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Mit Karl XII. kamen auch seine Rachepläne zur Ruhe. Er hatte sich noch mit den weitreichendsten Entwürfen getragen. In seiner Erbitterung gegen König Georg von England, der ihm die Herzogtümer Bremen und Verden entrissen hatte, war er im Begriff, ein Bündnis mit dem Zaren zu schließen, um das Haus Hannover aus England zu vertreiben und den Prätendenten1 dort einzusetzen. Görtz, der Nachfolger des Grafen Piper im schwedischen Ministerium, war für den Norden dasselbe, was Alberoni für den Süden war: seine Intrigen hielten alle europäischen Kabinette in Bewegung. Seine Pläne beschränkten sich nicht auf Europa. Er war geschaffen, der Minister Alexanders oder Karls XII. zu werden; um aber seine großartigen Pläne ausführen zu können, überbürdete er Schweden mit Steuern. Das Elend des Volkes und die Königsgunst, deren er sich erfreute, zogen ihm den Haß der Menge zu. Sobald sich die Nachricht vom Tod des Königs verbreitete, machte die Nation seinem Minister den Prozeß. Die Mißgunst erfand ein neues Verbrechen, um ihn zu belasten: er wurde angeklagt, die Nation beim König verleumdet zu haben, und hingerichtet (1719). Durch solche Bestrafung von Görtz schändeten die Schweden mittelbar den Ruhm eines Helden, dessen Andenken sie noch jetzt verehren. Aber das Volk ist ein Ungeheuer, das sich aus Widersprüchen zusammensetzt. Ungestüm springt es von einem Extrem zum anderen übet und achtet in seinen Launen nicht darauf, ob es Laster und Tugend beschützt oder in den Staub zieht. Den frei gewordenen Thron Schwedens bestieg Ulrike Eleonore, die Schwester Karls XII. und Gemahlin des Erbprinzen von Hessen-Kassel.

Friedrich Wilhelm konnte die Tränen nicht zurückhalten, als er den vorzeitigen Tod Karls XII. erfuhr. Er hegte Achtung vor den hohen Fähigkeiten des Königs, und nur mit Bedauern, unter einer Art Zwang war er sein Feind geworden.

Das Beispiel Karls XII. hatte vielen kleinen Fürsten Deutschlands den Kopf verdreht, wiewohl sie zu schwach waren, sein Vorbild nachzuahmen. Herzog Karl Leopold von Mecklenburg verfolgte den ehrgeizigen Plan, ein Heer aufzustellen. Um die Kosten dafür aufzubringen, bedrückte er seine Untertanen maßlos. Die Steuerlast ward so schwer, daß der Adel außer sich geriet und in Wien Klage erhob. Der dortige hannoversche Gesandte, Graf Bernstorff2, ein geborener Mecklenburger, verlieh ihnen Nachdruck und setzte beim Kaiser einen fulminanten Erlaß gegen den Herzog durch. Der hatte zwar eine Nichte des Zaren3 geheiratet, um sich eines mächtigen Schutzes zu versichern, aber das hielt den Kaiser nicht ab, auf Bernstorffs Betreiben den Kurfürsten von Hannover und den Herzog von Braunschweig zu beauftragen, Mecklenburg in Sequester zu nehmen.

Der König von Preußen beschwerte sich in Wien, daß dieser Auftrag nicht an ihn als Direktor des niedersächsischen Kreises ergangen sei. Der Kaiser antwortete: die


1 Vgl. S. 125.

2 Freiherr Andreas Göttlich von Bernstorff war hannoverscher Minister ln London; er wurde bereits 1717 gestürzt.

3 Katharina Iwanowna.