was für ihn dabei abfiel. Das gab dann einen ganzen Knäuel scheußlicher Untaten. Für Borgia gab's kein Unrecht, wenn seine Ehrsucht das Wort hatte; so mußte ein Sturz den andern nach sich ziehen. Um meine Hand auf das Eigen meiner Nachbarn legen zu können, muß ich sie schwächen; um sie zu schwächen, muß ich sie widereinander aufbringen — Schurkenlogik.

Borgia wollte sich einen Beistand sichern; also mußte Alexander VI. dem König Ludwig XII. einen Ehedispens gewähren, damit der ihm Hilfe leiste. Das ist die Art der Kirchenherren, mit der Welt ihren Spott zu treiben: nur ihrem Eigennutz gehen sie nach, wenn sie des Himmels beflissene Diener scheinen. War die Ehe Ludwigs XII. danach, daß sie getrennt werden mußte, so hätte der Papst sie trennen müssen, ohne daß die Politik dabei mitsprach; brauchte sie nicht gelöst zu werden, so hätte auch nichts das Haupt der Kirche, den Statthalter Christi, dazu bestimmen dürfen.


1 Giovanni († 1497).

2 Lucrezia.

3 Vanozza de Catanei.

4 Guidobaldo von Montefeltro.