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Joachim II.
(1535 — 1571)

Wie es scheint, kam man zur Zeit Joachims II. von dem Mißbrauch ab, den Fürsten Beinamen zu geben. Der seines Vaters war ja auch so verkehrt, daß er eher zum Spitznamen als zur Kennzeichnung geworden war. Die Schmeichelei der Höflinge hatte die Vergleiche aus dem Altertum aufgebraucht. Aber sie fand sich ohne Zweifel von einer andren Seite her wieder ein. Und man darf getrost glauben, daß die Eigenliebe der Fürsten dabei nicht zu kurz kam.

Joachim II. erbte, wie gesagt, die Kurmark von seinem Vater. Im Jahre 1539 schloß er sich der Lehre Luthers an. Die Umstände, die den Anstoß zu diesem Übertritt gaben, sind unbekannt. So viel aber sieht fest: seine Höflinge und der Bischof von Brandenburg folgten seinem Beispiel.

Eine neue Religion, die plötzlich in der Welt erscheint, ganz Europa in zwei Lager spaltet, die Verteilung des Länderbesitzes ändert und neuen politischen Kombinationen Raum gibt, verdient, daß wir ihrem Wachstum einige Aufmerksamkeit widmen und vor allem untersuchen, wodurch sie die plötzliche Bekehrung der größten Staaten zuwege brachte.

Seit 1400 hatte Johann Huß seine neue Lehre in Böhmen gepredigt. Die von ihm verkündeten Glaubenssätze waren eigentlich die der Waldenser und Wycliffes. Huß wurde auf dem Konzil zu Konstanz verbrannt (1415). Sein sogenanntes Martyrium vermehrte den Eifer seiner Jünger. Die Böhmen waren zu ungebildet, um sich auf die sophistischen Erörterungen der Theologen einzulassen. Sie schlossen sich der neuen Sekte nur aus einem Drang zu Unabhängigkeit und Aufruhr an, der den Hauptzug ihres Charakters bildet. Die Neubekehrten schüttelten das Joch des Papstes ab und benutzten die Gewissensfreiheit, um den Frevel ihres Empörertums zu verdecken. Solange ein gewisser Ziska ihr Führer war, vermochte die Partei Furcht zu erwecken. Ziska trug mehrere Siege über die Heere der böhmischen Könige Wenzel und Sigismund davon. Nach seinem Tod aber wurden die Hussiten teilweise aus Böhmen verjagt, und es ist nirgends zu sehen, daß die Lehre des Johann Huß sich außer Landes verbreitet hätte.

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Im 14. und 15. Jahrhundert hatte die Unwissenheit ihren Gipfel erreicht. Die Geistlichen besaßen nicht einmal so viel Bildung, um Schulmeister zu sein. Die Sittenverderbnis und das liederliche Leben der Mönche ging so weit, daß in ganz Europa der Ruf nach Abstellung so vieler Mißbräuche erscholl. Die Päpste mißbrauchten ihre Macht sogar bis zu einem nicht mehr erträglichen Grade. Leo X. betrieb in der Christenheit einen Schacher mit Ablässen, um die Summen zusammenzubringen, deren er für den Bau der Peterskirche in Rom bedurfte. Man behauptet, der Papst habe seiner Schwester Eibo das Erträgnis der Ablässe, die in Sachsen verkauft wurden, geschenkt. Diese Nebeneinkünfte wurden verpachtet. Um sich zu bereichern, suchten die sonderbaren Pächter Mönche und Almosensammler aus, die sich auf das Einheimsen großer Summen verstanden, und die angestellten Ablaßhändler verschleuderten einen Teil der Einnahmen in Ärgernis erregenden Ausschweifungen. Ein Mönch mit Namen Tetzel und eine Anzahl Dominikaner entledigten sich ihres Auftrags so schlecht, daß sie den Anstoß zur Reformation gaben.

Der Generalvikar der Augustiner, Staupitz, dessen Orden im Besitz dieses Handels gewesen war, befahl einem seiner Mönche, namens Luther, gegen die Ablässe zu predigen. Luther hatte schon seit dem Jahre 1516 die Scholastiker bekämpft; nun stand er um so kraftvoller wider diese Mißbräuche auf. Er brachte neue verdächtige Sätze vor, hielt sie aufrecht und stützte sie mit neuen Beweisen. Schließlich wurde er 1520 vom Papst in den Bann getan. Er hatte nun die Freude gekostet, seine Meinungen zwanglos auszusprechen; seitdem gab er sich ihr rückhaltlos hin. Er legte die Kutte ab und heiratete im Jahre 1525 Katharina von Bora. Durch sein Beispiel ermutigte er Priester und Mönche, zu den Rechten der Natur und der Vernunft zurückzukehren.

So gab er dem Vaterland Bürger zurück, erstattete ihm aber auch sein Eigentum wieder, indem er viele Fürsten auf seine Seite brachte, denen die Einziehung der Kirchengüter eine süße Lockung war. Der Kurfürst von Sachsen26-1 war der erste, der sich der neuen Sekte anschloß. Die Pfalz, Hessen, Hannover, Brandenburg, Schwaben, ein Teil von Österreich, Böhmen und Ungarn, ganz Schlesien und der Norden nahmen die neue Religion an. Ihre Lehren sind so bekannt, daß ich wohl davon absehen darf, sie hier vorzutragen.

Kurz danach, im Jahre 1533, trat Calvin in Frankreich auf. Ein deutscher Lutheraner namens Wolmar war in Bourges mit Calvin bekannt geworden und hatte ihm seine Anschauungen eingeflößt. Trotz dem Schutz, den Margarete von Navarra der neuen Lehre angedeihen ließ, wurde Calvin zu wiederholten Malen genötigt, Frankreich zu verlassen. Poltiers war der Ort, wo er die meisten Anhänger gewann. Dieser Bekehrer glaubte den Geist seiner Nation zu kennen. Er dachte sich, sie werde eher durch Lieder als durch Argumente zu überzeugen sein. Er verfaßte, so erzählt<27> man, einen Gassenhauer, dessen Kehrreim lautete: „O Mönche! O Mönche! Ihr müßt heiraten27-1!“ Der Erfolg war erstaunlich.

Calvin zog sich nach Basel zurück, wo er seine Institutio27-2 drucken ließ. Dann bekehrte er die Herzogin von Ferrara, eine Tochter Ludwigs XII. Im Jahre 1536 bewirkte er den Übertritt der Stadt Genf zu seinen Lehren. Er ließ dort Michael Servet, der sein Feind war, verbrennen: aus einem Verfolgten ward er ein Verfolger. Die reformierte Religion wurde in Frankreich bald verfolgt, bald geduldet und mußte oft den Vorwand zu blutigen Kriegen bieten, die mehr als einmal das Reich umzustürzen drohten.

Heinrich VIII., König von England, hatte vom Papst Leo X. den Titel Verteidiger des Glaubens erhalten, weil er gegen Luther geschrieben hatte. Derselbe Heinrich VII!., der sich mittlerweile in Anna Boleyn verliebt hatte, schied aus eigener Machtvollkommenheit seine Ehe mit Katharina von Aragon, da er den Papst nicht überreden konnte, die Scheidung auszusprechen. Klemens VII., ein Nachfolger Leos X., war so unvorsichtig, den König zu exkommunizieren. Danach warf Heinrich schon im Jahre 1533 das Joch des Papstes ab. Er ernannte sich selbst in London zum Papst und bahnte der neuen Religion, die nach ihm in England eingeführt wurde, den Weg.

Will man also die Ursachen für die Fortschritte der Reformation auf einfache Grundlagen zurückführen, so sieht man, daß sie in Deutschland auf dem Eigennutz beruhte, in England auf der Liebe und in Frankreich auf dem Reiz der Neuheit oder vielleicht gar auf einem Lied. Man braucht nicht zu glauben, Johann Huß, Luther oder Calvin seien überlegene Genies gewesen. Mit den Häuptern von Sekten geht es wie mit den Botschaftern: oft haben dabei die mittelmäßigen Geister den größten Erfolg, vorausgesetzt, daß sie vorteilhafte Bedingungen zu bieten haben. Die Jahrhunderte der Unwissenheit zeitigten Fanatiker und Reformatoren. Jetzt scheint der menschliche Geist endlich der Dispute und Kontroversen satt zu sein: man überläßt es Theologen und Metaphystkern, auf den Schulbänken miteinander zu hadern. Und seit in den protestantischen Ländern die Geistlichen nichts mehr zu verlieren haben, seitdem haben die Häupter neuer Sekten nichts mehr zu gewinnen.

Kurfürst Joachim II. erwarb durch das Abendmahl unter beiderlei Gestalt die Bistümer Brandenburg, Havelberg und Lebus, die er der Mark einverleibte.

Dem Bund, den die protestantischen Fürsten 1531 in Schmalkälden schlossen, trat er nicht bei. Er erhielt der Kurmark die Ruhe, während der Krieg Sachsen und die Nachbarländer verwüstete. Der Religionskrieg begann 1546 und wurde durch den Frieden von Passau und Augsburg beendet27-3.

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Kaiser Karl V. hatte sich an die Spitze der Katholiken gestellt. Der berühmte unglückliche Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Philipp der Großmütige, Landgraf von Hessen, waren die Führer der Protestanten. Der Kaiser schlug sie bei Mühlberg in Sachsen (1547). Er und Kardinal Granvella bedienten sich einer unwürdigen List, um den Landgrafen von Hessen zu täuschen. Karl V. glaubte sich berechtigt, durch eine zweideutige Zusage freien Geleits den Landgrafen in die Gefangenschaft zu locken, worin er dann einen großen Teil seines Lebens verbrachte. Kurfürst Joachim, der das freie Geleit verbürgt hatte, war durch diese Treulosigkeit schwer gekränkt. In seinem Zorn zog er den Degen gegen Herzog Alba28-1, aber man trennte sie. Johann Friedrich von Sachsen wurde abgesetzt. Der Kaiser gab sein Kurfürstentum dem Herzog Moritz von der albertinischen Linie. Joachim erkannte indessen das vom Kaiser erlassene Interim28-2 nicht an.

Die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg wurden vom Kaiser beauftragt, Magdeburg zu belagern28-3; die Stadt ergab sich, nachdem sie sich vierzehn Monate lang verteidigt hatte. Die Kapitulation erfolgte unter so milden Bedingungen, daß der Kaiser sich nur schwer zur Bestätigung entschloß. Da der Erzbischof von Magdeburg gestorben war, wählten die Domherren an seiner Statt Bischof Friedrich von Havelberg, den zweiten Sohn des brandenburgischen Kurfürsten. Und Joachim genoß solches Ansehen, daß er nach Friedrichs Tode seinem dritten Sohn, dem Protestanten Sigismund, zur Nachfolge auf dem Magdeburger Erzbischofssitz verhalf.

Kurfürst Joachim ließ im Jahre 1555 auch die Festung Spandau erbauen. Der Ingenieur, der den Bau angelegt hat, hieß Chiaramela. Zu jener Zeit muß man wohl in keiner Art von Künsten auch nur das geringste verstanden haben; sonst hätte man nicht bei jeder Kleinigkeit seine Zuflucht zu Ausländern genommen. Aber wie konnte man Plätze verteidigen, wenn man sie nicht zu befestigen wußte? Markgraf Johann, des Kurfürsten Bruder, ließ zur selben Zeit an den Werken von Küstrin arbeiten. Es war damals vermutlich Mode, Festungen anzulegen. Karl V. gab in Gent, Antwerpen und Mailand das Beispiel dazu. Hätte man aber eine genauere Vorstellung davon besessen, wie eine Festung zu benutzen ist, so hätte man auch Ingenieure für den Bau gehabt.

Von seinem Schwager, König Sigismund II. August von Polen, erhielt Joachim II. im Jahre 1569 das Recht, die Erbfolge des Herzogs von Preußen, Albrecht Friedrich von Brandenburg28-4, anzutreten, falls dieser ohne Leibeserben stürbe. Dafür ver<29>pflichtete er sich, Polen mit einer bestimmten Truppenzahl zu unterstützen, sobald es angegriffen würde.

Joachims Regierung war milde und friedlich. Man beschuldigte ihn, die Freigebigkeit bis zur Verschwendung zu treiben. Er starb im Jahre 1571.


26-1 Friedrich III. der Weise (1486—1525).

27-1 Anmerkung des Königs: „Vgl. den dictionnaire von Moréri unter Calvin.“

27-2 Instituto christianae religionis (1536).

27-3 Der Passauer Vertrag, der den Anhängern der augsburgischen Konfession freie Religionsübung bis zum nächsten Reichstag zugestand, wurde 1552, der Augsburger Religionsfriede, der die protestantischen Reichstände den katholischen rechtlich gleichstellte, wurde 1555 geschlossen.

28-1 Vielmehr gegen Granvella.

28-2 Das Augsburger Interim von 1548, das die Stellung beider Bekenntnisse zueinander regeln sollte. Während Joachim II. es anerkannte, verwarf sein Bruder, Johann von Küstrin, das Interim.

28-3 Wegen ihres heftigen Widerstandes gegen das Augsburger Interim war über die Stadt Magbeburg die Reichsacht verhängt, mit deren Vollstreckung Kurfürst Moritz betraut wurde (1550).

28-4 Sohn Herzog Albrechts (vgl. S. 22).