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Zweiter Gesang
Der Rat der Himmlischen

Freunde, laßt euch raten: Nur nicht lästern!
Satire ist nun mal ein tödlich Gift;
So manchen muntren Witzbold, der erst gestern
Sein Liedchen pfiff, schon heut die Rache trifft:
Da beißt's ihn selber, eh' er sich's versehn,
Und um den Spötter ist's geschehn.
Was soll man gar zu jenen Schreibern sagen,
Die sich, laut Vollmacht vom Parnaß,
Mit ihrem allzu dreisten Spaß
An das, was andern heilig, wagen!

Nie hätt' ich solch ein Wagnis unternommen!
Spaßhaftes gibt's genug sonst in der Welt;
Weh dem, des Sünderhaupt der Zorn der Frommen,
Der Schwarm der Unheilsvögel überfällt!

Uns weist Natur auch hier die rechte Bahn,
Natur und ihr Gesetz, die unverstellt,
Schlicht, rein und schön, sich all den trüben Wahn
Abgött'schen Aberwitzes ferne hält;
Die uns den Höchsten anzubeten lehrt
Durch frommen Kult, darin ihn Liebe ehrt.

Wenn ich jetzt kühnlich der Seligen und Götter
Schimmernde Höh, den „Olympus,“ erkletter',
Glaub, Leser, nicht, daß ich den „Himmel“ mein'!
<201>Nicht doch! Nur läßt sich's so freier schalten,
Unbefangner mit jenen Gestalten,
Die der Betrug, der Irrtum erdacht,
Die Irrgeist sich zurechtgemacht;
Nein! Jene mein' ich allein.

Alles, was wir, die hier auf Erden
Kriechen, erleben an Beschwerden,
Zänkerein und Interessen,
Kriegen, Hadern und Prozessen,
Alles irdische Geschehn
Ist schon längst vorhergesehn
Im Ratschluß jener Himmlischen alle,
Die da thronen in der olympischen Halle.

Die beiden Völler also ebenfalls,
Die wie die Helden in Vorzeittagen
Einander ergrimmt in den Haaren lagen
Auf einem Fleckchen des Weltenballs,
Sie blieben vor dem Olymp zwar versteckt,
Doch wurden sie von den Heiligen entdeckt.
Da gab es ein eifernd Hin und Her,
Sie sprachen fast von nichts anderem mehr,
Ein jeder Heilige ergriff Partei;
Und hieß es da: „Hie gut Österreich!“ —
So klang von drüben allsogleich
„Hie Preußen!“ das Feldgeschrei.
Was an Heiligen aus Frankreich stammt,
War füglich für die Allianz201-1 entflammt,
Doch die an der Donaustadt goldnen Altären
Gefeiert werden und drunten in Mähren,
Die sagten: „Der Lothringer ist unser Mann!“

Der Herr beordert
Den Erzengel Michael und fordert
Durch diesen Getreusien — stets muß er springen
<202>Bei wichtigen Dingen —
Das ganze himmlische Reich
Vor sein Angesicht, und zwar sogleich.

Und der gute Vater hebt an:
„Ihr Herren, sobald ich euch kundgetan,
„Was mir's hier gilt, um was sich's dreht,
„So denke ich, daß sich's von selbst versieht,
„Daß jedermann mir freudig beweist,
„Es lebe in ihm noch der alte Geist.
„Noch niemals braucht' ich, das darf ich wohl sagen,
„Hier solche Tonart anzuschlagen;
„Doch es muß mal heraus, denn, leider, die Sache
„Führt schon eine allzu vernehmliche Sprache:
„Die Sache ist's, die zum Himmel schreit,
„Was ihr für pflichtvergessene Heilige seid!
„Ihr, die ich weiseren Sinnes geglaubt,
„Ihr wagt's, ihr erhebt das Empörerhaupt
„Mitten im Paradiese drin!
„Weil jeder versieht, zu schwadronieren,
„Vermeint er, er könne die Welt regieren?
„Was denkt ihr, wozu ich im Himmel bin?

„Guck' ich da gestern ein Stündchen vom Himmel,
„Zieh' mir mein langes Fernrohr aus:
„Seh' ich da auf dem Planetenkrümel
„Zwei Nationen in wildem Strauß
„Sich katzbalgen in buntem Getümmel:
„Ein Sandkorn schließlich, um das sie sich raufen!
„Flugs bilden sich hier oben zwei Haufen.
„Jeder, verrannt in den albernen Wahn,
„Der Streit da unten ging' ihn was an.
„Jeder zieht seinen Strang allein,
„Alle Gemüter sind erhitzt,
„Leidenschaft jedes Auge blitzt;
„Und nach Willkür fährt jeder mir drein:
„Den befehde, den beschütze,
„Hüben schade, drüben nütze!
„Und da soll man nicht zornig sein!
„Soviel jedenfalls bitt' ich mir aus:
<203>„Hier sind Ordnung und Friede zu Haus,
„Hier ist kein Ort für Umsturz und Ränke;
„Hier wünsch' ich selber, so wie ich mir's denke,
„Meiner Menschen Geschick zu gestalten.
„Ihr aber habt den Mund zu halten!
„Ich gebiete Ruhe dem frechen Geschwärm,
„Das wie Hornissen, mit dumpfem Gelärm,
„Auftührerisch und wild,
„Hier alle Lüfte füllt.“

Sprach's, und die Blicke zu Boden gesenkt,
Die Knie geknickt,
Die Nacken gebückt,
Die Finger im Krampf ineinander verschränkt,
Standen die Heiligen mit Demutblick,
Verfluchten im stillen ihr Ohnmachtsgeschick.
Grabesstill war es, man konnte fragen:
Haben sie denn die Sprache verloren?
Ist ihr Redesprudel denn festgefroren?
Sind sie verwunschen? Totgeschlagen?
Doch da nun allem sein Ziel gesetzt,
So atmete man
Auch von der lähmenden Angst zuletzt
Noch einmal auf, da sank der Bann,
Und das Bächlein rann,
Und mit frischer Kraft ward drauflosgeschwätzt.

Und schon trat Meister Borromäus vor:
„Mein hoher Herr, nun gönnt ein gnädig Ohr
„Dem Wort, das einer der Unsterblichen
„Vom Weltlauf drunten, dem verderblichen,
„Gehorsamst hier vor Eurem Throne wagt.
„So sei's denn grab heraus gesagt:
„Das östreich'sche Heer
„Und was noch mehr:
„Meines Namens Ruhm,
„Meine Heiligenehre,
„Mein Dienst mit allem Dran und Drum,
„Meine Kapellen, Altäre —
„Das alles geht in Rauch und Schutt
<204>„Noch heute auf, wenn dein Strafgericht
„Gewissen Verbrechern nicht Einhalt tut!
„O Herr, verwirf meine Bitte nicht!“

„Recht hat er,“ sag' ich, „in jedem Stuck!“
Rief laut der böhmische Nepomuk.
„Wollt Ihr denn, wie in Eurem Haus,
„All unser heilig Eigen da drauß,
„All unsern Besitz, all unsre Ehr'
„Preisgeben dem blöden Ungefähr?
„Der Östreicher, wie Ihr seht,
„Meinen Wert zu schätzen versteht;
„In dem ungeheuren Heiligenhaufen
„Ist nicht ein einziger so überlaufen,
„Mit Opfergaben, Bildstöckeln geehrt,
„Wie's im Böhmerlande mir widerfährt!
„Man weiß dort gewissermaßen,
„Was mir gebührt: Reist hin und schaut —
„Auf jeder Brücke, allen Straßen
„Haben sie Steinbilder mir gebaut;
„Wehe dem Wandrer, der seinen Gruß unterlassen!
„Wenn aber die ungläubigen Hunde —
„Sie glauben, o König, ja kaum noch an Euch! —
„Wenn die Preußen in einer unseligen Stunde
„Siegreich den Trost von Österreich,
„Den Lothringer, gänzlich zum Teufel jagen —
„Wer wird dann nach meinen Festen noch fragen?
„Doch dann nehmt Euch selber in acht, mein König,
„Im Ernst, Euch geht's auch an, und das nicht wenig!
„Ich sag' Euch, mich läßt man zuerst dran glauben,
„Läßt mich elend in meiner Nische verstauben,
„Und bin ich erst zu Falle gebracht,
„Versucht sich der Preuße an Eurer Macht!“

„Still, Schlingel!“ rief Wenzel wutentbrannt,
„Schönschwätzer du, dem die Zunge fehlt,
„Hast du nicht dereinst um mein Reich, mein Land
„Spitzbübisch mich geprellt?
„Der Böhmen Schutzherr war ich allein,
„Da fiel dir's eines Tages ein,
<205>„Du Wicht, mit elenden Fälscherlisten
„An meiner Stelle dich einzunisten!“

Calvin und Luther baten warm
Für Preußen. Genoveva und den Schwarm
Der französischen Heiligen
Sah man sich flehend beteiligen.

Doch sieh, welch holdseliges Frauenbild
Vorm Thron der Allmacht jetzt erscheint,
Welch Augenaufschlag, demutmild!
Kein Mägdlein lebt in den seligen Scharen,
Das so mit rührendem Gebaren
Sieghafte Schönheit vereint:
Die heilige Hedwig ist's, es bricht
Der Glaubensinbrunst reinstes Licht
Aus ihren Wunderaugen beiden,
Da sie vor Gott tritt holdbescheiden.
Wer sieht's dem süßen Munde an,
Daß er im Kampf, der das Böhmerland
Verheert mit wildem Schreckensbrand,
Das Wort des Schicksals sprechen kann?
O einzig Bild, wie ihr Knie sich biegt,
Zu Gottes Füßen sie sich schmiegt,
Die eine Hand seine Knie umfängt,
Liebkosend empor sich die andre drängt.

„O Herr, all meine Hoffnung sieht bei dir,“
Sprach sie. „In der Jugend schon gabst du die Stärke mir,
„Die von der Erdenschwachheit mich befreite
„Und mich zur Heiligen machte an meines Gatten Seite.
„Nun sieh mir bei und laß die Meinen
„Von deiner Gnade Sonne bescheinen.
„Wenn sie auch nicht viel nach Heiligen ftagen,
„Von Liebe zu dir wissen alle zu sagen.
„Die Meinen, Herr, das sind die Preußen,
„Von meinem Blute echteste Sprossen,
„Sie sind es, die ihre Könige heißen:205-1
<206>„O, gib es nicht zu, daß irgend einer
„Von den Heiligen, irgend ein schäbiger, kleiner,
„Mit ihnen treibt seine groben Possen!
„Über sie all deine Fittiche breite,
„Denn du bist's, nur du, dem Hedwig sich weihte!“

So flehte ihr süßer Schmeichellaut.
Wann ward ein Frauenleib erschaut
So aufgelöst in rührendem Flehn!
Wer könnte der Einzigen widersteh?
„Weil du so bittest,“ sprach Gottvater da,
„So will ich willfahren deinem Begehr.
„Dir zu versagen ein williges Ja,
„Wär' selbst dem hyrkanischen Tiger schwer.“

Womit er zu Genoveva sich kehrt:
„Wohlan, du nimmst mein Flammenschwert,
„Das grause, damit in Vorzeittagen
„Mein Racheengel die Philister geschlagen,
„Und unterstützest in allen Dingen
„Der Preußenkrieger heldisches Ringen,
„Dieweil sie die Kinder und Kindeskind
„Von dir, mein reizendes Töchterchen, sind.
„Du, liebe Hedwig, sollst denn allein
„Die Herrin über das Schicksal sein:
„Schlag immer die stolzen Östreicherheere,
„Doch den gesegneten Deinen mehre
„Kriegesgewinn und Ehre,
„Ruhm und Gedeihn!“

Laut erscholl sein Machtgebot,
Viel herrischer denn Donnerklang;
Durch Mark und Bein es allen Heiligen drang,
Schuf ihnen Verwirrung und Herzensnot.
Der Engel rief: „Ihr seid entlassen! Sogleich
„Verfüge sich jeder in sein Reich.“

Da ward geschoben, gestoßen, gedrängt,
Beim schleunigen Aufbruch der Heiligen all —
<207>Wie wenn zu Grodno mit wüstem Krawall
Ein Veto den polnischen Reichstag sprengt.207-1


201-1 Durch den Versailler Vertrag vom 5. Juni 1744 hatten sich Preußen und Frankreich gegen Österreich verbündet (vgl. Bd. II, S. 162).

205-1 Vgl. S. 18 l, Anm. 1.

207-1 Das sogenannte liberum veto verlieh jedem polnischen Landboten das Recht, durch seinen Einspruch gegen die Beschlüsse des Reichstags dessen sofortige Auflösung herbeizuführen.