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6. An Hermotim
Lob der Wissenschaft

Dir, Hermotim, bin ich als Freund begegnet.
Kann Dir ein Vater mehr an Liebe schenken?
Mit jedem Wunsche Hab' ich Dich gesegnet:
Muß ich Dich mahnen, an Dein Glück zu denken?

Früh reift' ich selbst die Früchte Deiner Jugend.
Nun seh' ich, ach! statt der erhofften Tugend
Das Ungestüm, das sich zum Lasier wendet,
Den Sinnenrausch, der Deinen Geist verblendet,
Den Zügel der Vernunft zerrissen schon,
Wo rings Gefahren Deinen Pfad umdrohn.
Des Aufruhrs Feuer lodert Dir im Herzen —
Was ich auch sehe, schafft mir Furcht und Schmerzen!

Jung, unerfahren trittst Du in die Welt,
Und wie Odysseus' törichte Gefährten
Verlierst Du Dich in Circes Zaubergärten;
Schon seh' ich Dich wie sie zum Tier entstellt.
Da locken Dich der Lust Sirenenlieder
Und Gaukelein in güldner Ketten Haft.
In Saus und Braus, jedwedem Zwang zuwider,
Lebst Du dahin, in Müßiggang erschlafft.
Dir schuld' ich Hilfe! Aus den Zauberketten
Will ich mit starkem Freundesarm Dich retten.
Den Trug, der Dich im Taumelglück der Sinne
Umstrickt, vernicht' ich, daß der Traum zerrinne!

Entstellt durch Lasier wird des Menschen Bild.
O sei wie einst zu edlem Tun gewillt!
<30>Kehr' um zur Arbeit, die den Geist ernährt,
Das Herz erhebt und unser Streben ehrt!
Dem dumpfen Pöbel mag man es verzeihn,
Spannt er ins Joch der Leidenschaft sich ein;
Denn nie noch unterschied sein dumpfer Sinn
Der Venus Tochter von der Buhlerin,
Die zarte Lust von seinem dumpfen Drang,
Der doch der Stunden öde nie bezwang.

Folge dem Trieb, wie's Dich der Pöbel lehrt!
Doch hast Du recht der Weisheit Rat vernommen,
So folge ihr zum Heil! Vernunft verwehrt
Uns Menschen keine Freuden, die uns frommen!
Wisse, ich lehre Dich die wahre Lust,
Die würdig ist, zu glühn in Deiner Brust,
Die nicht die Seele schlaff, verächtlich macht,
Nein, helle Himmelsflammen drin entfacht,
Die jung und alt die gleichen Freuden spendet,
Gleich hell erstrahlt in Freud und Leid,
Die bleibend ist, wie auch das Glück sich wendet,
Ob Du im Strom der Welt, in Einsamkeit,
Gesund bist oder trank, in Stadt und Land,
Bei Tag und Nacht, am Hof oder verbannt: —
Dein Lebensglück schenkt sie Dir allezeit!

Die Götter, die Erbarmen mit uns haben
Und lindern wollen unsern Erdenkummer,
Verliehen uns zwei holde Himmelsgaben:
Hoffnung heißt eine und die andre Schlummer.
Der Weise nur ward reichlicher bedacht,
Und süßen Trost hat Pallas ihm gebracht:
Die Wissenschaft, die uns so hoch beglückt
Und stets mit neuen Reizen uns entzückt,
Je näher, desto schöner anzuschaun!
Die Glücklichen, die ihr sich anvertraun,
Verschmähen falsche Güter und bereichern
Den Geist mit dem allein, was sie uns schenkt.
Doch wähne nicht, daß sie sich an uns drängt!
Sie reicht die Schätze aus des Wissens Speichern
Nur Dem, der treu sie liebt und ihre Huld
<31>Durch Fleiß erringt und zärtliche Geduld.
Liebst Du sie wahr, wird sie Dir viel bescheren,
Und recht genützt, kannst Du das Gut noch mehren —
O heil'ger Hort der Tugend, frei von Schuld!

Die Wahrheit führt den Griffel der Geschichte,
Sitzt über alle Zeiten zu Gerichte;
Versunkne Reiche läßt sie neu erstehn,
Zeigt sie im Wachsen, Blühen, Untergehn.
Da lernt man ohne äußre Macht regieren,
Nur durch des Worts Gewalt die Geister führen;
Man lernt sich selbst erkennen und bezwingen,
Die Herrschaft übers eigne Ich erringen.
Von der Erfahrung läßt sich unser Geist
Ins Innre der Natur behutsam leiten;
Mit Maß und Zahl durchdringt er dreist
Des Weltenraumes grenzenlose Weiten.
Im Urgrund der Natur, der Dinge Schoß,
Legt er geheimnisvolle Faden bloß.

So wird der Weise Herr der Elemente,
Vereint in sich, was Raum und Stunde trennte.
Mitleidig sieht er auf dem Erdenball
Der Herrschermacht Gepränge — Rauch und Schall,
Und jene aufgebauschten Nichtigkeiten,
Um die sich wutentbrannt die Menschen streiten.

Der Sinne Zauberbann entgeht der Weise.
Ob auch Marcellus Syrakus bekriegt, 31-1
Zieht Archimedes ruhig seine Kreise
Und weiß nicht, daß die Römer schon gesiegt.
In seinem unstillbaren Drang nach Licht
Der Welt, der er Erleuchtung bringt, entrückt,
Allein nach Wahrheit ringend, sieht er nicht
Das Scheusal, das den Mordsiahl nach ihm zückt.
Ein Himmelsbürger, auf die Welt verschlagen,
Beklagt er ihre Kriege, ihre Not;
Sein Geist, gefeit gegen des Schicksals Plagen,
Verachtet falsche Güter, Schmerz und Tod.
<32>Doch das sind alte Fabeln, wirst Du sagen.
Manch Beispiel zeigt sich auch in unsern Tagen!
Sieh jenen Weisen, wie er, stets beneidet
Und stets verfolgt, sich dennoch still bescheidet!
Als Bayle erfuhr, daß ihm der Ehrensold,
Den Holland seinem seltnen Geist gezollt,
In Rotterdam durch eines Elfters32-1 Wut
Entrissen sei, verlor er nicht den Mut,
Beklagte lächelnd jenen Glaubenssireiter
Und schrieb in tiefster Armut ruhig weiter.

Kann Fürsienzorn und kann der schwarze Neid
Zum Räuber unsrer Geistesschätze werden?
Sie sind — Doch Du blickst finster und zerstreut,
Und Langeweile künden die Gebärden.
„Sieh“, sprichst Du, „dieser sechzig Wappen Zier:
„Die heben aus dem Pöbel mich heraus.
„Mein Stammbaum ist bekannt, verwandt mit mir
„Von alters her manch adelsstolzes Haus.
„Ich habe Güter, Geist und Gaben. Mich
„Sieht jeder gern, wenn nicht Frau Fama lügt.
„Natur beschenkte mich so mütterlich:
„Was würde durch die Kunst hinzugefügt?“

Gewiß, Dir war Natur sehr wohlgesinnt.
Doch laß Dir sagen, ohne daß Dich's kränkt:
Sie hat gleich viel dem rohen Stein geschenkt,
Der Seidenraupe, die ihr Haus sich spinnt,
Den wilden Reben, die im Wald gedeihn.
Die Kunst erst gibt den Schliff dem Edelstein.
Das Seidengarn, gehaspelt auf die Spule,
Von flinker Hand gewirkt am Webestuhle —
Sieh, wie's der Iris Farbenspielen gleicht
Und wie vor ihm der Blumen Pracht erbleicht!
Der Rebstock, den des Gärtners Kunst nicht pflegt,
Nutzloses Laub statt süßer Trauben trägt.
Die Kunst erst prägt die Gaben der Natur:
Wer beides eint, ist auf der rechten Spur.
<33>Reich bist Du, wohl! Allein woher Dein Glaube,
Ein Häuflein Gold bedecke Dich mit Ruhm
Und Deiner Ahnen großes Heldentum,
Der Modernden, erhöbe Dich vom Staube?
Hängst Du noch so am gröbsten Vorurteil?
Ein altes Pergament, ist das Dein Heil?
Der Wert des Menschen liegt nicht in den Gaben,
Die uns der Zufall schenkt und wieder raubt,
Und nur ein Tor in seinem Wahne glaubt,
Daß Geld und Güter innre Werte haben.
Fünftausend Taler sind des Glückes Pfand
In einem Nest wie Brieg, doch in Berlin ein Tand.
In Brieg bewundert, in Berlin verlacht —
Mußt Du Dir nicht zur eignen Schmach gestehen,
Daß man nicht Deinethalb Dich angesehen,
Nein, daß der volle Beutel alles macht?...

Reichtum erweckt nur Eifersucht und Neid.
Zwar jeder nennt Dich Freund, ist dienstbereit
Und macht den reichen Tropf flugs zum Voltaire.
Doch flieht das Glück, so kennt man Dich nicht mehr
Und geißelt Dich und stellt Dich hämisch bloß;
Die einst freigebige Hand läßt jeder los,
Und statt der Tugenden, die man Dir angedichtet,
Sieht nun der Haß nur Fehler, die er richtet!
Doch das Verdienst wird schließlich stets gerächt
An einem Midas, den das Volk zum Götzen
Erwählte: seines Flitters bunte Fetzen
Verbergen seine innre Hohlheit schlecht.
Er gleicht der Blase, die, vom Wind geschwellt,
Durch einen Stich in nichts zusammenfällt...

Willst Du geliebt sein, willst Du Gutes schaffen,
Sei sittenstreng, laß nie den Geist erschlaffen.
Der Wüstling wird verpönt, verlacht der Tor,
Doch das Verdienst tut schließlich sich hervor.
Man braucht es, sucht es, und es kommt zu Ehren,
Und höchste Lust bleibt stets, sich selbst belehren.
Nur sie vielleicht erträgt ein Übermaß,
An dem noch nie die schwarze Reue ftaß.
<34>Doch von den schnöden Lüsten, die ich schmäle,
Bleibt öd und leer das Herz, und Überdruß
Legt wie ein Alb nach jeglichem Genuß
Sich mit erloschnem Aug' auf Deine Seele.

Ergreift nach Ruhm Dich ein geheimes Sehnen,
Die Geistesgaben weisen Dir die Bahn,
Und gleiche Gunst gewährt Frau Fama denen,
Die in Apolls und Mars' Geleite nahn.
Selbst Helden sah man sich vor Weisen neigen,
Ehre der Tugend und dem Geist bezeigen ...
In allen Zeiten, da die Kunst geblüht,
Zwiefach gekrönt siehst Du die Herrscher thronen.
Für Kunst und Wissen ist die Welt erglüht,
Und Ruhm verleiht sie, das Verdienst zu lohnen ...

Ihr blöden Geister, wandelnde Maschinen,
Die nur im dumpfen Joch den Sinnen dienen,
Wie jener König, der zu stolz-vermessen,
Von Gott gestraft ward, Gras im Wald zu fressen:34-1
Ein Traum ist euer Sein; eh' ihr erwacht,
Ist euer stumpfes Leben hingebracht.
O fürchte, Hermolim, dies grause Muß!
Laß Dich beizeiten aus der Dumpfheit wecken.
Laß untergehn die Narren und die Gecken
Im Sinnentaumel und im Überdruß,
Als Schmach der Menschheit, von der Welt verachtet:
Die Weisheit blüht, wo's um die Toren nachtet!

Ihr Teil empfing jedwede Kreatur,
Den Trieb das Tier, der Mensch erhielt den Geist,
Der ihn nach Wahrheit trachten heißt.
Sind wir auch gleich den Tieren von Natur,
So werden wir den Himmlischen verwandt
Durch ihre hehre Gabe, den Verstand.
Sardanapal verliert sein Geistesgut:
Der Flamme gleich in der Vestalin Hut
<35>Will diese Glut geschürt sein und genährt;
Denn bald verlischt sie, wenn man sie nicht mehrt!
Nur diesen Rat kann Dir die Weisheit geben:
Hindämmern ist der Tod, viel Denken Leben.


31-1 Marcus Claudius Marcellus eroberte 212 v. Chr. Syrakus.

32-1 Anmerkung des Königs: „Jurieu.“

34-1 Nebukadnezar, König von Babylon. Daniel, Kap. IV, Vers 30 f.