<222>

72. Kodizill
(1771)

Recht hatte Del Bene,222-1 auf Ehre,
Ich unterschreibe seine Lehre:
Er meint, sie regiere sich selber, die Welt.
Schlimm freilich war's ja damals bestellt
Mit den Thronen: Es saßen Toren darauf,
Sie gingen in Prunk und in Festen auf,
Ein willenlos Spiel der Konjunkturen,
Und Narrheiten zeichneten ihre Spuren.

Seit jener Zeit sind im Süden und Norden
Die Könige freilich nicht anders geworden!
In der Schmach und der Kläglichkeit seiner Großen
Fühlt sich der Untertan glänzend gerächt.
Fürwahr, in den alten Formen gegossen
Ist der heutigen Fürsten zahllos Geschlecht;
Ja, manchen weiß ich, der vielleicht
Jene alten nicht einmal erreicht!

Vor Zeiten, da lebte ein Julian,
Der hat's der Mitwelt kundgetan
In seinen Bildern von zwölf Cäsaren,
Wes Geistes Kinder die Herren waren.222-2
Wollt' ich, wie jener Herrscher, es wagen,
Die Schleier zurückzuschlagen,
Und was man dahinter sieht, deutlich zu sagen,
Eh' ich mein Schandgemälde vollende,
War' ich mit Pinseln und Farben am Ende!
<223>Du Aristarch223-1 des Königtums,
Du, Aretino,223-2 wärst mein Mann,
Du Geißel königlichen Ruhms,
Grimmigen Angedenkens, dich
Rief' ich an:
Begeistre mich
Zum Sang, so boshaft, wie ihn
Versieht nur Meister Aretin!
Doch, lieber Leser, wenn solch ein Spaß
Gewiß kurzweilig und reizend wär',
So recht für graue Stunden was —
Ich will ja nur flüchtig und obenher
Hinwerfen mit leichter Hand,
Was ich hie und da in der Wirklichkeit fand.
Ich wage, auf Gottes Verzeihung zu hoffen:
Ich ehre die Großen und nenne darum
Niemand bei Namen deutlich und offen,
So komm' ich wohl um die Basiille herum
Und ihre unbehaglichen Klausen,
Wo die schlimmen Verbrecher Hausen.
Meine Pfeile sind harmlos, mein Federkiel
Zahm und bedächtig allezeit.
Und so, ohne Umschweif lang und breit,
Frisch los aufs Ziel!

Sieh dir die Heerschau von Königen an,
Fürwahr, du hast deinen Spaß daran!
Da hockt so einer,223-3 sein Hof um ihn her,
Wie eine leblose Puppe, klotzig und schwer,
Milzsüchtig, elend vor Langerweile;
Mätressen, Günstlinge stürzen in Eile,
Höflinge und Minister rennen,
Wie sie ihn unterhalten können,
Vertrödeln damit ihre beste Zeit.
Damit nur ein wenig Beweglichkeit
Die Masse, die seelenlose, lerne,
Schleppt man ihn vor die Zauberlaterne;
Nimmt er auch einmal am Staatsrat teil,
<224>So hört er, ohne zu wissen, was,
Und gähnt derweil
Ohn' Unterlaß.
Beglücktes Land! O Monarchie,
Die du gesegnet bist wie wenige:
Zu Rate sitzen da vier Könige,224-1
Und Herrin ist die Anarchie,
Von Schelmen oder Brauseköpfen regiert,
Die Bruder Lourdis224-2 am Gängelband führt.

Was seht ihr da unten? Ein Kind auf dem Thron,224-3
Zitternd, vorm eigenen Hofe erbangend,
Ein Schilfrohr, beim leisesten Lufthauch schon
Sich schmiegend, den Winden ein Spiel und Hohn,
Sklavisch am Mund seines Mentors hangend.
Und das Volk spielt ohne Erbarmen
Lustiglich Fangball mit dem Armen;
Wer am verwegensten treibt seinen Spott,
Der gilt als der redlichste Patriot.
So fiel diesem armen Gesalbten, Gekrönten,
Gefoppten, Verhöhnten
Name wie Diadem in den Kot.

Der224-4 ist beschäftigt immerzu,
Am Euter zu zupfen 'ner weißen Kuh;224-5
Seine Wonne ist, auf dem Melkschemel kauern!
Als Angler am Wasser den Hamen belauern —
Nichts geht ihm darüber; sein Heil hängt daran,
Ob er ein Fischlein erwischen kann!
Fehlt's ihm an Wissen, an Geist und an Mut —
Dafür ist ein Minister ja gut;
Der bekommt sein Gehalt dafür, daß er regiert,
Indes er nur kümmerlich vegetiert.

Ihr Götter! Und dieser Mistkäfer dann,
Den er als Sprößling erzielt!224-6
Das ist erst ein König — wie er zur Schau
<225>Des ganzen Hofes mit seiner Frau
Gleichwie mit einer Puppe spielt.

Unfern von dessen Staaten haust,
Mehr Schuft als fromm, ein alter Schwätzer;225-1
Ein Halsabschneider, Schinder und Hetzer,
Bedrückt er die Armen mit harter Faust.
Jetzt hat er die alten Ränke und Pfiffe
Fein abgetan und sieht im Begriffe,
Begeistert nach Saint-Pierres225-2 Ideen
Dem ewigen Frieden entgegenzugehen.

Hoch oben im Norden weiß ich dann
Einen braven, irrenden Rittersmann,225-3
Freilich an Kopf wie an Beutel leer.
Doch weiter! Kurz ist der Weg übers Meer,
Der führt uns nach einem Lande sogleich,
An Eisen wie an Kriegern reich.
Dort herrscht über Menschen, vom Elend geschlagen.
Ein König225-4 — ein König bloß sozusagen;
Denn die Königsmacht übt dort der Senat,
Der sie sich sachte erlistet hat,
Um Gesetze, die in den Kram ihm passen,
Im Namen der Krone ergehen zu lassen.

Seiner neugebackenen Herrlichkeit froh,
Kommt dann ein König da unten wo225-5
Auch so ein Narr! der nie vergißt,
Daß er Kroatenbesieger ist.
Wie der „Bürger als Edelmann“ will er gern
Zum Kreise der stolzen und grämlichen Herrn,
Der alten Souveräne zählen.
Wer's ihm verweigert, dem droht eine Schlacht!
Ein Bösewicht ist's, der seiner Feinde lacht.
Zwar seit ihm Krallen und Zähne fehlen,
Dem altgewordenen Isegrimm,
Haben die Nachbarn Ruhe vor ihm —
<226>Wenn ihn nicht grade sein Dämon reitet,
Der seinen Spöttergeist oft schon verleitet,
Spott und Hohn über sie alle
Auszugießen in vollem Schwalle.

In dieses Königs Nachbarschaft,
Ob einem Volke, halb vertiert,
Wo keine Obrigkeit regiert,
Wo kein Gesetz noch Recht in Kraft,
Da thront der König der Anarchie;226-1
Er kam zur Krone, weiß selbst nicht, wie.226-2
Leidenschaftlich den Weibern ergeben,
Ist er ein Fürst ohne Schwung und Streben.
Ist er der Russen, der Türken Feind?226-3
Er weiß wohl selbst nicht, mit wem er's meint.
Sein Land sieht in Flammen, ist kaum noch zu retten,
Er aber schaut in guter Ruh'
Von seinem Schlosse dem Unheil zu,
Wo sich alle Mächte der Zwietracht entketten.

Wollt' ich die feine Liste vermehren,
Braucht' ich noch lange nicht aufzuhören;
Doch gibt es gewisse Gegenstände,
Wo man etwas zurückhält am Ende;
Zudem ist das ein schlechter Skribent,
Der den Zeitpunkt zum Aufhören nicht erkennt.
Inzwischen legt uns dies alles ja
Eine Fülle von ernsten Betrachtungen nah!

Seht diese Sterblichen, klein und gemein —
Das sollen die Herren der Welt nun sein!
Wer wird bei ihrem Tun und Treiben
Mit seiner Betrachtung stehen bleiben?
Ein Schritt ist's von ihnen in all ihrer Blöße
Zur Verachtung aller gekrönten Größe:
Das will die Richter der Menschheit darstellen,
Unsre Halbgötter auf Erden,
Diese Taugenichtse, wertlosen Gesellen
<227>Mit des Donnerers Herrschergebärden!
Ruft so einer, ist alles zur Hand,
Die letzte Unze ihres Blutes
Schütten die Ihren freudigen Mutes
Für sie in den Sand!
Ihr ganzer Staat dient nur einem Zwecke:
Wie er mit Ehre und Ruhm sie bedecke —
Ruhm? — Und wie lange steht's wohl an,
Ist ihr Andenken abgetan!
Wie wird in solchen Händen, 0 Gott,
Doch dein Geschenk der Macht zum Spott.

All ihre Pracht und Herrlichkeit
Ist ein geliehenes Würdekleid,
Das seine Träger engt und quält,
Den Schwächling darunter nur schlecht verhehlt;
Die Rolle mit Ehren durchzuhalten,
Bedarf es stärkerer Spieler fürwahr!
Daher das Getriebe der Untergewalten,
Daher der Minister, der Ratgeber Schar,
Ihr Ränkespiel, ihr Gedräng und Gerauf,
Jeder Redlichkeit, jeder Würde bar:
Wär' doch ein jeder gern obenauf!
Oft lenkt das Ganze von seinem Platz
Ein Königlein dritten und vierten Ranges.
Muß oft das Ganze selbständig leiten,
Mit seiner Arbeit die Kosten bestreiten
Des Allerhöchsten Müßigganges.
Und bei der Unklarheit da oben,
Dem leidigen Wirrwarr der Widersprüche,
Wird der ganze Staat verrenkt und verschoben,
Geht alle Ordnung bald in die Brüche.
So macht sich die bare Lächerlichkeit
In unsern Tagen erschrecklich breit.
Sprecht, wer regiert zuletzt die Welt?
Gekrönte Herren? Weit gefehlt!
Oder meint ihr, der Ministerrat,
Wo das große Wort der Unverstand hat,
Wo jeder Schritt ein Fehltritt pflegt zu sein,
Wo alles nur lebt in den Tag hinein?
<228>Was ihr Hochmut nicht sündigt und die steche
Selbstüberschätzung, das sündigt die Schwäche.
Wie? Diese Stümper, die keinen Dunst
Auffingen von der Herrscherkunft,
Die dummen Kerle, die jedes Denken,
Kombinieren, Erwägen sich schenken,
Die verlangen noch keck, vernünftigen Leuten
Was Ehrfurchtgebietendes zu bedeuten?
Doppelt gebt ihnen Nieswurz ein,
Fegt den verseuchten Hirnkasten rein!
Was haben die tollen Träumer vollbracht?
Sie haben nur Lärm und Geschrei gemacht,
Sie haben das Vaterland
Geführt an des Verderbens Rand,
Zwischen den Herrschern Zwietracht gesät
Und sich selber die Freude beschert,
Die nur den Toren begehrenswert,
Daß ihr Name oft in den Zeitungen sieht.

Doch das Schicksal, das über den Menschen schaltet,
Das über allem Geschehen waltet
Und aus geheimen Ursachen es gestaltet,
Das Schicksal, es lacht
Zu dem, was ihr Wahn sich zurechtgedacht!
Es liebt, dem Stolz einen Tritt zu versetzen,
Die Herren da oben grob zu verletzen
Und darzutun, wie ihr ritterlich Roß
Doch ach! eine elende Schindmähre bloß.
Was am Pont Neuf228-1 man singt und spricht,
Sie hören's nicht.
In schönster Selbstzufriedenheit
Zieht jeder, wirklich ein echter Sproß
Des Königs Midas aus alter Zeit,
Einher seines Weges, sicher und stolz!

Doch wie im Dickicht, im wilden Holz
Sich unversehens ein Eichbaum erhebt,
Dem Saft und Kraft im Laubwerk lebt,
<229>So mag auch unter Gekrönten einmal
Ein Geist sich erheben,
Der nicht so wie die andern all
Törichtem Unfug ist ergeben:
Dann aber muß duftiger Weihrauchschwall
Gleich himmelan schweben!
Dann gerät die Welt außer Rand und Band:
Ein Fürst mit gesundem Menschenverstand!
Und ganz Europa erhebt ein Geschrei:
Wer glaubt's wohl, daß sowas möglich sei?
Doch Neid und Mißgunst sind auch nicht faul,
Die Dummen, Beschränkten, Mann für Mann,
Hängen ihm schleunigst etwas an.
Schleunigst reißen sie auf das Maul:
Ein Störenfried ist's, den der Ehrgeiz reitet,
Ein Auftuhrgeist, der gern hadert und streitet;
In den ewigen Flammen soll er schmoren!
Andre, die raunen sich in die Ohren:
Wahr ist's, er leistet, er regelt alles!
Doch wartet das Ende ab, ob er nicht purzelt,
Wir werden noch Zeugen seines Falles! —
So tief sitzt das Vorurteil eingewurzelt,
Daß bei der richtigen Majestät
Sich der Einfaltspinsel von selbst versteht!
Demnach müßten so vieler Nationen
Rater und Führer im Tollhause wohnen!

Doch nein, der Gedanke liegt mir fern,
Ihr Fürsien, euch borten einzusperrn:
Nein, nein, ich ehre die Meinung der Welt,
Die große Stücke auf euch hält,
Und weiß, was ich euch schuldig bin!
Ja einst, da durfte ein Aretin
Es wagen, euch durch die Zähne zu ziehn.
Die schönen Zeiten sind längst vergangen,
Man schont euch heute, ihr dürft es verlangen;
Heut kennt ihr nur die Ergebenheit
Des Hofes, der euch seinen Götzendienst weiht,
Und es gefällt euch über die Maßen,
Euch von der Welt bewundern zu lassen —
<230>Ha, wer da sich erdreistete,
Ein loses Maul noch sich leistete,
Den würde von euren Göttersitzen
Sofort ein Wetterstrahl niederblitzen!
Ja, wem ein dickes Fell beschert,
Der bleibt vom Tadel unversehrt.

So mögen's die Könige in der Welt
Nur weitertreiben, wie's ihnen gefällt;
Der Dummkopf mag weiter den Vortritt haben
Vor allen Leuten von Geist und Gaben.
Mag einer, bei dem's nicht richtig ist,
Ein Amt versehen, das wichtig ist,
Ein hoffnungslos Blöder mag Steuermann sein
Steur' er nur blindlings ins Blaue hinein,
Daß das Fahrzeug zerschelle, die Masten brechen!
Kein Sterbenswörtlein will ich mehr sprechen
Zur Narrheit auf Erden! O nein!
Denn der hat Worte und Mühe verloren,
Der da predigt für taube Ohren.
Del Bene hat alles schon richtig gestellt;
Es stimmt: Sie regiert sich selber, die Welt.


222-1 Anmerkung des Königs: „Minister der Medizäer in Florenz, Großprior von Pisa.“

222-2 Gemeint sind die „Cäsaren“ von Julian Apostata, ein in lucianischer Art abgefaßtes satirisches Tischgespräch über die Kaiser von Augustus bis Diokletian.

223-1 Aristarchos von Samothrale (im 2. Jahrh. v. Chr.) das Muster eines unerbittlichen Kritikers.

223-2 Vgl. S. 185.

223-3 Ludwig XV. von Frankreich.

224-1 Vgl. Bd. II, S. 134; VII, S. 153.

224-2 Bruder Tölpel, d. h. der Beichtvater. Der Name ist aus Voltaires „La Pucelle“ entlehnt.

224-3 Herzog Ferdinand von Parma (geb. 1751).

224-4 Karl III. von Spanien (1734-1759 König von Neapel).

224-5 Vgl. Bd. II, S.42.

224-6 Sein Sohn Ferdinand IV., der ihm in Neapel folgte.

225-1 Karl Emanuel III. von Sardinien.

225-2 Der Abbe St. Pierre war Verfasser der Schrift „Projet de la paix perpétuelle“ (vgl.Bd.VIII, S.38).

225-3 Christian VII. von Dänemark (vgl.S. 218).

225-4 Adolf Friedrich von Schweden.

225-5 Gemeint ist König Friedrich selbst.

226-1 Stanislaus II. August König von Polen.

226-2 Vgl. Bd. V, S. 8 f.

226-3 Im Verlaufe des russisch, türkischen Krieges (vgl. S. 219).

228-1 Der Pont Neuf in Paris bildete den Hauptmarttplatz für den Absah von Spottliedern und Pam, phleten.