Oktober.

A.

Oktober 1770

Der König in Potsdam (Sanssouci).

15. Oktober 1770

Der Prinz Karl von Schweden 25-++ kommt zum König nach<26> Potsdam. Während seines Aufenthalts in Potsdam fanden verschiedene Festlichkeiten Statt, den 17ten ward das Intermezzo La Serra scaltra auf dem Schloßtheater aufgeführt, den 18ten war Concert beim König, nach dessen Beendigung er dem Prinzen den Schwarzen Adlerorden selbst umhing. Den 19ten reiste der Prinz nach Schönhausen und Berlin, wo er der Königin und den Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hauses Besuche ablegte, die Sehenswürdigkeiten der Stadt in Augenschein nahm, auch Charlottenburg besuchte.

?? Oktober 1770

Der Minister von der Hagen beim König in Potsdam, bis den 10ten.

18. Oktober 1770

Der König an d'Alembert :

"Meine Reise nach Mähren, und der Besuch der Kurfürstin von Sachsen bei mir, sind gültige Entschuldigungen, daß ich Ihnen bis jetzt das unbeantwortet gelassen habe, was weder Sie, noch ich, jemals recht verstehen werden. Seitdem habe ich meinem Geiste einige Ruhe verstattet, um ihn von der Zerstreuung der großen Welt zu sammeln, und ihm seine philosophische Stimmung wieder zu geben. Sie zwingen mich, gegen Sie im Dunkeln zu fechten; und ich werde mit Ihnen ausrufen :

Laß uns das Tageslicht wieder, o Jupiter, leuchten,
dann magst Du
Kämpfend wider uns stehn! *)

Aber da ich nun doch dieses Labyrinth betreten muß, so kann nur der Faden der Vernunft zur Leitung darin dienen. Diese Vernunft zeigt mir so erstaunenswürdige Verbindungen in der Natur, und legt mir so auffallende, so einleuchtende Endursachen vor, daß ich gezwungen bin, zuzugeben : ein denkendes Wesen walte über dieses Weltall, um die allgemeine<27> Maschine in Ordnung zu erhalten. Dieses Wesen (Intelligenz) denke ich mir als den ersten Urstoff des Lebens und der Bewegung. Das System einer Entwicklung des Chaos scheint mir ganz unstatthaft; denn es würde noch mehr Geschicklichkeit dazu gehört haben, das Chaos zu bilden und zu erhalten, als die Dinge so zu ordnen, wie sie jetzt sind. Das System einer Schöpfung der Welt aus Nichts ist widersprechend und folglich ungereimt. Es bleibt also nichts übrig, als die Ewigkeit der Welt; eine Idee, die keinen innern, Widerspruch in sich schließt, und die mir die wahrscheinlichste scheint, weil das, was heute ist, auch sehr wohl schon gestern dagewesen sein kann, und so fort. Da nun der Mensch Materie ist, aber doch denkt und sich bewegt; so sehe ich nicht ein, warum nicht ein ähnliches denkendes und handelndes Urwesen mit der allgemeinen Materie sollte vereinigt sein können. Ich nenne es nicht Geist, weil ich keinen Begriff von einem Wesen habe, welches keinen Raum einnimmt, und folglich nirgends existirt. Da aber unser Denken eine Folge der Organisation unsers Körpers ist, warum sollte nicht das unendlich mehr als der Mensch organisirte Weltall eine Denkkraft besitzen, die unendliche Vorzüge vor der Verstandeskraft eines so schwachen Geschöpfes hätte?

Diese mit der Welt gleich ewige Denkkraft kann, nach meinen Begriffen, die Natur der Dinge nicht ändern, und weder das Schwere leicht, noch das Brennende kalt machen. Den ewig unveränderlichen und unerschütterlichen Gesetzen unterworfen, kann sie bloß zusammensetzen, und sich der Dinge nur in so weit bedienen, als deren innere Beschaffenheit es gestattet. Die Elemente z. B. haben feste Regeln des Daseins, und konnten nicht anders sein, als sie sind. Wenn man aber daraus folgern will, daß die Welt nothwendig sei, weil sie ewig ist, und daß daher Alles, was existirt, einem unveränderlichen Verhängniß unterworfen sei, so glaube ich, nicht diesen Satz unterschreiben zu müssen. Mir scheint es, die Na<28>tur schränke sich darauf ein, die Elemente mit ewigen und beständigen Eigenschaften begabt, und die Bewegung unveränderlichen Gesetzen unterworfen zu haben, deren Einfluß auf die Freiheit allerdings sehr beträchtlich ist, ohne doch diese gänzlich aufzuheben. Die Organisation und die Leidenschaften der Menschen haben ihren Grund in den Elementen, aus welchen sie zusammengesetzt sind. Gehorchen sie nun diesen Leidenschaften, so sind sie Sclaven, allein sie sind frei, so oft sie denselben widerstehen. Sie werden mich noch weiter treiben und mir sagen: "Aber sehn Sie denn nicht, daß diese Vernunft, durch welche die Menschen ihren Leidenschaften widerstehen, der Nothwendigkeit unterworfen ist, welche dieser Vernunft die Wirksamkeit auf die Menschen giebt?" Dies kann, genau genommen, wahr sein. Indeß, wer zwischen seiner Vernunft und seinen Leidenschaften wählt, und sich darnach bestimmt; der ist, dünkt mich, frei; oder ich weiß nicht mehr, welchen Begriff man mit dem Worte Freiheit verbindet. Was nothwendig ist, ist unbedingt. Wenn nun der Mensch, nach aller Strenge, dem Verhängniß unterworfen ist, so werden weder Strafen noch Belehrungen diese überwiegende Gewalt erschüttern oder zerstören. Da uns aber die Erfahrung vom Gegentheil überzeugt, so muß man zugeben, daß der Mensch bisweilen der Freiheit genießt, wiewohl dieselbe oft eingeschränkt ist. Allein, mein Lieber, wenn Sie verlangen, daß ich Ihnen umständlicher erklären soll, was diese Denkkraft sei; so muß ich Sie bitten, mich dessen zu überheben. Mich dünkt, ich nehme so etwas von diesem denkenden Wesen wahr, wie man einen Gegenstand undeutlich durch einen Nebel sieht; es ist schon viel, dieses Wesen zu errathen; es zu kennen und zu bestimmen ist dem Menschen nicht vergönnt. etc.

Nach einem so aufrichtigen Geständniß werden Sie nicht sagen, daß Vorurtheile der Kindheit mich bewogen haben, die Vertheidigung der christlichen Religion gegen jenen schwärme<29>rischen Philosophen 29-+ zu übernehmen, der sie mit so vieler Feindseligkeit verunglimpft. Erlauben Sie aber, Ihnen zu sagen, daß unsere jetzige Religionen der Religion Christi so wenig gleichen, wie der Irokeseschen. Jesus lehrte die Duldung, und wir verfolgen; Jesus predigte eine gute Sittenlehre, und wir üben sie nicht aus; Jesus hat keine Lehrsätze festgesetzt, und die Concilien haben reichlich dafür gesorgt. Kurz, ein Christ des dritten Jahrhunderts ist einem Christen des ersten gar nicht mehr ähnlich. Jesus war eigentlich ein Essäer, er nahm die Moral der Essäer an, die wenig von Zeno's Moral verschieden ist. Seine Religion war reiner Deismus; und nun sehn Sie, wie wir sie aufgeputzt haben. Da dem so ist, so vertheidige ich, wenn ich die Sittenlehre Christi vertheidige, eigentlich die Sittenlehre aller Philosophen, aber alle Lehrsätze, die nicht von ihm herrühren, gebe ich Ihnen preis, etc."

23. Oktober 1770

Der König nach Berlin.

24. Oktober 1770

Der König wohnt den Kriegsübungen der Berliner Garnison vor dem Halleschen Thore bei, wo auch der Prinz Karl von Schweden zugegen ist.

25. Oktober 1770

Der König nach Potsdam (Sanssouci).

30. Oktober 1770

Der Konig an Voltaire. Nachdem er über den Tod seines Neffen, des Prinzen von Braunschweig, Wilhelm Adolph (s. oben Seite 22), gesprochen, fährt er fort: "Wenn es möglich wäre, daß nach diesem Leben noch etwas existirte, so wüßte er jetzt gewiß mehr, als wir Alle zusammen; allein höchst wahrscheinlich weiß er ganz und gar nichts. Ein Philosoph unter meiner Bekanntschaft, ein Mann, der fest auf seine Meinungen besteht, bildet sich ein, wir hätten genug Wahrscheinlichkeitsstufen, um zu der Gewißheit zu kommen, daß post mortem nihil est. Er behauptet: der Mensch sei kein<30> doppeltes Wesen, wir wären nur Materie, die von der Bewegung belebt werde, und sobald die abgenutzten Triebfedern ihre Wirkung versagten, zerstörte sich die Maschine, und ihre Theile fielen auseinander. Dieser Philosoph sagt auch : es sei viel schwerer von Gott zu sprechen, als von den Menschen; denn wir kämen auf den Gedanken, daß er existire, nur durch die Vermuthungen, und das am mindesten Alberne, was uns die Vernunft über ihn an die Hand gäbe, bestehe in dem Glauben: er sei das verständige Princip der Bewegung und alles dessen, was die Natur beseelt. Mein Philosoph ist sehr überzeugt: dieses verständige Wesen bekümmere sich um den Allerchristlichsten nicht mehr, als um Mustapha, und das, was den Menschen begegne, beunruhige es eben so wenig, als was einem Ameisenhaufen zustoße, den ein Botenläufer, ohne es zu merken, zertritt. Er sieht das Thiergeschlecht als eine Accidenz der Natur an, wie den Sand, der von den Rädern in Bewegung gesetzt wird, obgleich diese Räder eigentlich nur dazu bestimmt sind, daß sie einen Wagen schnell fortschaffen sollen. Dieser sonderbare Mann behauptet auch: es exristire gar keine Relation zwischen den lebendigen Geschöpfen und dem höchsten verständigen Wesen; denn schwache Creaturen könnten diesem Wesen weder schaden noch Dienste leisten; unsere Laster und unsere Tugenden hätten bloß auf die menschliche Gesellschaft Beziehung, und wir hätten an den Strafen oder Belohnungen, die daraus folgten, schon genug, etc."

B.

12. Oktober 1770

Der Prinz Heinrich, Bruder des Königs, kommt aus Schweden in Petersburg an 30-+.

<31>

26. Oktober 1770

Bekanntmachung der Vegünstigungen etc., welche Fremden, die sich in den Preußischen Landen niederlassen wollen, zugesichert werden.

28. Oktober 1770

Abreise des Prinzen Karl von Schweden aus Berlin nach Stockholm.


25-++ Er hatte den Titel : Herzog von Südermannland, war der zweite Sohn der Schwester des Königs, und starb als König von Schweden (Karl XIII) den 5. Februar 1818.

29-+ Den Verfasser des Systems der Natur.

30-+ Bekanntlich geschah die Reise hauptsächlich in Bezug auf die damaligen Verhältnisse Polens, und war von sehr wichtigen Folgen. (S. H. W. V. 46 etc. Hier ist auch der 9. Dezbr. als Tag der Ankunft des Prinzen in Petersburg angegeben, allein die Berliner Zeitung vom 30. Oktbr. meldet schon die Ankunft unter dem 12. Oktbr.).