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42. Ode an meinen Bruder Heinrich
(6. Oktober 1757)

Wie zu kühnem Wolkenfiuge
Jovis Adler sich erhebt,
Bis in immer höherm Zuge
Schwingenbreitend er entschwebt,
Sich zu ringen, sich zu schwingen
In des Raums Unendlichkeiten,
Die sich bis zur Sonne weiten,
Bis zu Götternäh zu dringen;

Oder wie durchs nächt'ge Dunkel
Ein Komet herniedergleißt,
Der des Himmels Sterngefunkel
Jählings rings erblinden heißt;
Loht der Horizont in Feuer?
Durch des Äthers Finsternis
Klafft ein schräger Flammenriß
Hinterm Sturze ungeheuer —

Also, ganz des Gottes voll,
Der mich sturmeswild begeistert,
Schwing' ich auf mich, selig-toll;
Nichts Gemeines mehr mich meistert!
Bleib da unten, Staub der Erde!
Aufwärts zu der Götter Sitzen,
Die die Wetter niederblitzen
Auf die bange Menschenherde!

Kein unheilig Menschenlallen
Ist heut meines Mundes Laut:
<134>Phöbus' Geist hat mich befallen,
Mir sein Seherwort vertraut;
Ewiges Geheimnis — heute
Will er's gnädig mir enthüllen,
Daß ich der Geschicke Willen,
Ihr Gesetz Euch künd' und deute.

Meine Preußen, seht, ihr seid es,
Die des Gottes Kunde meint,
Die ihr jedes Völkerleides
Grausam überbürdet scheint!
Schwergeprüfte, laßt euch sagen:
Ohne blutige Schicksalsstöße
Reifte noch kein Staat zur Größe!
Stolz empor denn ohne Zagen!

Rom stand oft an Abgrunds Rande,
Und kein Gott erbarmt' sich sein,
Schirmte es vor Weh und Schande;
Und in düstren Trauerreihn
Weinten schon die Senatoren
Ob des Staates Untergang;
Hannibal stand vor den Toren,
Der den Varro niederzwang!

Doch sie standen, Romas Mauern!
Kraft erwuchs in Not und Macht,
Kraft, zu hoffen, auszudauern;
Die gilt mehr denn Heeresmacht.
Da, so hohen Mut zu lohnen,
Weckte Mars gar bald hernach
Einen Rächer aller Schmach,
Ihn, den Ältren der Scipionen.

Vom verheerten Tiberstrande
Hub der Mordgeist da die Schwingen,
Zu dem schuldbefleckten Lande
All den Kriegsgreul heimzubringen;
Bis zur Wüste flohn sie hin!
So hat Scipio Rom gerettet,
<135>Lag Karthago zwanggekettet
Unterm Fuß der Siegerin.

Aus zwei Urnen streut gelassen
Mit der gleichen Geberhand
Gutes, Schlimmes gleichermaßen
Über alles Menschenland
Er, der Walter der Geschicke,
Und sein Werde ruft hervor
Stolze Zedern, rauschend Rohr,
Mildes Heilkraut, Schierlingstücke.

Dieses Wechselspiel, das bange,
Schwankend zwischen Ruhm und Not,
Lehrt uns aus der Zeiten Gange
Hundertfachen Sturz und Tod;
Menschenwünschen bleibt versagt
Glanzbeständig Glücksgedeihn,
Den Unsterblichen allein
Ewiggleiche Helle tagt.

Wohl, in diesen Iammertagen
Bebt in Kriegsnot unsre Erde,
Unsern Staat erfaßt Verzagen,
Daß er bald zerschmettert werde;
Ganz Europa sieht zusammen
In wutlechzender Verschwörung,
Ringsum Mordgraus und Zerstörung,
Haus und Scheunen stehn in Flammen.

Wohl, noch schnellt uns jene Hyder
Ihrer Flammenhäupter Graus
Neu entgegen immer wieder,
Legionen speit sie aus.
Immer trächtig, Heere heckt sie,
Will den fürchterlichen Streichen
Eures Siegerarms nicht weichen,
Immer neue Häupter reckt sie.

Wie nach unserm Fall sie dürsten!
Gras müßt' über unsern Mauern
<136>Wachsen, ging's nach jenen Fürsten,
Und wir selbst in Trübsal kauern.
Nieder, meine edlen Kämpfer,
Mit den frechen Siegstrophän,
Und zermalmt der Nattern Blähn!
Ihrer Hoffart einen Dämpfer!

Hohe Seelen, sie entfalten
Erst im Drange der Gefahr
Ihrer Mannheit Trutzgewalten,
Geisteswehrkraft wunderbar;
Dann erst wird ihr Mut geboren!
Wer von Todesnot umwittert,
Im Geheul des Sturmes zittert,
Nur der Feigling ist verloren!

Starrem Trotze gibt die Welt
Endlich doch die Wege frei!
Ist's verzweifelt denn bestellt —
So verzweifle, aber sei
Wie ein Held! 's muß alles enden,
Äußerstes lebt niemals lang;
Oft dem Leidensborn entsprang
Schon ersehntestes Vollenden!

Hört den Sturm! Mit zorn'gem Brausen
Wühlt er in der Rüster Zweigen;
Ächzend müssen seinem Zausen
Stamm und Äste da sich neigen.
Sei's darum: aus weichem Sand,
Aus Gebüsch und Unterholz,
Steigt ihr Wipfel frei und stolz,
Hält wohl auch dem Sturm noch stand!

Seht, allabendlich geschieht es:
Helios' Leuchte muß erblassen
In den Armen Amphitrites,
Und den nächt'gen Schatten lassen
Muß er seinen Weltenthron;
Doch sein Licht kehrt siegend wieder,
<137>Alle Sterne sinken nieder,
Und das Dunkel flieht davon.

So von tiefer Nacht umfangen
Seh' ich dich, mein Vaterland,
Deine Tränenblicke hangen
Schwer an deinem Leidgewand;
Starr vom eignen Wehgeschicke,
Auf die Lorbeerzier von einst
Sinkst du nieder, ach, und weinst
Und verfluchst des Zufalls Tücke.

Wohl mit dir bewein' ich innig
All das unerhörte Weh,
Wohl mit dir erschüttert bin ich,
Wie ich dich erliegen seh'
Unter grimm'gem Wetterschlage,
Doch wie Frühlichtlächeln sacht
Keimt mir's durch die Schreckensnacht,
Ahnung deiner schönren Tage!

Längst vorbei sind ja die Zeiten,
Da die Götter Wunder taten;
Doch der Mensch, von allen Seiten
In der Welt bedroht, verraten,
Hat dafür zu Lehn erhalten
Geist und Mut, gar tücht'ge Waffen,
Wunderwerk damit zu schaffen,
Selbst sein Schicksal zu gestalten.

Unser Tod — er ist ans Leben
Nur ein Zoll; wir schulden ihn!
Nur ein redlich Wiedergeben
Eines Pfundes, uns verliehn,
Unsrer Blütezeit zu dienen;
Mävius137-1 zahlt ihn wie Vergil,
Paris just so wie Achill,
Keinem blieb's geschenkt von ihnen.
<138>Dieser Tod, der Weltenschrecker,
Kann Unsterblichkeit vergeben:
Wollt ihr, Preußen, als Vollstrecker
Edler Rache euch erheben?
Eure Herdstatt schreit nach Rache!
Der Geringste der Quiriten
Hat sich Halbgottglanz erstritten
In der Treu zur heil'gen Sache!

Wie, und wär' die Welt von heute
Ohne Adel, ohne Größe?
Morsch und siech, des Alters Beute,
Stund' sie da in Bettlerblöße?
Tugendbar? — Ei sagt doch, ruht
Gebemüde die Natur?
Netzt kein Tau heut mehr die Flur,
Schläft das Meer ohn' Ebb' und Flut?

Nein! Sie schwand nicht aus der Welt,
Roms erhabne Kriegerehre:
Fragt nur, wie's bei uns bestellt,
Fragt nur nach im Preußenheere!
Preußens Siege leuchten alle,
Schwer errungen all durch hundert
Heldentaten weltbewundert,
In der Menschheit Ehrenhalle.

Bruder, hör': Der Blick der Jugend
Hängt an Deiner Hochgestalt.
Künftig tät'ger Mannestugend
Hehres Vorbild, Zier und Halt;
Hilf dem Staat in unsrem Streite,
Eh' sein Ruhmesglanz erblindet,
Eh' er ganz in Nacht verschwindet,
Bruder, siehe uns zur Seite!

Preußenvolt! So reift der Zeiten
Nie erschöpfte Segenstraft
Dir zu deinem Aufwärtsschreiten
Alles, was nur Größe schafft,
<139>Bis zum letzten Sternenblick!
Und so weissagt froh mein Sang
Deinem Staate weltenlang
Strahlenhelles Dauerglück.

Laß Verleumdung fluchen, kreischen,
Der des Neides gift'ge Schlangen
Die erboste Brust zerfleischen,
Fluchen unserm Lorbeerprangen!
Mag sie, unsre Ehr' zu schänden,
Ihre Pfeile, giftgeätzt,
In dem Höllenstrom genetzt,
Ungezählt auf uns versenden!

Trotz euch, haßerfüllte Schächer!
Meinem Werte nehmt ihr nichts:
Denn die Nachwelt wird mein Rächer,
Ruhig harr' ich des Gerichts.
Was der kleine Neid auch schmäle,
Aufwärts zur Unsterblichkeit
Findet eine große Seele,
Die sich ew'gem Ruhm geweiht.

Mir zu Häupten sah ich ragen
Eine alte Siegstrophäe,
Orpheus' Leier mußt' ich schlagen,
Daß ihr Ruf zu euch geschähe;
Meiner Kriegstrompete Klingen,
Weck' die Herzen meiner Preußen,
Kühnlich sie emporzureißen
Zu gewaltigem Vollbringen!

In des Lagers Lärmgewühle,
Drunten an der Saale Strand,139-1
Da in Haß- und Rachgefühle
Zwietracht hielt die Welt gebannt,
Da die Erde überall
Friedestiller Flockenfall,
<140>Aus dem Norden hergelrieben,
Samt den kriegerischen Schrecken
Wollt' verschleiern und verdecken -
Da geschah's, daß ich geschrieben
Was mir Phöbus anbefahl.


137-1 Vgl. Bd. IX, S. 26.

139-1 König Friedrich stand damals in der Gegend von Merseburg.