<189> Marino? Rom war in seinen Anfängen nicht einmal das, was wir jetzt sind. Wohlleben hat unsere strengen Sitten nicht verderbt; man sieht bei uns altväterische Tugend. Unsere Mäßigkeit und Einigkeit erhalten unseren Staat; wir haben nichts Kostbareres als unsere Freiheit und unseren guten Ruf: weder ein unseliger Zeitungsschreiber noch irgend eine Macht auf der Welt soll uns dies unschätzbare Gut rauben! Wir hoffen, Seine Majestät wird es nicht länger dulden, daß man uns verunglimpft, sondern als König sich der Sache einer souveränen Republik annehmen. Wir schmeicheln uns, Herr Minister, daß Sie durch Ihr großes Ansehen unsere gerechten Vorstellungen unterstützen und meiner Durchlauchtigsten Republik die Genugtuung verschaffen werden, die sie von der Billigkeit Ihres Herrn und Königs erwartet. Ich habe die Ehre zu sein Ihr usw.

Antwort des Barons von Zopenbrug, Staatsministers Seiner Majestät des Königs von Preußen, an den Grafen Rinochetti, ersten Senator der Republik San Marino

Herr Graf! Sofort nach Empfang des Briefes, mit dem Sie mich beehrten, habe ich Seiner Majestät Bericht darüber erstattet. Sie können versichert sein, daß hier jedermann heftig die Privatpersonen verurteilt, die durch ihre Schriften Souveräne zu beleidigen wagen. Vom Papst und vom Kaiser bis herab zum Bischof von konstanz und dem Fürsten von Zipfelzerbst müssen alle regierenden Häupter vom Publikum respektiert werden, sie mögen stark oder schwach, Bundesgenossen oder Feinde sein; das macht keinen Unterschied, und der Anstand erfordert, daß man nur in geziemenden Ausdrücken von ihnen spricht. Die großen Herrscher ehren sich in ihresgleichen. Dulden sie bei sich, daß ein Privatmann eine fremde Macht beleidigt, so vergessen sie, was sie sich selber schuldig sind. Seit einiger Zeit ist der Mißbrauch der Presse bis zum Äußersten gestiegen. Privatleute haben über die Bosheit der Schriftsteller zu klagen gehabt, und mehr als eineMacht ist von diesen Leuten beleidigt worden, die Neuigkeiten zusammenstoppeln, um ihr Leben zu fristen, die mehr Lügen als Wahrheiten verbreiten und sich zu Aretinen1 unseres Jahrhunderts auswerfen. Aber, Herr Graf, niemand mißt den Nachrichten, die sie verbreiten, Glauben bei, und da sie das Publikum nur allzu oft gröblich hinters Licht geführt haben, sind ihre Nachrichten unglaubhaft geworden. Man hat nicht gewartet, bis Ihre Durchlauchtigste Republik ihre gerechten Beschwerden gegen die heimlichen Nachrichten anbrachte, die hier ausgestreut wurden. Man hat die Schrift sogleich verboten und dem Verfasser ernstlich untersagt, ohne Erlaubnis zu schreiben. Ich hoffe, daß die Großmut Dero Durchlauchtigster Republik sich mitdieser Züchtigung begnügen wird. Einem Schwätzer öas Reden oder einem Hirnverbrannten das Schreiben verbieten, ist die größte


1 Pietrow Aretino (1491—1556), der berüchtigte Schriftsteller und Pamphletist.