<263> ihr zuwiderliefen. Diese nun hat er verbogen und vergewaltigt, um sie, so gut es gwg, den übrigen Teilen seines Systems anzupassen. Sicher ist, daß er keinen der Beweise, die das Dogma der Fatalität stärken können, übersehen hat. Zugleich aber ist es auch klar, daß er dies sein ganzes Werk hindurch widerlegt. Ich für mein Teil denke, ein wahrer Philosoph sollte in solchem Fall auf Kosten seiner Eigenliebe die Liebe zur Wahrheit betätigen.

Doch wenden wir uns nun zu dem Abschnitt, der von der Religion handelt. Man könnte dem Verfasser Geistesarmut und vor allem Ungeschicklichkeit vorwerfen, weil er die christliche Religion verleumdet, indem er ihr Fehler nachsagt, die sie nicht hat. Wie kann er im Ernst behaupten, sie sei an allem Unglück der Menschheit schuld? Um sich mit Genauigkeit auszudrücken, hätte er einfach sagen können, daß Ehrgeiz und Eigennutz der Menschen die Religion zum Vorwand nehmen, um Unruhe über die Welt zu bringen und die eigenen Leidenschaften zu befriedigen. Was kann man ehrlicherweise an der Moral aussetzen, die im Dekalog enthalten ist? Fände sich im Evangelium nichts als diese einzige Vorschrift: „Tut den anderen nicht, was ihr nicht wollt, daß man euch tue“ — man wäre verpflichtet, zu gestehen, daß diese wenigen Worte die Quintessenz aller Moral enthalten. Und hat nicht Jesus in seiner Herrlichen Bergpredigt die Verzeihung der Beleidigungen, die Barmherzigkeit, die Menschlichkeit verkündet?

Es durfte also keine Verwechslung vorkommen zwischen Gesetz und Mißbrauch, zwischen Schriftwort und Verwirklichung, zwischen der echten christlichen Moral und derjenigen, die von den Priestern herabgewürdigt ward. Wie darf da der Autor die christliche Religion an sich beschuldigen, die Ursache der Sittenverderbnis zu sein? Wohl aber könnte er die Geistlichen anklagen, daß sie die bürgerlichen Tugenden durch den Glauben ersetzten, die guten Werke durch äußerliche Bräuche, die GeWissensbisse durch leichtwiegende Bußübungen, die unerläßliche Besserung durch verkäufliche Ablässe. Er könnte ihnen vorwerfen, daß sie von Eidespflicht entbinden und gewaltsam Gewissenszwang ausüben. Diese strafbaren Mißbräuche verdienen es freilich, daß man gegen diejenigen vorgeht, die sie einführen, und gegen jene, die sie anerkennen. Mit welchem Rechte jedoch will das einer tun, der die Menschen für Maschinen ansieht? Wie vermag er eine tonsurierte Maschine zu tadeln, die von Notwendigkeit wegen betrügt, schwindelt und mit der Gläubigkeit der Menge ein freches Spiel treibt?

Indessen, lassen wir für einen Augenblick das System der Fatalität beiseite und nehmen wir die Dinge, wie sie in dieser Welt wirtlich sind. Der Autor müßte wissen, daß die Religion, die Gesetze, die Regierungsgewalt gleichviel welcher Art niemals das mehr oder minder häufige Auftreten von Verbrechernaturen inmitten der großen Staatsbürgerzahl verhindern werden. Überall ist die breite Volksmasse wenig vernünftig, leicht läßt sie sich im Strom der Leidenschaften treiben, ist mehr zum Lasier geneigt als des Guten beflissen. Alles, was man von einer guten Regierung