<97>Eid. Die unglückliche Herrscherfamilie wird in Riga eingekerkert; Ostermann wird nach schimpflicher Behandlung nach Sibirien verbannt. Das alles ist das Werk weniger Stunden. Frankreich erhoffte sich Vorteil von dieser Staatsumwälzung, die es selbst herbeigeführt hatte, sah aber bald seine Hoffnung entschwinden.

Kardinal Fleury hatte den Plan, Schweden vor den Folgen des unglücklichen Schrittes, zu dem er es verleitet hatte1, zu retten. Er glaubte, ein Regierungswechsel in Rußland würde den neuen Herrscher geneigt machen, einen für Schweden günstigen Frieden zu schließen. In dieser Absicht hatte er einen gewissen d'Avennes mit mündlichen Aufträgen an den Marquis La Chétardie, den französischen Gesandten in Petersburg, geschickt. Der sollte alles versuchen, um die Regentin und den Generalissimus zu stürzen. Dergleichen Unternehmungen, die in allen andern Staaten als abenteuerlich erscheinen, lassen sich in Rußland zuweilen ausführen. Der Geist der Nation neigt zu Empörungen. Wie auch andre Völker, sind die Russen stets mit der Gegenwart unzufrieden und erhoffen alles von der Zukunft. Die Regentin hatte sich durch ihre Schwäche für einen Ausländer, den schönen Grafen Lynar, den sächsischen Gesandten, gewiß verhaßt gemacht; aber ihre Vorgängerin, die Kaiserin Anna, hatte noch viel öffentlicher den Kurländer Biron ausgezeichnet, der ebensogut wie Lynar ein Fremder war. Es ist eine alte Wahrheit, daß gleiche Dinge nicht gleich sind, wenn sie zu andern Zeiten und durch andre Personen geschehen. Die Regentin war über ihre Liebe gestürzt; Elisabeth erhob sich auf den Thron durch ihre Liebe zum gemeinen Volke, deren Genuß sie zunächst den Preobrashenskischen Garden zuteil werden ließ. Beide Fürstinnen waren sinnlich. Die Mecklenburgerin verbarg ihre Wollust unter der Maske der Sittsamkeit, und nur ihr eignes Herz verriet sie. Bei Elisabeth ging die Wollust bis zur Ausschweifung. Die erste war launisch und boshaft, die andere verschlagen, aber lenksam. Alle beide haßten die Arbeit. Alle beide waren nicht zur Herrschaft geboren.

Verstand Schweden die Gelegenheit auszunutzen, so mußte es einen großen Schlag führen, solange Rußland durch innere Wirren erschüttert war. Alles verhieß einen glücklichen Erfolg. Aber es war Schweden nicht bestimmt, über seine Feinde zu triumphieren. Während und nach dieser Revolution war es wie versteinert und ließ die gute Gelegenheit, die Mutter großer Taten, vorübergehen. Die Niederlage bei Pultawa (8. Juli 1709) war ihm nicht verhängnisvoller gewesen als jetzt die kraftlose Trägheit seiner Heere.

Sobald die Kaiserin Elisabeth sich auf dem Throne sicher fühlte, verteilte sie die ersten Ämter des Reiches an ihre Anhänger. Die beiden Brüder Bestushew2, Woronzow und Trubetzkoi kamen in den Staatsrat; Lestocq, das Werkzeug ihrer Erhebung, wurde, obwohl von Beruf Wundarzt, eine Art von Unterminister. Lestocq nahm Partei für Frankreich, Bestushew für England. Daraus entstan-


1 Vgl. S. 68. 84. 87.

2 Alexej und Michael Bestushew.