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VI. Instruction für die Inspecteurs der Infanterie291-1
(25. Juli 1781)

Es sind viele Objecte, worauf die Inspecteurs ihre Attentiun haben müssen, damit die Regimenter, die sie unter ihrer Aufsicht haben, in Ordnung sind.

Ein Object gehet darauf, daß die Regimenter im Laden und Avanciren, in Deploiements291-2 und in allen den Manœuvres, die bei uns eingeführet, so geläufig sind, daß ohne die geringste Confusion sie allezeit exerciren können, was ihnen befohlen wird. Bei diesem thut die große Uebung das Meiste, und die Leute müssen so gewöhnet sein, daß ihnen alles mechanisch wird.

Das zweite Object, welches viel importanter ist, betrifft die Zucht und Formirung der Officiere, und bei diesem sind noch viele Sachen hinzu zu setzen, die die größeste Attention und Folge erfordern, damit man zu seinem Zwecke kommt. Die Regimenter können nicht anders als wie eine Maschine angesehen werden, zu welcher ein Kopf gehöret. So gut auch ein Degen ist, so richtet er von selber nichts aus, wenn er nicht von einem guten und starken Arme geführet wird, der Gebrauch davon zu machen weiß.

Die Inspecteurs müssen den Officieren der ihnen untergebenen Regimenter mehr Ambition und mehr Application im soliden Dienste beibringen. Bei einem langwierigen Frieden wie der jetzige, der beinahe 20 Jahre gedauert hat, kann ohnmöglich so viel Avancement sein, als bei einem Kriege, wo jährlich vier oder fünf Bataillen vorfallen; aber dessen ohngeachtet, kommt's zum Krieg, so finden sich gleich das erste Jahr so viele Officiere, die invalide werden, und so viele, die abgehen, daß die Stabs-Officiere bei den Regimentern in kurzer Zeit ganz neu werden. Wenn dann die Subaltern-Officiere als Lieutenants und als Fähnriche nicht daran gedacht haben, was sie als Capitaine, Majore, Commandeurs und Generale zu'thun haben, und sie kommen beim Avancement zu dem Grade, so wissen sie nicht, was sie zu thun haben und was ihr neuer Stand mit sich bringt.

Es ist lein Capitain, kein Major, kein Stabs-Officier, der nicht mit kleinen Corps theils bei Fouragirungen, theils bei Convoiz291-3, theils bei Arrieregarden comman<292>diret werden kann. Wenn sie Commandeurs von Bataillonen sind, so kommen sie in Dörfer auf Postirung292-1 zu stehen; wenn sie Generale sind, so werden sie mit ihren Brigaden detachiret, theils den Feind im Quartier zu überfallen, theils um das vom Feinde detachirte Corps zu attaquiren. Zu allen diesen verschiedenen Puncten gehören Dispositions, und wer sich nicht bei Zeiten übet, um solche regelmäßig zu machen, damit, wenn er als Oberst und General in die Umstände kommt, daß er dergleichen Dispositions machen muß, so weiß er sich nicht zu helfen, weil er niemals an dergleichen Sachen, die doch die vornehmsten Theile seines Handwerks sind, gedacht hat. Um aber die Sache dahin zu bringen, so ist es nöthig, die jungen Officiere zu animiren, daß sie von ihren müßigen Stunden, die sie so viel haben, einige zum wenigsten anwenden, um ihr Handwerk besser zu studiren und sich geschickt zu machen, damit sie die höheren Posten, so sie erlangen werden, mit allem Ruhme bekleiden können.

Dergleichen Dispositions sind zweierlei: die offensiven und die defensiven. Die offensiven, welche immer die besten sind und wo man vornehmlich auf halten muß, bestehen darin, dem Feinde Abbruch zu thun und demselben seinen Posten zu enleviren292-2. Um dieses zu thun, müssen sie erstlich alle Wege studiren, die nach dem Posten gehen; sie müssen wissen, wo der Feind seine Vorposten gesetzt hat, um sie zu umgehen und, wo es möglich ist, von hinten zu kommen, wo der Feind sich sicher glaubt, und auf die Art in seinen Posten zu fallen und, sobald sie mit ihrem Coup fertig sind, durch einen andern Weg als zuvor wieder zurück nach der Armee kehren.

Ist es eine Arrieregarden-Affaire292-3, die man gegen den Feind engagiret, so muß das Corps vom Feinde, welches sich retiriret, rechts und links von der Cavallerie wie ein halber Mond umzingelt werden, damit die Infanterie Zeit gewinnet, heran zu kommen, und die Infanterie muß sehen, soviel es die Disposition vom Feinde zuläßt, daß sie ihn nicht allein von vorn, sondern auch in der Flanke attaquiret. Hat der Feind ein Défilé zu passiren, so ist man immer sicher, einen guten Success gegen ihn zu haben, wenn man ihn, während daß er defiliret, attaquiret. Sind es Convois vom Feinde, die man attaquiren will, so muß man sich versteckt halten und warten, bis ein Theil vom Convoi im Défilé ist, und alsdann gleich in die Mitte und auf die Arrieregarde fallen; so bleibt man gewiß Meister von dem Theile, den man abgeschnitten hat. Bei den Convois muß man sich nicht lange aufhalten, absonderlich wenn es nahe bei der feindlichen Armee ist.

Ist ein General mit einer Brigade kommandiret, ein kleines feindliches Corps zu attaquiren, so ist das erste, die Wege zu wissen, welche dahin gehen; zweitens, welchen Posten der Feind occupiret und wie er ihn besetzet hat; drittens, wo seine Feldwachen stehen; viertens, wo seine Patrouillen gehen, worauf erst die Disposition gemacht werden kann. Ist es möglich, ihn zu überfallen oder in den Rücken zu kommen,<293> so ist das das allersicherste. Soll es ein Ueberfall sein, so muß die Zeit vom Marsch wohl ausgerechnet werden, daß man zur festgesetzten Stunde an dem Orte des Lagers, wo man hin will, ankommt, damit die Attaque eine Stunde vor Tage vor sich gehen kann. Bei dieser Gelegenheit muß der Marsch in aller Stille projectiret weiden, müssen die Soldaten keinen Taback rauchen, die Artilleristen ihre Lunten wohl verstecken, damit sie nicht durchs Feuer entdecket werden, und keine Pferde mitgenommen werden, die wiehern, damit der Feind nichts weiß, bis man bei ihm ist und der Ueberfall desto sicherer und desto besser geräth. Sind die Umstände aber so, daß kein Ueberfall statt finden kann, so muß die Disposition zur Attaque gemacht werden, nachdem man sich die Zeit gegeben hat, den Posten wohl zu judiciren293-1, und alsdann muß die Disposition darnach gemacht werden, wie Ich es in Meinem Buche an die Generale 293-2 beschrieben habe, das ist, daß der Feind an seinem schwächsten Orte attaquiret werde, an einem Point d'attaque293-3 sich nicht zu lange mit Schießen aufgehalten, sondern Terrain genommen und, wo es möglich ist, ihn in der Flanke und im Rücken attaquiret.

Was den defensiven Krieg angehet, so beruhet der vorzüglich auf Fortificationen, Läger mit gutem Judicium zu nehmen293-4, die Läger zu fortificiren, die Dörfer, die in der Kette von den Winterquartieren liegen, gut zu verschanzen und alle die Sachen anzubringen, die sie bei den Ingenieurs lernen.

Zweiter Artikel. Ich weiß, wie unmöglich es ist, daß alle Officiere bei einer so großen Armee den Verstand und die Geschicklichkeit besitzen, die zu dem Handwerke erfordert wird. Dessen ohngeachtet aber bin Ich nicht weniger versichert, daß, wenn die Chefs und Commandeurs der Regimenter diejenigen jungen Officiere, die Verstand und Ambition haben, aufmuntern, daß viele darunter sein werden, die durch hohe Application und soliden, den Krieg angehenden Dienst sich Geschicklichkeit erwerben werden, denen sie ihr Glück und ihren Ruhm werden zu danken haben.

Um sie dazu noch mehr zu ermuntern, so kann die Geschichte von alten Kriegen ihnen empfohlen werden. Es sind die Kriege von Gustav Adolf, die Campagnen von Prinz Conde, von Marschall de Turenne, von Marschall von Lurembourg, die Kriege des Prinzen Eugen, Feldzüge Karls XII. von Adlerfeld293-5, Feuquières' Mémoires293-6 und L'Art de I'attaque et de la défense von Vauban. Dies sind lauter Bücher, in denen die vornehmsten Sachen, die in vorigen Zeiten geschehen, enthalten sind.

Da es unmöglich ist, daß man für jedes Regiment alle die Bücher haben kann, so werde Ich suchen, eine solche Sammlung für jeden Inspecteur anzuschaffen, damit zum wenigsten die Officiere, die am mehrsten Ambition und Lust zu ihrem Hand<294>werke haben, dergleichen Geschichte wissen können, und die Inspecteurs werden Mir eine große Gefälligkeit thun, wenn sie sich Mühe geben, die Officiere so zu informiren, daß man mit der Zeit Hoffnung hat, eine gute Schule von Stabs-Officieren und Generalen daraus zu ziehen.

Im übrigen weiß Ich wohl, wie schon gesagt, daß nicht alle Officiere bei der Armee große Fähigkeiten haben. Mithin ist es auch nicht so nothwendig, mit denen, die nicht Geschicklichkeit genug besitzen, sich viele Mühe zu geben, desto mehr aber mit solchen, die Verstand und Kopf haben und die vorzüglich gute Hoffnung von sich geben; wie denn die Inspecteurs auch, wenn solche Officiere unter den Regimentern sind, die Verstand und Geschicklichkeit besitzen, sie mögen Capitaine, Lieutenants oder Fähnriche sein, solche Mir anzeigen und bekannt machen müssen.


291-1 Vgl. E. 287 ff. Die Vorlage ist deutsch abgefaßt.

291-2 Aufmärsche.

291-3 Transsportbedeckungen.

292-1 Postenkette der Winterquartiere,

292-2 ihn aus seiner Stellung zu vertreiben.

292-3 Arrieregadengefecht.

293-1 Sich ein Urteil über die Stellung zu bilden.

293-2 Vgl. die „Generalprinzipien des Krieges“ (S. 65 ff.).

293-3 Angriffspunkt.

293-4 verständig auszuwählen.

293-5 Gustav Adlerfeld, Histoire militaire cle Charles XII, roi de Suède, depuis l'an 1700 jusqu'à la bataille de Pultowa 1709 (Amsterdam 1740).

293-6 Vgl. S. 117.