<94> nicht mehr die Kraft zu haben, so große Geister wie ehemals hervorzubringen. Von ungeheuren Schulden erdrückt, sann es immerzu auf Mittel, sich aus ihnen herauszuarbeiten. Ein Generalkontrolleur der Finanzen wurde als Alchymist angesehen: er sollte Gold machen. Sobald er nicht genug herbeischaffte, jagte man ihn sogleich fort. Endlich fiel die Wahl auf Necker, obwohl er Calvinist war. Vielleicht hoffte man, ein Ketzer, der ja doch verdammt war, werde einen Pakt mit dem Teufel schließen und das für die Regierung nötige Geld herbeischaffen. Der Staat unterhielt 100 000 Mann reguläre Truppen und 60 000 Mann Milizen. In den Häfen fehlte es an Schiffen; kaum zwölf waren seetüchtig. Maurepas benutzte die Zeit, wo England seinen unangebrachten Krieg mit den Kolonien führte, zur Hebung der französischen Flotte. Von 1776 ab ward auf allen Werften gearbeitet. 36 Linienschiffe waren bereits fertig; von 1778 an belief sich ihre Zahl auf 66, ungerechnet die Fregatten und anderen Fahrzeuge. Die Inseln und die amerikanischen Kolonien hatten sämtlich hinreichende Besatzungen. Für seine ostindischen Besitzungen hatte Frankreich vielleicht weniger gesorgt. Indes hätten soviel Zurüstungen den Engländern wohl die Augen öffnen und ihnen einen baldigen Bruch mit Frankreich prophezeien können, wenn sie sich um die Zukunft gekümmert hätten1. Frankreichs Lage war zwar nicht glänzend, verdiente aber doch die Aufmerksamkeit der übrigen Mächte. Infolge seiner Schulden konnte es zwar keinen langen Krieg aushalten, aber es fühlte sich stark durch sein Bündnis mit Spanien und den Beistand, den es sich davon versprechen durfte, und so suchte es nur eine Gelegenheit, um wie ein Falke auf seine Beute herabzusioßen und sich an England für die Unbill zu rächen, die es ihm während des letzten Krieges zugefügt hatte. Überhaupt konnte in Deutschland und in Südeuropa nichts Wichtiges unternommen werden, ohne daß man sich mit Frankreich ins Einvernehmen setzte.

England war, wie gesagt, unter dem Joch der Torys, von Schulden erdrückt und in einen höchst kostspieligen Krieg verwickelt, der die Staatsschulden jährlich um 36 Millionen Taler erhöhte. Um sich am eigenen Leibe zu schaden, erschöpfte es all seine Hilfsquellen und ging mit Riesenschritten dem Verfall entgegen. Die Minister häuften Fehler auf Fehler. Der größte war, einen Krieg in Amerika zu führen, der keinen Nutzen bringen konnte. Dazu kam, daß England sich mit aller Welt ohne Grund verfeindete, abgesehen von Frankreich, Englands Erbfeind. Allein der Londoner Hof stand sich ebenso schlecht mit Spanien infolge der Streitigkeiten über die Falklandinsel2, und in Portugal hatte England seit dem Tode des letzten Königs3 jeden Einfluß verloren. Durch sein hochmütiges, hartes und tyrannisches Benehmen gegen den Gouverneur von St. Eustache hatte es sich die Freundschaft und das Vertrauen der Niederlande verscherzt4. Als Kurfürst von Hannover hatte der König


1 Der Bruch erfolgte 1778.

2 Vgl. S. 23 f.

3 König Joseph l. (1750—1777).

4 Die Antilleninsel St. Eustache bildete einen Hauptstapelplatz der Holländer für die Versorgung der Amerikaner mit Kriegsbedarf. Im Dezember 1780 erklärte England endlich den Niederlanden den Krieg.