<261>heit, ich achte sie, wo immer ich sie finde, und unterwerfe mich ihr, sobald man sie mir zeigt. Um die Frage richtig zu beurteUen, geben wir das Hauptargument des Verfassers wieder. All unsere Begriffe, sagt er, werden uns durch die Sinne zugeführt und sind eine Folge unserer Organisation; demnach sind all unsere Handlungen notwendig. Daß wir unseren Sinnen als unseren Organen alles verdanken, wird man ihm ohne weiteres zugeben. Der Autor sollte aber merken, daß die Begriffe, die wir empfangen, Anlaß zu neuen Kombinationen geben. Bei der ersten dieser Verrichtungen ist die Seele passiv, bei der zweiten aktiv. Erfindungsgabe und Einbildungskraft betätigen sich an den Objekten, welche die Sinne uns erkennen lehrten: als z. B. Newton die Geometrie lernte, verhielt sein Geist sich passiv; als er aber zu seinen staunenswerten Entdeckungen gelangte, war er mehr als tätig, er war schöpferisch. Im Menschen sind die verschiedenen Geisiesbetätigungen sehr wohl voneinander zu unterscheiden. Wo der äußere Antrieb vorherrscht, ist er Sklave, ganz frei dagegen, wo seine Einbildungskraft am Werk ist. Darm stimme ich also mit dem Verfasser überein, daß es eine gewisse Verkettung der Ursachen gibt, deren Einfluß auf den Menschen einwirkt und in wiederholter Wirkung Herr über ihn wird. Der Mensch empfängt mit der Geburt sein Temperament, seinen Charakter mit dem Keim seiner Fehler und Tugenden, sein zugemessen Teil Geist, das er weder verringern noch erweitern kann, Talente oder Genie, oder aber Schwerfälligkeit und Unfähigkeit. So oft wir uns vom Aufwallen unserer Leidenschaften fortreißen lassen, triumphiert die Fatalität siegreich über unsere Freiheit. So oft die Macht der Vernunft die Leidenschaften zügelt, trägt die Freiheit den Sieg davon.

Ist aber der Mensch nicht völlig frei, wenn man ihm verschiedenartige Entschließungen vorschlägt, die er prüft, zwischen denen er schwankt und über die er schließlich nach seiner Wahl entscheidet? Der Autor wird mir ohne Zweifel erwidern, die Notwendigkeit lenke diese Wahl. Ich glaube jedoch in dieser Antwort einen Mißbrauch des Ausdrucks Notwendigkeit zu erblicken, eine Verwechslung mit Ursache, Motiv, Grund. Ganz gewiß geschieht nichts ohne Ursache, aber nicht jede Ursache ist notwendig. Ganz gewiß entscheidet sich jeder Mensch, der nicht von Sinnen ist, nach Gründen, die von seiner Eigenliebe abhängen; er wäre nicht frei, ich wiederhole es, sondern wahnwitzig, wenn er anders handelte. Mit der Freiheit verhält es sich demnach ebenso wie mit Weisheit, Vernunft, Tugend, Gesundheit: der Sterbliche besitzt sie nicht unbeschränkt, sondern nur zuzeiten. In manchen Dingen stehen wir als der leidende Teil unter der Herrschaft der Fatalität, in anderen sind wir als Handelnde unabhängig und frei. Halten wir uns hierin an den Philosophen Locke. Er ist durchaus überzeugt, daß er bei verschlossener Tür nicht imstande ist, sich nach Belieben zu entfemen, daß er hingegen bei offener Tür die Freiheit hat, nach seinem Gutdünken zu handeln. Je mehr man dieser Materie auf den Grund zu kommen sucht, desto verwickelter wird sie. Mit allen Spitzfindigkeiten macht man sie am Ende nur so dunkel, daß man sich selbst nicht mehr zurechtfindet. Namentlich ist es für die Anhänger des Fatalismus un-