<1>

Oden und Episteln

<2><3>

Vorwort

Euch gehören diese Blätter, nehmt sie, Freunde, willig an,
nur als Gruß von einem Herzen, das euch innig zugetan;
's ist ein buntes Allerlei:
Bittrer Ernst und Schelmerei;
Doch in kecker Narrenhülle
Reiner Sinn und reiner Wille.
Denkt nun nicht, daß hier im Vorwort Dichterdünkel sich ergeht,
Der den Wahn der Eigenliebe nicht erkennt und nicht gesieht!
Weil mich's freute und beglückte,
Weil Horaz mit seinem süßen
Sangeszauber mich entzückte,
War's wie ein geheimes Müssen:
Darum zum Poeten ward ich.
Meine Muse, ganz teutonisch,
Wunderlich und oft ironisch,
Die ein grob und eigenartig
Schandfranzösisch radebrecht,
Nennt die Dinge schlecht und recht,
Pfeift auf alle Gleichmaßregeln welscher Meisiersingerei,
Fühlt vom Zwang der Wortewäger, aller Peinlichkeit sich frei,
Wenn ihr Wort nur deutlich macht,
Was sie will und sich gedacht!
Darf ich doch dem innren Schauen
Zuversichtlicher vertrauen,
Ein Entlaufner aller Fron,
Als den frostigen Richtigkeiten —
Ungeheuren Wichtigkeiten
Für die Neusten von der Zunft,
Hält man auf dem Helikon,
Bitterwenig auch davon, —
Also folg' ich der Vernunft!

<4>

1. An die Verleumdung4-1

Wo ich wandle, wo ich schreite,
Unentrinnbar mir gesellt
Aus der Spuk, und Schattenwelt,
Bleibt ein Unhold mir zur Seite;
Mordgeschosse seine Blicke,
Und aus ftechem Schandmaul quillt
Dem Gespenste bleich und wild
Stromweis gallenbittre Tücke.
's ist ein körperloses Wesen;
Nur durch Lüge, Niedertracht,
Hinterlist und Lust am Bösen
Wird dies Nichts zu einer Macht.

Du unbändig Kind des Neides!
O, ich kenn' dich Feige gut:
An der Gier und an der Wut,
Nimmer satt des ftemden Leides,
Nimmer satt von Missetat
Und Verrat.
Deine Werke von dir sprechen,
Deine schamvergeßnen, frechen;
Deine Nattern von dir zeugen,
Die da Haß und Ingrimm säugen;
Kenne deines Schleiers Hüllen,
Der dein Haupt vermummt, den schrillen
Mißton deiner Lugtrompeten,
Wie sie in der Welt vonnöten
Jedem ungerechten Willen.
<5>Schwingst der Furien Fackelpaar,
Düstrer loht und schwelt der Brand
Vor dem Thron, bis ganz und gar
Er in Qualmgewölk verschwand;
Machst dich breit auf seinen Stufen,
Ach, da dringt der Unschuld Rufen,
Die dort ihren Helfer weiß,
Durch den Dunst nicht mehr hinan!
Bald ist er dir Untertan,
Gibt dir feig die Seinen preis:
Und vom Thron sind sie entrechtet,
Alle, die dein Haß geächtet.

Deine Häßlichkeit verborgen
Hinterm Trug staatsmänn'scher Sorgen,
Hast du's frecher Stirn gewagt,
Wider Könige geklagt.
Und dein Haß hat wider mich
Alle Höfe aufgehetzt:
Welch ein Zorngeheul das jetzt
In der ganzen Runde setzt —
Fürchterlich!
So wardst du zu guter Letzt
Seele aller Staatsminister,
Machst den Herrn mit deinen kranken,
Unheilvollen Nachtgedanken
Ihre Hellsten Tage düster.

Und die schwirrende, behende
Menschenrede trägt die Fracht
Deiner Wut und Niedertracht
Weiter bis ans Weltenende;
Läßt vergiftet hinter sich
Jedes Land, ob dem sie strich!
Und Europa hungert drauf,
Schnappt und schluckt den edlen Brodem,
Famas giftig-brant'gen Odem,
Lüstern stets nach Neuem, auf.
Und die Welt, in Wahn versenkt,
Den du selbst ihr eingetränkt,
<6>Nimmt für reine Wahrheit diesen
Lug, als war' er klar erwiesen.
Deinen Rost, du mußt ihn anwehn
Jedem Namen, groß an Ansehn;
Denn für scheele Dämmrungaugen
Kann der Blick ins Licht nicht taugen.
Deine Tollheit kennt kein Schonen!
So ward Cäsar des Geredes
Opfer als des Nikomedes6-1
Junger Gast! So die Scipionen!
Deinerhalb ging Belisar
In Verbannung: Lorbeerzier
Ward zu dürren Disteln hier,
Weil's dein Wunsch und Wille war.

Wo gab's ein Verdienst, das dich
Nicht gewurmt hätt' grimmiglich?
Blieb Thersites ungeschoren,
Lagst Achill du in den Ohren;
Heldenhoheit zu verderben,
Sah einst Griechenland die Deinen
Sich in Niedertracht vereinen
Zu dem Volksgericht der Scherben.
Ja, die Großen immerdar
Sind dein Opfer, deine Beute,
Und von deinem Mordaltar
Dampft ihr edles Blut noch heute.

Marschall Luxemburg! Ihn zieh
Der verruchtesten Magie
Deine trunkne Hirnverbranntheit;
Prinz Eugen mußt' jung an Jahren
Deine Bissigkeit erfahren;6-2
Wer in boshafter Verranntheit
Wagt wohl heute noch den prächtigen
Colbert niedrig zu verdächtigen?
Jeder Franzmann würde rot!
<7>Ludwig kaum den Rücken wendet,
Kaum ist der Erhabne tot,
Ist sein Bildnis schon geschändet.

Doch dein Dolch, ob er dem Ruhme
Wunden schlägt — dem Heldentume
Wird er Wecker erst und Sporn!
Manchen hat der Neid zuletzt
Just zum Sieg hinangehetzt:
Durch! Da hemmt nicht Busch und Dorn,
Wunder tut der wackre Streiter —
Sieh, so wird er ein Gefeiter,
Ist dein Gift an ihm verlorn!
Und des großen Namens Glanz,
Du auf Größe so Erpichte,
Strahlt nun erst im rechten Lichte,
Und in Nacht versinkst du ganz.

Darum darf mich niemand schelten,
Blieb auch ich nicht unversehrt,
Weil ja allem, was man ehrt,
Deines Hasses Pfeile gelten —
Wer, der deiner Tücke wehrt?
Nicht Minerva mit dem Schrecken
Der versteinernden Gorgone!
Sei's der Zeit anheimgestellt,
Deine Bosheit vor der Welt
Aufzudecken.
Der wird's ohne
Alle Müh' dereinst gelingen,
Neu zu Ehren uns zu bringen.

Jetzt zu euch, heimtück'sche Brut,
Die ihr, euch mit Bosheit nährend,
An des Scheusals Brüsten ruht:
Schreit nur! Mischt nur immerwährend
Eurer Lügenstimmen Greul
In ihr wüstes Wolfsgeheul —
Eitles Mühn, so sinnentbehrend,
Gleich als peitschtet ihr mit Ruten
<8>Meeresfluten —
Keift nur zu!
Fest im tiefsten Seelengrunde
Lebt mir in der bängsten Stunde
Unerschütterliche Ruh...

In beglückter Arbeitsstille,
Seiner Sendung treu ergeben,
Schafft ein weltbeglückend Streben,
Wirkt ein selbstlos reiner Wille.
Drüben aber sieht man dich
Rüstig in den groben Händen
Schneid'ge Klingen drehn und wenden,
Schärfen, rüsten emsiglich,
Um mit kalter Satanstücke
Auszurotten, zu vernichten
Was, im Bunde mit dem Glücke,
Weisheit Neues wollt' errichten.

Freilich seh' ich dich die Toten
Oft mit schnöden Händen streicheln,
Was wird alles aufgeboten,
Den Gestorbenen zu schmeicheln —
Um mit doppeltem Ergehen
Den Lebend'gen zuzusetzen!
Wer kennt deine Schliche nicht,
Frevel, die in Finsternissen
Immerdar sich bergen müssen,
Stets in Furcht vorm Tageslicht,
Wie der Raben schwarz Gelichter,
Das in der Zypressen dichter
Wipfelnacht verborgen steckt,
Mit Gekrächz die Schatten schreckt;
Gern um Totenkreuz und Hügel
Schwebt das düstre Nachtgefiügel!

Nein, du Viper, giftgeblähte,
Schändliche, die's nicht verschmähte,
Den Regenten, der uns allen
Zum Beglücker schien geboren,
<9>Mit dem Neidzahn anzufallen,9-1
Ihn, den gütigen, den milden —
Nein, die Mühe wär' verloren,
Dich, du reißend Tigertier,
Lechzend nur von Mordbegier,
Umzubilden;
Eh' ich das wollt' unternehmen,
Eher war' im Sonnenbrande
Afrikas ein Mohr imstande,
Dort die wilden,
Freien Bestien zu zähmen!

Sei du ein Virgil, ein Meister
Auf dem Doppelgipfel droben,
Sei ein Fürst im Reich der Geister —
Dieses Keifen, dieses Toben
Wie ein Zoilus, ein dreister,
Bannt dich von dem Helikon!
Was hilft all dein Sonnenstreben
Gleich dem Aar, der sich erheben
Möchte zu des Lichtgotts Thron?
Senke nur die stolzen Schwingen!
Keiner glaubt
An dein edles Aufwärtsringen —
Bist kein Adler überhaupt,
Nur ein Geier, der da raubt,
Der nur Beute will verschlingen!

Nein, wer, selber angesteckt
Von dem Gifte, solche Ehren
Der Verleumdung will gewähren,
Wisse, daß sein Lied die Kunst
Nur entwürdigt und besteckt!
Du mißbrauchst der Muse Gunst!
<10>Und vergiftet hat dir jene
In der Quelle
Schon den Lauf der Hippokrene;
Trübe nur rinnt ihre Welle.
Wie ich auch bewundern muß
Deiner Sprache Pracht und Fluß,
Mehr fürwahr
Zum Genuß
Lockt es mich bei Pierre Bernard,10-1
Unserm Liebeskunstpoeten,
Dessen überlegne Art
Still darwider sich verwahrt,
Vor den lauten Markt zu treten.

Seht die weinende Najade:
Wenn ihr droben
Ungeberd'ge Stürme grade
In den Wellenfrieden toben:
Glaubt, sie muß es drunten fühlen,
Wie sie in den Tiefen wühlen.
Schlammgetrübte Wogen spülen
Bis hinab ans Felsgestein,
Ja, bis in das Kämmerlein
Ihrer Grotte tief hinein.
Schweigen aber Wind und Meer,
Wird es Klarheit um sie her,
Lautre Reinheit sie umgibt
Ungetrübt.
Alle eure Schändlichkeiten,
Lohnt es erst, sie zu verbreiten?
Ja, so lang sie neu noch sind,
Gibt's im Lande ein'gen Wind,
Aber Freunde findet nicht
Euer Schimpft und Schmähgedicht;
Morgen ist es schon vergessen,
Bis es dann die Würmer fressen.
Aber echter Manneswert
<11>Hat, im Besten unversehrt,
In sich selber Halts genug
Wider Frechheit, Lug und Trug;
Und der Unbill allerwegen
Beut er Trotz und setzt mit Fug
Ihr die Zuversicht entgegen,
Daß die Nachwelt unbeirrt
Ihn gerechter richten wird.

Noch so sehr gefälscht, entstellt,
Siegt zuletzt in dieser Welt
Wahrheit über jeden Wahn;
Schließlich hat
Selbst der große Apostat
Julian
Seinen Anwalt noch gefunden. 11-1
Hat der Haß sich überlebt,
Sind die Hasser all zur Ruh,
Neid und Eifersucht dazu
Aus der Welt hinweggeschwunden,
Dann erhebt
Sich die Tugend unverkümmert.
Stets in neuem Ruhmeslichte
— Also lehrt's die Weltgeschichte —
Echte Manneshoheit schimmert,
Und zunichte
Wird das Neidwert schnöder Wichte.

<12>

2. Beharrlichkeit

Blindlings hinstürmende Wut,
Du, deren Wesen Verheeren,
Du, die durch Jammer und Blut
Ihre Bahnen sich bricht —
Nein, an deinen Altären
Opfte ich nicht!
Stillsichre Seelenkraft,
Die sich im Dulden strafft,
Die allen Schicksalsschlägen
Ausdauernd, heldenhaft,
Trotz setzt entgegen —
Preis dir und Ehren!
Wie auch die Neiderwut zetert und kreischt,
Weißt du den Wert dieses Lebens zu schätzen,
Doch auch gelassen ihn einzusetzen,
Wo es die Tugend erheischt.
<13>Hat doch der wagende Mut
Jener Prometheustat,
Die aus der himmlischen Hut
Einst das stammende Gut
Für uns entwendet hat,
Also erbittert die Himmlischen all,
Daß aus Pandorens Hand,
Ihrem unseligen Angebinde,
Wild sich ergoß der heillose Schwall
Höllischer Übel in alle vier Winde
Über das Menschenland.
Kaum, daß am Grunde noch grade,
Dank einem Resichen von göttlicher Gnade,
Die Hoffnung sich fand.

Ach, der Stiefmutter Natur
Ist's eine Kurzweil nur,
Ringt auf der Wunderbühne des Lebens,
Wo wir Sterblichen spielen müssen,
Mit den Leiden und Bitternissen
Ein Mensch vergebens!
Nichts kann des Fluchs uns entbürden,
Nicht die Geburt, nicht Verdienste noch Würden;
Wie's uns auch geh,
Stets überwiegt doch das Weh:
Galilei in Kettennot,
Medici ißt der Verbannung Brot,13-1
Und unter Henkers Händen
Mußte ein Stuart13-2 enden!

Seinem entschwundenen Glücke
Weint ein Beraubter nach;
Dort unter Neidertücke
Duldet ein argloses Herze Schmach;
Oder dein blühender Leib
Wird dir mit Siechtum und Plagen
Grimmig geschlagen;
Oder es stirbt dir dein Weib,
<14>Mutter und Bruder dein,
Und dein Getreuster scheidet von hinnen,
Läßt dich verwaist und allein —
Wie da die Tränen dir rinnen!

Also auf sturmtoller Flut
Treibt manch Schifflein daher;
Aber der wilde Orkan,
Der Tyrann auf dem Meer,
Bricht doch mit all seiner Wut
Nimmer des Seemanns Mut.
Ietzo wolkenhinan
Trägt ihn die türmende Welle,
Jetzt wie zum Abgrund der Hölle
Stürzt der gebrechliche Kahn.
Wo ist hier Rettung noch?
Tapfrer, verzweifle — und doch!
Wüte, was wüten mag,
Fest hält das Herz seinen Schlag:
Tausendmal trotz' ich dir, Tod, eh' ich verzag'!

Tage der Unruh! Wohin
Käm' es mit mir, dem Geplagten,
Wenn mein Schild, meine Wehr
Wider der Sorgen Heer,
Meine Getreusten, versagten:
Fest mir im Herzen drin
Du mein tragender, trotzender Sinn!
Wie auch das Schicksal mich treibt,
Ob über kurz oder lang
Fall mir und Untergang
Sicher verbleibt —
Sei's drum, ich werde
Zittern vor keiner Fährde!
Mag auch der Pöbel verzagen,
Greinen und klagen,
Erst wenn die Hoffnung zerrann,
Bewährt sich der Mann.
<15>Seht die beflügelte Zeit!
Eben noch rauscht ihr Gefieder —
Schon ist sie weit,
Weit, und kehrt niemals wieder.
Doch ihre rasende Eile
Ist uns zum Heile:
Wie sie Beschererin,
Ist sie Zerstörerin;
Was sie an Übeln gebracht,
Nimmt sie auch, eh' du's gedacht,
Wieder dahin.
Lohnt da Klage und Gram
Über ein Mißgeschick,
Das mit dem Augenblick
Geht, wie es kam?

Kenn' ich Ovid doch nicht wieder,
Wie er im Bann sich gebart:
Nichts mehr als winselnde Lieder,
Nichts mehr von Mannesart!
Kläglich liegt er darnieder:
Ist denn vor Romas Toren
Jegliches Hoffen verloren?
Konnt' er, statt zu verzagen,
Nicht mit Horatius sagen:
„Muß mein Glück in mir selber tragen!“

Segen euch, Lehrer und Meister,
Die ihr, himmelentstammt,
Euch bequemtet dem irdischen Amt,
Leuchten der Stoa ihr, führende Geister!
Sterblich wie wir,
Werdet ihr Götter allhier.
Ja, eure heldischen, hohen Gedanken
Und euer Mut ohne Wanken
Schlagen die Menschheit in Bann:
Wer da ein festes, gefeites,
Von Menschenschwachheit befreites,
Reifes Gemüt sich gewann,
Den tritt kein Leiden mehr an!
<16>Wie ist doch Regulus groß,
Als er den Feinden sich stellt!
Aus seiner Heimatwelt,
Die ihn mit Banden der Liebe hält,
Mannhaft reißt er sich los,
Um in karthagischer Haft
Sein Geschick zu erfüllen,
Seiner Bedränger roh wütende Leidenschaft
Durch seinen Tod zu stillen.16-1
Belisar, da er im Elend schmachtet,16-2
Verfemt und verachtet,
Ist mir ein höheres HeldenbUd,
Als der Feldherr, vom Glücke gekrönt;
Und was Ludwigs Gestalt mir verschönt,
Ist all das Menschenweh,
Das ich ihn tragen seh:
Kinder und Erben
Sah er hinsterben16-3.

Niedriger Seelen Art,
Sich im Behagen des Glückes zu sonnen!
Wohlfeile Lust! Sie ward
Einzig durch Zufalls Gnade gewonnen.
Niemals im Glücke tut
Hoher Sinn sich hervor;
Ist uns das Leben gut,
Ragen wir nicht aus dem Schwarm empor.
Doch wider Unheil und Schrecken
Stolzer sich heben, sich recken,
Wahrlich, das heiß' ich: mit Ehren
Mannheit bewähren.

Nichts mag das Schicksal, das blinde,
Linder gestalten;
Wer, der den Übergewalten
Je widerstünde!
<17>In den Wirbeln der reißenden Flut
Sinkt auch der rüstigste Schwimmer;
Hätt' er des Herakles Glieder,
Ringt er doch nimmer
Siegreich darwider.
Eines nur gibt es, was not hier tut:
Aushalten, Dulden, Beharren!
Mag dich das Schicksal auch grausam narren,
Trag es, wenn sich's nicht ändern läßt;
Nur bleib getreu, bleib fest!

<18>

3. Die Erneuerung der Akademie18-1

Welch Anblick ohnegleichen, geliebtes Vaterland!
Nun endlich will es tagen! Nun ist die Nacht gebannt!
Von blöden Vorurteilen, Irrtum und Barbarei,
Verscheucht aus Deinen Häusern, bist Du für ewig ftei!
Die schönen Künste jagen hinaus den wüsten Wahn;
Schon seh' ich ihre Helden in stolzem Zuge nahn,
Den Lorbeerkranz in Händen, den Zirkel und die Leier;
Die Wahrheit und der Ruhm
Geleiten sie zur Feier
In Mnemosynes Heiligtum.

Auf einem altersgrauen, geborstnen Säulentor,
Von roher Hand vernichtet, steigt sieghaft nun empor
Ein wundervoller Tempel, dem hehren Gott geweiht,
Der seine starte Hilfe der Kunst und Wahrheit leiht.
Und schon errichten Wissen, Vernunft und Geisteskraft,
Die mit vereintem Streben den Irrtum hingerafft,
Den Göttern, die sie schirmen, ein stolzes Ehrenmal,
Wie einst im Kapitol
Der hohe Ruhmessaal
Aufnahm der Siege Machtsymbol.

Unter der schnöden Herrschaft blinder Unwissenheit
Fiel diese Welt zur Beute dem Stumpfsinn weit und breit.
In ihren Eisenketten, von ihrem Wahn umnachtet,
Hat mit gelähmten Gliedern die Wahrheit lang geschmachtet.
Der Mensch war abergläubisch, verworfen, scheu und zag;
Doch da erschien die Wahrheit, und sieh, da ward es Tag!
<19>Er brach das Joch des Schreckens, das er so lange trug,
Verwarf das einst Verehrte,
Durchschaute den Betrug,
Der seinen Geist mit Fabeln nährte.

Auf jenem tiefen Meere, durch das der Weise fährt,
Ist er mit seiner schwachen Vernunft allein bewehrt;
Der Himmel ist unendlich, das Wasser uferlos;
Umringt vom Grenzenlosen, fühlt er sich arm und bloß.
Unendlichkeit ist alles, er kann sie nicht verstehen
Und irrt durch Höhn und Tiefen, die seinem Blick entgehen.
Sein Auge ist geblendet, die Sinne fassen's nicht,
Doch reizen ihn die Schranken;
Er macht es sich zur Pflicht,
Durchs All zu tummeln die Gedanken.

Im letzten Ringen brachte Vernunft hervor die Seher;
Sie kamen dem Geheimnis der Gottheit nah und näher.
Dem Menschen offenbarend des Höchsten wahres Wesen,
Erleuchten sie die Erde, wie sie am Himmel lesen.
Sie rechnen, wie die Sterne im Raum die Bahnen schlingen,
Sie wissen zu den Quellen der Ströme vorzudringen,
Erspähn den Lauf der Winde und wägen selbst die Luft.
Sie unterwerfen alles,
Erforschen Höh' und Kluft,
Selbst die Gestalt des Erdenballes.

Mit kund'ger Hand im Prisma zerteilen sie das Licht,
Das sich in Himmelsbläue, in Gold und Purpur bricht,
Das sonst in Strahlengarben Phöbus zusammenhält
Und von dem Himmelsthrone herabschickt auf die Welt.
Der Anatom durchstöbert im zarten Menschenleibe
Die Nerven und die Adern, forscht, was das Uhrwerk treibe,
Entdeckt verborgne Federn, dem Laienblick verwehrt.
Elektrische Magie
Berührt uns und durchfährt
Den Leib mit wilder Energie.

Nun naht auch meine Göttin, Beredsamkeit, die hehre,
Daß sie die goldnen Tage der Römer uns beschere,
Dem dumpfen Schweigen wieder die holde Stimme gebe
<20>Und mit des Geistes Feuer das rasche Wort belebe.
Hier bucht sie die Geschichte, dort läßt sie Verse rauschen.
Der feine Sinn kehrt wieder; den Jüngern, die ihr lauschen,
Läßt sie durch ihre Töchter erlesne Gaben spenden.
In ihre Tafeln schreiben
Sie mit den keuschen Händen
Nur Namen, die unsterblich bleiben.

Wie man in lichten Fernen, im blaugewölbten Himmel,
Uns malt der Götter buntes, vielfältiges Gewimmel
Und die Natur dem Dienste der Seligen unterstellt,
Sie herrschen läßt im Himmel, in Welt und Unterwelt,
Doch jedem ist im ganzen sein eignes Reich beschieden:
Im Schoß des Ätna läßt man Vulkan die Blitze schmieden,
Und Äolus entfesselt den Wind im Ätherraum,
Indes mit Zauberklang
Uns in entzückten Traum
Wiegt Polyhymnias Gesang: —

So glänzt an dieser Stätte Euer erlauchter Kreis
Von Priestern, deren jeder des Gotts Geheimnis weiß!
Die Ihr des Himmels Feuer der blinden Erde bringt
Und selbst die Vorurteile erleuchtet und bezwingt:
Ihr habt im Reich des Wissens jeder sein eignes Land,
Vereinigt alle Weisheit, die Menschengeist umspannt.
Der Wahrheit dunkle Tiefen hat Euer Geist durchdrungen;
Weltwunder macht Ihr kund.
Phöbus löst Euch die Zungen;
Orakel kündet Euer Mund.

Blüht, blüht, Ihr holden Künste! Mög' Euer Lorbeer sprießen,
Und mögen ihn die Wellen des Pattolos umstießen!
Ihr solltet dieser Erde, der törichten, gebieten,
Auf daß die Toren alle vor Eurem Altar knieten.
Schon hör' ich Eurer Stimmen holden Zusammenklang,
Uraniens Wort, sich schmiegend Melpomenes Gesang.
Ihr preist die Götter droben, Ihr gebt den Herrschern Lehren.
Der Himmel stößt mir's ein,
Das zwingende Begehren,
Euren Gesetzen Untertan zu sein!

<21>

4. Ode an die Preußen

Alles dankt ihr eurem eignen Werte,
Ihr, des Schlachtengottes Lieblingskinder,
Lorbeerstolze Völkerüberwinder,
Alles, alles eurem Heldenschwerte;
Laßt nicht rosten eure Waffen,
Nicht in Selbstzufriedenheit
Euren Mannessinn erschlaffen,
Bleibt, ihr Preußen, die ihr seid!

Mag Empfindung für der Ehr' Gebot
Heute noch ein ganzes Volk durchdringen
Und ihm Kraft verleihn, das Glück zu zwingen,
Weil es Furcht nicht kennt vor Feind und Tod -
Euer Kraftquell muß versiegen,
So nicht Treue drüber wacht,
Euer Bestes unterliegen —
Und dahin ist eure Macht.

Denkt, wie einst die wilden Punierkrieger
Unters Joch Italien gezwungen,
Wie mit Romas Herrengeist die Sieger
Schon ums Richteramt der Welt gerungen —
Bis Karthago dann mit Grauen
Alle Lorbeern welken sah
In dem Glück der lauen, flauen
Waffenruh von Kapua.

Bangte nicht in Hellas' Heldentagen
Vor Athen das ganze Morgenland,
<22>Da ein männlich Wagen, freudig Schlagen
Ging mit Herrscherweisheit Hand in Hand?
Asiens Völkerwogen fanden'
An den Griechen Damm und Wehr,
Xerres' Hoffart ward zuschanden,
Und zunicht sein Riesenheer.

Doch im Schatten ihrer großen Taten
Schossen alle Lasier geil ins Kraut,
Recht ward schnöde für Gewinn verraten,
Feigheit ward im Rat der Männer laut;
Längst war ihre Wehrkraft worden
Kleiner Niedertracht ein Raub,
Und der neue Held vom Norden22-1
Warf sie lachend in den Staub.
Mag der Blitzstrahl auch das Auge blenden,
Der das tiefe Schwarz der Nacht zerreißt,
Wenn durch Finsternisse allerenden
Seine jähe Flammenfährte gleißt —
Ach, ein Augenwink nur trennet
Werden und Vergehn zu Nichts;
Eh' der Blick ihn recht erkennet,
Schwand das Wunder seines Lichts.
Flammenmächtiger auf hohen Wegen
Herrscht der Sonne Lichtbeständigkeit,
Strömt hernieder ew'gen Leuchtesegen,
Sprengt das Eis, erlöst vom Winterleid;
Und ihr lautrer Strom der Gnaden
Wirkt beseelend und erhält
Auf den fernsten Schöpfungspfaden
Alles Leben in der Welt.
Wie der Feuerborn der Weltenhelle
Aus der Schöpfung Herzen sich ergießt,
<23>Bleibt er auch die starke Lebensquelle,
Die ohn' Ende stießt und überfließt;
Alles muß davor erbleichen:
Färbt der Morgenwolken Saum
Purpurglut, die Sterne weichen
In den dunklen Weltenraum.

Bleibt auch ihr, ihr Preußen, kraftbeständig,
Laßt die Sonne euch ein Vorbild sein,
Wahrt den jungen Waffenruhm lebendig,
Nicht auf halbem Wege haltet ein;
Lehrt's den Zweifler und Verächter:
Ehre bleibt nicht kinderlos,
Rechte Tugend tragt Geschlechter
Neuer Tugenden im Schoß!

Nimmer läßt des Himmels Haß und Tücke
Stolze Reiche schmachvoll untergehn;
Nirgend stand's im Buch der Weltgeschichte:
Also nur, nicht anders soll's geschehn!
Wink dem klaren Geist Vollbringen,
Scheitert blinder Unverstand;
So Gedeihen wie Mißlingen —
Beides liegt in unsrer Hand.

Mannestaten ohne gleichen schichten
Zu dem Bau des Reiches Stein auf Stein;
Hört denn, Helden! Ehren, sie verpflichten:
Hüter eures Werkes müßt ihr sein!
Rastlos, rastlos, Sturmgefieder!
Ist's zur Höh' auch nicht mehr weit.
Säumst du einmal, sinkst du nieder —
's ist das Los der Sterblichkeit!

Doch vergeßt auch nicht des Höhren Ruhmes:
Wie ihr im Triumphe aufwärts steigt,
Krönt euch jede Zier des Menschentumes,
Wenn ihr milden Sinn und Großmut zeigt!
<24>Die bezwungnen Feinde sollen
Mehr denn eurem Mut im Streit
Eurer Höhren Sittlichkeit
Ehrfurcht und Bewundrung zollen.

<25>

5. An Maupertuis25-1
Das Leben ein Traum

Sag doch: was ist, Freund Maupertuis,
Das ganze bißchen Leben?
Nicht mehr denn eine Blume, die
Heut' prangt und lacht,
Und über Nacht
Ist sie schon hingewelkt, die eben
Den Kelch erschloß! So ist's bestimmt
Im Ratschluß der Notwendigkeit,
Die alles Sein von hinnen nimmt
Mit Unerbittlichkeit;
All deine Gaben, noch so hoch,
Und all dein Wert, sie wirken doch
Dir keines Tages Gnadenfrist,
Wenn deine Zeit erfüllet ist.

Die schönen Tage mein, sie schwanden,
Wie eine Welle auf dem Meer,
Des Lebens Lust kam mir abhanden,
Kein Zauber bannt sie wieder her.
Der Stoa Weisheit ernst und kalt
Ward längst mein einz'ger Trost und Halt,
Und Will's mit mir herniedergehn,
Heißt sie mich geistesstark erstehn.
Hin flieht das Heute; voller Sorgen,
Ein Reich der Zweifel, ist das Morgen,
Und das Vergangne ist mir kaum
So wesenhaft als wie ein Traum.
<26>Was soll, hoffärtig Menschenkind,
Der Schöpferdünkel deines Geistes
Auf das, was er erkennt, ersinnt?
O beug' dein Herz, dein kindisch-dreistes,
Ermiß, wie schwächlich,
Hinfällig, gebrechlich
Dein Lebensschicksal und wie kurz dein Lauf!
Kaum schlägt der Mensch die Augen auf,
Verfällt er schon der dunklen Macht,
Die ihn entgegenzerrt dem Nichts, der Nacht.
Das gleiche Ende und das gleiche Ziel
Ist einem Mävius26-1 und ist Birgit
Ohn' Unterscheidung zugedacht.

Ihr Toren, die der falsche Glanz
Flüchtigen Erdenguts betört,
Die ihr dem goldnen Götzen ganz,
Dem Herzverderber, angehört!
Für wen denn schafft ihr?
Häuft ihr, rafft ihr?
Im flücht'gen Weltvorüberwallen,
Flüchtig wie Lenz und Blütenfallen!
O kindisch Wähnen,
Wert der Tränen:
Was wird von all den Herrlichkeiten
Euch niederwärts begleiten?...

Wieviel Jahrhunderte verrannen,
Seit schöpferische Allgewalt,
Den ew'gen Stoff in Form zu bannen,
Dem Chaos gab die Weltgestalt!
Es waltet ob der Wirklichkeit
Allmächtig das Gesetz der Zeit:
Das Jetzt entflieht, kaum ward es mein;
Die Zukunft hastet hinterdrein —
Die Spanne deiner Daseinsfrist
Ein Pünktchen nur im Ew'gen ist!
O Mensch, ein Leben heißest du —
Was nur ein Augenblick, ein Nu!
<27>Ja, wenn es noch zwei Leben wären,
Zwei Menschenalter! Dann vielleicht
Dürft' man den Wahn schon eher nähren,
Der aufwärts zu den Sternen reicht!
Zu Götterhöhen keck entschweben
Möcht' euer kurzbemeßnes Leben —
Und seid doch all, ihr armen Toren,
Im Schlamm zu kriechen nur geboren,
Zu leben einen Augenblick,
Dann zu versinken — in das Nichts zurück!
Und Ihr? Ihr wollt nach Ruhm hienieden streben?

Wozu nach einem Glücke jagen?
Wozu des Himmels Ungunst wagen?
Glück ist ein heitrer Traum der Nacht,
Unglück ein Traum, der bang uns macht:
Was uns auf Erden widerfährt,
Sei's gut, sei's schlimm, es ist nicht wert
Der Freude oder Trauer
Bei unsrer Tage Dauer.
Was liegt mir da an Lust und Weh,
An Lieb' und Liebesnot? Ich seh'
Einen Faden gleiten und enden
In Atropos' Händen.

Glücksgüter, Würden, Ruhm und Ehren,
Was hoher Sinn nur mag begehren —
Gleißende Schemen, Dunst und Trug!
Wie Rauchgewölk im Wandelflug;
Im Wahrheitslicht
Wird all die luftige,
Schwebende, duftige
Morganaschönheit schnell zunicht!
Nichts hat Bestand,
Kein Reich, kein Land;
Das Mächtigste wie das Geringe
Erliegt dem Wandel aller Dinge.

Die Blindheit — tat sie von uns weichen!
Der Wahn, die Schwäche, die uns narrt:
<28>Was groß uns schien und ohnegleichen,
Seht, Kleintram war's von winz'ger Art;
Schwingt euch im Geiste himmelan
Zum Thron der Glorie, und dann
Schaut niederwärts vom Weltendom —
Wo bleibt Paris da? Peking? Rom?
Verschwunden alles! Ward ja doch
Der Erdenball
Ein Pünktlein nur im Weltenall!
Ach, was bleibt da vom Menschen noch?

So schwimmt man, eitelkeitbefangen,
Inmitten zweier Ewigkeiten:
Dort die, die vor uns hingegangen,
Dort künftige Unendlichkeiten.
Wie Tantalus, vom Wunsch entbrannt
Für Trugbesitz und nicht'gen Tand,
Rastlos geplagt
Von Sehnsuchtnot und Glücksbegehr,
Und hinter einem Traumbild her
Stets auf der Jagd —
So taumeln wir ins Nichts hinein.
Sieh, das heißt Leben, das, ein Mensch zu sein!

<29>

6. An Hermotim
Lob der Wissenschaft

Dir, Hermotim, bin ich als Freund begegnet.
Kann Dir ein Vater mehr an Liebe schenken?
Mit jedem Wunsche Hab' ich Dich gesegnet:
Muß ich Dich mahnen, an Dein Glück zu denken?

Früh reift' ich selbst die Früchte Deiner Jugend.
Nun seh' ich, ach! statt der erhofften Tugend
Das Ungestüm, das sich zum Lasier wendet,
Den Sinnenrausch, der Deinen Geist verblendet,
Den Zügel der Vernunft zerrissen schon,
Wo rings Gefahren Deinen Pfad umdrohn.
Des Aufruhrs Feuer lodert Dir im Herzen —
Was ich auch sehe, schafft mir Furcht und Schmerzen!

Jung, unerfahren trittst Du in die Welt,
Und wie Odysseus' törichte Gefährten
Verlierst Du Dich in Circes Zaubergärten;
Schon seh' ich Dich wie sie zum Tier entstellt.
Da locken Dich der Lust Sirenenlieder
Und Gaukelein in güldner Ketten Haft.
In Saus und Braus, jedwedem Zwang zuwider,
Lebst Du dahin, in Müßiggang erschlafft.
Dir schuld' ich Hilfe! Aus den Zauberketten
Will ich mit starkem Freundesarm Dich retten.
Den Trug, der Dich im Taumelglück der Sinne
Umstrickt, vernicht' ich, daß der Traum zerrinne!

Entstellt durch Lasier wird des Menschen Bild.
O sei wie einst zu edlem Tun gewillt!
<30>Kehr' um zur Arbeit, die den Geist ernährt,
Das Herz erhebt und unser Streben ehrt!
Dem dumpfen Pöbel mag man es verzeihn,
Spannt er ins Joch der Leidenschaft sich ein;
Denn nie noch unterschied sein dumpfer Sinn
Der Venus Tochter von der Buhlerin,
Die zarte Lust von seinem dumpfen Drang,
Der doch der Stunden öde nie bezwang.

Folge dem Trieb, wie's Dich der Pöbel lehrt!
Doch hast Du recht der Weisheit Rat vernommen,
So folge ihr zum Heil! Vernunft verwehrt
Uns Menschen keine Freuden, die uns frommen!
Wisse, ich lehre Dich die wahre Lust,
Die würdig ist, zu glühn in Deiner Brust,
Die nicht die Seele schlaff, verächtlich macht,
Nein, helle Himmelsflammen drin entfacht,
Die jung und alt die gleichen Freuden spendet,
Gleich hell erstrahlt in Freud und Leid,
Die bleibend ist, wie auch das Glück sich wendet,
Ob Du im Strom der Welt, in Einsamkeit,
Gesund bist oder trank, in Stadt und Land,
Bei Tag und Nacht, am Hof oder verbannt: —
Dein Lebensglück schenkt sie Dir allezeit!

Die Götter, die Erbarmen mit uns haben
Und lindern wollen unsern Erdenkummer,
Verliehen uns zwei holde Himmelsgaben:
Hoffnung heißt eine und die andre Schlummer.
Der Weise nur ward reichlicher bedacht,
Und süßen Trost hat Pallas ihm gebracht:
Die Wissenschaft, die uns so hoch beglückt
Und stets mit neuen Reizen uns entzückt,
Je näher, desto schöner anzuschaun!
Die Glücklichen, die ihr sich anvertraun,
Verschmähen falsche Güter und bereichern
Den Geist mit dem allein, was sie uns schenkt.
Doch wähne nicht, daß sie sich an uns drängt!
Sie reicht die Schätze aus des Wissens Speichern
Nur Dem, der treu sie liebt und ihre Huld
<31>Durch Fleiß erringt und zärtliche Geduld.
Liebst Du sie wahr, wird sie Dir viel bescheren,
Und recht genützt, kannst Du das Gut noch mehren —
O heil'ger Hort der Tugend, frei von Schuld!

Die Wahrheit führt den Griffel der Geschichte,
Sitzt über alle Zeiten zu Gerichte;
Versunkne Reiche läßt sie neu erstehn,
Zeigt sie im Wachsen, Blühen, Untergehn.
Da lernt man ohne äußre Macht regieren,
Nur durch des Worts Gewalt die Geister führen;
Man lernt sich selbst erkennen und bezwingen,
Die Herrschaft übers eigne Ich erringen.
Von der Erfahrung läßt sich unser Geist
Ins Innre der Natur behutsam leiten;
Mit Maß und Zahl durchdringt er dreist
Des Weltenraumes grenzenlose Weiten.
Im Urgrund der Natur, der Dinge Schoß,
Legt er geheimnisvolle Faden bloß.

So wird der Weise Herr der Elemente,
Vereint in sich, was Raum und Stunde trennte.
Mitleidig sieht er auf dem Erdenball
Der Herrschermacht Gepränge — Rauch und Schall,
Und jene aufgebauschten Nichtigkeiten,
Um die sich wutentbrannt die Menschen streiten.

Der Sinne Zauberbann entgeht der Weise.
Ob auch Marcellus Syrakus bekriegt, 31-1
Zieht Archimedes ruhig seine Kreise
Und weiß nicht, daß die Römer schon gesiegt.
In seinem unstillbaren Drang nach Licht
Der Welt, der er Erleuchtung bringt, entrückt,
Allein nach Wahrheit ringend, sieht er nicht
Das Scheusal, das den Mordsiahl nach ihm zückt.
Ein Himmelsbürger, auf die Welt verschlagen,
Beklagt er ihre Kriege, ihre Not;
Sein Geist, gefeit gegen des Schicksals Plagen,
Verachtet falsche Güter, Schmerz und Tod.
<32>Doch das sind alte Fabeln, wirst Du sagen.
Manch Beispiel zeigt sich auch in unsern Tagen!
Sieh jenen Weisen, wie er, stets beneidet
Und stets verfolgt, sich dennoch still bescheidet!
Als Bayle erfuhr, daß ihm der Ehrensold,
Den Holland seinem seltnen Geist gezollt,
In Rotterdam durch eines Elfters32-1 Wut
Entrissen sei, verlor er nicht den Mut,
Beklagte lächelnd jenen Glaubenssireiter
Und schrieb in tiefster Armut ruhig weiter.

Kann Fürsienzorn und kann der schwarze Neid
Zum Räuber unsrer Geistesschätze werden?
Sie sind — Doch Du blickst finster und zerstreut,
Und Langeweile künden die Gebärden.
„Sieh“, sprichst Du, „dieser sechzig Wappen Zier:
„Die heben aus dem Pöbel mich heraus.
„Mein Stammbaum ist bekannt, verwandt mit mir
„Von alters her manch adelsstolzes Haus.
„Ich habe Güter, Geist und Gaben. Mich
„Sieht jeder gern, wenn nicht Frau Fama lügt.
„Natur beschenkte mich so mütterlich:
„Was würde durch die Kunst hinzugefügt?“

Gewiß, Dir war Natur sehr wohlgesinnt.
Doch laß Dir sagen, ohne daß Dich's kränkt:
Sie hat gleich viel dem rohen Stein geschenkt,
Der Seidenraupe, die ihr Haus sich spinnt,
Den wilden Reben, die im Wald gedeihn.
Die Kunst erst gibt den Schliff dem Edelstein.
Das Seidengarn, gehaspelt auf die Spule,
Von flinker Hand gewirkt am Webestuhle —
Sieh, wie's der Iris Farbenspielen gleicht
Und wie vor ihm der Blumen Pracht erbleicht!
Der Rebstock, den des Gärtners Kunst nicht pflegt,
Nutzloses Laub statt süßer Trauben trägt.
Die Kunst erst prägt die Gaben der Natur:
Wer beides eint, ist auf der rechten Spur.
<33>Reich bist Du, wohl! Allein woher Dein Glaube,
Ein Häuflein Gold bedecke Dich mit Ruhm
Und Deiner Ahnen großes Heldentum,
Der Modernden, erhöbe Dich vom Staube?
Hängst Du noch so am gröbsten Vorurteil?
Ein altes Pergament, ist das Dein Heil?
Der Wert des Menschen liegt nicht in den Gaben,
Die uns der Zufall schenkt und wieder raubt,
Und nur ein Tor in seinem Wahne glaubt,
Daß Geld und Güter innre Werte haben.
Fünftausend Taler sind des Glückes Pfand
In einem Nest wie Brieg, doch in Berlin ein Tand.
In Brieg bewundert, in Berlin verlacht —
Mußt Du Dir nicht zur eignen Schmach gestehen,
Daß man nicht Deinethalb Dich angesehen,
Nein, daß der volle Beutel alles macht?...

Reichtum erweckt nur Eifersucht und Neid.
Zwar jeder nennt Dich Freund, ist dienstbereit
Und macht den reichen Tropf flugs zum Voltaire.
Doch flieht das Glück, so kennt man Dich nicht mehr
Und geißelt Dich und stellt Dich hämisch bloß;
Die einst freigebige Hand läßt jeder los,
Und statt der Tugenden, die man Dir angedichtet,
Sieht nun der Haß nur Fehler, die er richtet!
Doch das Verdienst wird schließlich stets gerächt
An einem Midas, den das Volk zum Götzen
Erwählte: seines Flitters bunte Fetzen
Verbergen seine innre Hohlheit schlecht.
Er gleicht der Blase, die, vom Wind geschwellt,
Durch einen Stich in nichts zusammenfällt...

Willst Du geliebt sein, willst Du Gutes schaffen,
Sei sittenstreng, laß nie den Geist erschlaffen.
Der Wüstling wird verpönt, verlacht der Tor,
Doch das Verdienst tut schließlich sich hervor.
Man braucht es, sucht es, und es kommt zu Ehren,
Und höchste Lust bleibt stets, sich selbst belehren.
Nur sie vielleicht erträgt ein Übermaß,
An dem noch nie die schwarze Reue ftaß.
<34>Doch von den schnöden Lüsten, die ich schmäle,
Bleibt öd und leer das Herz, und Überdruß
Legt wie ein Alb nach jeglichem Genuß
Sich mit erloschnem Aug' auf Deine Seele.

Ergreift nach Ruhm Dich ein geheimes Sehnen,
Die Geistesgaben weisen Dir die Bahn,
Und gleiche Gunst gewährt Frau Fama denen,
Die in Apolls und Mars' Geleite nahn.
Selbst Helden sah man sich vor Weisen neigen,
Ehre der Tugend und dem Geist bezeigen ...
In allen Zeiten, da die Kunst geblüht,
Zwiefach gekrönt siehst Du die Herrscher thronen.
Für Kunst und Wissen ist die Welt erglüht,
Und Ruhm verleiht sie, das Verdienst zu lohnen ...

Ihr blöden Geister, wandelnde Maschinen,
Die nur im dumpfen Joch den Sinnen dienen,
Wie jener König, der zu stolz-vermessen,
Von Gott gestraft ward, Gras im Wald zu fressen:34-1
Ein Traum ist euer Sein; eh' ihr erwacht,
Ist euer stumpfes Leben hingebracht.
O fürchte, Hermolim, dies grause Muß!
Laß Dich beizeiten aus der Dumpfheit wecken.
Laß untergehn die Narren und die Gecken
Im Sinnentaumel und im Überdruß,
Als Schmach der Menschheit, von der Welt verachtet:
Die Weisheit blüht, wo's um die Toren nachtet!

Ihr Teil empfing jedwede Kreatur,
Den Trieb das Tier, der Mensch erhielt den Geist,
Der ihn nach Wahrheit trachten heißt.
Sind wir auch gleich den Tieren von Natur,
So werden wir den Himmlischen verwandt
Durch ihre hehre Gabe, den Verstand.
Sardanapal verliert sein Geistesgut:
Der Flamme gleich in der Vestalin Hut
<35>Will diese Glut geschürt sein und genährt;
Denn bald verlischt sie, wenn man sie nicht mehrt!
Nur diesen Rat kann Dir die Weisheit geben:
Hindämmern ist der Tod, viel Denken Leben.

<36>

7. Ruhm und Eigennutz

Sei's Überdruß, sei's, weil ein jedes Ding
Sich überlebt: vom Wahn, der mich umfing,
Wie alle Welt, kehr' ich mich ab. Mein Blut
Rollt minder heiß; schon stellt mein Herbst sich ein:
Zeit wird es, der Vernunft Gehör zu leihn!
Die blinde Jugend findet alles gut,
Doch andre Zeiten, andre Sitten: schließlich
Erstickt die Weisheit unsrer Wünsche Glut.
Wohlan denn, nüchtern Denken ist ersprießlich!
Streng wäg' ich ab: was gilt die Mörderlust
Des Oktavian, die Tugend des August?36-1

Die Tugend, immerfort im Mund geführt —
Wie oft mißbrauchte sie der Ehrgeiz nicht?
Sprecht, ob sie wohl dem Britensiolz gebührt,
Der ungestraft Europens Hader schürt
Und Herrscher, die Gefahr ihm drohn, besticht,
Der seines eignen Volkes Sinn verdirbt, 36-2
Der schlau mit Gold sich feile Söldner wirbt
Und lächelnd dieses blut'ge Urteil spricht:
„Ihr Menschen, schlachtet Euch, so ist mir's recht!“

Wie kann man ohne Murren es ertragen,
Wenn sich ein Geizhals, seines Goldes Knecht,
Der Tugend Namen anzutun erfrecht?
Wie darf er sich mit ihm zu schmücken wagen?
<37>Er maßt sich einen Ruhmestitel an:
Was tat er denn, wodurch er Ruhm gewann?

Zur Fahrt bereit, sein Schiff im Hafen schaukelt;
Widrige Winde halten es gebannt.
Er flucht dem Schicksal; seine Hoffnung gaukelt
Ihm Schätze vor im fernen Morgenland ...
Da schweigt der Sturm; beglückt eilt er an Bord;
Der Anker steigt, das Schiff verläßt den Port.
Er trotzt dem Wintersturm, dem Sonnenbrand,
Hält jeder Mühsal unverdrossen stand,
Verachtet die Gefahr, die ihn bedräut:
Nichts schreckt den Geist, dem Eigennutz gebeut!
Da zieht ein Wetter auf; gen Himmel türmen
Die Wogen sich, und klaffend gähnt ihr Schlund;
Des Schiffes Mast zersplittert in den Stürmen;
Am Riff zerschellend, sinkt es auf den Grund.
Die Mannschaft rettet aus dem nassen Grab
Auf Trümmern sich und schwört die Seefahrt ab.
Der Geizhals flucht dem falschen Element,
Doch kaum an Land, reißt ihn das gier'ge Trachten
Von neuem hin, und frisch sein Mut entbrennt.
Die Habsucht spricht: „Gefahr mußt Du verachten;
„Die Dornenpfade führen Dich zum Glücke!“
Der arme Nimmersatt, er zaudert kaum,
Vergessen hat er schon des Meeres Tücke;
Der Eigennutz bleibt Herr: sein Hoffnungstraum,
Gewohnheit, Unrast, Gier auf Gold versagen
Ihm jeden Wunsch nach friedlichem Behagen,
Und noch vom Schiffbruch triefend, eilt er toll
Zu Schiff und trotzt aufs neu der Stürme Groll.

Was nützt dem Midas all sein Überfluß?
Verschlingt er wohl das Gold in seinen Speichern?
Das Schicksal macht uns alle gleich: er muß
Zu neuem Aufwand täglich sich bereichern.
Nicht reich macht ihn die Habe, die ihn quält:
Arm fühlt er sich durch alles, was ihm fehlt.
Doch lächerlicher und noch mehr vernarrt,
Wer nie genießt und nur zusammenscharrt,
<38>Bis grinsend ihn der Tod von ungefähr
Mit seiner Hippe trifft und einen Erben,
Der Mangel litt und lauert' auf sein Sterben,
Mit Schätzen überhäuft! Noch ehe der
Ins Grab ihn bettet, leert er schon die Truhen
Und schlürft die Weine, die im Keller ruhen:
So weit kann Torheit einen Geist verblenden!

Doch wenn sich Geiz am eignen Leibe rächt,
Bedroht die Ehrsucht unser ganz Geschlecht.
Nach Größe strebt sie mit dem Dolch in Händen;
Ihr Planen und Vollbringen höhnt das Recht;
Zum Frevel wird der Tatendrang entstellt.
Solch schlimmer Hang, die Lust verderbler Seelen,
Wälzt Staaten um und siört die Ruh der Welt:
Ein Märchen will ich Euch davon erzählen.

Die schnöde Selbstsucht und der stolze Ruhm
Sahn einst auf Erden sich nach Narren um.
Da wurden Hirten, Bürgersleute, Priester,
Vornehme Herren, Krieger und Minister
Durch ihre schlimmen Gaben bald betrogen.
Am Weg bei einer Hütte sahn die beiden
Den Hirten Damon seine Schafe weiden.
Dem schlichten Jüngling war Natur gewogen:
Geist und ein fühlend Herz war ihm beschieden;
An Freiheit hing er, liebte Ruh und Frieden.
Weltfern, mit Phyllis nur und seiner Herde
Lebt' er beglückt auf seinem Stückchen Erde.

„Wie?“ sprach der Ruhm empört, „soll dieser Hirt
,Die Schmach uns antun, so mit Glück zu prunken?
„Wir haben manchem schon den Sinn verwirrt,
„Selbst Tugend, Weisheit sind oft hingesunken.
„Wie viele wären ohne uns beglückt!
„Doch hätten wir umsonst die Welt berückt,
„Umsonst entstammt der Kriegesfackel Glut
„Und uns gebadet in der Opfer Blut?
„Fürwahr, solang wir hier allmächtig sind,
<39>„Ziemt es sich nicht, uns stumm darein zu fügen,
„Daß dieser Schäfer unsrer Macht entrinnt.
„Auf! Stören wir sein weises Selbstgenügen!
„Auch er verspüre unsre Allgewalt!“

Um Damon desto sichrer zu betrügen,
Nahn sie in Hirtenkleidung und -Gestalt
Und reden sanft und schmeichlerisch ihn an.
Der Ruhm beginnt: „Beklagenswerter Mann,
„Warum verhehlst Du uns und aller Welt
„Der Gaben Fülle? Zeig' Dich unverstellt!
„Erkenn' Dich selber! Stirbst Du namenlos,
„So stirbst Du zwiefach. Dein Talent ist groß:
„Sei's auch die Laufbahn! Komm und tritt ans Licht!
„Verbirg Dich, Zier der Menschheit, länger nicht!
„Dich ruft das Glück; Ruhm, Ehre harren Dein;
„Gewisse Größe darfst Du Dir erhoffen.
„So wähle denn — die Wege stehen offen —
„Willst Du Minister, Dichter, Feldherr sein,
„Gefeiert von der Mitwelt und verehrt,
„Dereinst gar zur Unsterblichkeit verklärt?
„Siehst Du die Hirten dort in dumpfem Staunen,
„Wie sie, von Deinem Glanz geblendet, raunen:
„Ist das der Damon, der einst Schäfer war?
„Schon plagt Colin und Lycidas der Neid:
„Sie bersten, sehn sie Deine Herrlichkeit!“

Die Rede klingt ihm neu und wunderbar
Und sinnbetörend; tief in sein Gemüt
Ist schon der Ehrsucht schleichend Gift gedrungen,
Und für den Ruhm ist Damon rasch erglüht.
Der Eigennutz sieht ihn schon halb bezwungen;
Flugs stürmt er auf den Hirten ein und schwellt
Sein Herz mit unstillbarem Durst nach Geld.

„Erkenne“, spricht er, „Deine Unklugheit
„Und lerne, wo das Glück zu finden ist.
Du darbst und wähnst, daß Du enthaltsam bist —
„Ha! Solche Einfalt, Hirt, gen Himmel schreit!
<40>„Was bist Du? Deiner Herde blöder Sklave,
„Treibst sie zur Tränke nur und scherst die Schafe,
„Indes so mancher lebt im Überfluß
„Und sorglos frönt dem weichlichen Genuß!
„Welch wohliges Behagen findest Du
„In den Palästen, welch bequeme Ruh!
„Sieh das Lustwandeln ihrer Herren an:
„'s ist ein Triumphzug; üppig sind die Mahle,
„Und jedes Fest gleicht einem Bacchanale!
„Wir alle sind dem Reichtum Untertan;
„Das Gold beschert Talente, Freunde, Ehren,
„Und wo es fehlt, ist Notdurft und Entbehren.
„Mit hohem Geist, Vorzügen wunderbar,
„Doch arm, bist Du ein tugendhafter Narr!
„Das Gold herrscht hier auf Erden unbeschränkt:
„Willst Du bestrittne Rechte Dir erkämpfen,
„Kannst Du den Aufruhr in der Brust nicht dämpfen,
„Ein goldner Hammer alle Türen sprengt!
„Man feiert Deine Gaben und erträgt
„Die Torheit selbst: dies kostbare Metall
„War stets der Dinge Nerv und überall
„Die Triebkraft, die rundum die Welt bewegt!“

Der Ärmste hält, vom Eigennutz erfaßt,
Nicht länger stand und fällt in seine Schlinge.
Phyllis, die Herde, die vertrauten Dinge
Sind vor dem Gaukelspiel zu nichts verblaßt.
Sein ländlich Leben dünkt ihn blöd und leer;
Nach Glanz und Gütern sieht nun sein Begehr,
Und er verläßt die Trift, sein häuslich Glück.
Die arme Phyllis — was geschah mit ihr?
Mit bangem Laut — ihr bricht das Herze schier —
Ruft sie den heißgeliebten Freund zurück,
Er geht, von ihren Tränen ungerührt,
Vom Eigennutz verhärtet. Ihn entführt
Der stolze Ruhm, verachtend seine Gier.
Wie reich an Reizen, neu und immer neuer,
Dünkt einem armen Hirten doch die Welt,
In die Natur ihn schlicht und arglos stellt!
<41>Schwer ist die Wahl; er geht auf Abenteuer.
Die Sucht, sich Ruf und Ehre zu erringen,
Macht ihn zum Musenschüler; sein Geschick
Steht glänzend, lockend stets vor seinem Blick.
Um rascher ans ersehnte Ziel zu dringen,
Kürzt er durch Feuereifer sich die Wege;
Der Genius leiht ihm seine starken Schwingen.
Bald ist er allbekannt — doch als Kollege
Kommt er den schönen Geistern ins Gehege.
Die Verseschmiede und die Schreiberseelen
Verfolgen ihn mit ihrem gift'gen Schmälen;
Aus seinen Richtern spricht der nackte Neid.
Rasch wird ihm diese Art des Ruhmes leid:
Gehüllt in Schweigen, müde des Geschreis,
Gibt er den eignen blinden Eifer preis.

Damon verläßt des Pindus Höhn; sein Sinn
Strebt höher nun — zur Heldenlaufbahn hin.
Seit er zu Mars und zu Bellona schwört,
Trotzt er dem Zufall, hält Gefahren stand,
Beschirmt den Thron und rächt sein Vaterland.
Er führt zum Sturm, hat Wall um Wall bezwungen;
Der Stab wird sein, der manches Hirn verstört;
Den Siegen folgen die Eroberungen —
Noch ein paar Siege mehr und ein paar Glieder minder,
Und Damon gleicht des Brutus Überwinder. 41-1

Doch andre spinnen Ränke; scheeler Neid
Begeifert ihn mit seinem Gift und raubt
Den Siegeslorbeer von des Jünglings Haupt.
Was er vollbracht, nicht seiner Tüchtigkeit
Schreibt man es zu — der Dummheit der Rivalen.
Dafür, daß er das Vaterland befreit
Aus höchster Not, soll er nun Buße zahlen.
Sein Tatendrang weckt des Ministers Groll;
Ein Sieg noch und sein Sturz ist ausgemacht.
Verspritzt er auch sein Blut in mancher Schlacht,
Es macht der Undankbaren Zahl nur voll.
<42>Man klagt ihn an, die Lästernde schwirrt;
Der glatte Höfling und der Eisenfresser
Verleumden dreist und täuschen um so besser
Das blöde Volk, das leicht betrogen wird.
O welche Prüfung! Truggestalt des Ruhms,
Du bist der schlimme Lohn des Heldentums!
Flicht Tat um Tat in Deinen Siegeskranz,
Ein Neidbold raubt Dir allen Ruhmesglanz!

Im Schoß des Sieges, der sein Hoffen knickt,
Vom Neid gestürzt, befreit' er auch sein Land,
Kehrt er sich grollend ab vom Kriegerstand;
Doch ist die Ehrsucht nicht in ihm erstickt.
Sie weist ihm einen neuen Lebenslauf:
In einem Kabinett taucht Damon auf,
Verträge kritzelnd, Pläne ausgestaltend,
Europens Last auf seinen Schultern haltend,
Wie dieser neue Atlas töricht meint,
Doch finster, grüblerisch, ein Menschenfeind.
Als Kriegsmann übt' er Sittenstrenge: nun
Schwelgt er in Lastern, wie's die Großen tun.

Seit sich die Staatskunst an Sophismen hängte
Und sich mit Machiavellis Gift durchtränkte,
Sieht man nur Schurken, pfiffig und verlogen,
Minister, bald Betrüger, bald betrogen.
Die Ehre löst sich auf in eitel Dunst,
Und durch Verbrechen lernt man Herrscherkunst.

Die Seuche hat auch Damon übermannt;
Mißtrauisch wird er, falsch und hart wie Stein.
Machttrunken und in sein System verrannt,
Sieht, kennt und liebt er nichts als sich allein.
Nicht mehr der schlichte Hirte, still beglückt,
Dem in der Brust ein fühlend Herz noch schlägt,
Ein Krösus wird er, den sein Geld erdrückt,
Der Ekel, Schwermut tief im Busen trägt.
Er liebt Behagen, leidet Müh' und Qualen,
Sucht einen Freund und findet nur Rivalen.
<43>Beharrlich forscht er in der Zukunft Zügen:
Das tückische Geschehen straft ihn Lügen,
Indes die Welt, flugs gegen ihn ergrimmt,
Mit bitterbösem Urteil Rache nimmt.
Wie ihn so täglich Sorg und Gram beschleichen,
Läßt schon das Alter seine Haare bleichen.

Doch wie man's oft bei jungen Prassern sieht,
Daß, wenn in festem Schlaf der Rausch entflieht,
Sie zu Vernunft und Sitte sich bekehren,
So hält auch Damon, dem sein Wahn zuwider,
Wie einst die Weisheit und Vernunft in Ehren,
Verflucht den Eigennutz, das Ruhmbegehren
Und führt sein altes Hirtenleben wieder.
Die treue Phyllis drückt mit Freudentränen
Ihn an ihr Herz: erfüllt ist nun ihr Sehnen,
Und an der Weisheit Freuden sich erlabend,
Schließt Damon friedlich seinen Lebensabend.

Wohl allen, die, von der Vernunft belehrt,
Phyllis und ihre Herde nie verließen!
Die seichten Freuden, die der Ruhm gewährt,
Sind Seifenblasen, die in Dunst zerfließen.
Gesundheit, Freunde, Brot, ein wenig Liebe
Sind unser einzig Gut im Weltgetriebe.
Ihr seht sie rings, doch wie dem Tantalus
Beut sich umsonst die Flut Euch zum Genuß:
Des wahren Glücks ist nur die Tugend wert.

Du Geizhals, Du, an dem die Ehrsucht zehrt,
Geht denn und jagt nach Eurem eitlen Tand!
Das Menschenglück ist wetterwendisch: heute
Bestaunen Eurer Gärten Pracht die Leute,
Und morgen sind sie schon in fremder Hand.
Geliehn sind uns die Güter, nicht gegeben;
Gleich einem großen Wirtshaus ist das Leben;
Die Zeit trägt alles, Herrn und Knecht, zu Grabe.
Wozu in dieser kurzbemeßnen Frist
Stets Pläne schmieden? Nützt Fortunas Gabe,
<44>Anstatt daß innrer Zwiespalt Euch zerfrißt.
Weh dem, der strebt, zahlt er's mit solchem Preise!

Du fragst, was dieser lange Brief beweise?
Daß auf dem Meer des Lebens der Pilot
Den Hafen suche, wo kein Schiffbruch droht.

<45>

8. An d'Argens45-1
Über die Schwachen des menschlichen Geistes

Ein Zweifler, ja, Freund d'Argens, bin auch ich:
Gleich Dir lieb' ich's, mein Urteil auszusetzen.
Statt Deinen Geist zum letzten Schluß zu Hetzen,
Prüfst Du den wahren Grund bescheidentlich.
Du kennst den ewig irrenden Verstand,
Des Aberglaubens schmählichen Betrug;
Ich seh' in Deiner Philosophenhand
Die Wage schwanken: Dir ist es genug,
Zu zweifeln, doch Du fürchtest, zu bejahn;
Nie hat Parteiwut es Dir angetan!

Als Jüngling war ich stolz und dünkelhaft;
Rasch stand mein Urteil fest. In reifen Jahren
Lernt' ich vor dieser Torheit mich bewahren;
Da kam ich zum Bewußtsein meiner baren
Unkenntnis und der eitlen Wissenschaft.
Im Traum schwang ich zum Himmel mich empor
Auf Flügeln, die ich wachen Sinns verlor.
Mißtrauen lernt' ich da dem Phantasieren
Eilfertiger Neugier und dem Spekulieren
Des Grüblers, den sein eigner Wahn betrügt.

Mich deucht, ist zweckvoll diese Welt gefügt,
So ward vom Geist ein Fünkchen uns zuteil,
Das klein, für unsre Notdurft doch genügt.
Der Himmel gab es uns zu unserm Heil,
<46>Um unsres Schicksals Elend aufzuwiegen:
Sonst müßten wir den Leiden ja erliegen!
An Kräften stehn wir allen Tieren nach;
Hilflos als Kind, gefährdet ohne Waffen,
Müßt' uns im ersten Lenz der Tod entraffen.
Ein künstliches Gebild, gebrechlich, schwach,
Ist unser Leib; nur eine dünne Haut
Schützt uns vor Sturm und Frost; in stetem Ringen
Gilt es, die Elemente zu bezwingen.
Mit Spinnen, Weben ward der Mensch vertraut;
Er fällte Holz, mit dem er Hütten baut,
Grub Steine aus dem Fels und schuf sich Wagen,
Die schwere Bürde knarrend fortzutragen.
Doch mehr als alles galt es sich zu nähren,
Zu helfen und die Notdurft zu erklären,
Durch Laute seiner Seele Wunsch zu künden,
Das Feuer, das uns wärmte, zu entzünden,
Zum eignen Schutz sich Künste auszudenken,
Den Stahl zu Härten und das Tier zu lenken;
So gab Natur, um unser Los zu lindern,
Den Kunsifieiß einst den schwachen Menschenkindern.

Doch wenn der Dünkel die Vernunft bezwingt
Und unser Geist zu hoch empor sich schwingt,
Wenn unser Auge dreist die Nacht durchbohrt,
Mit der Natur sich rätselhaft umflort —
Glaul' nicht, der Weltplan würd' uns offenbar:
Nur unsre eignen Schranken sehn wir klar!
Der Sinne ledig, faßt der Geist nichts mehr;
Ihr Beistand nur kann durch das All ihn tragen,
Doch ohne sie treibt er ins Ungefähr,
Ein Schifflein auf dem grenzenlosen Meer,
Das masi- und feuerlos, vom Wind verschlagen,
Ein Raub der Wogen, fern dem Heimatstrand,
Am Riff zerschellt in unerforschtem Land.
Jedes System ist voller Widersinn:
Von Scylla reißt mich's zu Charybdis hin.

Geziemt es uns, selbstherrlich zu entscheiden,
Wo tausend Rätsel sich in Dunkel kleiden?
<47>Durch seine Sinne und durch ihren Trug
Lernt dies und das der Mensch — wenig genug.
Hört man ihn selbst, war er von je so klug,
Daß er, als Gott einst Erd' und Himmel schied.
Bei seinen tiefen Plänen ihn beriet
Und ihm gestalten half den Bau der Welt.
Das weise Rom, Athen, von Stolz geschwellt,
Beschrieben klar der Götter Art und Wesen
Und konnten nicht im Menschenherzen lesen!

Ist's Dir bestimmt, Du engbeschränkter Geist,
Dem Grenzenlosen Dein Gesetz zu geben?
Erkennst Du nicht, Du Wurm, so schwach wie dreist,
Die Kluft der Zeiten und Dein kurzes Leben?
Du willst den Strom des Werdens überschauen,
Du Eintagsfliege, die in ihm ertrinkt?
Dein Auge darf sich blinzelnd kaum getrauen
Ins Licht zu sehn; doch wähnst Du, es ergründe,
Wie sich der Sonnen Feuerbahn verschlingt!
Du sähst vom blachen Felde bei Berlin
Noch eher ragen Alp und Apennin,
Als daß Du wüßtest, wie das All entstünde.
Wärst Du auch Ödipus an Weisheit gleich,
Du fändest doch die Welt an Rätseln reich,
Im Größten wie im Winzigsten unendlich!

Ist dem Gelehrten wohl sein „Stoff“ verständlich?
Was ist Anziehungskraft? Er weiß es nicht.
Doch unentwegt schreibt er sein Lehrgedicht
Vom Geist in Wotten, unbestimmt und kraus.
Sein Kauderwelsch stellt uns die Seele dar
Als Hauch, als Himmelsglut, als Wesen gar.
Statt zu erklären, sinnt er Worte aus;
Wohl irrt er ab, doch bricht er keine Bahn.
In Abstraktionen schwelgt, spitzfindig nur,
Sein dürrer Geist; von Tiefe keine Spur.
Ob wir dem Schicksal sklavisch Untertan,
Ob frei der Wille sei — wie will er's wissen?
Sich kennt er nicht, allein sein Geist errät,
Daß anfangslos die Welt von je besieht.
<48>Ein andrer weiß, wie aus den Finsternissen
Des alten Chaos Gottes Werderuf —
Ein Wörtlein nur — der Dinge Ordnung schuf!
Sein Scharfsinn urteilt, ohne abzuwägen,
„Erklärt“, wie Wesen aus dem Nichts entstehn!
Weiß er, was „Leere“ sei? Ist einzusehn,
Wie Körper sich im vollen Raum bewegen?...

Bevor ein Sohn Euklids das Land aufnimmt
Und Berg und Tal auf seinem Plan bestimmt,
Prüft er zunächst sein mancherlei Gerät:
Je schärfer dieses, um so sichrer geht
Sein Werk vonstatten — welch ein weiser Brauch!
Gebührt es, eh man Schlüsse zieht, nicht auch,
Zu prüfen, wie beschaffen der Verstand?
Wer sich nicht kennt, ist in des Zufalls Hand,
Behauptet dies und das, verneint, bejaht.
Auf sich beschränkt, gerät auf falschen Pfad
Sein Wissensdrang, versteigt sich in das Leere.
Weiß er, ob der Verstand ihn nicht betrügt,
Ob sich sein Flattergeist dem Zügel fügt,
Ob nicht die Phantasie der Weisheit Lehre
Verspottet und mit ihm ins Blaue reist?
Doch unser Dünkel läßt den Wahn bestehen:
Er will durch Prüfung nicht beschämt sich sehen!

Ist's nicht, als ob der trügerische Geist,
Der Wahrheit ftemd, für Irrtum nur erglüht?
Vom Wunderbaren läßt sich das Gemüt
Gar leicht umstricken mit gefäll'ger Lüge.
Gleich einem schlechten Spiegel wirft es nicht
Das Bild der Wirklichkeit zurück: es bricht
Die Strahlen nur, verzerrt der Dinge Züge.

Der Mensch weiß nicht, wie weit sein Irrtum geht!
Als Weiser dünkt sich noch der größte Narr,
Bestaunt, von Eigendünkel aufgebläht,
Sein Können, bringt sich selber Weihrauch dar.
Schau, wie er täglich den Verstand mißbraucht!
Wenn Gold zu machen ein Adept verspricht,
<49>Sehn hundert gierbetörte Opfer nicht,
Wie in dem Tiegel all ihr Gut verraucht!

Ein Astrologe liest ein Strafgericht
Am Himmel und ein unheilschwangres Morgen;
Das Volk, verstört und stumm, ist voller Sorgen
Vor den Gefahren, die Saturn ihm droht.
Es wähnt, daß Gott, als Vorspiel großer Not,
Der Elemente feste Ordnung stört.
Wie? Stumme Sterne reden gleich Propheten?
Die Welt geht unter, zeigen sich Kometen?

Ich kenne manche, die der Wahn betört
Von Geistern und Vampiren, die uns plagen.
Nachts sehn sie jeden Schatten als Gespenst.
In stetem Grausen, das an Wahnsinn grenzt,
Und immerzu von Spuk beängstigt, klagen
Sie Tote an, den Lebenden zu schaden!

Allein mit Aberwitz noch mehr beladen
Ist spielend leicht betrogner Wunderglaube.
Das blöde Volk fällt jedem Schelm zum Raube,
Der mit Orakeln listig es belügt,
Durch Gaukelspiel von Wundern es betrügt.
Geh alle Zeiten durch und alle Lande:
An wunderlichen Kulten ist kein Mangel
Von Rom bis Peking, Memphis bis Archangel,
Daran die Menschheit hängt zu ihrer Schande.
Stets trieben Pfaffen ihr verruchtes Spiel
Mit unsrer armen Welt, der glaubenstollen;
Der Weihrauch dampfte vor dem Krokodil,
Verehrt ward alles bis zum Zwiebelknollen. 49-1
Schmach über Schmach! Selbst die Germanen brachten
Grausamen Göttern ihre Huldigung dar,
Und Menschenopfer sah man am Altar,
Um jener Götzen Zorn zu stillen, schlachten.
Doch hielt in ihrem Wahn die Welt noch Frieden;
<50>Des Glaubens Kraft ward nicht durchs Schwert entschieden:
In Blut erst watete das Christentum
Und brachte sich für neue Dogmen um.
Da war's, wo man den ftommen Mordsiahl schliff
Für einen Glauben, den kein Mensch begriff.
In neuem Wahn suchte die Welt ihr Heil,
Dem alten fluchend — keinem zu Gewinn!
Aus Schwäche zweifelt so der blöde Sinn
Des Volkes oder glaubt aus Vorurteil!

Wohin führt all der eitele Verstand,
Der prahlend uns als Herrn der Tiere preist?
Hirnlose Blödheit find' ich allermeist,
Das Denken geht mit Schwärmen Hand in Hand.
Ein Wahn, der schmeichelt, kann uns leicht bestechen;
Die siärlsie Seele zeigt sich voller Schwächen,
Und leider ist die Scheidung niemals rein:
Nur Scharfsinn sieht die eignen Schranken ein.

Den Sinnen haben alles wir zu danken;
Sie sind's, die unfern schwachen Geist ernähren;
Sie geben Halt und Stütze den Gedanken;
Erfahrung reift, verknüpfst Du ihre Lehren.
Läßt alles sich nur durch Vergleich begreifen,
Muß ohne sie der Geist ins Leere schweifen ...
Du, ein Atom im unermeßnen Raum,
Wähnst, daß Unendlichkeit sich Dir erschließt?
Dein Dünkel übers Ziel ins Blaue schießt:
Ein Mensch von Los, bist Du ein Gott im Traum.

Indes der Aar zum Sitz des Donners strebt,
Die bange Schwalbe scheu am Boden klebt.
Sei Du nicht zag, doch auch nicht flatterhaft:
Dir ziemt die Mitte; Vorsicht leite Dich!
Drum tadl' ich nicht den Hang zur Wissenschaft;
Sie ist dem Menschengeist gar förderlich.
Der Weise sei gelehrt, doch Eigensinn
Sei fern von ihm, sein Zweifel stets lebendig.
Sein Denken zügelnd, lerne er beständig
<51>Aus seiner eignen Ohnmacht Weisheit ziehn.
Ein Goldkorn hat für Arme hohen Preis,
Und vieles lernt, wer sieht, daß er nichts weiß.

Jedwedes Tier in dieser weiten Welt
Ist unter ein Gesetz und Ziel gestellt;
Natur hat allen ihren Platz gewiesen.
So gleicht der Mensch Antäus, jenem Riesen,
Der auf der Erde unbezwinglich blieb.
Ins Luftreich hob ihn Herkules empor:
Er starb, weil er sein Element verlor.
Nimm drum, o Mensch, mit deinem Reich fürlieb!
Wer könnte seiner Sphäre sich entziehn
Und atmen, wo Merkur und Venus kreist?
Der Pfau erstickt im Wasser, der Delphin
Stirbt in der Luft: so darf auch unser Geist
Der Sinnenwelt nicht ungestraft entfliehn.
Kurz, unsern Dünkel müssen wir verlieren;
Wir sollen handeln, nicht philosophieren.
Mit andren Sinnen wär' der Mensch geboren,
Wär' er zur Metaphysik auserkoren.
Dann wäre jedes Erdenband zerrissen;
Wir schwängen uns empor zu Himmelssphären,
Erkennten, was wir ahnen, doch nicht wissen:
Die ewigen Geister, Gott, den wir verehren.
Durchdringend wäre unser Blick, gestillt
All unser Sehnen ohne Astronomen.
Nichts war“ Problem, wo klarer Lehrsatz gilt,
Zerlegbar selbst Monaden und Atome,
Und die Natur erfassend im Entstehen,
Könnten wir auf den Grund der Dinge sehen.

Doch Gott hat diese Einsicht uns verwehrt;
Er macht uns glücklich ohne vieles Wissen.
Beugen wir uns in Demut seinen Schlüssen,
Zufrieden mit dem Los, das er beschert!
Sei Mäßigung und sei Behutsamkeit
Des schwachen Geistes ständiges Geleit!
In ihrer Hut erblühte ehedem
<52>Der Grieche,52-1 der uns selbst ein Vorbild war.
Des Geistes Dünkel kann' er, die Gefahr
Von einem klug gezimmerten System,
Und mit des Zweifels Schild bewehrt, entrann
Er weisheitsvoll des Irrtums Zauberbann.

Sein Schüler Cicero trug, was er lehrte,
Hinüber nach Ausoniens Gestad.
Vater des Vaterlands, groß im Senat,
Bedächtiger Denker, der dem Irrtum wehrte,
O weiser Cicero, sei Du mein Rat, —
Du, dessen Redekunst im Tribunal
Herniederschleuderte den Rachestrahl
Auf Catilinas schuldbedecktes Haupt,
Auf Verres, der SizUien ausgesogen,
Du, der nach Tuskulum zurückgezogen,
Die zweifeln lehrte, die zu leicht geglaubt,
Der uns den Weg zum wahren Glücke wies,
Indem er uns den Reiz der Tugend pries!

Ja, laßt im Himmel das erhabne Wissen!
Auf Erden bleibt das Lasier zu bezwingen.
Was hilft es uns, trotz allen Hindernissen
Zu Höll' und Himmel trotzig vorzudringen?
Statt uns in dieses Labyrinth zu wagen,
Laßt uns die Sittlichkeit im Busen tragen —
Sie, die gestreng das tiefste Herz ergründet,
Der Menschen Bosheit ungeschmintt verkündet,
Die Fehler geißelt, gegen Torheit kämpft,
Der Leidenschaften irren Taumel dämpft
Und unbestechlich Fehl und Tugend scheidet,
Die aller falschen Hüllen uns entkleidet
Und Rasende zur Menschlichkeit bekehrt,
Die hoffärtige Könige belehrt,
Daß sie nur Menschen sind, uns gleichgestellt,
Und die im Mißgeschick uns aufrecht hält.

O hehre Tugend, heilige mein Lied,
Daß Epikur der Stoa sich verbinde!
<53>Ihm leihe Schwung und mache sie gelinde:
Je sanfter man zu Dir des Weges zieht,
Je lieber wird die Menschheit Dir sich weihn.
Mein ganzes Forschen gelte Dir allein,
Solange das Geschick mir Frist gewahrt!
Nicht grübelnd will ich meine Zeit verschwenden,
Die zum Genießen die Natur beschert:
Mich soll Descartes und Leibniz nicht verblenden!

<54>

9. An Maupertuis54-1
Die Vorsehung fragt nicht nach dem Einzelwesen, nur nach der Gattung

Nein, Maupertuis, ein hochgestimmter Denker,
Wie Ihr es seid, der kann den Wahn nicht hegen,
Als wäre Gott, dem großen Weltenlenker,
An jedem nichtigen Einzelding gelegen!
Die ewige Weisheit sollte sich befassen
Mit unserm bißchen Freud und Leid?
Wie käm' sie dazu, sich herabzulassen
Zu unsrer Winzigkeit?
Ach, dieses Einzelwesen, dies Ich,
Wie dürft' es im Ernst wohl vermessentlich
Mit seinen Nöten und Nötchen allen
Dem Weltengeiste beschwerlich fallen?
Der aller Dinge erste Ursach war,
Den alten Stoff in feste Formen bannte;
Der Urbeweger gab, der Unbekannte,
Den Wesen ihr Gesetz unwandelbar:
Da strebt zu einem Punkt hin alle Schwere,
Die Flamme steigt im Luftraum lodernd auf,
Das Wasser fällt, lenkt nie zurück den Lauf,
Nichts lebt, das frei von Artbegrenzung wäre.
Aus einem Reis von Apfelbaum wächst immer
Ein Apfel nur, doch eine Rose nimmer.
Und keiner eine Wirkung denken kann,
Die nicht der Ursach sklavisch Untertan.
<55>So ward dem Menschen auch in dieses Leben
Sein Unveräußerliches mitgegeben:
Der Leidenschaften Wiegenangebind,
Die fortan Herren seines Innern sind,
Sein Herz bewegen und sein Tun bestimmen.
Ihr Herrscherwalten zeigt sich in der Tat,
In Wirkungen, mehr oder minder schlimmen:
Haß, unversöhnlicher, gebiert Verrat;
Die Liebe mischt in ihre Süßigkeiten
Ihr grimmes Gift, lockt uns in irre Weiten,
Sobald sie die Vernunft geködert hat;
Unruhvoll, stets voll Arg und Eifersucht,
Tränkt sie uns Tollheit oder Schwermut ein;
Der Zorn ist jäh, ist blind; er hetzt allein
Die Sterblichen zu Taten, ganz verrucht.
Wir alle sind gezeichnet mit dem Male
Der oder jener Leidenschaftlichkeit.
Ihr seht: Notwendig seid ihr, wie ihr seid!
Lacht auch ein Demokrit in jedem Falle,
Ein Heraklit weiß nur vom Daseinsleid.
Der da ist hart — warum? Weil seine Galle
Ihn also will; ein andrer schnell gerührt —
Warum? Weil er zu bald sein Herz verspürt.

Gott schuf die Mächte unsres Innern. Wer
Ahnt die Gesetze des Wohin, Woher?
Ihre Verteilung auf der Menschheit Weiten?
Und mit den seelischen Verschiedenheiten
Gestalten die Geschicke sich verschieden;
So wird das Leben bunt und reich hienieden,
So kann das Weltenschauspiel nie veralten
Und muß sich immer wieder neu gestalten.

Doch das allmächt'ge Wesen ftagt nicht viel,
Welch eine Rolle ich hier unten spiel',
Noch welches Schicksal etwa meiner harrt:
Was zum bewegenden Gesetz mir ward,
Das trägt mich sott; mein Dasein ist ein Fließen
Stromab, stromab. Wenn Gott aus Weltenhöhn
<56>Sich mal herabläßt, erdenwärts zu sehn,
Sieht er den Schierling bei der Rose sprießen:
Gleichmütig bleibt sein Blick! Das Große nur,
Das ist sein Werk; in Unermeßlichkeiten
Sucht seiner Weltenhoheit Riesenspur!
In Plänen nur, die ganze Ewigkeiten
Vordenkend und umfassend überspreiten,
Lebt er, auswirkend seine Göttlichkeit.
Doch was das dumme Völkchen drunten schreit,
Dafür hat er lein Ohr, denn ihn bewegen
Nicht Sorgen, er ist nie um Rat verlegen
Und weiß von keiner Mühsal, Pein und Not.
Er weiß, er braucht sich fürder nicht zu regen:
In seiner Schöpfung waltet sein Gebot,
Lebt das Gesetz, das er ihr auferlegt.
Gehorsam läuft nun alles, unentwegt;
Und jede Kraft, die er dem All geliehn,
Die wahrt's in treuer Hut, auch ohne ihn.

So setzt ein Meister, der ein Uhrwerk baut,
Die Federn ein, jede an ihre Stelle,
Bestimmt genau des Umlaufs Maß und Schnelle —
Gehorsam läuft es nun, und er vertraut,
Es werde, ohne daß er's überwacht,
Im Gange bleiben, ganz wie er's gedacht.
So läßt auch Gott, nachdem vor aller Zeit
Er einmal zu beständiger Wirksamkeit
Urkräfte eingesetzt, die ersten, alten
Ursachen noch im Weltgeschehen walten.
Der Wirkung sicher, läßt er allen Dingen
Geruhig ihren Lauf, ganz einerlei,
Ob's uns zum Fluche oder Segen sei;
Dient alles doch nur seinem Plan dabei,
Dem großen Weltplan, und der muß gelingen!
Nein, was die ew'ge Weisheit wollte,
Da sie dem Stoffe dieser Erde
Gesetze gab, das galt allein
Der Art, daß die erhalten werde,
Indem sie stets sich neu ergänzen sollte,
<57>Was sie im einzelnen auch büße ein.
Da füllt das Heute gleich die Lücken
Des Gestern aus, sowie auch wir
An unsrer Väter Stelle rücken;
Seht, so vermehrt sich im Luftrevier
Das Raubzeug ständig, so fördert der Rhein
Seine Wassermengen ins Meer hinein;
So wachsen Waldungen allerenden,
Ein Sprossen, ein Grünen, ein Blühn und Gedeihn,
Jedes Samenkorn will erschlossen sein,
Welch fruchtbares Sichselbstverschwenden!
Auch was vergeht, zu Boden fällt,
Hilft mit, zu erneuen das Bild der Welt.
Doch alle Fruchtbarkeit, sie schafft,
Alle im Innern treibende Kraft,
Immer nur eine Gattung und Art,
Die treu die eigenen Grenzen wahrt.

Begreift es denn, daß die Natur
Ein Herz hat für die Gattung nur!
Da sorgt sie getreulich und unverdrossen,
Daß siugs jede Lücke werde geschlossen.
Und ihre Fruchtbarkeit erhält
Nicht nur lebendig den Bestand der Welt:
Geburtenfülle übergroß
Verströmt ihr unerschöpflicher Schoß!
Sie weiß, aus einer Eichel kann einmal
Ein Eichbaum aufgehn, im besten Fall;
Doch ist sie für die vielen tausend blind,
Die da versprengt von Wetter und von Wind,
Am Raine, auf den Feldern überall,
Ohne zu keimen je, verrottet sind.
Wenn in Wolkenbrüchen und Regenguß
Hier die Hoffnung des Sommers verderben muß,
Was tut's? Es wächst wo anders ja
Inzwischen der Segen im Überfluß.
Was geht's die Natur an, daß Afrika
Von jeher die Märkte Frankreichs versah,
Daß Deutschlands Ähren
<58>Die Briten nähren?
Uns mag das freilich wichtig sein,
Vor ihrem Blick ist's nichtig, klein;
Die Welt, die große, grämt's keinen Deut,
Die läuft ihren Weg, wie gestern so heut.

Seht, wenn der Lenz des Eises Fesseln sprengt,
Dann überschwillt in unsern nordischen Bächen
Der Flutenschwall, der her von Sachsen drängt,
Und unsre Weiden, unsre Wiesenflächen
Der Elbsirom ganz in Schlamm und Tang ertränkt.
Dann kennt der stolze Fluß sein Bett nicht mehr,
Seine Flut überquer
Springt flüchtend über ein Ufer her:
Sie fragt nicht, wem der Boden dort,
Hüben und drüben, zu eigen mag sein,
Ob euer, ob mein,
Da spült sie an, dort reißt sie fort.
So kann's für das große Ganze des Alls
Verluste nie geben,
Doch wird der Ewige keinesfalls
Herab sich lassen zum Einzelleben.
Er lacht des Menschen, eitelkeitbefangen,
Dem nur sein liebes Ich was gilt,
Der, wenn sein Leben nicht nach Wunsch gegangen,
Dummdreist aufs höchste Wesen schilt.
Was möchtet ihr zum Maulwurf sagen,
Wollt' es der stockblinde Wühler wagen,
In seinem Schacht über Berlin
Und seine Schlösser herzuziehn?
Der mit der Nase in der Krume steckt,
Nicht ahnt, wie weit solch Prachtbau sich erstreckt!
Der Maulwurf ist der Mensch, Freund Maupertuis:
Eng, wie die Welt um jenes kleine Vieh,
Ist ihm der Sinne, des Erkennens Reich;
Falsch ist sein Urteil, und Irrlichtern gleich,
Was ihm an Licht mag aufgehn. Stein und Bein
Klagt hier ein Landmann: in sein Tal hinein,
Auf seine Feldflur strömt ein Wässerlein,
<59>Ein schlammgetrübtes; und nun klagt er drum
Die Götter an! Ei, kennt er ihr Warum?
Das dürre Moor, das seine Herden weidet,
Dankt seinen Blütenteppich, der es kleidet,
Dem Bach, dem nützlichen; auf Schlängelwegen
Zieht einem Strom er dann entgegen,
Durch dessen Mündung sein flutendes Leben
Dem Meere zu geben.

So unfrei ist der menschliche Gedanke,
So schief, so schielend ist des Menschen Blick:
Was er erkennt, das ist sein Mißgeschick;
Doch ob nicht jenseits seiner Daseinsschranke
Der größren Welt sein Leid zugut gekommen,
Das hat sein enger Sinn nie wahrgenommen!
Verschwindend Stäublein! Würmlein du,
Was klagst du über Unrecht immerzu?
Was schuldet die Natur dir? Hat sie, sprich,
Versprochen dir, den Gang der Welt zu stören
Nur dir zuliebe, lediglich, um dich
Mit allen Mühn und Sorgen, allem Schweren
Hübsch zu verschonen? Laß dich nicht betören
Von deiner Hoffart, die dich elend macht!
Erstick' den Stolz, und denk, o Menschenkind,
Ans Märlein von der Milbe und dem Rind.59-1
Was zählt im Riesenhaushalt, gotterdacht,
Im Haushalt einer Welt,
Ein Menschlein wohl? Kaum, daß ein Staat da zählt!
Ein Reich — was ist ein Reich? Ein Nichts, das kaum
Noch wahrnehmbar im ungeheuren Raum,
Im schattentiefen, wo die unzählbaren
Weltkörper sich um ihre Sonnen scharen,
Welten von höherer Art als unsre hier,
Zum mindesten doch ebenbürtig ihr!

Prüft die Geschichte aller großen Reiche —
Stets ist's das gleiche:
<60>Heut Ruhm und Größe, morgen alles hin!
Hellas, so stolz in seinem Freiheitssinn,
Die Sklavin Roms! Die Herrscherin der Meere,
Der reichen Ernten all in Afrika,
Da sank sie hin, zerstört durch Scipios Heere,
Hinweggetilgt, eh' sich's ein Mensch versah!
Rom wiederum: von Hunnen und von Goten
In Schutt gelegt! Dort ganze Länderstrecken
In Überschwemmungsnot! Dort allen Schrecken
Der Atropos geweiht, erfüllt von Toten
Die Stadt Marseille!60-1 Von wilden Völkerscharen
Manch mächt'ger Staat, manch ragender Koloß
Im Grund erschüttert! Wie mit einem Stoß
Von heut auf morgen sie zu fällen waren,
Sie alle haben's wehevoll erfahren!

Ihr seht, zu uns läßt sich kein Gott herab,
Mit uns gibt seine Weisheit sich nicht ab,
Er bleibt gelassen, bleibt empfindungslos;
Wenn blut'ge Schläge unsre Welt zerreißen,
Sieht er die große Daseinseinheit bloß;
Was will darinnen dieses Krümchen heißen,
Das ganz im Unermeßlichen verschwindet?
's ist eine Wahrheit, die das Menschenherz
In seiner Eitelkeit nicht leicht verwindet,
Und doch, wir sehn sie allerwärts
Nur allzu offenbar, zu wohl begründet!

Wenn Hundstagsglut die Ernten uns versengt,
Die ehrnen Himmel, taub für Flehn und Klagen,
Sogar die karge Labe uns versagen,
Mit der der Morgentau die Felder tränkt,
Dann sieht der Staat wohl Tagen schwerer Not
Zagend entgegen, bald gebricht's an Brot,
Hunger und Darben, Elend fahl und bleich,
Graun und Verzweiflung und der grimme Tod
Verheeren schauervoll das ganze Reich.
<61>Ließ' Gott sich unser Schicksal nahe gehn,
Als Hüter, Wächter — wär' es zu versteht!,
Daß er die Hand je könnte reichen
Zu solchem Jammer ohnegleichen?
Wär's denkbar, daß er in guter Ruh
Dem Weltflug des Dämons schaute zu,
Der Mord, Verwüstung, Waffenklang
Von Aufgang trägt gen Niedergang?
All diese Greul! All diese Wut!
Die Felder verwüstet, unschuldig Blut
Sinnlos vergossen; ach, und dann
Das blutige Ringen von tausend Fechtern,
Und die Vernichtung von ganzen Geschlechtern —
Ihn ficht's nicht an.
Mit gutem Grund! Denn sichtbarlich
Trotz all dem Graus, den Schicksalsplagen,
Damit die Menschheit stets geschlagen.
Sieghaft behauptet die Gattung sich!

Wie schleunig erfuhr doch ein König das,
Mit seinem hochweisen Ausrottungserlaß,
Wider die räuberische Spatzenbrut!61-1
Wenn sie im Ernst auch etwas litt —
Mit ihrer Fruchtbarkeit kommt keiner mit!
So kreist auch immerdar ein frisches Blut
Beim lieben Vieh in unsrer Fron und Hut:
Ob unsre Gier von seinem Fleisch sich nährt,
Es stirbt so schnell nicht hin, wie sich's vermehrt!
Das Beispiel jener Seuche liegt mir eben
Nur allzu nah, die uns von Trift und Pflug
Das Rindvieh rafft!61-2 Die Weiden ohne Leben!
Ein grimmes Sterben unsre Herden schlug,
Als tat ein würgend Schwert darüber schweben;
Und keine Menschenkunst, die helfen mag!
Die Felder unbestellt und ohn' Ertrag,
Der Landmann grübelt trost- und hoffnungslos
<62>Und faltet dumpf die Hände in dem Schoß.
In Frankreich, der Bretagne, den deutschen Gauen,
So weit sie sind, in Preußen und dem Norden,
Im kalten Skythenland ist man mit Grauen
Des gleichen schweren Unheils inne worden;
Und doch! Des Todes Wüten ist vergebens:
Noch sind ja hier und da so manche Herden
Verschont geblieben, die voll jungen Lebens
Bald den Verlust ersetzen werden.

Doch diese Heimsuchung und Plage
Sie mahnt mich an die Schreckenstage,
Da unser preußisch Heimatland
Einst unter der Geißel der Seuche62-1 stand.
Ach, wie der Heimat Jammer doch
Ins Herz mir schneidet heute noch!
Der Würger, keinen nahm er aus,
Hoch und gering das Elend einte;
Das ganze Land ein Trauerhaus,
Das nur um seine Kinder weinte!
Jäh fiel der Pesthauch die Menschen an,
Wen die Ansteckung faßte, um den war's getan;
Gluthitze befiel ihre Glieder urplötzlich,
Und Atemnot, und ein Durst ganz entsetzlich;
Sie tranken und tranken! Aber ehr
Tranken sie all unsre Flüsse leer,
Eh' diesen Höllendurst sie gestillt.
Das war wie eines Schmelzofens Glut,
Darein man vergeblich Wasser tut:
Nur neue Bluten brannten wild
Im Eingeweide der Gequälten.
Ach, ihre Wangen fahl und weiß,
Der Glanz der Augen fieberheiß
Genug von ihrer Todespein erzählten.
Wie ausgedörrt die Kehle und der Schlund,
Die Zunge wie ein Knebel lag im Mund;
Zitternde Arme streckte mancher da
<63>Dem Nachbar nach, sein Herz doch zu erweichen —
Ja, wer da helfen könnte! Ach, man sah
Auf jeder Stirn ja schon des Todes Zeichen.
Zum schlimmen Ende unter tausend Qualen,
Erlitten sie's, schon halbe Leichen,
Daß sich ihr armer Leib mit gift'gen Malen
Und Flecken ganz bedeckte; und die Beulen,
Die brachen auf, ein schwarzes Gift entfloß,
Sie starben mit verzweiflungswildem Heulen!

Der Fluch der Iammerzeit, er war zu groß:
Da gab's nicht Nisus mehr und nicht Orest,63-1
Kein Liebesband hielt in den Schrecken fest.
Bericht' ich's erst, wie Freundestreue nicht
Standhalten mochte noch Verwandtenpflicht?
O Schuld und Schmach! In feiger, toller Flucht
Ein jeder nur sich selbst zu retten sucht
Und läßt die Pestverfallnen ihrer Pein,
Daß ohne Trost sie starben ganz allein!

Zuletzt, was allen Jammer überbot,
Schien mit dem Ausbruch einer Hungersnot
Das Maß des Menschenleids erfüllt zu sein!
Was damals sich für Schreckensbilder boten,
Erwartet ihr, daß ich's euch erst beschreibe?
Plätze und Häuser vollgehäuft von Toten,
Ein Bruder, der auf seines Bruders Leibe
Elend verröchelt; auf des Vaters Leiche
Der Sohn geschleudert, der entseelte, bleiche.
Dies Wehgeschrei, das Schluchzen allerenden,
Das auf zum Himmel steht, die Not zu wenden.
Dort hangt ein Säugling an der Mutter Brüsten,
Tod saugt er ein: das Weib, noch im Erblassen,
Will doch, von Gott und aller Welt verlassen,
Im Sterben noch des Kindes Leben fristen!
Die unbegrabnen Toten stellt euch vor!
Pesibrodem stieg da tausendfach empor,
Ansteckung wirkend, sicher und sofort.
<64>Nichts, nichts als Jammerbilder sah man dort:
Mit düstren Trauerfackeln, wehndem Flor
Wird hier ein ganz Geschlecht zu Grab geleitet;
Und all die Trauernden, die diesen
Die letzte Liebe heut erwiesen,
Wer weiß, wer weiß, ob nicht zur Stunde
Im gleichen kühlen Friedhofsgrunde
Ihr eigen Grab so gut wie schon bereitet?
Scheut auch der Fuß vor den gehäuften Leichen,
Allüberall die gleichen Schreckenszeichen!
Wohin nur fliehen! Wohinaus sich retten!
Denn dort wie hier, allüberall bedroht
Das Auge der Tod,
Entheiligt selbst der Andacht Weihestätten,
Als müßte einem Gräberfelde gleichen
Die unglücksel'ge Königsstadt! 64-1
Kein Zweifel mehr: die Pest, sie hat
Vernichtung den preußischen Landen geschworen.
Sie hatten vom alten Stamm ihrer Bürger
Durch den wütenden Würger
Bereits so grausam viele verloren,
Daß schier das ganze Preußenland
Eine Einöde worden, ein wüster Strand.

Vielleicht, daß die Seuche dann müde geworden
Von all dem Morden;
Vielleicht, daß des Giftes tückische Kraft
Mählich doch sich erschöpft, erschlafft:
Genug, als das Unheil sein Ende gefunden,
Begann das arme Preußenland
Unter Friedrich Wilhelms gesegneter Hand
Neu zu gesunden.
Was von den Bürgern der Gefahr —
Ach, wenig genug! — entronnen war,
Das holte im allgemeinen Gedeihn
Wundersam schnell das Verlorene ein.
Mutter Natur, der wir leid getan,
Nahm sich auf ihre Art unser an:
<65>Die Menschen nennen's Liebe und Frein!
Ja, Liebe! Und wenn Preußen heut
Sich neuen Menschenreichtums erfreut,
Der Liebe gebührt der Dank allein.
Nichts mahnt uns in jenen Staaten mehr,
In ihrem Gedeihen und Segen,
Wie einst des Todes Hand so schwer
Auf Volt und Land gelegen.

Gesteht: wenn diese Leiden unerhört
Die Ordnung irgendwie der Welt gestört,
Wär's denkbar wohl, daß der Allmächt'ge dann
Nicht Einhalt hätte zur Zeit getan?
Nein, was als schwerstes der Geschicke,
Als ein Verhängnis uns erscheint,
Es ist ein Nichts vor jenem Blicke,
Dem alles sich zum Ganzen eint.
Und doch, und doch! Trotz alledem:
Wie bitter auch und unbequem
Uns allen diese Wahrheit ist —
Dem Menschen tut die Freude not
Wie's liebe Brot;
Und darum sag/ ich: Lebt nur und genießt!
Wem nach Erkenntnis steht der Sinn,
Dem dient ja alles zum Gewinn:
Ihm wird zur Lehre just das Weh,
Daß er des Glückes Wert und Sinn
Erst recht ermesse und versteh'.
Bedenkt er, welchen Wechselfällen
Ihn wehrlos preisgibt die Natur,
So hält er's eben an sonnenhellen,
Gedeihlichen Tagen mit Epikur;
In Stunden, schwarz und unheilschwer,
Glaubt er an Meister Zeno mehr;
Sein Geist, was ihm auch widerfährt,
Ist stets gewappnet und bewehrt.

Das ist es, was uns bleibt: wir wolln in Schweigen
Uns ehrfurchtsvoll vor den Gesetzen neigen,
Wie sie die Vorsehung der Schöpfung gab;
<66>Doch lassen wir von all dem Irrwahn ab,
Der der Beschränktheit unsres Geistes eigen.
Nur Vorwitz von so tiefen Dingen spricht:
„So ist's“ — und wiederum: „So ist es nicht!“
Sein wir versichert: was uns auch befällt
An Unheil und an Herzeleid,
Der Himmel weiß doch besser drum Bescheid
Als alle Weisen dieser Welt.

<67>

10. An meinen Bruder Ferdinand67-1
Wünschen und Wähnen

Ein Mensch, ein Tor! Der Träumer Plato schrieb
Vernunft uns zu — er meint' es allzu gut!
Zum Wechsel spornt uns ein verwünschter Trieb;
Das Dasein ist ein Bild von Wankelmut.
Wir heischen jedes Ding und halten keins,
So werden Wunsch und Wille nie sich eins.
Ich sehe gern der Menschen wahres Wesen:
In ihm kann ich die eignen Fehler lesen.
Das Menschenherz, ein treuer Spiegel, blinkt
Für jeden, der sich sehn will — ungeschminkt.

Einst ging ich disputierend durch die Stadt
Mit Theophil, des Gegenstandes voll.
Ein Menschenhauf, der uns den Weg vertrat,
Geschrei, das rauh aus tausend Kehlen quoll,
Verkündete den Schwarm der Müßiggänger,
Der dort sich staute. Auch uns Grillenfänger
Trieb Neugier, durch die Menge uns zu schlagen:
Kann Torheit doch dem Weisen vieles sagen!
Sich drängend, vor- und rückwärts flutend, riß
Der Strudel uns dahin; wir drangen bis
Ins Herz der schnurrigen Versammlung vor.
Da schwatzte fink und laut ein junger Tor:

„O, käm' es bald in Süden oder Norden,
„Wo, gilt mir gleich, zu Krieg und Menschenmorden;
„Dann würden wir, statt in geringem Stand
„Uns aufzureiben, als Eugens bekannt!“
Zwei junge Offiziere waren's; kaum
Umsproßte Mund und Kinn der erste Flaum.
<68>Allein schon kommt ein neuer Schwarm herbei,
Der uns in dichtem Wirbel weiterdrängt.
Zwanzig und mehr, als ob's 'ne Freude sei,
Schrein durcheinander, keiner hört und denkt.
Doch diese wilde Flut zerfließt im Nu,
Und andre Unbekannte strömen zu.
Ein wandelndes Skelett stößt mich am Arme
Und raunt mir zu: „O, daß sich Gott erbarme!
„Gäb' er mir neue Lungen in die Brust,
„Wohl hundert Jährchen lebt' ich dann mit Lust!“
Der Husten stieg ihm auf, er sprach nicht weiter.

Bald sahn wir Bürgersleut' des Weges wandern;
Ein ältrer Mann, vornehmer als die andern,
Sprach trockenen Tons zu einem der Begleiter:
„Ihr lobt die gute Ordnung meiner Habe,
,Doch glaubt nur nicht, daß ich mich dran erlabe,
„Solang der Himmel mir den Sohn verwehrt,
„Den Erben, den so glühend ich begehrt.
„Die Neffen sähn mich gern schon auf der Bahre:
„Ich häufe Schätze, ach, für Undankbare!“
Da kamen Arm in Arm ein paar Kollegen
Und streckten ihm zum Gruß die Hand entgegen.
Das Stimmgewirr erstickte tausendfach
Mit lautem Lärm, was er zu ihnen sprach.

Nun klangen Lieder, und die Leute lachten,
Und alle, die in Amors Banden schmachten,
Hofierten ihre Schönen, Arm in Arm.
Verträumt ging einer neben diesem Schwarm,
Allein, in ernstem Philosophenschritt,
Rieb sich die Stirn mit finsterer Gebärde
Und starrte schmerzerfüllt zur Erde.
Gerührt, weil er so seufzte und so litt,
Bot ich ihm meinen schwachen Beistand an;
Zu brechen sucht' ich seines Schweigens Bann.
„Ach, möchte Bestushew zum Teufel gehn!“
Stieß er hervor und ließ mich plötzlich stehn.

Auch Theophil riß die Geduld zuletzt.
„Gott! welch ein Volk von Narren!“ rief er jetzt.
<69>„Fort! Gib mir morgen hier ein Stelldichein;
„Der Himmel halt' uns dann das Volk vom Leib
„Und geb' uns Sonnenschein und Zeitvertreib!“
„Sieh wenigstens Dein eignes Unrecht ein;
„Du tadelst““, sprach ich, „all dies Plänemachen;
„Doch statt der andern Schwächen zu verlachen,
„Wär's klüger, Dich von Deinen zu befrein.
„Genießen wir doch heut den schönen Garten,
„'s ist sichrer, als das Morgen abzuwarten.
„Wie bald nagt an der reifen Frucht der Wurm,
„Und auf den schönsten Tag folgt Wettersturm.“

Das, Bruder, ist ein echtes Sittenbild!
Sieh diese Toren, wie sie wahnerfüllt,
Verzehrt von Wünschen, Hirngespinste nähren,
Sich blind erheben über ihre Sphären,
Das Einst betrauern und dem Heute grollen
Und auf die Zukunft baun ihr schwaches Hoffen!
Weit sehen sie des Glückes Tore offen,
In Tagen lebend, die noch kommen sollen,
Und töricht quälen sie mit eitlem Sehnen
Die Himmlischen und mit vermeßnen Plänen.
Erfüllten doch die Götter ihr Begehren —
Ihr Zorn könnt' ihnen Schlimmres nicht bescheren!

Tun wir des Schicksals Tempel ihnen auf!
Sieh dort den unzufriednen Menschenhauf,
Der ewig zwischen Furcht und Hoffnung schwankt
Und stets vom Gott ein beßres Los verlangt!
Doch der versetzt: „Erzittre, Kreatur!
„Umsonst ist's, meinen Ratschluß umzustoßen!
„Blick' in die Zukunft, sieh der Dinge großen
„Zusammenhang, das Räderwerk der Weltenuhr:
„Da beugt sich alles der Notwendigkeit!
„Doch seht, die Zeit und Wahrheit sind bereit,
„Im Fluge jedes Schicksal aufzurollen,
„Das Los zu zeigen, das ich Euch beschieden.
„Doch welch Ereignis in der wechselvollen
„Zukunft stellt Eure Wünsche je zufrieden?
„Entsagt dem eitlen Trachten nach dem Glück;
<70>„Ins Chaos fiele sonst die Welt zurück,
„Die ich durch feste Regeln weise lenke.
„Alles bedacht' ich, kann nichts umgestalten;
„Fügt Euch in Euer Los, das ich Euch schenke:
„Was Ihr Euch wünscht, ist andren vorbehalten.
„Wenn ich nicht fühllos Euren Wünschen bliebe,
„Zuchtruten bänden Euch die eignen Triebe!

„Du junger, vorwitziger Offizier,
„Ein andrer sieht an Deinem Platz: erfahren
„Sollst Du das Ende seiner Kampfbegier!
„Er liebte Krieg und suchte die Gefahren —
„Nun hat des Todes Sichel ihn gemäht!

„Du, dem der Sinn nach Nestors Alter sieht,
„Sieh dort den Greis! Wärst Du so hochbejahrt,
„Dir wär' das gleiche Schicksal aufgespart!
„Ihm macht nichts Lust noch Freude mehr; zuwider
„Ist ihm das Dasein; Alter, Siechtum nagen
„An seinem Lebensmark mit tausend Plagen,
„Und trübe schwelt des Geistes Leuchte nieder.
,Durch lange Qualen führt sein Weg zum Grabe.

„Hör', alter Krösus, mißvergnügter Narr,
„Dem seine Frau den Erben nicht gebar,
„Beim Nachbar sieh den Sohn und sein Gehabe:
„Ein Feigling ist's, entartet, undankbar!

„Du Menschenfeind, den Schrecknisse umnachten,
„Statt Bestushew sieh zwei Minister, dreister,
„Verruchter noch, der Zwietracht Höllengeister!

„O dämpft, Ihr Menschen, Euer hitzig Trachten!
„Stets blauer Himmel, Rosen ohne Dorn,
„Das ziemt Euch nicht, die Ihr am Staube hängt!
„Ich schuld' Euch nichts und Hab' Euch oft beschenkt.
„Für Wohltat fühllos, fürchtet meinen Zorn!“

Sprach's, und bei seiner Stimme Donnerklang
Der Tempel jählings mit dem Gott versank.
Die Pläneschmiede sahn, was ihre Wünsche galten,
Und sprachen demutvoll: „Gott möge walten!“ ...
<71>O weises Wort des alten Kineas
Zum Hitzkopf Pyrrhus, der es rasch vergaß:
„Gib auf das Planen, es ist Rauch und Dunst!
„Genießen lerne: das ist Lebenskunst!“

Ich folge seinem Rat. Uns ist hienieden
Als sichres Gut das Heute nur beschieden.
Die flücht'ge Zeit entführt uns Jahr um Jahr,
Und nimmer kehrt zurück, was einstens war.
Doch unser Geist, ist er so recht verdrossen
Und fällt des Glückes Übermaß ihm schwer,
Bangt vor der dunklen Zukunft um so mehr —
Wohl uns! Der Himmel hat sie uns verschlossen!

Wär' uns vom ersten Lebenstag bewußt,
Was uns dereinst die Vorsehung bestimmt —
Wie mancher Leidbeladne wär' ergrimmt,
Und der, dem Wohlstand winkt, verlör' die Lust;
So kürzten Ekel, Überdruß und Trauer
Verzweiflungsvoll des Lebens Dauer.
Drum laßt uns niemals in die Zukunft dringen:
Der Himmel hat sie weislich uns verborgen!
Nein, laßt uns, statt zu klagen und zu sorgen,
Der Wünsche dreisten Unverstand bezwingen.
Der Himmel möge unser Los gestalten;
Fromm beugen wir uns seinem weisen Walten.

<72>

11. An Stille72-1
Über rechten Mut und wahre Ehre

Freund Stille, was ist Ehre? Mancher sagt:
Genug, wenn man dem Tod zu trotzen wagt.
Zur Freveltat reißt sie den Schwärmer hin;
Der Ehrgeiz sieht in ihr verwegnen Sinn,
Den jedes Nichts entstammt zu blinder Wut;
Vergeltung nur kann seine Rachgier stillen.
Wer so nach Sühne lechzt für eitle Grillen,
Verrät mehr Wildheit als beherzten Mut:
Das hat mit wahrer Ehre nichts gemein.

Bewundrung stößt die Tapferkeit uns ein,
Die krieggestählte, die gefahrumdräut
Fürs Vaterland dem Feind die Stirne beut.
Der Pflichtvergeßne aber trübt den Glanz
Des eignen Ruhms; sein schönster Lorbeerkranz
Welkt auf der Stirn — er ist umsonst erstritten!
Erst jüngst hat Schweden solchen Schimpf erlitten:
Im stolzen Deutschland spielt' es einst den Herrn,
Doch seine Bastardsöhne unterlagen,
Seit Rußland sich ermannt zu kühnem Wagen;
Auf Finnlands Flur erlosch sein Heller Stern:
Das muß nun selbst das Joch der Knechtschaft tragend.72-2

Ein gleiches Los ist Holland widerfahren,
Das mannhaft streitend einst vor langen Jahren
<73>Die Kettenlast der Tyrannei zersprengte,
Die Zwingherrn in dem eignen Blut ertränkte.
Doch Enkel, unwert solches Heldentums,
Entehrten feig das Erbteil alten Ruhms:
Schlaff waren die Soldaten, ohne Zucht;
Laveld und Fontenoy73-1 sahn ihre Flucht,
Und in dem Röhricht hinter ihren Dämmen
Verkrochen sich die angstverstörten Memmen.

So brandmarkt Feigheit uns wie Missetat,
Doch wahre Ehre geht den rechten Pfad,
Gleich fern der Schwäche wie dem Überschwang.
Herr ihrer selbst, vertraut sie sich allein
Und liebt die Tugend, nicht den falschen Schein.
Doch führt der Ehre mißverstandner Drang
Nur Zank und Streit und Mörderwut herbei,
Verkehrt zu frechem Dünkel sich die Tugend,
So bleicht ihr Glanz, sie sinkt zur Schurkerei.

An Übertreibung scheitert oft die Jugend;
Der zügellose Jähzorn reißt sie fort,
Sie meuchelt sich um jedes Zufallswort
Und wagt noch dreist mit Ehre sich zu brüsten.
In Tugendzier hüllt sie ihr Nachgelüsten,
Und wahnumnebelt überlegt sie nicht,
Ob sie den Freund, den Gegner niedersticht.
Und doch, sie ist nicht schlecht: im Blutvergießen
Wähnt sie, ihr müsse Ruhm daraus ersprießen.

Die erste Wallung müssen wir verzeihn:
Wer kann des wilden Zornes Meister sein?
Doch wenn ein blödes Vorurteil der Welt
Zwei Freunde grausam in die Schranken stellt,
Daß sie kaltblütig, ohne Haß und Grollen
Wie Feinde aufeinander schlagen sollen —
Muß man barbarisch nicht die Sitte schelten,
Der solche krausen Ehrbegriffe gelten?
Sind's Narren, find's Berserker, die so wild
<74>Dies Zerrbild einer Ehre blutig rächen ?74-1
Nein, unser Volk ist edel, gut und mild,
Ein Vorurteil nur treibt es zum Verbrechen.
Der Himmel hat ihm seltnen Mut beschert;
Durch schlimmen Brauch wird er in Wut verkehrt.

Unsel'ge, halt! Vernehmt des Herzens Stimme!
Zu kostbar und zu wert dem ganzen Land
Ist Euer Blut; vergießt es nicht im Grimme
Auf diesem Grund, wo Eure Wiege stand.
Jäh schießt der Geier auf die Taube nieder,
Schlägt gierig ihr die Krallen in die Brust,
Verstreut im Walde ihre armen Glieder —
Tyrannenart zeigt solche Mörderlusi!
Ihr aber, Preußen, Ihr seid Brüder: ehrt
Das eigne Blut, die Väter, Haus und Herd —
Das sind Euch heilige Güter allzumal!
So sänftigt Euren Zorn und hemmt den Stahl!
Das Vaterland, Entmenschte, sieht entsetzt,
Wie Ihr mit Blut die Heimaterde netzt.

„Weh!“, ruft es, „meine Kinder, muß ich sehn,
„Wie Ihr Euch brudermörderisch vernichtet!
„Welchhöllengeist ließ neu die Gräul entsiehn,
„Die man dem Stamm von Theben angedichtet!
„Sprecht, seid Ihr jener schlimmen Saat entstammt,
„Die Kadmos einst, der Drachentöter, säte,
„Daraus ein Volk entsproß, das zornentflammt
„Im Bruderkrieg einander niedermähte?
„Zog ich Euch auf, um meiner Huld zu spotten,
„Mich zu verraten und Euch auszurotten?
„Gebar ich Euch, blutgierige Barbaren,
„Um Euch zu lieben oder zu bekämpfen?
„Dies edle Blut, Ihr solltet's lieber sparen,
„Um unsrer Neider Übermut zu dämpfen!
„An ihnen mögt Ihr Euren Mut erproben;
„Kehrt Ihr ihn gegen Euch in blindem Toben,
„So wird, statt daß der Siegeskranz Euch schmückt,
„Das Mördermal auf Eure Stirn gedrückt.
<75>„Dürft Ihr ans Leben Eurer Brüder greifen?
„Kann Mut im Menschenherzen Blutdurst reifen?
„Laßt ab vom grausen Wahn, der Euch verblendet!“

Lob, Ehr' und Preis sei meinem Volk gespendet,
Wenn mir vor seiner Ruhmestaten Bild
Das Herz von dankbarer Bewundrung schwillt!
Euch Schatten, Euch, Ihr unbesiegten Helden,
Die manchen Gegner in den Sand gestreckt,
Weih' ich dies Lied: es soll der Nachwelt melden,
Wie Eure Mannheit sich mit Ruhm bedeckt.
Entlocktt' ich je der Leier holdes Tönen,
Heut soll es Eure Heldengröße krönen!
Ich singe, wieviel Feinde Ihr bezwungen,
Wie große Milde Ihr im Sieg geübt,
Wie Euer Tod das Vaterland betrübt
Und wie mich tief der Dank für Euch durchdrungen.
Was Ihr vollbracht, ich künd“ es treu und wahr;
Der Nachwelt sei's ein Vorbild immerdar,
Wie Heimatliebe Euch in hehrem Flug
Und Ruhmesdrang von Sieg zu Siege trug.
Unsterblichkeit soll mir den Griffel leihn:
In bleibend Erz grab' ich die Namen ein;
Bezeugen will ich„s, wie voll Kampfesglut
Den stolzen Kaiseradler Ihr bezwangt,
In wieviel Schlachten Ihr den Übermut
Der Feinde löwenmutig niederrangt.

Erlauchte Söhne Albrechts,75-1den Geschossen
Des Feinds erlegen in dem Ehrenfeld:
Wie Ihr gelebt, hat Euch der Tod gesellt
Als Eures großen Ahnen würd'ge Sprossen,
Der für das Vaterland in tiefster Not
Dem Tode hundertfach die Stirne bot.
Finck,75-2 Schulenburg75-3 — um Euch nicht minder stießen
<76>Die Tränen mir! Du braver Fitzgerald, 76-1
War's mir bestimmt, Dein brechend Aug' zu schließen?
Wieviel verhieß uns Deine Ruhmgestalt,
Als Mars, auf Deine Taten voller Neid,
Dich allzufrüh aus unsrer Mitte riß!
Dem Tode haben viele sich geweiht
In jenem Kampf, so lang und ungewiß!
Doch unerschrocken, treu dem Vaterland
Und unerschüttert hielten alle stand,
Zum Trotz Eugens erprobten Veteranen,
Die stets den Sieg geknüpft an ihre Fahnen,
An denen Östreich keinen Halt mehr fand.

Von Euch nun laßt mich, ruhmbedeckte Helden,
In Preußens zweitem Siegesgange melden.
Auch Euch, Ihr Tapfren, brachte nichts zum Wanten,
Nicht der Verrat an Preußen, Bayern, Franken,
Den Sachsen übte in geheimer Tücke,
Als es des Bundes fromme Schwüre brach,
Des Neides voll, erschreckt von unsrem Glücke.
Da flüchtete sein Heer zur eignen Schmach,
Uns Unheil sinnend; denn bedrohlich naht
Der Lothringer der Elbe — doch mit Blut
Gerötet wälzt zum Meer sich ihre Flut,
Verkündend Eure ew'ge Ruhmestat.76-2
Du, liebster Rothenburg,76-3 dem Tod verfallen —
Welch Bild des Schreckens! Daß ein Wunder werde,
Fleht' um den Freund ich zu den Göttern allen,
Und Mars rief Dich zurück auf diese Erde.
Die Feinde spürten Deines Armes Wucht,
Dein brechend Aug' erlabte ihre Flucht;
Werdeck76-4 und Buddenbrock,76-5 sie setzten nach,
Bis auf dem Todesfeld ihr Herze brach.

Bald76-6 sammelt' Ostreich in geschäft'gem Werben,
Und hundert Völker schworen uns Verderben.
<77>Die Erde wimmelte von ihren Scharen;
Schon nahten unterm Adler der Zäsaren
Kroaten, Sachsen, Deutsche und Barbaren.
Voll kecken Hessens kamen sie zum Siegen
Aus Böhmens Bergeswall herabgestiegen,
Vom Wahn betört, sie hätten leichtes Spiel,
Wir stünden schon mit unsrer Kraft am Ziel.
Kaum dachten sie an Kampf, und übereilt
Ward da im Geist die Beute schon verteilt!
Welch edles Blut verrann an jenem Tag,
Als Düring, Truchseß und Schwerin77-1 erlag!
Ruhmvoller Tod, du warst des Neides wert!

Doch sieh, was braust heran mit blankem Schwert?
Dragoner sind's77-2 — Halbgöttern zu vergleichen,
Von deren Wucht zersprengt die Feinde weichen;
Gefangene und Fahnen ohne Zahl
Sind ihrer Wundertaten Ehrenmal.
Wie wenn die Wogen, aufgewühlt von Stürmen,
Sich schäumend an dem Meeresstrande türmen —
In ihrem Anprall brechen sie die Dämme,
Entwurzeln Wälder, Haus und Hof versinkt,
Das weite Land bedeckt ihr Flutgeschwemme,
Das all die bleichen Flüchtenden verschlingt —
So habt Ihr, stolze Helden, unbezwungen
An diesem Ruhmestag den Sieg errungen!
Doch, ach, Ihr Tapfren, in dem wilden Morden
Ist überströmt von Blut der Lorbeer worden!

Preußen, dein Heldenstamm wird nie vergehn,
Wird in den Lagern phönixgleich erstehn
Und in Gefahr sich ewig neugebären!
Doch die Besiegten quält ihr Rachbegehren;
In Böhmens finstren Bergesschluchten brüten
Sie Listen aus; Verderben sinnt ihr Wüten;
Doch nicht an Mut, an Zahl nur überlegen
Sind sie: ihr arges Netz zerreißt der Degen.
<78>Du Wedell,78-1 ein Achill, Goltz,78-2 ein Ulyß —
Mit Tränen netzt der Sieger Eure Gruft —
Ihr überwandet jedes Hindernis!
Trotz Feuerschlünden, trotz Gebirg und Kluft,
Vulkanen und Gefahren ungeahnt,
Durch zwanzig Völker, gegen Euch vereint,
Habt Ihr Euch kühn den Siegesweg gebahnt!

Doch welche neue Heldenschar erscheint?
Sie hält die Wacht im Feld bei Schnee und Eis,
Dem Lothringer zum Trotz, der uns erneut
Zur Winterszeit mit Schwert und Brand bedräut.78-3
„Auf, nach Berlin! Das sei des Zuges Preis!“
So ruft er: „Laßt es uns in Asche legen,
„Daß es, ein zweites Troja, untergeht!
„All seine Schirmer sind in blut'gen Schlägen
„Längst von des Todes Sense hingemäht.
„Ihr bestes Blut verrann; sie sind ermattet;
„Mit ihren Helden ward ihr Ruhm bestattet.
„Zur Rache! Auf! Die Stunde ist gekommen!“

Kaum hat das Preußenheer dies Wort vernommen,
Eilt es in edlem Zorn zu neuem Ringen,
Und wieder schenkt Fortuna ihm Gelingen.
Nicht Berge, Schluchten, Ströme nicht und Wald
Im Sachsenland gebieten ihm ein Halt!
Fest sieht der Feind, von starkem Wall umtürmt,
Natur und Kunst vereint sind zu bezwingen.
Da werden Berge, eisumstarrt, gestürmt,
Die Schwert und Feuer und der Tod beschirmt.
Im Siegeslauf stürzt Bredow78-4 jählings nieder —
Halt! grimmer Tod, gib uns den Tapften wieder!

Der stolzen Feinde Hoffen ist vernichtet;
Auf Dresden ist die wilde Flucht gerichtet.
<79>Weh! Polenz, Rintorf, Kleist79-1 die Ihr die Schlacht
Für uns gewannt ums Opfer Eures Lebens:
Wer hat das Mörderwerk an Euch vollbracht?
Der Feind ist fort, sein Wüten war vergebens,
Und Preußen triumphiert! Nicht Felsenwände,
Nicht Eis und Schnee, der Feinde dichter Hauf
Hielt unser Heer im Siegesdrange auf:
Viktoria gab den Ruhm in seine Hände!

Nun ruft die Heimat, die Euch dumpf betrauert,
Ihr Retter, Euch zurück in heißem Sehnen,
Und wie sie noch von Eurer Fährnis schauert,
Netzt sie den blut'gen Lorbeerkranz mit Tränen.
Ja, edle Schatten, diesen Schmerzensschrei
Habt Ihr verdient, und Eurer Tugend sei
Der heiße Dank, den wir Euch schulden, gleich!

Seid so wie dieses heldische Geschlecht
Und hegt die Ehre, einfach, rein und echt!
Getreu der Wicht, an hohen Taten reich,
Dem Vaterland zu dienen stets gewillt,
Übt Menschlichkeit im Sieg und zeigt Euch mild.
Für Haus und Herd trotzt Ehre der Gefahr,
Und wer des Vaterlandes Retter war,
Gilt Göttern gleich; sein schlichter Heldensinn
Gibt für die Heimat gern sein Leben hin.

So fiel Leonidas für Griechenland
Und hielt im Paß der Thermopylen lange
Der Welterobrer wildem Siegesdrange
Mit einem Häuflein Todgeweihter stand.
So ist auch Decius für Rom gefallen.
Jedoch den höchsten Heldenruhm von allen,
Ihr Preußensöhne, habt Ihr Euch erworben,
Da ruhmvoll Ihr fürs Vaterland gestorben.
Ihr sollt uns Götter, sollt uns Vorbild sein!

Ehrfürchtig tritt in ihren Tempel ein,
Betörte Jugend: Lern dem Wahn entsagen,
<80>Bestecke nicht mit Bruderblut die Hand!
Willst Du Dein Leben in die Schanze schlagen,
Gleich jenen Helden stirb fürs Vaterland!
Es wird ihr Name dauern in der Welt,
Solange bis das letzte Leben endet,
Solange wie vom hohen Himmelszelt
Die Sonne ihre Strahlen niedersendet!

<81>

12. An General Bredow81-1
Über den Ruhm

Bredow, wer den Menschen richtig kennt,
Ihn mehr vernünftelnd als vernünftig nennt!
Sein Geist ist unstet, eitel, hohl und klein,
Er haßt das Echte und er liebt den Schein
Und läßt von Stolz und Schwäche sich regieren.

Was kann man Dümmeres vor Augen führen,
Als manche Gecken, die mit frechem Lachen
Anmaßend jedes Ding verächtlich machen,
Manch Tribunal, das nie ein Recht besaß
Und doch den Ruhm zu richten sich vermaß.
Drum sieht der Unsinn in den höchsten Ehren;
Ich selber mußte sehn und hören,
Wie man ein still Verdienst gewissenlos verhöhnte,
Vernunft verlachte und die Torheit krönte.

Aus Oczakow entsandte einst der Khan
Mustapha nach Berlin.81-2 Als wir ihn sahn,
Da reizten Bart und Kaftan unser Lachen.
Die Höflinge, die stets gern Witze machen
Und denen Moslims arg verdächtig schienen,
Verhöhnten ihre Sitten, ihre Mienen.
Sogar die Höflichsten verlachten die Tartaren,
Und keiner wußte, daß diese Barbaren,
<82>So sehr auch Kleid und Brauch uns trennen mochten,
Einst China und die Perser unterjochten.

Man hütet sich ja so vor ernstem Denken
Und läßt im Witz das bißchen Geist versprühn.
Ja, redet man nur lässig, frech und kühn,
Kann man die Welt nach seiner Laune lenken.
Demütig beugt sie ihr betörtes Haupt,
Der größre Narr dem kleinern Narren glaubt.
Ein stolzer Ton und eine freche Stirn
Beherrschen stets der Masse blödes Hirn...

Und doch bevölkert ja solch schielend Pack
Die ganze Welt, man trifft es jeden Tag.
Virgil wird leichter als Segrais82-1 gewogen,
August den Antoninen vorgezogen.
Gekrönte heil'ge Väter voller Lügen
Malten Julian mit des Tiberius Zügen.
Der fromme Trug bekehrte alle Welt,
Julian ward als ein Scheusal hingestellt,
Und erst nach tausend Jahren sprach ein Weiser82-2
Die Wahrheit über diesen großen Kaiser.
Hat ganz Paris nicht seinen Spott getrieben
Mit jenem Mann,82-3 der einst ein Werk geschrieben,
Worin er Feuris mit Homer vergleicht?
Doch Frankreich hielt dies Buch für hohl und seicht
Und lernte erst durch Fremde seinen Wert.

Auch London hatte Milton nie geehrt.
Nach seinem Tode erst sah England klar,
Wie schön das Epos seines Dichters war.
Das Werk war gut, es mußte immer taugen.
Talente zu durchschaun, bedarf es guter Augen.

Ihr wähnt, ein Buch, ein Stück sei nur vorhanden,
Damit es Eurer Laune dienstbar sei,
<83>Und wenn beim Händler Ihr ein Buch erstanden,
So glaubt Ihr gleich, Euch ständ' ein Urteil frei.
Der eine liebt es schlicht, der andre hochgesinnt,
Man dürfte über den Geschmack nicht zanken.
Doch jeder sammelt ernsthaft die Gedanken,
Wenn wichtige Dinge zu entscheiden sind,
Dinge, woran sein Glück, sein Leben hängt:
Da sieht man gleich, wohin die Narrheit lenkt...

Bredow, Ihr lacht ob meiner Argumente,
Als ob ich sie im Scherz nur nennte,
Der heitern Muse zum gefälligen Spiele,
Auf daß ihr Spott auf Narrn und Gaukler fiele?
Ihr glaubt, mich triebe wohl die Spottsucht heute,
Vernünftig wären doch die meisten Leute,
Ich malte ganz mit Teniers' dunklem Braun
Und ließe bloß des Pöbels Narrheit schaun.

Vielleicht! Doch was Ihr so den Pöbel heißt,
Umfaßt die meisten, und Ihr müßt gestehen:
Drei Viertel dieser Welt, wohin wir sehen,
Ist blind und toll und handelt ohne Geist...

Wenn so ein Dummkopf aus der Kirche schreitet,
Lauscht er dem Freigeist, der die „Schrift“ bestreitet,
Verschlingt mit Wonne die willkommnen Lehren
Und wähnt im Witz ein tiefes Wort zu hören.
Erst töricht ftomm, dann Freigeist kurzerhand,
Hat er sich schnell vom Christentum gewandt.
Sein Geist, der alsobald den Halt verlor,
Ist noch viel schwacher als ein schwankes Rohr.
Urteilen will das Volk, klug dünkt sich, wer belesen,
Vernünfteln, nicht Vernunft ist unser Wesen.

Laßt mich in Ruh mit Newtons hohem Lob,
Der über Plato sich und Archimedes hob
Und lehrte, wie wir um die Sonne kreisen.
So groß er war, er schrieb sein „Jüngst Gericht“ ;83-1
<84>Und wußt' er auch der Sterne Weg zu weisen,
Gleich uns verstand er doch Johannes nicht.

Was geht's mich an, ob kluge Köpfe irren
Und ewig tappen in den Finsternissen!
Doch kann es den gesunden Sinn verwirren,
Wie jetzt von tollem Rausch dahingerissen
Ein mächtig Volk, das sonst so ruhig bleibt,
Die Freiheit liebt und friedlich Handel treibt,
Sich nun, durch eines Schelmes Rat verblendet,
Im Bund mit Holland gegen Frankreich wendet84-1...

So wird denn, was ein blöder Schurke schwätzt,
Zur Meinung einer unvernünftigen Masse.
Heut lobt sie Euch und tadelt Euch zuletzt
Und pendelt zwischen Gunst und blindem Hasse.
Selbst über Helden sitzt sie zu Gericht,
Doch deren wahres Wesen kennt sie nicht.

Mit blutiger Stirn, gefolgt von Kriegerscharen,
Reißt Mars das Tor des Ianustempels auf.
Man sieht die Schwerter aus den Scheiden fahren,
Man trägt die Fahnen vor im Sturmeslauf.
Dann nimmt das Volk für einen Herrn Partei
Und ftagt nicht, was der Grund des Kampfes sei.
So sah ich das betörte Volk der Deutschen,
Wie sie so blind den echten Freund verkannt.
Vergessen waren Österreichs Sklavenpeitschen,
Und für Theresia waren sie entbrannt.
Man schalt auf Kaiser Karl,84-2 auf Preußen, Bayern,
Es galt ja, den besiegten Franz84-3 zu feiern.

Wie drollig, wenn das Volk sich unterfängt,
Die Kriegskunst eines Helden zu verachten.
Wer nie ein Lager sah, nie eine Schlacht gelenkt,
<85>Der redet klug von Lagern und von Schlachten.
Und jeder urteilt in so schweren Sachen,
Die Weiber selbst am Rocken — 's ist zum Lachen!
Da geht man kurzerhand mit Generälen,
Ministern, ja mit Herrschern ins Gericht,
Sucht ihre Fehler aufzuzählen,
Und selbst am Webstuhl schweigt man nicht.
Schwer ist es, Ruhm und Ehre zu bewahren,
Das Volk ist stets zu ihrem Sturz bereit.
Nicht Taten noch Talent, nicht Zepter noch Tiaren,
Nichts wird verschont von dieser tollen Zeit.

Selbst Colbert, der Talent und Künste schützte
Und trefflich diente Frankreichs Majestät,
Er, der am meisten seinem Volke nützte,
Ward noch nach seinem Tode frech geschmäht.85-1
Der große Ludwig, der Europa zwang,
Das Glück des Landes und des Kaisers Schrecken,
Wie wollten Künste, Siege und Gesang
Ihn stets mit neuen Ehren überdecken!
Doch als der Tod die Augen ihm geschlossen,
Verhöhnte man des Grabes Heiligtum,
Und der Franzose, frech und voller Possen,
Befleckte seines größten Königs Ruhm.85-2

Bredow, so ist das Volk, die blöde Masse;
Sie opfert alles ihrem blinden Hasse:
Ein seltsam Federvieh, das alles hört und sieht,
Von Land zu Land mit Wundermären zieht,
Das niemals seine Neugier stillt,
Die Wahrheit stets in Lügenkleider hüllt.
Und aus Kabalen und gemeinem Neid,
Verleumdung, Haß und andrer Schändlichkeit
Braut dieses Untier seine Schreckensmären,
Bald kann man sie auf allen Gassen hören.
Wen dieses Monstrum biß, der fühlt es ewig brennen.

Kann man den Menschen noch vernünftig nennen,
Der Zeit und Ruh und Freuden daran gibt
<86>Und Müh und Sorgen überreich verschwendet,
Damit das flatterhafte Volk ihn liebt
Und staunend seine Augen auf ihn wendet?!
Ja, dieses Volk, das stets voll Irrtum ist
Und das so falsch den Ruhm der Toten mißt!

O Ruhm, o Wahn, hör' auf, uns zu verführen!
Nur Tugendliebe soll allein uns rühren.
Ich laß mich ganz von meinem Herzen lenken,
Erborgten Lorbeer soll man mir nicht schenken.
Soll ich denn von der Laune blinder Massen
Mir Namen und Verdienst bestimmen lassen?
Hab' ich die Tugend für ihr Lob geliebt?
Ob ruhmbedeckt, mit Tadel nur beladen —
Ich lache ob des Weihrauchs, der zerstiebt,
Und ob des Ruhms von Volkesgnaden.

<87>

13. An Podewils87-1
Man tut nicht alles, was man könnte

Emsiger Freund, Du, der den Frieden liebt
Und unsrem Staatsschiff Ziel und Richtung gibt,
Der meine Plane schaffensfroh erfüllt
Und offnen Augs für unsre Wohlfahrt wacht —
Du siehst gewiß, hast Du des Weltlaufs acht,
Der täglich Deinen Blicken sich enthüllt,
Wie überall bei jedem Menschenschlag,
Vom Mönch zum Papst, vom Schreiber bis zum Thron,
Keiner so viel vollbringt, als er vermag!
Blind tritt in seines Vaters Spur der Sohn;
Voll schlimmer Bräuche ist ein jedes Land;
Man klagt und duldet, doch man bessert nicht.
Wenn einer, für des Staats Gedeihn entbrannt,
Dem Allgemeinwohl neue Bahnen bricht,
Gleich wird er matt im allerersten Lauf
Und gibt die halbgelungne Arbeit auf.

Nur jene Hochgesinnten, die wir ehren,
Der Menschheit dienend ohne Dankbegehren,
Weltbeßrer, die in segensreichen Gaben
Ihr schönstes Denkmal sich errichtet haben,
Nur diese Göttlichen voll Willensstärke
Vollbrachten ihre vorgesetzten Werte.
Allmächtig ist der Wille; wer vorm Ziele
Erlahmt, gleicht einem, der erwacht, sich regt
Und wieder sich aufs Pfühl zum Schlummer legt.
<88>In jedem Land und Stand erblickst Du viele,
An Gaben reich, doch wenige fürwahr
Gibts, die zu wackrer Tat empor sich rafften!
Bei vielen, die im Eigennutz erschlafften,
Erstickte Trägheit, Mißmut, Habsucht gar
Nur allzu rasch den Drang, den tugendhaften,
Der ihres hohen Geistes würdig war.

Was hilft denn auch dem menschlichen Verbande
Ein Staatsmann, der an seiner Größe hängt,
An Macht ein König, wenn auch nicht von Stande,
Der ein System zum Wohl des Staats erdenkt,
Allein sein großes Werk, mit hundert Dingen
Beschäftigt, nicht zum Ziele weiß zu bringen?
Der eine, statt zu schaffen, will genießen;
Ein andrer bangt vor Neid, und nicht verdrießen
Will er das Volk, das stets am Brauche klebt
Und über jede Neurung Lärm erhebt,
Das ihm nicht Dank für seine Dienste weiß
Und Wohltat als erlittne Unbill zählt.
Ein dritter, den die Gier nach Gütern quält,
Gibt alle Pflichten seiner Selbstsucht preis.
Er, der dem Staat ein Vater könnte sein,
Sieht, kennt und liebt nur sich allein.
Dies arge Volk läßt unsre Not bestehn
Und Recht und Brauch drüber und drunter gehn;
Die Götterlust, den Wust mit weiser Hand
Planvoll zu ordnen, ist ihm unbekannt.
Doch oft auch bringt geschickten Staatenleitern
Des Schicksals Neid den besten Plan zum Scheitern.
Selbstsucht und Mißmut, Furcht und Trägheit treiben
Mit unsrer Menschenschwäche stets ihr Spiel;
Wir alle müssen uns ins Schuldbuch schreiben:
Kein Krieger, Staatsmann, König kommt zum Ziel.

Sieh jenen Feldherrn, den der Sieg umwirbt,
Wie er dem eignen Ruhme Schranken zieht,
Dem Feinde goldne Brücken baut, der flieht,
Und seiner Mühen Frucht sich selbst verdirbt!
Die Eigenliebe, die sich schnell begnügt
<89>Und gern zum Heldenrang empor sich lügt,
Umstrickt ihn, zeigt durch ein Vergrößrungsglas
Ihm seine Tat im Riesenmaß.
„Genug!“ spricht sie. „Dein Wagemut
„Hat glorreich heut zum Sieger Dich gemacht.
„Den Lorbeer, den Du pflücktest, hüte gut!“
Das angefangne Werk, er wähnt's vollbracht.

Erfüllt die Selbstsucht eines Staatsmanns Sinn,
Und lockt Bestechung ihn vom Weg der Treue,
Dann opfert der Verruchte ohne Reue
Des Staates Wohl für schnöden Geldgewinn,
Beugt das Gesetz, verkauft an Themis' Thron
Schamlos das heil'ge Recht um Sündenlohn.
Den Nachbarn redet er im Rat das Wort,
Bringt ihre argen Pläne zum Gedeihen,
Schürt Hader, um die Völker zu entzweien,
Und reißt den eignen Staat zum Kriege fort;
So führt Verrat zu Freveln und zu Mord.

Doch Du erkennst an diesem Bilde leicht
Den Schändlichen,89-1dem Zug um Zug es gleicht,
Den Unhold, dessen Härte Moskau fühlt,
Der Heeresmassen an den Grenzen hält,
Des Nordens Frieden ewig unterwühlt
Und unsren Gleichmut auf die Probe stellt!
Indes die Welt sein freches Ränkespiel
Mit kaum verhaltnem Ingrimm knirschend schaut,
Bleibt der Ukraine Fruchtland unbebaut;
In Rigas Pott verfault der Schiffe Kiel;
Gewerb und Kunstfleiß liegen schwer danieder,
Die alte Wildheit kehrt am Hofe wieder,
Und Peters großes Werk zerbröckelt sacht —
Welch Mißbrauch, Freund, der höchsten Herrschermacht!
Welch Schreckbild für Minister und für Fürsten,
Die, statt zu sorgen, daß ihr Land gewinnt,
Nach außen stark, fürs eigne Elend blind,
Nach Ruhm allein und eitlen Ehren dürsten!
<90>Und sei ihr Land auch lange nicht so wild,
Wie jenes Bärenloch, des Orkus Bild,
Kein Staat ist doch so makellos beschaffen,
Daß nichts an ihm zu bessern bleibt,
Daß zwischen Brauch und Recht nicht Lücken klaffen
Und die Vernunft allein Gesetze schreibt.

„Wohl spürt man dieser Mängel Schwergewicht,“
Sprichst Du; „warum beseitigt man sie nicht?“

Laß Dir die wahre Art der Herrscher zeigen,
Vor denen zitternd sich die Menschen neigen!
Sie wachsen auf in Prunk und Müßiggang
Und fürchten ernster Arbeit harten Zwang;
Im Freudentaumel, in des Glückes Schoß
Ziehn sie beschaulich ihre Trägheit groß.
Die Staatsgeschäfte gehn, wie's Gott gefällt,
Der alles, was geschehen kann, bedenkt.
Sorgt nun die Vorsehung für diese Welt,
So bleibt den Herrschern alle Müh' geschenkt.
Sie sagen sich's in lässigem Behagen,
Um müßig Tag' und Jahre totzuschlagen.
Der Menschheit Bürden, auf dem Thron erstarrt,
Für sich voll Rücksicht, gegen andre hart.
So dulden die hochmögenden Schlaraffen
All unsre Not, statt Nützliches zu schaffen.

Wenn Sachsens Macht und Wohlstand mehr und mehr
Verfällt und sein einst Heller Stern erblindet,
Zerrüttung droht, des Staates Ansehn schwindet,
Das Volt bedrückt ist und der Säckel leer —
Schieb's nicht dem Herrscher90-1 zu, der kein Tyrann,
Ja, dessen Trägheit nichts besiegen kann!
Aus Bosheit nicht erzeugt' er all dies Leid,
Nein, weil er sich dem Müßiggange weiht!
Er schläft auf Blumen; seiner schwachen Hand
Entglitt des schwanken Staates Gängelband.
<91>Trotz alten Schäden und dem tragen Hang
Der Großen geht die Welt zwar ihren Gang,
Allein ein Teil der Schuld trifft doch den König,
Geschieht fürs Wohl des Staats so bitterwenig!

Genug des Spotts! Ich schone meinesgleichen.
Kann mich allein der Tadel nicht erreichen?
Bin ich denn immer voller Wachsamkeit?
Gibt Umsicht jeder Arbeit das Geleit?
Gibt's nicht auch Tage, wo der Geist erschlafft,
Unfähig ist und ohne Schaffenskraft,
Wo ich das Ganze nicht vor Augen habe
Und kaum der Dinge Oberfläche streife?
Du siehst, wie ich beschämt ans eigne Herz mir greife!
Leben ist Handeln; Ruhe ist im Grabe.
Hat uns die flücht'ge Zeit nicht offenbart,
Daß kurz das Leben uns bemessen ward,
Daß man kein Ding dem Morgen überlassen,
Nein, die Gelegenheit beim Schopfe fassen
Und jeden Tag mit Taten füllen soll?
Umsonst droht uns die Parze frühen Tod;
Lang wird das Leben, ist es tatenvoll.
Drum nutzen wir die Macht in unsren Händen,
Um unsren Nächsten Gutes zuzuwenden:
Das sei des Daseins oberstes Gebot!
Der Seele Fruchtbarkeit ist unbeschränkt:
Sieh den Orangenbaum, der allezeit
Von Bluten strotzt und voller Früchte hängt,
Ein steter Vorwurf unsrer Lässigkeit!

Doch wenn ich auch das Wort der Tatkraft rede,
So wähne nicht, ich ließe mich betören
Von Brauseköpfen, die den Frieden stören,
Die ihre Unrast treibt zu Krieg und Fehde!
Glaub' nicht, daß mich der Nordlandsfürst entzückte,
Der Mühsal, Fährnis, Tod zu finden brannte
Und keine Lust als Krieg und Schlachten kannte,
Den Herrscher zu entthronen tief beglückte,
Der herrenlos die eignen Lande ließ,
<92>Polen gewann und sie ins Elend stieß!92-1
Doch ist ein Bürger mit der Macht betraut,
So schelt' ich seinen Hang zur Trägheit laut;
Amt, Ehre, Glück und Ansehn — alles drängt
Den Herrscher, daß er seiner Pflicht gedenkt.
Läßt er sich gehn, so ist es schon Verrat,
Und Trägheit wird bei ihm zur Freveltat.
's ist kein Verdienst, daß man das Böse meidet:
Fürs Gute zu erglühn — nur das entscheidet!

Ein Gleichnis noch! Gehüllt in Blumenzier
Zeig' ich der Weisheit strenge Regeln Dir!

Des Ruhmes Heiligtum, in alten Tagen
Sah man's auf einem schroffen Felsen ragen.
Der Gott versprach den Wagemut'gen Lohn,
Die klimmend bis zu seinem Wolkenthron
Ihm huldigten. Von diesem Preis verlocken
Ließ mancher sich und suchte um die Wette
Emporzudringen zu der heil'gen Stätte.
Dem Felsen nahend, blieben tieferschrocken
Die einen stehn ob ihres Unterfangens,
Indes verliebt ins Ziel ihres Verlangens
Waghalsige junge Toren Blumen pflückten
Und andre scheu sich an die Felswand drückten,
Gepackt vom Schwindel, und den Berg verließen.
Auch mancher sank, am steilen Hang erschlafft,
Entkräftet um, von Mühsal hingerafft.
Wohl ließen's Kühnere sich nicht verdrießen,
Emporzuklimmen an den steilen Riffen;
Doch ihre Seele ward vom Neid ergriffen
Auf jeden, dem das Wagnis auch gelang.
Sie rangen wild am Abgrundsrand und stießen
Einander in die Kluft, die sie verschlang.

Ein Weiser ohne Neid und Zagen dringt,
Vom Preis entflammt, der ihm dort oben winkt,
Allein auf kürzrem und noch rauhrem Pfad
<93>An Podewils. Man tut nicht alles, was man könnte
Von Fels zu Fels empor zum höchsten Grat.
Dort schließt in seine Arme ihn der Ruhm;
Sein Name wird vermerkt im Heiligtum
In jenem kleinen Buch der Ruhmeswetten,
Die stark an Mut und Tugend sich bewährten.
Der Gott gibt seinem Heldensinn die Krone
Und spricht: „Heil Dir! Nimm teil am hehren Lohne
„Der rastlosen Gelehrten, Herrscher, Krieger;
„Zu ruhen ziemt allein dem Sieger.“

<94>

14. An meine Schwester in Bayreuth94-1
Vom rechten Gebrauch der Glücksgüter

Der Größe Traumbild ist für mich verblaßt;
Stiller Beschaulichkeit ganz hingegeben,
Meid' ich der Menschen Zudrang, Lärm und Hast;
Die Stunden nutzend, die so schnell entschweben,
Genieß' ich tausend Freuden auf dem Land,
Errichte Lauben, lasse Hecken scheren,
Lese La Quintinie,94-2 dank dessen Lehren
Ein grüner Garten sprießt aus dürrem Sand.
Die Blumen, die uns Floras Huld beschieden,
Seh' ich da sprossen, blühn und bin zufrieden.
<95>Mein Freund Philemon, der mich oft beehrt,
Erörtert gern mit mir der Tugend Wert.
Erhitzt dann seine Rede mein Gemüte,
So schmückt mein Geist sie mit dem Reiz der Dichtung;
Das kleinste Ding, ein Blättchen, eine Blüte
Gibt unserm Denken Gegenstand und Richtung.
Natur ist reich an Wundern für uns beide;
Oft sind die Bienen unsre Augenweide.
O Schwester, welche Lust, ihr Werk zu sehn,
Wie sie im Blumenkelch nach Beute spähn,
Wie ihr geteiltes Wirken und ihr Fleiß
Das ganze Völkchen reich zu machen weiß!
Sie schaffen für einander; alle haben
Den gleichen Teil an ihren Honigwaben.

Warum befolgen wir ihr Beispiel nicht?
Erröten müßten wir, so oft wir sie
In höchster Ordnung, reinster Harmonie
Erfüllen sehn die allgemeine Pflicht.
Ihr Staat ist unsern Staaten weit voraus !
Nicht eine ist so stolz und aufgesteigert,
Daß sie der Arbeit Frucht den Schwestern weigert;
Dünkel und Eigennutz sind fremd im Haus.
O Menschenweisheit, aufgeblähter Wahn!
Wie tief dich selbst ein Tier beschämen kann!
Hartherzig sehn wir in des Glückes Schoß
Herab auf unsrer Nebenmenschen Los;
Die Sitten wechseln nach der Art des Stands.
Wir fliehn, geblendet von dem eignen Glanz,
Den schlichten Ursprung, kennen uns nicht mehr.

Wer glaubte, kommt ein Großer stolz daher,
Die Armen sein dem gleichen Stoff entsprossen,
Den Bettlern dort, zerlumpt und gramgebückt,
Sei ganz das gleiche Antlitz aufgedrückt,
Sie seien seine Brüder und Genossen!
Das ist Fortunas Werk; durch Dünkel ward
Er grundverschieden; kein gemeinsam Band
Gibt's, das sich zwischen arm und reich noch spannt;
Wie Tiere sind sie von verschiedner Art.
<96>Sein Wolfsgemüt wird kühl die Falken schauen,
Wie sie das Tal mit Taubenblut betauen.

Mich bost's, daß ein gewisser großer Herr
Sein Herz an Pferde, Hunde gar verschwendet,
Als ob er nur so hoch erhoben wär,
Damit sein Gold in ihrem Bauche endet!
Indes die Pferde nutzlos an der Krippe
Sich mästen, wird der Arme zum Gerippe.
Er schwelgt in Luxus, denkt an sich allein;
Ein leerer Traum ist ihm des Nächsten Pein.
Ja, dieser Mißbrauch hat mich so empört,
Daß ich die Großen und das Glück verachte!

„Du staunst!“ entgegnete mein Freund und lachte.
„Die Welt ist fühllos, undankbar, betört.
„Ich kenne sie nun schon so manches Jahr,
„Seit ich Fortunas Oberpriester war.
„Der Schmeichler blöder Schwarm umdrängte sie,
„Und einen jeden sollte sie beglücken.
„Ein Höfling bat, daß sie ihm Macht verlieh',
„Um einen falschen Freund zu unterdrücken,
„Der stets ihn auszustechen sich erfrechte.
„Der König heischte unterwürf'ge Knechte.
„Ein Stutzer, den sein karges Los verdroß,
„Verlangte Würden und ein prunkend Schloß,
„Und ein Verschwender wünschte große Habe,
„Um sie nach Lust und Laune zu vergeuden.
„Ein Geizhals sprach: Du Bringerin der Freuden,
„Gib Schätze mir, damit ich sie vergrabe!
„Hochmütig rief ein Graf mit frecher Miene:
„Wo bleibt der hohe Rang, den ich verdiene?
„Ich käme nie zum Schluß, erzählt' ich Dir
„Ihr wunderlich Gered in allen Stücken.
„Kurz, keiner dacht' in seiner eitlen Gier
„Der holden, edlen Wonne, zu beglücken,
„Und meine Göttin, unberechenbar
„Und unbesorgt, wen ihre Gabe trifft,
„Versagt' aus Laune, reichte wahllos dar.“
<97>„Das Glück“, versetzt' ich, „ist ein schlimmes Gift.
„Kann es den Geist mit Hirngespinsten nähren,
„So muß sich auch des Besten Sinn verkehren;
„In seinem Wahn glaubt er, ein Gott zu sein,
„Verlangt, daß Weihrauch überall ihm dampfe.
„Die Mächtigen in ihres Hochmuts Krampfe
„Vermeinen, daß die Vorsehung allein
„Für sie erschuf, was auf der Erde lebt
„Und was auf Flügeln durch die Lüfte schwebt.
„Sie fühlen sich als Mittelpunkt der Welt;
„Geht's ihnen gut, ist alles wohlbestellt.
„Zart gegen sich, doch gegen andre hart,
„Vom Glück berauscht, in ihren Rang vernarrt
„Und streng ihn wahrend, gleichen sie den Ästen,
„Die sich aus ihres Stammes Säften mästen
„Und eitle Blätterzier in Fülle treiben,
„Doch uns die süßen Früchte schuldig bleiben.
„Wird denn für sie allein der Saft bereitet,
„Den das Geflecht des Schafts zum Wipfel leitet?
„Ach, welcher Gärtner wird sie klug beschneiden,
„Wenn sie Pomona ihre Gaben neiden?
„Wie schmerzt es mich, es werden immer mehr!“

„Vielleicht, daß manches Herz wohltätig wär',“
Erwiderte mein Freund mit düstren Mienen.
„Doch die verderbte Welt ist voll von Bösen;
„Durch Wohltun ist nur Undank einzulösen:
„Wer Menschen kennt, versagt den Beistand ihnen!“
Wie schön ist's, Freund, sich Undank zu verdienen!
Ist's nötig, wenn es uns zur Tugend drangt,
Daß kaltes Klügeln unsrem Herzen wehrt?
Weise Minerva, Schwester, liebenswert,
Mit allen Herzensgaben reich beschenkt,
Ich weiß, Du denkst: ein edles Herze muß
Wohltätig sein; ihm ist es Hochgenuß,
Wenn es den Menschen, seines Gleichen, spendet,
Was ihm des Himmels Güte zugewendet!

Die Säulen, die ein kluger Architekt
Vor seinen Bau in edler Ordnung stellt,
<98>Sind nicht nur eitler Schmuck; was er bezweckt,
Ist, daß das Ganze fest zusammenhält.
— 's ist auch die Regel des Gesellschaftsbaus!
Zu seinem Halt trägt jeder Bürger bei:
Verschönern reicht nicht hin, ich sag' es frei:
Der Schmuck verziert, die Güte trägt das Haus.

Weltseele du, allmächtige Natur,
Laß dein Geheimnis kühn mich offenbaren!
Du fügst, magst du verschwenden oder sparen,
Zweckvoll ein jedes Ding zum Brauche nur!...

Wie lieb' ich jenes weisen Mannes98-1 Rede,
Als Rom zerklüftet ward von Bürgerfehde!
Zum Heil'gen Berge war das Volk gezogen,
Er glättete beredt des Aufruhrs Wogen.
„Der Staat, Ihr Freunde, ist der Leib“ — so sprach
Der Kluge; „alle Bürger sind die Glieder.
„Erlahmt nur eins, gleich wird das Ganze schwach;
„Gesundheit liegt und Lebenskraft danieder.
„Wenn's nur zu reden unserm Mund behagte
„Und er dem Leibe Speis' und Trank versagte,
„So wär' der Körper, ohne Saft und Kraft,
„Geschwind vom Hungertode hingerafft.
„Ihr Widerspenst'gen, Glieder unsres Staats,
„Seid Bürger! Ehrt den Willen des Senats!“
Wie hoch sich einer auch im Lande schwingt,
Er bleibt vom Ganzen immer doch ein Glied.
Wenn Ihr den Nächsten keine Hilfe bringt,
Der Staat in Euch gelähmte Glieder sieht.
Doch meiden wir den Spott und sein wir mild;
Richten ist leicht; die Kunst ist, zu bekehren.
Mit Freundesrat, nicht wie ein Pfaff, der schilt,
Laßt uns den rechten Brauch der Größe lehren,
Wie man den Dünkel, Rache, Haß verschmäht,
Allein durch seine Güte Macht verrät.
<99>„Nichts kann an Deiner Größe mehr entzücken,
„Als Deine Allmacht, Menschen zu beglücken;
„Nichts hebt Dich mehr empor zur Göttlichkeit,
„Als Deine Güte, ewig hilfsbereit“ —
So sprach einst Cicero zu Cäsars Ehren,99-1
Und alle Könige scheint er zu lehren:
„Um zu beglücken, wurdest Du zum Herrn,
„Dich ziert Dein Glanz, gleichwie des Tages Stern,
„Doch uns erwärmt er, wo er niederfällt.“

Die Großen, die das Glück im Schoße hält,
Verachtet man, ist ihre Seele schlimm.
Den Kaiser Nero traf des Volkes Grimm,
Der Antonine Tugend ward verehrt.
Du, Mark Aurel, mein Vorbild und mein Held,
Anbetungswürd'ger, eines Tempels wert,
Wenn schwache Menschen zu der Götterwelt
Aufsteigen können, dir geschah es so!
Bei deinem Namen fühl' ich, wie die Glut
Der Tugend, die mir tief im Busen ruht,
Empor in Flammen züngelt lichterloh!...

Doch muß zum Wohltun man ein König sein?
Kann nicht ein jeder sich der Tugend weihn?
Oft kann der Ärmste seinem Nächsten nützen;
Der Reiche soll von seinem Überfluß
Den Armen geben, und der Große muß
Mit starkem Arm bedürft'ge Tugend schützen.
Im Wohlstand zeigt sich erst der Seele Guß,
Ob sie voll Geiz, ob sie an Gaben reich:
Der Stand ist wechselnd, doch die Pflicht ist gleich.
So schenkt die zarte Blüte ihren Duft,
Das Feld Getreide und die Bäume Schatten,
Metall der Berge Schoß und Gras die Matten,
Fische das Meer; es kühlt der Wind die Luft,
Der Nordstern weist dem Wandrer seinen Pfad,
Und wenn die Nacht die Welt verschleiert hat,
So dringt des Mondes Leuchte durch das Dunkel.
<100>So füllt den Raum mit seinem Lichtgefunkel
Der Sonnenball, befruchtet und erhält
Das Leben rings auf dieser weiten Welt.

<101>

15. An Sweerts101-1
Über die Freuden

Ihr der liebenswürdige Leiter seid
All unsrer Kurzweil und Ergötzlichkeit,
Der Ihr den Tanz Terpsichores
Und Polyhymnias Spiele lenkt,
Den Tränenernst Melpomenes,
Thaliens Munterkeit uns schenkt:
Sagt an, Baron, habt Ihr schon eins bedacht:
Von alledem, was uns erfreut,
Was ist es wohl, das uns beglückter macht,
Dem innern Menschen wohl das meiste beut?
Sagt, ist's der Freudenüberschwang,
Den uns der Karneval beschert,
Den üpp'ge Jugend so begehrt,
Davor den Ehegatten bang?
Wenn unter Masten mannigfach
Das junge Volk, das liebvernarrte,
Begeistert stürmt der Luststandarte
Der holden Cytherea nach?
hei, wie sie all in Flammen stehn,
Jeder entschlossen zuzugreifen!
Dies Springen und Schleifen,
Dies Wirbeln und Drehn,
Der taumelnde Reigen
Beim Klang der Trompeten, der Flöten und Geigen —
Ein Rausch ist's, und alles dahingerissen
Von Genuß zu Genüssen.
Und Aurora, die
Zu Winterzeiten doch wahrlich nie
<102>'ne starke Frühaufsteherin,
Heut hat sie's nach dem Wunsch und Sinn
Der lustigen Jugend mal viel zu eilig —
Obschon zeitweilig
Bereits in Viertelstundenfrist
Von manchem schnell entstammten Galan
In seinem kurzatmigen Liebesroman
Ein böses Aber gefunden ist.

Was meint Ihr? Oder ist es vielleicht
Die Bühnenkunst, der Ihr die Palme reicht?
Allwo die Verschrobenheiten der Zeit
Mit seiner derben Ursprünglichkeit
Abschreckend uns Meister Molière konterfeit?
Ihr empfehlt mir ein neues Schauspiel: „Kehrt ein
„In jenes berückende Zauberschloß,
„Wo das Bühnenbild und der Tanz im Verein
„Mit dem Reize vielstimmiger Melodein,
„Wo ein hundertfältig Genießen
„Zu einer Lust, überwältigend groß,
„Will ineinanderfließen.
„Der Oper gebührt wohl der Freudenpreis,
„Wo alles, Hof und Stadt, wie berauscht
„Dem Meistergesange der Astrua102-1 lauscht,
„Wo alle Herzen zu rühren weiß
„Salimbeni102-2, der Meister der schmelzenden Töne,
„Wo unsre Terpsichore, unsere schöne
„Marianne Cochois ihre Bravos sich
„Beim Publikum einheimst allabendlich
„Und die hohe Kunst ihres Tanzes zusamt
„Dem Reiz der Verführung, der ihr eigen,
„Alle Herzen, die zur Verliebtheit neigen,
„Unrettbar entstammt.“

Ich versteh', und — was ich auch nicht verhehle —
Ich liebe im Grunde meiner Seele
All diese Freuden: Verirrung heißt
Mir die Andacht, die sie uns verleidet, verweist.
<103>Ich denke gut epikureisch und gern
Überlass' ich das Traurigsein
Von der Stoa den grimmigen Herrn.
Ach, daß unserm Herzen, wie weiland Theben,
Doch hundert Tore wären gegeben:
Ich ließe die Freuden groß und klein
In hellen Scharen herein!

Doch was hilft das alles: nicht jedermann
Schaut die Sache mit solchen Augen an.
Sah ich doch, traun,
Schon Herren, die große Nimrode waren,
Mit müden, hochgezogenen Braun
Inmitten von all dem Wunderbaren.
Sie gähnten und schliefen ein, und ihr Geist
War schleunigst nach ihren Iagdgründen verreist;
Dort war er beschäftigt mit Hirschen und Sauen
Und sah im Traum, statt auf Cinna zu schauen,
Die stinken Bracken
Den Schwarzkittel packen.
Ich sah auch auf euren Zuschauersitzen
So manchen Harpagon zappeln und schwitzen,
Im Angsttraum um seine Gelder vergehn,
Nach allen Riegeln und Schlössern sehn,
Sich heimlich im stillen quälen,
Seine Säcke mit Goldstücken abzuzählen.
Höchst eigenartig war auch der Genuß,
Den jener Mathematikus
Für sein Gehirn, das ausgedörrte
Einst im Theater sich erfand —
Sicher ist Euch die Geschichte bekannt:
Ohne daß er was sah oder hörte,
Selbst ohne zu sprechen, macht' er sich dran,
Zu berechnen den Rauminhalt des Saales,
Die Wege und Wirkungen des Schalles,
Die Optik im Theaterhaus,
Das große Oval an der Decke des Baus.
Und als er sein löbliches Wert getan,
Nichts blieb ihm als tödliche Langeweile —
Was geht ihn der Vorgang da oben an!
<104>So daß er, unglaublich! in polternder Eile,
Eh' nur ein Akt zu Ende gespielt,
Sich fluchend empfiehlt.

Gilt's unsere eigenen Neigungen — hei,
Wie sind wir mit Leib und Seele dabei!
Indes uns die Freuden von anderen Leuten
Blutwenig bedeuten.
Weil nun keiner heraus kann aus seiner Haut,
Aus jedem ein anderes Fühlen spricht,
So gönne der eine
Dem andern das seine,
Dieweil ja auch jedes Menschengesicht
Verschieden ausschaut!
Ja, segnen laßt uns die sorgende Macht,
Grad weil ihre gnadeströmenden Hände,
Geschmack und Verlangen vertausendfacht,
Daß jeglicher Wunsch sein Genügen fände.
Gäb's da nicht so viele Verschiedenheiten,
So wär' wohl das bißchen Freude und Spaß —
Das einzige, was
Dem Erdendasein noch gibt seinen Reiz —
Der Born nur des Zankes, des Neids und Streits,
Wütender, grausamer Zwistigkeiten
Ohn' Unterlaß;
So säh man uns Ärmste allerseits,
Nur um ein Freudegelüst zu stillen,
Den Erdboden röten,
Zu Kriegen käm' es und Kriegesnöten —
Einzig um des Vergnügens willen!
Doch meint Ihr, es müssen,
Die Sinne, die trägen
Uns anzuregen,
Gleich wahre Wunder von Hochgenüssen,
Theater und Feuerwerkerein
Oder ähnliche Herrlichkeiten sein?
Als ob nun jeder, dem all derlei
Das Geschick nicht vergönnt,
Mit Fug und Recht sich beschweren könnt',
Daß er zu kurz gekommen sei?
<105>Natur, die getreue, nimmt immerdar
Wachsam all unsrer Bedürfnisse wahr
Bis zum Überfluß:
Erhebt zum Verlangen, was uns fehlt,
Erhebt zur Wonne und zum Genuß,
Was uns zu schaffen macht, was uns quält;
Gab uns der Liebe Lust, — die gleiche
Dem Bauern wie dem Kavalier;
Gab uns die Labe, die segensreiche,
Des Schlummers. Ihr verdanken wir
Die Lust, wenn uns in Dursiesqual
Ein Bächlein rauscht mit einem Mal:
O tiefer Trunk, so kühl und rein,
Köstlicher kann kein Nektar sein.
Verschmachten wir in Hundstagsglut,
Wie tut in dunkler Schatten Hut
Des Waldes frischer Odem gut.
Wohliger denn auf Daunendecken
Behagt's, auf weicher Wiesenau
In guter Ruh' sich hinzustrecken,
Zu träumen in des Sommers Blau.
Und denkt doch, welche Wunderschau
Uns stets im Morgenrot erblüht,
Wie da, kaum daß das Dunkel schwand,
Im Osten schon der Himmelsrand
In reinsten Purpurfarben glüht;
Droben verblassen die Gestirne,
Der Nebel steigt, die Bergesfirne
Erglüht im ersten zagen Strahl
Und schickt ein goldnes Licht zu Tal.
Der Morgenwind die Schwingen hebt
Und weckt die Blumen, und es lebt
Das Menschenherz zur Freude auf,
Und ob der neugebornen Welt,
In allen Tiefen lichterhellt,
Hebt sich der Sonne Siegeslauf.
Wo ist die Wunderkunst, sagt an,
So zaubermächtig ohnegleichen,
Die solche Wirkung je erreichen,
Die solche Schau uns bieten kann?
<106>Malt doch der Sonne Feierpracht,
Wenn ihr die Farben dafür wißt!
Graun,106-1 der der Töne Meister ist —
Das Lied der Sängerin der Nacht,
Das schlichte Gezwitscher der Waldvögelein,
Erweckt vom jungen Tagesschein —
Noch hat er es nicht nachgemacht!
So wird an Schönheit überglänzen
Ein junges Blut von fünfzehn Lenzen
All eure trefflich gemalten Gesichter;
Was hilft der Farbenschmelz, die Lichter,
Was ist mit eurem Schminken getan,
All eurem zierlichen Drum und Dran —
Mit der Natur ringt die Kunst vergebens!

Seht, da habt ihr die Freuden, die holden,
Eines von Unschuld umhegten Lebens.
Dünkt ihre Schlichtheit euch minder golden
Denn eure Spiele und prunkvollen Feste,
Wo alles gestutzt und geregelt aufs beste,
So wißt: man übernimmt sich nicht
An ihnen, dieweil sie so einfach, so schlicht;
Gleichen sie doch einem Bächlein seicht,
Des lichte Welle flink und leicht
Hinplätschert über den silbernen Sand;
Die Au verschönt es, die's durchfließt,
Und segnet weitum alles Land,
Wo alles grünt und blüht und sprießt.
Freilich mit stolzen Brücken kann's
Nicht eben großtun; noch gewann's
Der großen Ströme Amt und Ehr',
Stattliche Schisse zu tragen daher
Mit wehenden Bannern; noch bespült
Sein Wasser die Mauern der großen Städte,
Allwo sich's gar oft in seinem Bette
Von den guten Deutschen geärgert fühlt.
Nichts stört und verdrießt es, nichts hält es auf,
So ist denn gar eben und grade sein Lauf.
<107>Versucht es nur einmal, ich rat' euch in Treuen,
An solchen Gütern der Welt euch zu freuen:
Ich sage euch: keine Gewissenspein
Folgt hinterdrein!
Es ist ein Genießen in Herzensruh;
Auch daß man zuviel des Guten tu',
Ist nie zu besorgen. So kehrt man schließlich,
Ward man der euren müd und verdrießlich,
Sich jenen immer wieder zu.

Hat jedes Alter, das wir durchwandern,
Doch seinen Geschmack, und jedes 'nen andern.
So macht uns alle der Lebensmai
Hörig der Liebestyrannei,
Indes des Daseins Sommerzeit
Der Ehre und dem Ruhm geweiht,
Und mehr nach Nutzen und Gewinn
In herbstlichen Tagen uns steht der Sinn;
Was aber bleibt unsern alten Tagen
Als Grübeln, Brummen und sich Beklagen!
Ein grauer Schädel — und dabei
Tät' er noch mit bei der Mummerei?
Ein runzlig Gesicht,
Und es schämte sich nicht!
Das stünd' ihm an, dem wackligen Alten,
In der Maske zu hüpfen, in Dominofalten
Den Leib zu hüllen, den wunschlos kalten!
Hat Amor doch längst keine Pfeile mehr
Für ihn, für ihn ist sein Köcher leer,
Den seines Leibes Gebrechlichkeit
Von aller süßen Fron befreit.
Wenn frostige Starrheit
Das Herz befiel,
So wird zur Narrheit
Das holde Spiel;
Ach, wenn die Liebe sich von uns kehrt,
Ihr Abschiedsgruß uns gar wenig ehrt!
Nun schimpfen sie, die in besseren Tagen
Anbetend auf den Knien lagen,
Und lästern haßvoll —
<108>Ohnmächtig sind sie nur, nicht maßvoll!
Die Leidenschaften schwanden — mit ihnen
Die Wunder, die einst dem Verliebten erschienen;
Die Sinne sind
Wie taub und wie blind,
Und wenn uns in die Augen fällt
Das Allerholdeste von der Welt,
So ist's, als wenn ein Lustschloß sich
Im Wasser spiegelt: jede Welle
Verlöscht und raubt uns auf der Stelle
Das Bild, wenn sie vorüberstrich.
So wenig hat's Bestand und Halt!
Ja, seht ihr, ist der Mensch erst alt,
So sind des Lebens süßeste Wonnen
Zerronnen.

So laßt uns genießen, ich bin dabei,
Aber den Kopf behalten wir ftei!
Sweerts, und ich sag Euch, am besten ist dran,
Wer sich glücklich davonmachen kann,
Den Hirtenstab wieder zuhanden nimmt
Und fort, zu seinen Gärten, nur fort,
Seinem Wald, seinem Zufluchtsort —
Nachdem er just auf der Szene dort
Durch Muttertränen umgestimmt
Im Lager gesehn den Coriolan;
Oder vorm ganzen Heeresbann
Der Griechen die traurige Königsmaid,108-1
Am Opferaltar schon zu sterben bereit,
Gerettet im letzten Augenblicke!
All dieser Glanz, dies Brimborium
Macht Euch zuletzt ganz taub und dumm,
Zerreißt Euch in Stücke
Seele und Sinn!

Ich bitt' Euch, Baron, wo soll das hin:
Was bin ich verdammt, für ein Leben zu führen,
Eine Irrfahrt ist es, ein Vagabundieren!
<109>Und dabei in dem Wirbel von Hof und Welt
Sich mitdrehn! Ewig umlagert, umstellt
Von jenen müßigen Vielgeschäftigen!
Von dem Kram all, dem Nichts
Voll ernsten Gewichts
Bis oben gefüllt; von dem rauschenden, heftigen
Wildstrom der Vergnügungen mitgerissen,
Über die nur die Mode gebeut,
Wo immer das Gestern gleicht dem Heut —
Ein Nichtstun, das uns mit Ärgernissen
Schier vergiftet das Leben!
Kein Leben, nein! Kein Denken; nur eben
Ein Atmen noch!
Und immer doch
Beeilt, in der großen Welt zu erscheinen,
Wie im Theater! Ich sollte meinen:
Da müßt' Euch vor Euch selber grauen,
Euch selber ins Gesicht zu schauen!

Nein, willst du verkehren mit deinem Ich,
So birg in beschaulicher Stille dich.
Dort, Auge in Auge mit deiner Seele,
Erkennst du dich selber und all deine Fehle.
Seht, so macht ein Weiser Gebrauch von der Zeit:
Er lernt das eigene Selbst verstehn,
Lernt es, mit Härte und Peinlichkeit
Mit sich selbst ins Gericht zu gehn,
Und wird seiner Vorurteile Meister,
Die seine Augen mit Blindheit geschlagen:
Schonungslos jede Verhüllung reißt er
Herunter, die seine Schwäche getragen,
Masken, die er mit großer Gewandtheit
Seinen dummen Streichen einst vorgebunden
Und seiner Launen Überspanntheit.
Fluch ist der Eigenliebe Verranntheit:
Sie schmeichelt und streichelt, und schlägt dabei Wunden!

Ja aber! haltet Ihr mir entgegen:
Die Komödie! Ihr Wert und ihr Segen!
Die Narrheit weiß sie auszupfeifen,
<110>Bessernd ins Leben einzugreifen!
Sehr schön. Und doch, dies tändelnde Spiel
— Oft tut es in Hanswurstpossen zuviel —
Streift unsere Mängel nur obenhin,
Befehdet sie kaum in ernstem Sinn.
Was suchen wir dort?
Ein gelungenes Wort,
Satirisch geschliffen und zugespitzt:
Einer, der im Theater sitzt,
Wird aus 'ner Predigt sich wenig machen —
Er will lachen!

Zeigt mir einen einzigen Lasterhaften,
Den Eure Komödie zur Tugend belehrt!
Dies hehre Amt bleibt ihr verwehrt!
Und wer von trüben Leidenschaften
Im Ernste sich zu bessern begehrt,
Der fang's mit harter Arbeit an.
Nur wer im Innern kämpft und ringt,
Nur wer im Leben sich gewann
Gewissensfrieden,
Nur dem ist Glück und Lohn beschieden.
Mein Sweerts, nur dann
Will ich mich Eures holden Tands erfteuen,
Wenn's gilt, vom Ernst der Arbeit sich zerstreuen.

<111>

16. An Algarotti111-1
Über die Tadelsucht

Du liebenswerter Sproß aus fernem Süd,
In dem aufs neu der hohe Geist erblüht,
Gesittung und Geschmack, die einst beglückt
Das alte Rom und herrlich es geschmückt:
Sag an, was treibt uns, bissig einen jeden,
Selbst Freunde, zu bekritteln und zu kränken?
Begierig fahnden wir nach ihren Schäden
Und suchen selbst das Lob mit Gift zu tränken.
Ist's wohl der Eigenliebe wechselnd Wesen,
Das gern des Geistes Maske sich erlesen,
Das lüstern stets nach fremden Schwachen späht
Und selber sich vor ihnen eitel bläht?
Hat Gott, der doch als unser Schöpfer gilt,
In unser Herz geprägt ein heimlich Bild,
Das der Vollendung hehre Züge trägt
Und unsern Sinn stets zum Vergleich erregt?

Doch soll kein Lob dies Lasier mehr verklären,
Nur Eigenliebe konnte es gebären.
Der Höfling schmeichelt seines Feindes Schwächen
Und sucht galant ihm so den Hals zu brechen.
Gewissenhaft verschmäht er offnen Tadel
Und sticht den Gegner mit geheimer Nadel,
Ist auch noch stolz auf seinen scharfen Geist,
Drum fürcht' ich sein Gemüt und Wort zumeist.
Denn wär' er gütig, würden seine Reden
<112>Nicht jeden so mit Spott und Hohn befehden.
Er würde mild vor fremden Fehlern stehn
Und sie in Lieb' und Güte übersehn.
Doch alle Freundschaft muß auf Erden sterben,
Wenn jene Krittler scheltend sie verderben.
Vor ihrem hohen Richterstuhl erliegt
Der Freund, vom Wenn und Aber bald besiegt.
Sie hassen ja der Menschen arm Geschlecht
Fast aus Geschmack, aus Zartgefühl erst recht.
Wird doch in diesem eisernen Jahrhundert
Nicht Nisus und Achates112-1 mehr bewundert.
Ein gütiger Mensch heißt bald ein dummer Junge,
Und Freundschaft redet nur mit böser Zunge:
„Mich schläfert Lycidas, der Gute, ein,
„Doch Perseus' Spottsucht geht fürwahr zu weit.
„Chrysipp will immer zu erhaben sein,
„Der tolle Damon sucht mit jedem Streit.
„Zu peinlich hütet Lytas all sein Gut,
„Zu mild ist Menelas, Sulpiz zu herrisch,
„Und Heraklit hat gar zu schweres Blut,
„Narziß ist ob der eignen Schönheit närrisch.“
Solch ein Geschwätz, zur Bosheit stets bereit,
Zerstört den Geist wahrer Geselligkeit.
O, wenn die Narrn, die sich so weise beuchten,
Sich einmal wollten ehrlich selbst beleuchten!
Im eignen Innern fänden sie nicht selten
Die Schwächen, die sie stolz bei andern schelten.
Wenn sie sich selbst wie ihren Freund belauschen,
Sie könnten wechselnd Fehl um Fehler tauschen
Und würden strahlender die Tugend sehn,
Wenn sie die Schwächen milder übergehn.
Wer alles schlecht nennt, selbst in Bosheit sank,
Wer alles gelb sieht, ist an Gelbsucht krank.
Ein Vorurteil ist öfter, als man denkt,
Der wahre Grund, der unser Handeln lenkt.

Von jeher war es der Natur Bestreben
Ein andres Antlitz jedem Ding zu geben.
<113>Burrhus sieht es von vorn, von rückwärts sieht's Sejan,
Daher entsteht der tausendfache Wahn.
Ich fürchte, des Soldaten rauher Sinn
Neigt nicht zu Wissenschaft und Weisheit hin,
Und manch verbissener Pedant verzeiht
Dem Geldmann nicht die brave Tätigkeit.
Ein Rechtsgelehrter sagt wohl frank und frei,
Daß der Soldat ein Menschenfresser sei.
Ihr Jünger Don Quichottes, die ihr verblendet
Noch stolz auf eure schwachen Taten seid,
Ihr seht nicht, wie Natur doch allezeit
Zu vielen Zwecken jedes Ding verwendet.
Jedem ist sein Geschick und sein Talent bestellt,
Ihr Unterschied bedingt das Wohl der Welt.

Wenn jeder wollte Rechtsgelehrter werden,
Wer möchte dann nach unsern Feldern schaun,
Wer erntete mit Schweiß und mit Beschwerden
Das Korn und suchte Äcker zu bebaun!
Wähnt ihr, ein Advokat wird euch beschützen,
Sobald ein Fürst, den Augenblick zu nützen,
Mit Krieg und Not das ganze Land bedrängt
Und Heer um Heer auf eure Saaten lenkt?
Es braucht der Staat den Rechtsmann und den Krieger,
Und ohne sie verfällt er dem Besieger.
Er gliche sonst dem unbemannten Schiff,
Das steuerlos der Sturm zerschellt am Riff.
Man preise drum und tadle nicht zuviel
Die Vorsehung und ihrer Farben Spiel,
Und nur das krasse Lasier sei verdammt,
Dem der Gemeinschaft ärgster Feind entstammt.

Wo die Natur stiefmütterlich gewaltet,
Da mag man ein verbittert Herz verzeihn;
Thersites und Brunel,113-1 sie mögen schrein,
Well sie der Himmel grausam mißgestaltet.
Nur Torheit kann so falsch den Klugen lenken,
Genie und wirkliches Talent zu tränten,
<114>Ja, über Freunde gar den Stab zu brechen,
Für Tugend blind, helläugig nur für Schwächen.
Wer dann im Schmähn noch sein Vergnügen sucht,
Den hat mein Herz noch allezeit verflucht.

Mir fällt hier ein, wie ich ein Gleichnis hörte
In Jahren, als man mich noch Fabeln lehrte:
Einst war im Jugendalter der Natur
Voll Einsicht eine jede Kreatur.
Vernunft erleuchtete das Tiergeschlecht,
Zu reden war sogar der Pflanzen heilig Recht,
Vollkommen jedes Ding von Anbeginn,
Und Blatt und Blüte raunten tiefen Sinn.
In einem Garten einst in jener Zeit
— Sein Name sank wohl in Vergessenheit —
Sprach dünkelhaft verächtlich zu dem Wein
Die Rose: „O, wie mußt du elend sein!
„Beschnitte nicht der Mensch dein reich Geäst,
„Und hielten kletternd die gekappten Ranken
„Nicht zärtlich die barmherz'ge Ulme fest,
„Du müßtest kriechend auf dem Boden kranken.
„Dein unbegnadet Holz trägt keine Blüten,
„Dein Laub ist schattenlos, duftlos die Frucht,
„Doch wenn die Sonnenstrahlen mich beglühten,
„Mir selbst Aurora nicht zu gleichen sucht.
„Des Weihrauchs Schwall, des seltnen Balsams Düfte
„Beleben nicht so süß wie ich die Lüfte.
„Ich schmücke hell das Haar der schönen Frauen,
„Man ruft mich stets zu allen Festen hin,
„Und wunderherrlich kannst du mich beschauen
„Als aller Gärten stolze Königin.“

„Ich gelte mehr als du,“ so sprach der Wein.
„Wie oft in deiner Schönheit jungem Schein
„Zerreißt ein rauher Wind dein prächtig Kleid:
„Kaum blühst du auf, bist du dem Tod geweiht.
„Ich schätzte höher deine Himmelsgaben,
„Wäre dein Stiel nicht so an Dornen reich
„Und würde lieber uns mit Früchten laben,
„Dann wärest du mir erst an Nutzen gleich.
<115>„Sieh meine leckern Trauben blau und golden,
„Wer gäb' um deine Kelche meinen Saft?
„Er quillt gepreßt aus meinen vollen Dolden,
„Treibt Sorgen fort und bietet neue Kraft.
„Mein Laub umschmückt, wo Liebesfeste brannten,
„Den Thyrsus und die Stirnen der Bacchanten.
„Dein Blühn vergeht, ich daure allezeit.“

Ein grober Distelstrauch belauschte diesen Streit.
Er hatte breit das ganze Feld bedeckt
Und sprach, den wüsten Busch hoch aufgereckt:
„Nicht hab' ich euren Duft, der Früchte Schatz,
„Doch mein Gewächs gedeiht an jedem Platz,
„Und was ihr tragt an Frucht- und Blütengut,
„Nimmt sich der Mensch als schuldigen Tribut.
„Wir aber fühlen uns in Freiheit reich,
„Und so verachtet meine Distel euch.“

Ja wurzelten sie nicht im Erdenschoß,
Sie schlügen wütend aufeinander los.

Da schwebte leicht in hoher Luft vorbei
Der Aar des Zeus und hörte ihr Geschrei.
„Du wüste Distel,“ rief er, „schweige jetzt,
„Du Schandgewächs, das nur der Esel schätzt!
„Lerne von mir, dich weniger zu adeln,
„Nur der Vollkommne hat das Recht zu tadeln.“
Auch zu den andern fing er an zu reden:
„So hört doch auf mit euern bissigen Fehden!
„Statt so mit bittern Worten euch zu tränten
„Soll jeder an des andern Nutzen denken.
„Jeder füllt seinen Platz, die Rose und der Wein,
„Der Dinge Ordnung schließt sie alle ein.
„Drum laßt nicht überkühn die Wünsche sieigen.“

Ja, die Vollendung ist nur Göttern eigen.
Denn Gut und Böse werden Hand in Hand
Sich immer teilen in dies Erdenland.
Die schöne Welt hat Wüsten dürr und hart;
Der Sommer sengt, in Eis der Winter starrt.
<116>Und zeigt uns nicht der krause Erdenball
Meer, Berge, Wälder, Schluchten überall?
Wind, Feuer, Luft sind wildem Streit ergeben,
Denn Kampf ist erst der Elemente Leben.
Und wer den Tag nur licht und fröhlich sieht,
Verkennt Natur und träumt als Sybarit;
Doch täuscht sich auch, wer nur mit Schlechtem mißt.
Man nehme drum die Welt, so wie sie ist.

<117>

17. An Finck117-1
Tugend gilt mehr als Geist

Die heut'ge Zeit hat einen schlimmen Span,
Tollhäuslern gleich in ihrem Größenwahn:
Ein jeder, selbst der allerdümmste Tropf,
Will Schöngeist sein und ein gescheiter Kopf.
Der Wahnsinn wächst, und alles zahlt ihm Zoll;
Die Abderiten trieben's nicht so toll!

Die Welt liebt Witz und lacht die Torheit aus.
Geist! heißt es, Geist! Dann sind wir schön heraus!
Der größte Narr ist blind darauf erpicht
Und dumm wie Stroh, macht er ein schlau Gesicht.
Gleichwie das liebe Vieh auf dürrer Flur
Zu weiden scheint und kaut im Leeren nur,
Der plumpste Schulfuchs sich für geistreich hält,
Und mehr noch will man's scheinen vor der Welt:
Was tut der Mensch nicht diesem Ruf zuliebe!

Der eine splitterrichtet die Autoren.
Mit weniger Talent als sie geboren,
Tut er, als ob nur er was Gutes schriebe,
Und schmält der andren Werke schonungslos.
Er wähnt, wenn er wie Zoilus es triebe,
Hielt' ihn die leicht getauschte Welt für groß!

Ein andrer Wicht mit noch oerderbtrem Herzen
Hat seinen Spaß dran, Menschen anzuschwärzen,
<118>Spritzt Gift um sich, peitscht mit Satiren, hetzt;
Wie'n toller Hund, so beißt er und zerfetzt.
Der Dunst des Weihrauchs macht den Kopf ihm heiß;
Dem Ruhm zulieb gibt er die Ehre preis.

Und manche schweifen dünkelhaft im Blauen,
Verkünden leck, was sie da Wunders schauen;
Der blöden Menge bringen sie's als Lehre
Und hoffen so, zur Größe aufzusteigen;
Allein das Publikum dankt für die Ehre:
Es pfeift sie aus und deckt ihr Werk mit Schweigen.

Ich kenne selbst vollkommen Hirnverbrannte
Und in den falschen Schöngeist so Verrannte,
Die leugnen dreist, daß Gott im Himmel sei,
Wo doch Geschöpf und Schöpfung ihn verkünden!
Ob recht, ob falsch, gilt ihnen einerlei,
Wenn sie sich nur den eignen Ruf begründen
Als starke Geister und aus dem Gewimmel
Der Frommen ragen; drum so greifen die
Abstrakten Denker zur Paradorie!

Schirm' uns vor Geist um solchen Preis, o Himmel!
Sonst wird im unreinen Gefäße bald
Der Honigseim zu Galle sich zersetzen.
Er gleicht dem Herzen, leiht von ihm Gestalt:
Im sanften süß, muß er im harten ätzen.
Was wir auch tun, für alles will er haften,
Als Anwalt dient er schnöden Leidenschaften;
Arglistig klügelnd, löscht er zielbewußt
Der Weisheit Fackel aus in unsrer Brust.

Und doch: er bleibt ein himmlisches Geschenk
An uns, der Wohltat wenig eingedenk,
Ein reiner Strahl der Gottheit, der uns leitet
In Tun und Denken, drinnen Licht verbreitet,
Vergangnes schaut, vorweg die Zukunft nimmt,
Begreift und urteilt, folgert und bestimmt,
Der Schlüsse zieht aus dem, was sicher sieht,
Zur Einsicht führt und uns zur Vorsicht rät:
<119>An Finck. Tugend gilt mehr als Geist
So will's Natur, daß Geisteskraft im Leibe
Beseelend wohne und das Uhrwerk treibe.

Doch soll der Geist, das himmlische Vermächtnis,
Nicht falschen Vorzugs sich bei mir erfreuen
Vor lautren Herzen, ihrer Pflicht getreuen!
Habt Ihr das staunenswerteste Gedächtnis,
Erwarbt Ihr selbst ein allumfassend Wissen,
Seid Ihr voll Geist und Witz, tief und erhaben —
Das alles läßt sich, fehlt die Achtung, missen:
Mein Beifall hängt an Euren Herzensgaben!
Geist ohne Tugend ist nur Mißgestalt;
Nur sie ist unser Schmuck und fester Halt.
Ob Ihr den Papst, ob Ihr Calvin verehrt —
Seid gute Bürger und Ihr seid mir wert!
Entzückt Ihr mich durch Tugend statt Verstand,
So drück' ich freudig Euch die Freundeshand!

Der Geist verwandelt nicht des Wesens Kern:
La Orange,119-1 der den Franzosen Schande macht,
Der Pfeile schnellte wider ihren Herrn
Und holden Zauber sanfter Harmonie
Dem meuchlerischen falschen Leumund lieh,
Verband Talent mit schwarzer Niedertracht;
Man las ihn, doch im tiefsten aufgebracht!
Mit reichem Geist ward mancher ein Verräter,
Betrüger, Räuber, Mörder, Missetäter.

Cromwell, der England sich zu Willen zwang,
Ein Schurke, dem der höchste Wurf gelang,
Der seinen König auf dem Blutgerüste
Hinopferte dem eignen Herrschgelüste
Und über seinesgleichen stieg im Flug —
Auch Cromwell hat vom Helden manchen Zug!119-2

Ein böser Geist zeigt stets die Tigerkralle,
Bestrickt er auch, verführt er doch nicht immer;
Oft blendet er durch äußren Glanz und Schimmer,
<120>Doch kennt man sie, haßt man die Bösen alle.
Ihr Geist gleicht öden Steppen, wüst und kahl,
Die statt der Früchte spitze Dornen treiben.
Packt sie der Drang zur Fruchtbarkeit einmal,
Ist's schlimmer noch, als wenn sie fruchtlos bleiben.

Da diese Narrenwelt nur das bewundert,
Was sonderbar und schwer zu finden ist,
So will auf einen Ehrenmann ich hundert
Geistreiche finden in gegebner Frist;
Und Ehre mein' ich hier im strengsten Sinn,
Ein Ding, das nimmer glänzt in niedren Seelen.

Die Welt schätzt unsre Sitten obenhin,
Lobt und verurteilt, ohne lang zu wählen,
Sieht Güte, Weisheit, rechte Lebensart,
Wo sich nur Schein dem Weisen offenbart.
Der träge Simon gilt für tugendhaft;
Das macht: zum Bösen fehlt ihm Nero und Kraft.
Der Tropf Aftanius, der nichts Arges denkt,
Meint's redlich nicht: er ist nur zu beschränkt.
Der Schurke Damon fürchtet sich vor Schande,
Hüllt Lasier drum in ehrbare Gewande;
Prüfst Du sein Herz, ist alles Heuchelei!

Doch Wahrheitsliebe glüht in Varus' Brust;
Sein edler Geist entgeht dem Trug der Lust,
Bekämpft die Selbstsucht, macht von Gier sich frei,
Beugt seinen Stolz, bezwingt sein Ich und weiht
Sein Herz der Menschheit und dem Menschenleid.
Das ist die Tugend, die den Bürger ehrt!
So sei der Weise, jeglicher Gerechte!
Solch reines Wesen, solcher seltene Wert
Ist ein Juwel, das unserm Staubgeschlechte
Die geizige Natur nur selten leiht!
Du Hochgesinnter, Vorbild wahrer Güte,
Gerührt schaut Deine Weisheit mein Gemüte,
Das Deinethalb den Menschen viel verzeiht!
Aus soviel Sterblichen, die schwächlich wanken
Und wie ein Rohr im Hauch des Windes schwanken,
<121>Ragst Du, mein Held, als Eiche, wurzelstark,
Die Blitz und Wetter trotzt mit zähem Mark!
Kein Frevler schändet Dir das Heiligtum
Der Ehre; machtlos knirscht des Neides Wut.
Du gleichst dem Schiff, das siegreich trotzt der Flut;
Geist ist Dein Segel und Dein Kompaß Ruhm:
Sein Urteil ist Dein kundiger Pilot,
Zuchtlose Gier der Sturm, der Dich bedroht.
Dein Hoffen strebt nach einem holden Strand;
Sein stiller Hafen, wenigen bekannt,
Setzt Deiner Müh' ein Ziel: dort findest Du
Gewissensfrieden, tiefste Seelenruh!

Ihr wähnt vielleicht, der knausernden Natur
Gelänge oft solch hoher Wurf? Gemach!
Wir sehen sie auf einen Weisen nur
Die Mißgestalten bilden tausendfach!
Gleicht doch dies abgeklärte Sich-Vollenden
Der Venus aus des Phidias Meisterhänden!
Prüft Eure Schöngeister auf Herz und Nieren:
's ist wenig dran, das meiste dient zum Zieren;
Ein Wortgefunkel ist's voll Schelmerei,
Ein Ton der großen Welt, galant und frei —
Doch hütet Euch, ein Nichts tränkt sie aufs Blut,
Und wehe Euch, entfacht Ihr ihre Wut!
Mit ihnen ist kein fester Bund zu stechten;
Nichts Heil'ges kennen sie, nicht Scheu vor Rechten:
Wohltäter, Feinde gelten ihnen gleich.
Nichts bleibt dem Hirn, dem seichten, eingeprägt;
Sie opfern Euch dem ersten Narrenstreich.
Planlos und ziellos, wie ihr Spott sich regt,
Bauschen sie Eure kleinsten Fehler auf
Und lassen ihrer Bosheit freien Lauf;
Sie stürben, müßten sie ein Wort verschweigen!
Wohl nutzen sie Euch aus, doch geben sie
Euch nichts zurück: sowas erwartet nie!
Ihr Undank kann zum Treubruch sich versteigen —
Und Undank weiß für Wohltat Euch ein jeder!
Schlimm ist die Zunge, schlimmer ihre Feder.
<122>Ich seh' sie über dicken Büchern hocken,
Gleichwertig ihren Witzen, schal und trocken,
Ein Versschwall, den Verlegern aufgehängt;
Doch zum Gespräch des Tages wird der Klatsch!
All ihr Geschreibsel ist nur öder Tratsch,
Teils fades Zeug und teils mit Gift durchtränkt.
Bald streuen sie Verleumdung aus, bald schlagen
Sie sich mit denen 'rum, die sie verklagen,
Und der Parnaß, von ihrem Kot besteckt,
Führt eine Sprache, die nach Jahrmarkt schmeckt!

Seht einen Schöngeist nun in andrem Licht!
Gebt ihm ein Amt, Ansehen und Gewicht:
Bei Hof macht er sich rasch den Brauch zu eigen;
Er spinnt Kabalen, hinterm Rücken schmäht
Er einen Günstling, der im Weg ihm sieht.
Als Richter wird er nie Erbarmen zeigen.
Feil ist sein Urteil, und der Rechtsgang wird
Zum Labyrinth, in dem man sich verirrt.
Umsonst erhebt bedrängte Unschuld Klage;
Der Widersacher siegt mit seinem Geld,
Und das Gesetz verstummt. Doch welche Plage,
O Gott, trifft vollends diese arme Welt,
Vertraut der Fürst ihm blind des Staates Ruder!
Gleich zeigt er sich als Alberonis122-1 Bruder,
Steckt überall die Kriegesfackel an;
Ruhmlüstern strebt er nach Unsterblichkeit
— Der Art, wie Herostrat sie einst gewann.

So falschen Glanz verschmäht der Ehrenmann;
Doch zuverlässig, klug und hilfsbereit,
Stets gleichen Sinns, verschwiegen in Geschäften,
Als Hofmann schlicht, von Dünkel frei als Dichter,
Mild als Soldat und makellos als Richter,
Wird er der Ehre Regeln nie entkräften.

Sprecht frei heraus, wer Euch von beiden lieber,
Der stets Bescheidne, gut und ehrenfest,
<123>Oder der Strudelkopf, der wie im Fieber
Ein Feuerwerk von Geist aufsprühen läßt,
Der Rauch und Flamme eint und schamlos jeden
Verfolgt mit seinen spitzen Lästerreden,
Der wie'n Chamäleon die Farbe wechselt,
Euch morgens Freund ist und des Abends Feind,
Der klatscht und widerruft, bejaht, verneint
Und bald Euch schmält, bald Komplimente drechselt!
Fragt beim Verstand, dem unverfälschten, an;
Vergleicht die beiden, prüft und richtet dann!

<124>

18. An Feldmarschall Keith124-1
Über die leeren Schrecken des Todes und das Bangen vor einem Jenseits

So ging auch er von hinnen, der hohe Sachsenheld,124-2
Der Frankreichs Schwert gewesen, vor dem die Britenwelt
In ihrem Grunde wankte, ja der mit seinen Siegen
Die Adler der Cäsaren verstand zu überstiegen;
Der sich von Belgiens Sümpfen kein Halt gebieten ließ,
Frankreich zur alten Kühnheit sich neu ermannen hieß.

Nicht auf dem Feld des Sieges ereilte ihn der Tod,
Nicht war's der Gott des Krieges, der ihm sein Halt gebot:
Im Frieden mußt' er sterben auf weicher Ruhestatt,
Im Frieden, den er selber der Welt erstritten hat!
Beneidenswert, wer draußen im Braus des Kampfes fiel,
Wie jene edlen Helden, der Bayer124-3 und Bell-Isle.124-4
So ward der Lorbeerstolze auch der Vernichtung Raub,
Bis auf den hohen Namen ein armes Häuflein Staub!
Ach, und was ist ein Name? Ein Nacheinander bloß
Von Lauten, Sprachgebilden, von Silben seelenlos,
Das uns der Schall ans Ohr wirft, eh' es verweht im Leeren,
Indes im Grab den Großen die Würmer schon verzehren ...

Was lehrt uns Moritz' Scheiden? Furcht, Todesangst und Zagen?
Uns, die wir ihn verloren, uns dürfen wir beklagen;
Doch er, der unserm Auge für immer nun entschwand,
Er dünkt mich nur ein Schiffer, der seinen Hafen fand.
Geruhig soll der Weise dem Tod entgegenschaun,
Dem Helfer, dem Erlöser aus Erdennot und Graun;
<125>Mit unserm letzten Hauche hat alle Pein ein End,
Wie sollte vor dem Tode der bangen, der ihn kennt?
Glaubt mir, er ist mit Nichten des Malers Schreckgebild,
Der knochendürre Würger, der Schwelger, nie gestillt,
Der unermeßne Ernten in allen Welten rafft,
Und nur dem ew'gen Abgrund ewige Nahrung schafft.
Traumbilder sind die Schatten, die ohne Wiederkehr
Dem dunklen Reich verfallen, ein klagend Geisierheer;
Ein Traum der Ort der Schmerzen, wo, jeder Hoffnung bar,
Endlose Strafen abbüßt die bleiche Sünderschar.
Ägyptens Wundermären sind gleicher Art wie die,
So unsre Väter glaubten, ein Wert der Phantasie,
Ein sinnlos Durcheinander, gestalt- und farbenreich,
Von Todesangst geschaffen und Pfaffenlist zugleich.

Mein lieber Keith, so laß uns mit dem unwürd'gen Spuk
Einmal zu Ende kommen, der Wahrheit Stunde schlug;
Und sei mein Lied ihr Herold: Ihr sollt uns Rede stehn,
Ihr heil'gen Lügen alle, — die freilich, recht besehn,
Nichts weniger denn heilig — so tretet denn herfür,
Doch nur, damit wir einmal euch abtun nach Gebühr.
Fort mit dem Wusi von Grauen, dem, was die Grabesnacht
Geheimnisvoll umwittert, das Herz uns schauern macht!
Verfällt der Leib den Würmern, das macht uns wenig Kummer:
Wir denken uns das Totsein als einen tiefen Schlummer,
Traumlos und ohn' Erwachen, in Leidgeborgenheit;
Und sollt' ein glimmend Fünklein später, nach unsrer Zeit,
Ein Etwas — nennt's die Seele, unsterblich nennt's dazu —
Wirtlich noch einmal aufglühn aus kalter Schlackenruh,
Dem Weltgesetze trotzend, das die Vernichtung will —
Sei's drum, was mag's uns kümmern? Wir ruhen stumm und still,
Ein Häuflein kühler Asche, dem alles einerlei,
Bei dem's mit Furcht und Hoffen für immerdar vorbei.

Was hätt' ich zu befahren in jener Welt, sag' an?
Ist Gott, den ich verehre, ein Wütrich, ein Tyrann?
Sollt' ich nach meinem Tode ein schuldlos Opfer sein
Des, der den Lebensodem uns gab und obendrein
All jene süßen Triebe, der Sinne Lustverlangen?
Ist einst aus Götterhänden der Mensch hervorgegangen
<126>Mit seinem Geist und Wesen, wie sollten Götter dann
Ihr Werk drum strafen wollen, weil noch gar viel daran
Des Unvollkommnen bliebe? Dergleichen anzunehmen,
Kann mein vernünftig Denken sich nimmermehr bequemen.

Wär' wohl ein Vater denkbar von väterlicher Art,
Dabei so ganz verschroben, so seelenroh und hart,
Daß grausam er bestrafte der eigenen Lenden Sproß,
Weil seines Neugebornen Mißbildung ihn verdroß?
Es reizt wohl ein Mißratner des eignen Vaters Grimm
Und macht dem Alten Kummer, da trifft sein Zorn ihn schlimm;
Allein was tut den Göttern all unser Aufbegehren?
Was könnte je der Sel'gen ewig Behagen stören?

Vermeßne Menschenhoffart, die alle Schranken bricht —
Bis an die Thronesstufen der Allmacht reicht sie nicht!
Ihr trutzigen Giganten, ei stürmt nur dreist zuhauf,
Packt auf den Ossagipfel den hohen Pelion drauf,
Kommt an in Wehr und Waffen! Was gilt's? Den ihr berennt,
Der Thron des Weltgebieters kein leises Wanken kennt.
Und er, an dessen Größe kein Hauch der Kränkung reicht,
Er sollt' auf Strafe sinnen? Wie sollt' ein Gott so leicht,
Der ohne Leidenschaften, in Zorn und Grimm geraten?
Ich kenn' nur seine Güte, nur seine Segenstaten.
Nein, einer nur beleidigt die Hoheit des Allmächt'gen:
Wer ihn als zornesmütig der Menschheit will verdächt'gen.

Nein, lieber Keith, dies Wesen, das keiner deuten kann,
Genannt die Menschenseele, das dann ein Welttyrann
Nach dieses Leibes Tode noch züchtigt, dieses Ich,
Das gar keins ist, dies Etwas, höchst abenteuerlich —
Vor der Naturerkenntnis schwindet's in Nichts dahin;
Mag all die Ammenmärchen des Volkes stumpfer Sinn
Noch treu in Ehren halten, laß uns auf ja und nein
Das Wunderding betrachten, wieviel daran mag sein.

Hochheilige, dich ruf' ich, Herrin Urania,
Deute des Werdens Wunder, sei meinem Geiste nah:
O wär' er doch begnadet, auf kühnen Feuerschwingen
In deine reinste Helle zum Wahrheitschaun zu dringen!
<127>Schon schlug so manche Bresche in der Erkenntnis Schranken
Uns der Versuch des Forschers; die Bahn zu den Gedanken
Eines Lukrez und Locke gelang es freizulegen;
Kommt, ihnen laßt uns nachgehn, auf den gebahnten Wegen
Den Menschen aufzuzeigen des eignen Wesens Art
Und endliche Bestimmung: Laßt sehen, wie er ward
Und in uns wuchs und reifte, der Geist, wo sein Verbleib,
Wenn einst in Staub zerfallen ist dieser Erdenleib.
Mit uns wird er geboren, erstarkt, entfaltet sich
Mit unserm Sinnenleben und umgestaltet sich,
So wie sich jenes wandelt: Im Kindheitalter zart,
Genau wie unser Körper, bald feurig, kecker Art,
Draufgängerisch, solange der Jünglingsmut uns hebt;
Zag, flügellahm im Leiden, und wieder stark belebt,
Sobald 's dem Leibe wohlgeht; plagt ihn Gebrechlichkeit,
Wird er herabgemindert, verfällt in Schwächlichkeit,
Und so mit uns vergeht er. So bleibt denn allezeit
Sein Schicksal unzertrennlich von unsrer Leiblichteit.

Doch sagt mir: Dieses Wesen von höherer Natur,
Unsterblich, schier gottähnlich — wie mag die Seele nur
Dem Himmel, uns zuliebe, und seinem Glück entsagen,
Mit dem kurzleb'gen Leibe den üblen Bund zu wagen,
Dem Erdstoff, dem verworfnen, vergänglich, undankbar?
Wie mag sie sich nur spitzen auf ein verliebtes Paar
Und seine Schäferstunde? Dann auf der Lauer liegen,
Den Fötus zu beleben, neun Monde sich zu schmiegen
In selbstgewähltem Kerker, im dunklen Mutterschoß,
Um dann, nach allem diesem, jedwedem groben Stoß
Des armen Menschendaseins ganz bloßgestellt zu sein,
Hitze und Frost zu dulden und Schmerz und Sterbenspein?

Ach ja, das sind so Träume der lieben Eitelkeit!
Doch holt euch bei den Jüngern des Hippokrat Bescheid:
Laßt euch das Uhrwerk weisen, das Leib und Leben heißt,
Trennt bei dem Ineinander den Körper und den Geist!
Schließt dir bei Tagesscheiden der Schlaf die Wimpern zu,
Was tut dann deine Seele? Auch sie versinkt in Ruh.
Und fliegen dir die Pulse und tobt erhitzt das Blut,
Als wollte dich verzehren die schlimme Fieberglut,
<128>Dann taumelt auch der Geist dir und kennt sich selber nicht.
Wenn aus geschlagner Vene Hochauf der Blutquell bricht,
Ist alles überwunden, aufatmen deine Lungen,
Dann lehrt dein Geist auch heimwärts von seinen Wanderungen.
Sieh hier den Bachusjünger, welch blödes Zeug er lallt;
So leidet von dem Weine der Menschengeist Gewalt!

Ein Ohnmachtanfall löst nicht die Spannkraft nur der Glieder:
Das Denken stockt, die Seele, sie liegt wie tot danieder,
Bis daß die Lähmung schwindet; da öffnet sich der Blick,
Nach kurzem Tode kehrt auch die Seele neu zurück.
Vernunft, armselig Flämmchen! Ein Nichts sie löschen kann:
Im Hirn ein Blutgerinnsel, so ist's um sie getan.
Der Geist, sich zu betät'gen, braucht die Organe all
Des Erdenleibs; was wär' ihm Gefühl, Erscheinung, Schall,
Wär' er des seinen Werkzeugs der Leibessinne bar?
Kein Denken, Furcht und Freude, nähm' er die Welt nicht wahr!
Löst dies Atom, unsterblich, die stofflose Substanz,
Einmal von seinem Körper und seinen Sinnen ganz
Was bleibt dann noch? Ein Wortklang, ein Name, anspruchsvoll,
Ein Wahngebild, ein Wesen, sinnlos und hohl und toll.
Was weiß sie denn vom Tage, der uns gebar zur Welt?
Wie war's, da sie der Himmel dem Erdenstoff vermählt?
Wie kommt's, daß kein Erinnern die Seele sich gewahrt
Des, was sie einst gewesen, der eignen Ursprungsart?

Ach nein, es gab die Seele, die ich empfangen Hab',
Von ihrem Schaun und Wissen mir herzlich wenig ab
Beim Eintritt in das Leben; nicht die geringste Spur
Von allem, was vordem sie in dieser Welt erfuhr,
Hat sie mir überliefert als alter Zeit Vermächtnis,
Sonst trüg' ich's im Bewußtsein, besäß' es im Gedächtnis.
Nie hat mein Herz geblutet in jenen Jammertagen,128-1
Als die Germanengeißel der Väter Land geschlagen,
Als fremde Fäuste rafften der deutschen Fluren Segen,
Die Arbeit deutscher Hände, als Feinde allerwegen,
Im Osten und im Westen, im Süden wie im Norden
Das Vaterland verheerten mit Rauben und mit Morden;
Und als der Zorn des Himmels, der über uns entbrannte,
<129>Den Jammer zu vollenden, noch Pest und Seuche sandte,
Daß ausgerottet werde, was noch dem Schwert entging,
Als Dunst von Gift und Sterben ob allem Lande hing
Und unsre Staaten wurden gewalt'ge Wüstenein.
Dies alles sieht lebendig vor meinem Geist — allein
Ihn lehrt' es die Geschichte! Müßt' er's von damals her
Und nur von sich aus wissen, er wär' erinnerungsleer.

Nun, was vom Einst gilt, gilt auch genau so, lieber Keith,
Von dem, was nach uns sein wird: so wie's vor unsrer Zeit
Kein Denken gab, so wird wohl, wenn erst dies Ich zerfiel,
Auch nichts mehr weiterdenken; ein Anfang und ein Ziel.
Mit unserm Leibessierben — nichts ist mir so gewiß —
Erlischt auch unsre Seele in tiefster Finsternis.
So züngelt um ein Holzscheit die lichte Flamme her,
Doch ist's verzehrt zu Asche, sinkt sie und ist nicht mehr.

Ja, so ist's uns beschieden. Ich warte unentwegt,
Wie mich die flücht'ge Stunde dem Ziele näherträgt.
Was soll mir auch geschehen, wovor ich müßte bangen?
Ich werde dort, woraus ich dereinst hervorgegangen,
Aufs neue untertauchen, allwo ich ewiglang
Mich schon einmal befunden, eh' ich ins Dasein sprang.
Sag' an, eh' ich geboren, was litt ich da für Leid?
Gern beug' ich den Gesetzen mich der Notwendigkeit;
Zu Gast bin ich im Leben, gezählt sind meine Tage,
In Sicht die letzte Stunde — ziemt's, daß ich darum klage?

Hör', Sterblicher, du Stolzer, was die Natur dich lehrt!
Genug nicht all des Segens, den sie dir reich beschert,
Von allem Irrwahn will sie, von allen Vorurteilen,
Von allen Hirngespinsten erlösen dich und heilen,
Zum Wissenden, Geweihten dich endlich zu erheben:
„Ich war es,“ also spricht sie, „die dir geschenkt das Leben;
„Ich war's, die deines Daseins und Werdens treu gewaltet,
„Daß Tag an Tag sich gliedert, dein Leib sich ausgestaltet.
„Aus deines Adernetzes Gestechte war zu lesen,
„Wie du so gar empfindlich, gebrechlich all dein Wesen;
„Du lebst auf Augenblicke, lebst auf Bedingnis bloß!
„Als ich der Stoffe Vielheit zu deiner Einheit goß,
„Geschah's mit der Bedingung, daß einst der allgerechte
<130>„Quittmacher Tod dies Darlehn der Huld begleichen möchte.
„Freu' dich nun meiner Gnaden, doch acht' auf mein Gebot:
„Ich gab dir einst dein Leben, du schuldest mir den Tod!
„Zu deinen Jahren soll ich noch weitere dir schenken?
„Unsel'ger, wenn du wüßtest! Du würdest dich bedenken!
„Ein Mehr an Weh erstehst du, das über dich hereinbricht,
„An Herzeleid, an Kummer, der dich zernagt, zerpeinigt!
„Du sehnst dich selbst noch einmal nach deiner letzten Ruh':
„Drück du nur erst die Augen den Eltern beiden zu!
„Schließ sie den liebsten Freunden, schließ sie den Kindern dein,
„Und sieh du dann hinfällig in dieser Welt allein,
„Indes dir Kopf und Sinne tagtäglich mehr versagen
„Und du zum Spott der Jungen wirst in den alten Tagen!
„Ein harter Spruch, den jeder an sich erfahren muß!
„So mußte selbst ein Marlb'rough, ein Prinz Eugenius
„Und auch Conde, der große, sich selber überleben;
„So mußte alle Kinder dem Grabe übergeben
„Er, der Augustus Frankreichs;130-1 dem Hochbetagten ward —
„Da half kein Glanz der Krone — der Jammer nicht erspart!“

Das könnte unser aller Urmutter zu dir sagen.
Gelt, eitler Sohn des Standes, das will dir nicht behagen?
Zu lieb ist dir die Erde! Ach ja, sie gleißt und blendet;
Doch ach, ihr Antlitz wechselt, alles vergeht und endet.
Trotz Unheil und Gefahren hält dich das liebe Leben.
Du bist das Glück der Eltern, und dich dahinzugehen,
Es machte sie untröstlich! Und dann — was gibt es doch
Zu schaffen und zu richten, wozu du nötig noch!
Durch wieviel große Pläne macht dir der Tod 'nen Strich,
Wieviel bleibt unvollendet, wie überrascht er dich!
Ja, warum, Unglücksel'ger, läßt man sich so viel Zeit?
Hast du dich eingerichtet auf die Unsterblichkeit?
O wisse, unsre Wünsche, sie welken nicht so bald;
Wenn wir auch selber altern, das Streben wird nicht alt!
Wer hat sein Werk vollendet, eh Schicksal ihm und Tod
Die Arbeitsstunden endet' und Feierabend bot?
Ob früher oder später — ein Totsein gibt es nur!
Äonen, die verflossen, sind bis zur letzten Spur
Vor unserm Sein verloschen, und dieser Augenblick
<131>Ist mehr wert denn sie alle. So ist das Weltgeschick
Ein ewig Fließen, Wechseln; der stolzen Ströme Los
Ist, ständig zu erneuen des reichen Meeres Schoß...
Haushälterisch verwaltet Natur den großen Schatz;
Hier Ausfall und Verlieren, dort Ausgleich und Ersatz.
Der Stoff nur ist von Dauer und wechselt immerdar
Form und Gestalt, und was nun in eins gebunden war,
Das löst, rastlos geschäftig, die Zeit nach kurzer Weile,
Zerlegt die Lebenseinheit in unlebendige Teile...

Wohlan, ich hab' dem Schauspiel der Welt, dem wunderbaren,
Ein Weilchen zugesehen, ich durfte tief erfahren,
Was Leben heißt, und weiß auch von Lebens Lust und Glück;
Gern geb' den Elementen ich diesen Leib zurück.131-1

Der Welterobrer Cäsar, der Sängerfürst Birgit,
Newton, vor dessen Blicken so mancher Schleier fiel,
Ja, Mark Aurel, an Tugend mein Vorbild und mein Gott,
Die Hohen all erlagen dem großen Weltgebot;
Wie sollte ich da murren, wenn mit verdroßner Hand
Die Parze, die an jenen nichts zu verschonen fand,
Endlich auch meines Daseins, das ihr schon lang verleidet,
Längst abgegriffnen Faden erbarmungslos durchschneidet!

Was ist an diesem Leben zuletzt denn auch verloren?
Was ist des Menschen Dasein? Zum Leid sind wir geboren.
Wir bauen und zerstören, wir lieben und wir sehen
Hinsterben, was wir lieben, möchten vor Schmerz vergehen,
Trösten uns neu und fahren zum Schlusse selbst dahin —
Und dies, ihr Ärmsten, ist noch der lohnendste Gewinn!
Die Welt, die wir verlassen, war nur ein Unterstand,
Ein Zwischenort; wir leben wie fremd in fremdem Land,
Wie'n Wandersmann, der gern wohl sein Aug' an Feld und Wald
Erlabt im Weiterziehen, doch ohne Aufenthalt.

So wolln wir, Keith, im Kommen und Gehen dieser Welt
Mittraben unsre Strecke, solang es Gott gefällt...
Doch nichts soll uns gemein sein mit jener Gläubigkeit,
Der feigen, die vor Sünde die Höllenangst nur feit,
<132>Die gern die Schranken bräche verderblichster Gelüste,
Wenn sie in ihrem Jenseits die ew'ge Glut nicht wüßte.
All ihre Tugendsirenge ist ja nur Schein und Hohn!
Wir, ohne Furcht und Hoffen, erwarten keinen Lohn;
Wir wissen nichts von Strafen der ew'gen Höllenpein,
Vom niedren Eigennutze blieb unser Denken rein.
Der Menschheit Wohl, die Tugend ist unsrer Tage Licht,
Was von der Schuld uns fernhält, die Liebe ist's zur Pflicht.
Wir wollen ohne Reue ruhvoll von hinnen fahren,
Gewiß, daß unsre Taten der Welt ein Segen waren.

So flammt der Stern des Tages, eh' er hinabsinkt ganz,
Am Horizont noch einmal in heitrem Feierglanz;
Und seiner Strahlen letzte, sie sind sein Abschiedsgruß,
Ein Seufzer an die Erde, die er nun lassen muß.

<133>

19. An Darget133-1
Apologie der Könige

Der Du mir, was ich schaffe, unverdrossen
Ins Reine schreibst,
Mir alles wohlverwahrt hältst und verschlossen
Und jede Schrift der Sammlung einverleibst —
Nun beichte mir einmal, mein Freund Darget,
Was Du so heimlich bei Dir denkst. Gesteh,
Was dünket Dich um einen Herrn wie mich:
In Traum verloren, launisch, wunderlich,
Dann wieder höchst lebendig, dann versonnen,
Dann ganz zerstreut, in Trübsal eingesponnen,
So etwa wie ein Algebraikus,
Der sich an einer Lösung quälen muß?
Da gibt's kein Vergnügen, dem es gelänge,
Die Stirn ihm zu glätten, die düstere, strenge;
Ist er versunken, ist er verloren
An eine Arbeit? Sprichst Du ihn an,
Ist es, als sprächst Du zu tauben Ohren;
Kaum, daß ihn Cicero wecken kann,
Wenn Du aus seinen Schriften ihm liest.
Dann schüttelst Du wohl den Kopf, wenn Du
Solch einen verträumten König siehst —
In so neidenswerter Stellung dazu!
Nicht wahr? Und denkst so in Deinem Sinn:
„Ja ja, Astolfo, der Paladin
„Ist mit Nichten der einzige, dem sein Verstand
<134>„Hinauf zum Monde entschwand.134-1
„Wie gut es doch so einem Könige geht:
„Er kann, was er will — wenn er's nur versteht
„Sich dranzuhalten! Sie haben's zu leicht,
„Die Herren da oben! Gebietend reicht
„Ihr Wille über Provinzen weit;
„Ianus schließt oder öffnet die beiden
„Torflügel ganz so, wie sie entscheiden;
„Es scheint die Bestimmung der Sterblichkeit,
„Einzig zu leben nach ihrem Gesetze.
„Der Menschheit Andachtbild und ihr Götze,
„Der Halbgott dieser Erdenwelt,
„War der Fürst das Schoßkind des Himmels von je,
„Der treulich ihm dient, ihn liebend erhält.
„Ha, krönte nur einmal das Glück den Darget!
„Der wollte sich hüten,
„Über verzwickten Problemen zu brüten!
„Holdselig sollten die Tage ihm gleiten
„Zwischen Kurzweil und Seligkeiten!
„Nie dürften die Wonnen der Liebe lange
„Sich bitten lassen! Beim Becherklange,
„Bei Spaß und Lachen und Iubelgesange
„Bis in den grauenden Tag hinein,
„Heißa, das müßte ein Leben sein,
„Um das ihn die Götter selber beneiden!
„Wer mit einem Diadem beglückt,
„Und doch nicht verlernt hat, Gesichter zu schneiden,
„Der muß an unheilbarer Milzsucht leiden,
„Den narrt ein Traum, der ist verrückt.“

Nur sachte, Darget, nicht so zornentbrannt,
Nicht mit dem Urteil so rasch bei der Hand!
Dich blendet ein Wahn nur, Dich gängeln am Seile
Des Pöbels kindische Vorurteile.
Sehn wir mal ab von all dem Glanz,
Dem großen Aufputz, dem gleißenden Schein,
Prüfen wir Grund und Wesen allein
Unseres beiderseitigen Stands.
<135>Was Deinem Leben Gestalt gibt, das
Ist ein gedeihlich Mittelmaß:
Deine Tage sehn einer dem andern gleich,
Dein Schicksal, an Wechselfällen nicht reich,
Gab Dir den angenehmsten der Plätze:
Inmitten der beiden Gegensätze
Bedürftigkeit und Überfluß,
Zwo Klippen beide,
Daran mit Leide
So manches Dasein scheitern muß,
Dir wog es bescheidenen Segen zu,
Bist kein Zwerg und kein Riese — lieb Herz, gib Ruh!
's ist just das Rechte, so bleibst Du frei
Von all den Nöten, der Plackerei,
Darfst fein geruhige Tage leben,
Froh jeder Gegenwart hingegeben,
Ohne Dich ernstlich zu grämen ums Morgen,
Nur Dir selber gehört all Dein Sorgen.
Du weißt nicht, wie gut Du's hast, Darget,
In Deiner Dunkelheit, wohlgeborgen
Vor Ehrenkränkung, Schimpf und Weh,
Wie knirschender Neid dergleichen von je
Über wohlbekannte Namen ergossen,
Namen der Helden, Namen der Großen.
Möchte wissen, was Dir zu wünschen bliebe —
Wenn Dir nicht grade daheim Deine liebe,
Ehrsame Hausfrau mit großem Hallo
Den Kopf zurechtsetzt; wie bist Du schon froh,
Wenn sie am Abend Dich herzlich begrüßt
Bei Deiner Heimkehr und zärtlich Dich küßt,
Und Deine Liebe in ihren Armen
Neu darf erwarmen.
Und versichert dann Dallichamp135-1 noch dabei,
Daß alles in schönster Ordnung sei,
Von oben bis unten dem Herrn nichts fehle,
Sag/, was verlangt dann noch Deine Seele?

Du brummst so frostig, ablehnend und steif?
Aha, Du traust mir nicht recht! Ich begreif':
<136>Du denkst, es mache mir bloß Vergnügen,
Um in rosigen Farben und launigen Zügen
Einmal meinen Stift sich ergehn zu lassen,
Dies Bild Deines Glückes erstehn zu lassen.
Nun gut, ich geb's zu — ich verschweige nichts mehr:

Nein nein, Du hast's schwer!
Ein ärgerlich Amt ist's, der Sekretär
Eines Herrn zu sein, der ein Dichter gern wär',
Der als Schöngeist sich fühlt, der bis in die Nacht
Liest und schreibt und Gedichte macht
Und wähnt, daß der Fama hundert Trompeten
Nichts Wichtigeres zu verkünden hätten.
Als die Mär von dem Quark, den er rastlos verfaßt!
Tagtäglich schreibst Du das Zeug dann ins Reine,
Gleich heftweis, und wehe, wenn ihm was nicht paßt:
Was schlägt er da Lärm, was macht er Dir Beine!
Verdammte Kleinigkeitskrämerei,
Als ob wer weiß, was gelegen sei
An jedem Punkt oder Komma! — „Wie dumm:
„Die E's müssen offen sein und sind stumm!136-1
„Da — ein Wort zu wenig! Er hinkt ja, der Vers!“
Nun kopierst Du mit Ingrimm und Seelenqual
Das unsterbliche Werk zum zweitenmal
Und verfluchst wohl den Dichter — begreiflich wär's.
So etwa stellt sich in Kürze, nicht wahr?
Ein Abriß Deines Lebens dar.

Doch laß Dir sagen, ich glaube, Du lernst
Bei mir am besten, was man im Ernst
Sorgen und Kümmernis heißen kann;
Und vielleicht bekennst Du mir dann,
Wer wohl die schwersten Ketten muß tragen,
Du oder ich,
Ob die Dargets, ob die Könige sich
In härterer Knechtschaft plagen.
Du schüttelst den Kopf und glaubst am Ende,
Diese kühne Behauptung stände
<137>Nur eben zum Aufputz des Vortrags da —
Schmachvollerweise liebt man ja
In unseren Tagen das Gewagte,
Den Widersinn, das verblüffend Gesagte,
Womit dem gesunden Menschenverstand
Mutwillig wird vor den Kopf gerannt,
Der Wahrheit ins Gesicht geschlagen,
Um in allerneustem Schnitt und Gewand
Eine Verkehrtheit zu Markte zu tragen.
Nenn's wie Du willst: 's ist die Wahrheit, Darget,
Die am eigenen Leibe mit Ach und Weh
Man erfahren muß, ob man will oder nicht —
Von der man freilich nicht gerne spricht.

Das Herrscheramt, mein Freund, ist nicht leicht,
Schwer ist da die Meisterschaft erreicht.
Ein rechter König kennt keine Müh,
Hat überall selber, spät und früh,
Die Augen, um seinen Staat zu leiten,
Nimmt sich auch winziger Einzelheiten
Gewissenhaft an. Frau Themis heißt er,
Die da bemüht ist, in ihren Dingen
Alles wieder ins Lot zu bringen
Und des Unrechts, der Zwietracht Geister,
Die höllenentstammten, niederzuringen,
Indem sie keinen Wahrspruch fällt,
Der sich nicht streng an die Billigkeit hält —
Sie heißt er mit allen laufenden Sachen
Bis dann und dann mal ein Ende machen.
Eine Hydra, der ständig gar wunderschnell
Die Köpfe nachwachsen — Schikane heißt sie —
Hebt wider die Göttin ihr freches Gebell;
Schon meinst Du, Du hast sie, doch auf der Stell'
Den Fesseln entwischt sie, schon dräut sie und beißt sie
Das reine Mühn der Penelope!
Und doch, ich gesteh',
Man könnte wirklich noch zuletzt
Mit Recht ein Menschenhasser werden,
Hört man, nachdem man den Beschwerden
Von hundert Prozessen ein Ziel gesetzt,
<138>All jene streitenden Parteien
Doch wieder über Unrecht schreien,
Indem sie nach ihren Launen bemessen
Ihr „gutes Recht“ und infolgedessen
Die Rechtspflege schmählich vermaledeien!

Nun soll das Volk besteuert sein;
Hilft es doch all jene Ämter erhalten,
Die das Leben des Hofes gestalten,
Der Finanzen, des Rechtes walten.
Was da von Spindel und Pflug geht ein,
Das kommt jenen wehrhaften Helden zugut,
Die dem Nährsiand bestellt sind zur Rache, zur Hut.
Da ist's eine Frage der Billigkeit:
Wie bemißt man all diese Abgaben
Von dem, was die Untertanen haben,
Bei aller Standesverschiedenheit?
Während draußen das Volk sich beschwert,
Die Belastung des Dorfes gehe zu weit,
Murrt der Junker bei Hof und begehrt,
Daß sein Gehalt ihm werde vermehrt.
Ach, Vorschläge gibt es da tausenderlei,
Wie's wohl am besten zu machen sei,
Doch jeder denkt heimlich nur an sich:
Wie drück' ich wohl am besten mich?
Denn haben will jeder, was geben keiner.
Ein Hexenmeister, und zwar kein kleiner,
Ja, glückselig wäre der König zu preisen,
Der eines Tages den Stein der Weisen,
Das große Steuerrezept entdeckte.
Glückseliger freilich, wär's ihm gegeben,
Die Vernunft seiner Bürger so zu heben,
Daß er Platos Staat zum Leben erweckte.

Doch nicht genug damit. Es bedarf
Eines starken Arms, einer Zucht gar scharf,
Das wilde Kriegsvolk im Zaum zu halten.
Darf zuchtlos die Soldateska walten,
Bald bindet lein Fahneneid mehr, und bald
Wankt der Staat vor der Waffengewalt.
<139>Was war jene Prätorianerbande?
Verräter an Rom, am Vaterlande;
Mit der Reichsgewalt trieben sie Schacher,
Sie, die selbstherrlichen Kaisermacher.
Nein, diese Leuen, gehalten zum Kämpfen,
Verwöhnt von Bellonen —
Themis muß ihre Üppigkeit dämpfen,
Muß sie bändigen ohne Schonen.
Zwar, ihre stolze Selbständigkeit,
Ihre dumme Unbändigkeit
Festzuhalten an Halfter und Band,
Dazu gehört die geschickte Hand,
Die je nach Bedarf sie weiß anzufassen,
Bald mit Strenge und Drohn,
Bald mit Hoffnung auf Lohn,
Auch wohl mit mildem Gewährenlassen.
Ein Staat, der auf seine Ehre hält,
Auf seine Geltung in der Welt,
Soll inmitten der schönsten Friedenszeiten
Seine Wehrkraft zum Siege vorbereiten,
Auf daß diese tausend von Willen und Geistern,
Die, von einer Pflicht zusammengehalten,
Zu einem lebendigen Leibe sich ballten,
Von einer Führerhand seien zu meistern.
Des Einen überlegner Verstand,
Er ist's, der zum Hell für das Vaterland
Die kriegrische Wildheit entbinde und lenke
Und wieder hemme, dämpfe, beschränke.

„Ah!“ denkst Du und atmest erleichtert auf,
„Dem Himmel sei Dank! Seiner Rede Lauf,
„Hier ist er zu Ende.“ — Zu Ende! Ich? —
„Nun, was noch?“ — Mein Bester, ich bitte Dich,
Dieser Gegenstand ist ja ein Feld — ein Feld —
Und gar für 'nen Staatsmann so weit wie die Welt!
Was denkst Du! Das sind erst der Punkte drei.
Nun aber gibt's ihrer tausenderlei,
Und gleichermaßen wichtig dabei.

Nur eine Herrschaft, die da mit Geschick
Handhabt die Kunst der hohen Politik,
<140>Verbürgt dem Staate seine Sicherheit;
Die Kunst ist's, die's versteht, von nah und fern
Zum Bund zu einigen die Landesherrn,
Und so der Freunde Macht zur rechten Zeit,
Geschlossen und zu Schutz und Trutz bereit,
Der Macht der Feinde entgegenstellt
Und damit durch kluge Wahrung des rechten
Gleichgewichtes unter den Mächten
Europa unabhängig erhält.
Solang nun Treu und Glauben allerwegen
Das Wort noch hatten in den Staatsverträgen,
War solcher Bande unbestrittner Wert
In Geltung überall und hochgeehrt.
Doch Gradheit, Redlichkeit kam bald abhanden
Und ward vor schnödem Eigennutz zuschanden;
Da gab's bald der Hintertüren genug,
Gab's Kniffe und Listen, ja nackten Betrug,
Sodaß sich ins Leben der Staaten sacht
Das Mißtrauen einschlich und der Verdacht.
Neid und Verrat, sie lernten's, beizeiten
Den Tag ihrer Abrechnung vorzubereiten;
Zu einer Wissenschaft hat man's gebracht,
Einer hohen Schule der Schlechtigkeiten.
Erlauchte Verbrecher ohne Zahl
Erfüllten die Welt mit einemmal
Zum Fluch der Menschheit, zur Geißel der Staaten.
Schon ließ sich die Weisheit selber beraten
Von den Afterlehren
Und ward, des Verbrechens sich zu erwehren,
Selber verbrecherisch:
Im hohen Staatsrat, am Sitzungstisch,
Vor den Ohren des Königs gar,
Berief man sich drauf — und fortan war
Ein Pakt ein schielendes Ding nur, das man
So oder so auslegen kann,
War jeder Vertrag verdächtig, verschlagen;
Voller Verstecktheiten, Zweifel und Fragen;
Kurz, der Betrug war geadelt, gekrönt,
Und was bei dem Volke dort unten verpönt,
Schandtaten, die vom Gesetzbuch bedroht sind,
<141>Die wurden da oben
Zur Tugend erhoben,
Zu Tugenden, wie sie 'nem Könige not sind!
Seit so das Schändlichste scheint erlaubt,
Kann sich in jedem Augenblicke
Ein Abgrund auftun, eh' man's glaubt,
Umdrohen uns Fallen, Schlingen und Stricke;
Ängstlich bei jedem Schritte nimmt
Man sich in acht, wie der Krieger, der
Die Minen zerstörend, Schanze und Wehr
Einer wohlverteidigten Festung erklimmt.
Doch — Freundschaft unter Fürsten, ach,
Der fragst Du wohl meist vergebens nach!
Je näher benachbart, je ärger ergrimmt,
Sinnt jeder, den andern zu vernichten:
Da heißt's auf der Hut sein, lauern und passen
Auf des Nachbarn Pläne, sein Tun und Lassen,
Was da werden will, scharf ins Auge zu fassen,
Um auf drohendes Unheil sich einzurichten.

Das, Freund Darget, sind die Sorgen, die bangen,
Die an der Krone untrennbar hangen.
Und dennoch — ob ein Fürst auch immer
Für Staat und Reich sein Letztes tu',
Auf Dank beim Volke zähl' er nimmer,
Geht es nicht grab mit 'nem Wunder zu!
Wem kann's wohl ein König zu Danke machen?
Er soll sich auf alles zugleich verstehn,
Auf den Krieg, die Finanzen und dabei
Auf Diplomatie und Juristerei;
Auf seinem Feld, das nicht abzusehn,
Soll er ein Allerweltskerl sein —
Und heischt doch für sich jedes Ding allein
Einen ganzen Mann, eine ganze Kraft!
Dem, der zur Strafe gezogen ward,
Heißt er zu strenge, heißt er zu hart.
Der klagt über Jähzorn und Leidenschaft;
Der schimpft, er sei zu weich, zu mild;
Zieht er zu Felde, gleich heißt er wild,
Ehrbegierig, vermessenen Geistes:
<142>„Das ist für unsre Sünden,“ heißt es,
„Daß solch ein König uns ist beschieden!“
Ebenso schimpfen sie, hält er Frieden:
„Stumpfsinnig ist er, ein Abenteuer
„Ist ihm bedenklich, der Ruhm macht ihm Grauen!“
Hält er selber die Hand am Steuer:
„Ehrneidisch ist er und ungeheuer
„Eigensinnig, an Selbstvertrauen
„Ein rechter Narr, voller Launen und Grillen,
„Alles soll gehen nach seinem Willen!“
Doch läßt er die Sorgen um Staat und Reich
Seinen Ministern, kopfschütteln sie gleich:
„Wann wird ihm das finstre Ränkespiel
„Dieser Gesellschaft mal endlich zuviel?“
Hat er Günstlinge — mit Erbarmen
Zuckt man die Achseln ob seiner Schwächen;
Hat er keine, hört man sie sprechen:
„Der kann für Freundschaft ja nie erwarmen!“
Heißt dieser ein schlimmer, unruhiger Kopf,
So jener ein träger, tatscheuer Tropf.
Wer spart, wird ein schmutziger Filz genannt,
Verschwender — der mit der offenen Hand;
Hat er gar für die Frauen ein Herz, einen Blick,
Gleich ist er ein liederlicher Strick.
Das wär' so ein Bildnis in groben Strichen
Von unserem Dasein, dem königlichen.

Wie soll nun, Darget, das verrate mir bloß,
Ein König, und wär' er noch so groß,
Vereinen mit unseren Menschlichkeiten
Alle göttlichen Vollkommenheiten?
Nein, solche Vollendungsfülle ward
Noch nimmer zuteil der sterblichen Art!
Wollt ihr einen König, der, ganz und gar
Jeder menschlichen Leidenschaft bar,
Nur Ruhe halte immerdar —
Dann geht zum Meister Adam,142-1 der
Stellt euch aus Stein den Gewünschten her!
<143>An Darget. Apologie der Könige
Was sollt' auch den Leuten den Mund verschließen,
Den ewigen Nörglern? Selbst Cäsar war
Von Mißgunst verfolgt, und die Krittler ließen
Nicht ungerupft einen Titus gar!

Wie aber kommt's nun, daß jederzeit
Mit besonderer Wut und Bissigkeit
Die Spottrede grade auf unsern Rang
Es abgesehn hat? Ich will's Dir sagen:
Der Mensch hat den angebornen Hang
Zur Freiheit; drum haßt er Gewalt und Zwang,
Sein stolzer Unabhängigkeitsdrang
Kann unbeschränkte Macht nicht ertragen,
Den Abstand vom Herrn zum Untertan;
Das tut seinem Selbstgefühl weh, das tränkt,
Also daß mancher im stillen denkt:
Was ist denn an diesem König daran?
Fehlt's ihm doch ganz und gar an Geist,
Zu denken wie ich! Ein andrer ruft dreist:
„I ch müßte einmal da oben stehn,
„Da solltet ihr was von Regierung sehn!“
Sieh Dir das Pack der Mißvergnügten an,
Der Überschuldeten: ein Amt ward frei,
Nun drängt das gierig, eifernd sich herbei:
Ich! Ich! — Der kriegt es, der was ist und kann.
Nun die Spottreden der Enttäuschten, die
Beschimpft sich fühlen! Wie entstellen sie
Zum Zerrbild unsre Züge jetzt und schwärzen
Das Alleredelste in unserm Herzen!
Bald wächst der Schwarm von Neuen ihresgleichen,
Und mir nichts, dir nichts, von oben herab
Brechen sie über Dein Leben den Stab;
Konnt's doch der Himmel selber nie erreichen,
Daß die Gesellschaft sich zufrieden gab;
Wie stellt das erst ein armer König an,
Der aller Erdenschwachheit Untertan?

Da gibt's nur eins: Um seiner selber willen
Das Gute lieben, seine Pflicht erfüllen
Und das Geschwätz verachten, das gar bald
<144>Im Leeren verhallt.
Drum lassen wir das Volk der Wespen schwärmen,
Mag's summen, brummen, uns soll's wenig härmen.
Ich weiß ein vernichtendes Wort, um ihnen,
Den Richtern der Fürsten, im Ernst doch zu dienen —
Sie kennen, die übergescheiten Herrn,
All die wichtigen Dinge doch nur von fern,
Und sind, die Allzugestrengen, gesteh's
Doch nichts als ebensoviele Dargets.
Das Besserwissen und Tadeln ist leicht,
Die Meisterschaft selber ist schwer erreicht!
Ein Bürger, an dem meine Lust ich hab',
Gibt einen Tölpel von König ab.
Sie sollten nur, jene Phaetons all,
Sie, unseres Faches gewiegteste Kenner,
Selbst einmal lenken des Staatswagens Renner
Zum Olymp hinan — das gäb' einen Fall!

Doch fürchte ja nicht, mein guter Darget,
Daß ich des Unfugs mich untersteh',
Meine Leier und Reimkunst zu schänden
Und mich sophistisch hier zu verwenden
Als Fürsprech für Schurken auf den Thronen,
Für Tyrannen, den Abscheu der Welt:
Nein, meine Muse kennt auch kein Schonen
Bei Fürsten, wo's also schmählich bestellt.
Naturen, wertlos, ehrlos, gemein,
Auf ihrem Thronsitz schlafen sie ein,
Oder von leeren Phantasterein
Ist ihr Inneres geschwellt;
Wider die Nachbarn nur allzu zart
Und rückgratlos, ist solch ein Tyrann
Wider den eigenen Untertan
Übertrieben hart.
O, ich möchte Dir diese Art
Gern einmal nach der Natur konterfein:
Sieh, solch ein Zerrbild von König — doch nein!
Mein Vortrag macht Dich müde, mein Darget,
Ja ja, ganz maßlos müde, und ich seh',
Du brennst, nach Haus zu kommen, wo zur Stunde
<145>Die liebe Frau aus mehr als einem Grunde
In Sehnsucht Deiner harrt; auch brummt wohl schon
Die Köchin, daß der Braten auf dem Herde
Einschmore; längst schon sei der Tisch gedeckt
Und das Ragout höchst lecker abgeschmeckt
Von dieser kunsibewanderten Person —
Sie droht schon, daß es ungenießbar werde;
Und drunten warnt ein scharfer Peitschenton:
Der Kutscher hätt uns gerne aufgeschreckt,
Und schwingt die Peitsche über seine Pferde.
Gleich schlägt es zehn. Es murrt bei Dir zu Haus
Das Dienervolk, Du bleibst zu lange aus!
Es muß wohl sein, nun denn, so fahr!
Doch erst, nicht wahr?
Gibst Du mir noch das Eine zu:
Die Großen sind nicht besser dran als Du.

<146>

20. An meinen Bruder Heinrich

Wohin des Wegs? — „Nur fort! Ich flieh' das Land!
„Will nicht ins Grab hier bei lebendigem Leibe;
„Die Öde bringt mich schier um den Verstand.
„Denn sterben heißt's, wenn ich allein hier bleibe.
„Berlin ist meine Wonne, meine Welt!
„Dort gibt es schöne Mädchen, Feste, Bälle,
„Kurz, alles findest Du, was Dir gefällt.
„Bist Du kein Tor: dort sitzst Du an der Quelle.“
Gewiß, mein Bruder, kannst Du Dich vergnügen,
Mit allem ist Berlin ja wohl versehn;
Leicht sind auch unsre Schönen zu besiegen —
Was macht nur diese Freuden einzig schön?

„Ein kleines Fest gibt's bei Herrn Milon heute,
„Man ist ganz unter sich und wie allem;
„Denn eingeladen sind nur achtzig Leute.“
Die Gäste nahn; 's ist eine Höllenpein,
Wie an der Türe sich ein Knäuel ballt.
Ich dränge mich hindurch, sei's mit Gewalt.

Zum Spiel stehn dreißig Tische schon zurecht,
Und wer nicht spielt, dem Ärmsten geht es schlecht.
Ein jeder brütet über seinen Karten;
Der schwitzt, kann kaum das Herzenaß erwarten;
Der andre lauert, in der Hand die Flöte.
Sein Pech treibt ins Gesicht ihm Zornesröte,
Er tobt! Hat er den Koller? Ist er krank?
„Viel schlimmer noch: er hat den König blank!“

In einer fernen Ecke, ganz apart,
Ein andrer Spielerhaufe spielt Hazard.
In hohen Bergen liegt das Gold vor ihnen.
Ihr Priester mischt mit feierlichen Mienen
<147>Die bunten Karten, während alle Welt
Die Blicke starr auf ihn gerichtet hält.
Die guten Leutchen tun nicht übel dran,
Doch unser Priester fühlt sich sehr geniert.
Er ist geschickt; man sagt, der wackere Mann
Das Glück mit seinen Fingern korrigiert.
Es scheint, daß plötzlich ihn ein Feuer packt:
Die Stirne runzelt sich, sein Blick wird wlld,
Und eine Flut von Worten, abgehackt,
Wie grollend, sioßweis von den Lippen quillt.
Ein jeder hängt gespannt an seinem Mund,
Als würden ihm Orakelsprüche kund,
Die durch ein Wunder ändern unser Leben,
Die Großes stürzen, Niedriges erheben.
Der flucht, und jener schwimmt in Wonne, grinst
Und Heimst ihn ein, den köstlichen Gewinst.

Da schlägt es neun; nun bricht man auf zum Essen.
Die Zeit, die man beim öden Spiel versessen,
Will jeder gern beim üppigen Mahl vergessen.

Seht ihr sie aufmarschiert in langen Reihen?
Gemessenen Schrittes nahn dreißig Lakaien,
Von ihrem Küchenmeister angeführt.
Noch stolzer als ein Römer dirigiert
Herr Hamoch sie; er leitet in den Saal
Mit großem Pompe das Lukullusmahl.
Hochtönend tauft er eine jede Speise,
Doch leider paßt dazu der Name nicht.
Da ist der Braten, hier das Vorgericht;
Er ordnet alles sachgemäß und weise.
Dort ist ein neu Ragout, hier sind Pasteten;
Den Kennern lobt er ihre Qualitäten.

Wie übel sich der Speisen Duft verbreitet,
Der Wirt ist glücklich, und ein Lächeln gleitet
Stolz über seine Züge; er sagt offen:
Herr Hamoch hat sich selber übertroffen.

Zu Tisch! Trotz ihrem zugeknöpften Wesen
Ist die Gesellschaft dennoch auserlesen.
<148>Doch was bedeutet das? Schau Dich nur um!
Wie zeigt sich alle Welt so stumpf und stumm!
Dort jenes Pärchen ist ein wahrer Hohn:
Da führt der kleine schwächliche Baron
Die Zierpuppe, die lange feind ihm ist;
Ein Rechtsstreit trägt die Schuld an ihrem Zwist.
Sie schneiden grämliche Gesichter, hu!
Und drehen beide sich den Rücken zu.

Der Reifrock, noch verziert mit Schmuck und mit Gewinden,
Bläht sich und macht den Platz bei Tisch so grausam enge,
Daß ich mir kaum ein Fleckchen weiß zu finden,
Wenn ich auch fest die Knie zusammenzwänge.

Es hätte Damis große Lust zu plaudern,
Doch scheint er träumerisch, der gute Junge.
Schon der Gedanke an die giftige Zunge
Des alten Freiherrn148-1 läßt ihn tief erschaudern.

Der Wirt, die flaue Stimmung zu erhöhn,
Versucht's mit Redensarten, Witzemachen,
Mit Scherzen, die von Mund zu Munde gehn.
Er ruft: „Ich will nur Frohsinn um mich sehn!
„Schaut her auf mich! Ich berste schon vor Lachen!“

Corinna fastet streng, nicht um die Welt
Wird sie an dieser leckren Sauce nippen;
Denn geht die Schminke weg, wär's schlecht bestellt
Um all den Glanz der kirschenroten Lippen.
Und wenn Marianne an das Brot nicht rührt,
So wißt, sie hat sich allzu stark geschnürt.
Dazu auch fürchtet sie, daß das Ragout
Dem Einsatz ihrer Taille Schaden tu',
Der äußerste Bewunderung gebührt.

Dagegen unbekümmert, unverdrossen
Von all und jedem hat der Graf genossen,
Daß fast die Nähte seines Rockes platzen.
<149>Nun hebt er an, mit Hamoch klug zu schwatzen.
Lukulls Apostel heißt er ganz mit Recht.
Kein Schlemmer fährt bei seinem Rate schlecht.

Zuletzt bricht Julie das starre Schweigen
Und sagt mit müdem Tone, der ihr eigen:
„Jetzt regnet's schon den ganzen Tag — 0 Graus!
„Das sieht nach einer zweiten Sintfiut aus.“
„Ganz meine Ansicht,“ sagt Merlin beflissen;
„Denn im Kalender steht's, der muß es wissen.“
Merlin spricht gut, ist ein gelehrtes Haus,
Läßt gerne leuchten seines Wissens Licht,
Doch mehr als den Kalender kennt er nicht.

Die Unterhaltung stockt, man gähnt, faßt neuen Mut,
Spricht von Frisuren und von Kleid und Hut.
Man redet auch ein wenig schlecht von Fanny —
Sie ist nicht da —, und selbst die schwarze Nanny
Weiß nicht, was viel an deren Schönheit wäre.
Nur glaubet nicht, es spräch' aus ihr der Neid.
„Ihr Herz,“ sagt sie, „ist wirklich gut und lieb.“
Doch ihr beleidigter Geschmack nur trieb
Fast widerwillig sie zur Offenheit:
Sie gäbe so der Wahrheit nur die Ehre.

Auch vom Theater wird darauf geplaudert:
„Plump ist die Marville wie ein Elefant,“
Sagt jemand: „Die als Künstlerin — mich schaudert!
„Dagegen die Babett: ihr Äußres elegant,
„Die Kleidung schick — kurzum, sie ist scharmant!
„Zwar ist sie äußerst schwer nur zu verstehn —
„Als ob wir darum ins Theater gehn!?“

Valerius — er hat noch nie geirrt —
Weiß, daß Herr Reich aus Sachsen, jüngst verkracht,
In Kürze all sein Gut verkaufen wird.
Seht nur, wie jeder den Erstaunten macht!
Jetzt wird gestichelt, immer mehr und mehr:
So fällt man über seinen Nächsten her.
<150>Zuletzt schläft alle Unterhaltung ein.
Die Verslein gehen nun von Hand zu Hand,
Die eines Zuckerbäckers Geist erfand,
Und kichernd lesen sie die Mägdelein:
Man schont bei diesen Festen den Verstand.

Da werden dauernd Toaste ausgebracht,
Zweideutigkeiten laut beklatscht, belacht.
Man will sich hören lassen. Von Natur
Und Frohsinn zeigt die Rede keine Spur,
Nur Schwulst, und auch das Wort erstirbt da schon,
Kaum daß dem Munde zögernd es entflohn.
Verlegen blickt sich an die Tafelrunde,
Das Wort versiegt in eines jeden Munde.
Schnell sucht der Wirt die Gäste zu erheitern,
Indem er einen faden Scherz erzählt,
Doch alle seine Redekünste scheitern;
Aus Anstand lächelt man, wenn auch gequält,
Und sagt, wie herrlich man sich hier vergnüge.
Dabei verflucht man innerlich das Fest,
Wo Langeweile nie den Gast verläßt,
Und wünscht, daß man schon längst im Schlummer liege.

Drauf wird ein Lied von Chloris angestimmt,
Sie schmettert Töne, immer spitzer, schriller,
Daß unten auf der Straße man's vernimmt,
Und würzt mit falschem Tonfall ihre Triller.
Von ihrer Stimme Schönheit ganz durchdrungen
Trägt Chloris eine Opernarie vor —
Ach, hätte sie nur nicht so falsch gesungen!
Vor Wonne außer sich, erklärt ein Tor,
Sie sänge wunderbar, er könnt's beschwören.
So singt denn Chloris, ohne aufzuhören.
Verflucht sei diese Stimme, wie geschaffen
Zur Kinderklapper; sie wird nie erschlaffen!
Spricht Chloris: „Um Sie vollends zu betören,
„Ich bitte Sie, dies Schäferlied zu hören:
„Es ist für mich gemacht, will mich bedünken.
„Die Töne, wie sie schwellen, wie sie sinken,
„Die Triller, wie sie steigen, wie sie fallen
<151>„Und langgezogen endlich leis verhallen —
„Das alles macht den Reiz des Liedes aus
„Und stempelt es zu einem Ohrenschmaus.
„Und zweifeln Sie, ob's mühlos mir gelänge,
„Daß ich die Decke dieses Saales sprenge?“

Der Wirt, als er das hört, wird fassungslos,
Schon sieht er die Trompeten Jerichos.
Um zu verhüten, daß ihr Widerhall
Die Mauern seines Hauses bringt zu Fall,
Beginnt er plötzlich von Moral zu schwätzen
Und damit seine Gäste zu ergötzen.
Doch während er noch lang und breit erzählt
Und sie mit tödlich öden Argumenten quält,
Da kokettiert sein liebes Weib inzwischen
Nach rechts und links, die Stimmung aufzufrischen.
Wie könnte Amor da im Spiele sein?
Der Teufel gab's der holden Dame ein.
Die Langeweile drückt das ganze Fest,
Bis man zuletzt die Tafel gern verläßt.

Frisch auf zum Tanz! Schon regen sich die Geigen!
So hat denn doch die Freude noch gesiegt.
Nach feierlicher Polonaise wiegt
Sich Paar für Paar in Englands leichten Reigen.
Drauf tanzt man Menuetts, doch stumm und still.
Es spenden wohl, well es der Anstand will,
Die Zuschauer ein Wort, doch ungerührt
Und kühl, sodaß es fast zu Eis gestiert.
Ganz laut oft lacht das müßige Publikum
Der Gaffer, wüßte es auch nur warum.

Der junge Tag bricht an. Die Schar der Gäste
Kehrt heim, voll Gleichmut, ohne Weinen, Lachen:
Könnt' jeder nur den andern glauben machen,
Daß göttlich sein Genuß auf diesem Feste!

Das, lieber Bruder, sind nun Deine Freuden,
Ich kann Dich nimmermehr um sie beneiden.
Für mich verdient den allerhöchsten Preis
<152>Ein kleiner, aber auserwählter Kreis,
Der harmlos unsrem Geist Erholung beut,
Geplauder, das die Fragen leicht berührt
Und doch zu tieferer Erkenntnis führt,
Bei dem man gern, doch nicht geräuschvoll lacht,
Wo nicht ein hingeworfnes Wort Dich reut,
Well giftige Zungen voller Niedertracht
Es anders deuten, als Du Dir gedacht.
Laß jenes Glück! Laß jenen falschen Schein!
Nur Langeweile hüllt es trügrisch ein;
Denn wo der Stumpfsinn waltet, lärmend, blöde,
Kein Glück gedeiht in solcher leeren Öde.

Des Irrtums leichter Spielball, sieht die Menge
Mit Neid der Großen gleißendes Gepränge.
Nur einmal sollte sie sich nah besehn
Die Feste, die ihr so den Kopf verdrehn,
Dies eitle Nichts — sie würd' uns Mitleid spenden.

Da heb' zum Himmel stehend ich den Blick
Und bete leise: Gütiges Geschick,
Laß nimmer schnöde Hoffart mich verblenden!
Vor eitlen Wünschen wahr' mein Dichten, Trachten,
Nie lehr' die wahren Freuden mich verachten,
Die Freuden, die nicht unsren Sinn betören,
Die Freuden, die uns aus dem Geist erblühn!
Und gnädig mögest du mein Flehn erhören:
Laß stets mein Herz für edle Freundschaft glühn!

<153>

21. An Fouqué153-1

Was preisen wir doch stets die alten Zeiten?
Sag' an, warum es uns so sehr gefallt,
Zu reden von des Menschen Schändlichkeiten
Und der Verschlechterung der ganzen Welt?
Was wollen wir denn immer lang und breit
Nur so satirisch diese Welt betrachten
Und sie mit solcher Bitterkeit verachten?
Was schelten wir auf unsre eigne Zeit
Und preisen nichts als die Vergangenheit?

Moritz von Sachsen, war er weniger wacker
Als Cincinnatus? War er minder gut?
Zwar Moritz stammte aus erlauchtem Blut
Und pflügte niemals selber seinen Acker.
Schlug er drum schwächer als ein alter Held
Die Holländer auf Flanderns Siegesfeld?153-2

Sag' an, sind unsre Dichter denn so schlecht,
Weil sie die Muttersprache nicht verpönen?
Doch andre sagen: „Einzig die Hellenen
„Sind in der Dichtung herrlich, groß und echt.“
Virgil, Horaz, sie schrieben auf Latein,
Die Griechen griechisch, wir in unsrer Sprache.
Und da verlangt nun solch ein Richterlein,
Daß man Gedichte auf Hebräisch mache!

Gab uns denn heute nicht für den Homer
Ein gutes Schicksal einen neuen Sänger,
<154>Weit strahlender und sprühender als er?
Wir haben ja den herrlichen Voltaire.
Wie könnten wir da länger
Uns nach dem alten Schwätzer sehnen!
Ach, seine Verse liest man nur mit Gähnen.

Sind wir geringer als die biedern Ahnen
In ihrer Einfalt, gotisch, grob und schlicht?
Da will man uns mit lautem Vorwurf mahnen,
Wir legten auf den Prunk zuviel Gewicht,
Wir hätten gar zu glänzende Paläste,
Wir feierten verschwenderische Feste,
All unsre Wünsche würden uns erfüllt,
Nur von Genüssen ließen wir uns treiben —
Mein lieber Fouque, wer uns also schilt,
Der ist ein Narr und wird es bleiben.

Man hat die Helden aus vergangnen Jahren
Gepriesen, weil sie arm und einfach waren,
Doch daß wir reich sind, läßt man uns entgelten;
O, nur ein Dummkopf kann so töricht schelten.
So redet nur ein kleiner Geist
Aus einer neidbewegten Seele
Und wähnt noch, daß er uns mit Güte speist,
Wenn er uns predigt, was uns fehle.

Solange diese alte Welt sich dreht,
Läuft sie noch immer in den gleichen Gleisen.
Da sieht man rings der Torheit Majestät
Sich täglich immer alberner beweisen.
Sie wechselt stets, und jedesmal
Bereitet sie dem Hirn der Nörgler Qual.
Doch wenn man unsre heutigen Geschlechter
Vergleicht mit der berühmten Toten Zahl,
Sind wir nicht besser und nicht schlechter.

Ich kann in meinem Zorn nicht länger schweigen,
So will ich den gestrengen Herren zeigen,
Wie unsre schönen Künste uns bekehrt,
Nicht mehr nach blutigen Trophän zu trachten.
<155>Glücklich Jahrhundert, das die Milde lehrt,
Du heißt die Wut und den Verrat verachten!
Der Schlechte schämt sich, wenn er schlecht gesonnen;
Das, dünkt mich, heißt schon viel gewonnen.

Doch schlügen wir, schulmeisterlich-gelehrt,
Mit Argumenten drein — das wär' verkehrt.
Man kann ja Toren niemals überzeugen,
Und auch den Neidbold bringt man schwer zum Schweigen.
Wer immer nur ein Splitterrichter war,
Zur Strafe soll er's bleiben immerdar;
In seiner Wut auf andrer Leute Ruhm,
Erfüllt mit Galle, bittrer als Absinth,
Seh' er im Einst getrost sein Heiligtum!
Und haßt er uns, nun gut, er sei so dumm!
Er weine seine scheelen Augen blind,
Wenn ihn die Tugend gar zu stark erregt
Und ihn zerschmettert und zerschlägt.
Mag er die alten Helden ungeschwächt
Mit Ruhm bedecken, sein erwählt Geschlecht;
Er liebt sie nur, weil sie vergangen sind.
Ist das denn nicht sein gutes Recht?
Doch müssen wir in dieser Liebesbrunst
Den Haß auf unsre Tage sehen;
Denn könnten durch des Himmels Gunst
Die Toten heute auferstehen,
Dann hörten wir in kurzer Zeit,
Wie jene Nörgler, feig und voller Neid,
Nur auf die Lasier ihrer Liebsten deuten.
Die Toten aber machten fluchend kehrt,
Sobald sie von den feilen Leuten
So schändlichen Verrat gehört.
Du schnöder Neider, heule nur voll Wut
Auf dies Jahrhundert, reich an großen Geistern.
Feiger Verleumder, wilde Natternbrut,
Müh' dich nicht unnütz, deinen Zorn zu meistern.
Kehr' gegen unsre Tage deine Wut,
Versucht nur weiter dein Pamphlet zu kleistern:
Am Glanz der Gegenwart verblaßt dein Mut...
<156>Des Neides Pfeile mögt ihr still verachten,
Die euer Leben zu zerstören trachten.
An eurer Tugend werde stumpf sein Zahn,
Vergeblich soll er euch mit Bissen nahn!
Ihr scharfen Richter, lernt den frechen Sinn
Vor einem großen Namen beugen,
Streut Blüten auf der Helden Asche hin;
Doch wollt ihr uns der Toten Vorbild zeigen,
So gebt auch unsrer Zeit ihr Lob zu eigen!

Ja, Freund Fouque, sind wir erst einmal tot,
Schätzt man auch uns in abertausend Jahren.
Dann blüht der alten Toten Morgenrot,
Und sind wir erst ins Grab gefahren,
Gefühllos allem Lob und aller Not,
Dann werden wir nicht mehr beneidet,
Wenn uns das Volk in Glorie kleidet
Und unsres Ruhmes helle Fackel loht.

<157>

22. An die Gräfin Camas157-1

Nein, niemals wag' ich, würdige Camas,
Mit Ihrem Geist, dem glänzend inhaltreichen,
Die geistesarmen Reize zu vergleichen,
Die ich an unsren leeren Gänschen sah.
Das bißchen Schönheit oder frische Jugend
Ist ihnen Stellvertreter aller Tugend.
Gleich Blumen sind sie, deren bunte Pracht
Kaum eine einz'ge Sommerspanne dauert;
Wenn sie ein Hauch der Glutzeit überschauert,
Verwelkt die Schönheit, die uns ftoh gemacht.
Und wenn ihr Farbenglanz uns nimmer lacht,
Wird's keinem mehr belieben, sich zu bücken,
Um sie zu tränken oder sie zu pflücken.
<158>Wer Einsicht fühlt und Feinsinn, der verehrt
Statt Schönheit Geist, der unser Wesen klärt.
In Ihnen sind die Gaben wohlverbunden;
Ihr Sinn, der hundertfältig Früchte bringt,
Ist menschlich mild und immer frohbeschwingt.
Ihr Geistesreichtum lebt zu allen Stunden,
In allen Landen und in jeder Zeit.
Daß Sie so manchen wahren Freund gefunden
Und Glücks noch mehr, ist nur Gerechtigkeit.

Ihr graues Haar wird nimmer von Geschmeiden,
Von Flitterkram und Bändern nicht bedrückt.
In Riesenreifenröcken, goldgeschmückt,
Braucht nicht Ihr Körper Folterqual zu leiden.
Doch unter Ihres Haares Tracht entzückt
Uns Mannesgeist, so selten, ach! zu finden,
Dem wir so wohlverdiente Kränze winden.

So viele Freuden scheuchen Alters Pein —
Worauf wollt ihr euch, fade Schönen, stützen?
Die Lärvchen sind ja hübsch im Iugendschein;
Ihr ältlich Grinsen wird euch garnichts nützen.
Ihr äugelt schmeichlerisch, ihr tut gar fein,
Und Schönheit muß wohl allem Anmut geben.
Allein — ich sag' es nur mit Widerstreben —
Dasselbe gilt für unser Augenmerk
Von Bouchardon158-1 ein schönes Bildnerwerk.

Ach, wenn der Himmel, günstig eurem Lieben,
Euch stumm geschaffen hätt' von Anbeginn!
Wär' euren Buhlen Hörsinn ausgeblieben!
Dann konnte unser liebeglühnder Sinn
Sich länger mindstens in den Wahn versenken,
Daß euer Geist berufen sei, zu denken.
Doch jetzt ist jede so sehr Schwätzerin —
Mich überläuft ein todesfrostig Schaudern,
Vernehm' ich nur die Spur von eurem Plaudern;
Und eures Lockens sämtlichen Gewinn
<159>Und eures Reizes Siege mir im Herzen,
Durch eure Reden müßt ihr sie verscherzen.
Spiel, Flitterwerk und Klatsch und Modeschlif,
Geschichtchen, tausend Liebesfadigkeiten,
Gewürzt mit hundert dreisten Albernheiten,
Sind eurer Unterhaltung Inbegriff.

Doch wollt ihr Anspruch gar auf Geist erheben,
Das ist nun wahrhaft herrlich zu erleben.
Ich sehe schon die Extraschüsseln nahn,
Gereicht von Weibchen mit Pedantenwahn
Und dumm; sie spielen die gelehrten Frauen,
Wie wir sie bei Molière, dem Großen, schauen,
Mit seiner Meistermalkunst abgetan
In seinen Stücken, die mit Witz erbauen,
Darin sein Urteil goldne Worte prägt
Und tausendfach die Toren niederschlägt.

Erzittert, abgeschmackte Ziergestalten:
Schönheit vergeht, das Alter stellt sich ein;
Es ritzt euch die gewelkte Stirn mit Falten,
Und euer Liebreiz wird vernichtet sein.

Geliebter Spiegel, gibst du ihnen dann
Bleifarbig fahle Angesichter wieder,
Zahnschwund, erloschne Augen, Tränenlider
Und Haar, des Glanz in trübes Grau zerrann,
So faßt ein Eumenidenzorn sie an;
Ihr Wüten wird dir, ach! dein Glas verderben:
Zerschmettern werden sie's in tausend Scherben.

O, wie das wurmt: der Alabasterhauch
Des Teints vergilbt. Und Ros' und Lilien fliehn.
Die abgöttisch Verliebten fliehen auch:
Vor Vetteln wird kein schöner Tyrsis knien.
Des Boudoirs verschmitzte Gaukelkunst,
Der Flitterglanz, der Blümlein frische Pracht
Schmückt die verjährten Reize ganz umsunst.
Der jugendschönen Frauen Putz und Tracht
Ziert alte Mütterchen wahrhaftig nicht:
<160>Ach, sieht das schlecht zum welken Angesicht!
Die Liebelei, die euch zu Häupten schwebt,
Die euch bei Ball, Souper und Fest belebt,
Uns Pfeile schickt aus schöner Augen Schimmer,
Sie flieht dieselben Augen einst für immer.
Anbetungswürdig scheint die Schönheit heute;
Das alte Weibsbild! spotten einst die Leute.

Die Trübsal eures Alters tut mir leid:
Zu Wohlgefallens fernerer Entfaltung
Bleibt euch ein einzig Mittel: Unterhaltung.
Doch wie es nützen, wenn ihr geistlos seid?
Als altgewordne Puppe, öde Base,
Die nichts als Muhmenklatsch erzählen kann,
Zieht man die Kunden nicht in Menge an.
Vom Vorsaal schon schleicht Pesihauch in die Nase
Des armen Buhlen. Da vergeht Ekstase;
Der Ekel treibt ihn aus der schlimmen Luft,
Dem gräßlich ewigen Gebrestenduft.

Gott weiß, wie die Chasots160-1 der spätern Zeit,
Die Ferdinands,160-2 die Knechte aller Schönen,
Geborne Spötter ohn' Empfindsamkeit,
Dann eure würd'gen Angesichter höhnen,
Wenn ihr, grell aufgeputzt die Schreckgestalt,
Zuletzt auf Liebenswürdigkeit verfallt.
Ja, die Galans, die euch die Tür einlaufen,
Sie werden sich dann nicht mehr darum raufen,
Euch bleibt ihr spöttisch Lachen nur und Scherzen.
Ich seh es, dann bereut ihr's wohl mit Schmerzen,
Daß ihr in launenhafter Sprödigkeit
So schnöde heut verschmäht die vielen Herzen,
Die euch der Buhlen Schar zum Opfer weiht.
Erst muß die tolle Hoffart Schiffbruch leiden,
Ich seh's voraus, dann mit der Reize Rest
Ermutigt ihr das Werben gar bescheiden,
Das heute noch euch Eitle fühllos läßt.
<161>Umsonst des rost'gen Alters heiß Verlangen:
Nie wird es Liebeshuld'gung mehr empfangen.

Dies ist das Los der holden Nichtigkeit,
Die einzig lebt von Schönheit und von Jugend.
Sie aber, würdige Camas, hat Tugend
Aus solchen Schiffbruchs Not fürwahr befreit.

Was tut es, daß der Zeit Zerstörertrieb
Auch Ihren Iugendreiz erblassen machte,
Da Ihnen doch Ihr halbes Selbst verblieb:
Ihr geistig Wesen, das ich lieb' und achte!
Weit ragt es über äußern Reiz empor.
Besiegen Sie die Wut der Zeit, die schele;
Nicht trifft sie Ihren prächtigen Humor
Noch Ihre unbeirrbar starke Seele!

Ja, Sie verschmähn die dumme Wichtigkeit,
Wie sie Hofmeisterinnen gern bekunden;
Sie Weise sind zur Nachsicht gern bereit.
Ihr reger Sinn erweckt die Heiterkeit
In lauer Hofluft farblos öden Stunden.
Und mehr: aus echter Frömmigkeit sind Sie
Gut hugenottisch, doch unduldsam nie.
Teure Camas, ist dieser eine Zug
Um Sie zu lieben Grundes nicht genug?
Nichtwissern gelten Sie als ihresgleichen,
Vielwisser wissen wohl, Sie wissen viel.
Sie schmiegen sich mit einem anmutreichen
Geschick in der Gesellschaft Brauch und Stil.
Die Jugend dankt mit Frohmut Ihrem Lachen,
Die Reifen künden Ihrer Weisheit Ruhm;
In Ihrer Güte, Ihrer immerwachen,
Ertragen Sie getrost vom Greisentum
Gebrechlichkeit und blöden Schwatz der Schwachen.

Durch solche Züge, durch Vollkommenheit
Hat wahre Freunde Ihr Gemüt errungen.
Dies — glauben Sie! — ist Amor nie gelungen
Bei wollustgleichen, leichtbeherzten Jungen,
<162>Wenn er in Torheit flattert weit und breit.
Die echte Freundschaft gründet sich allein
Auf hohe Achtung, die der Tugend Sold ist —
Und die ist Ihnen eigen; obendrein
Der Zauber auch, daß jeder Ihnen hold ist.
Ja, singen will ich, o Camas, fortan
Dies Ihr natürlich schönes Geisieswesen;
Ihm weih ich, was ich dichtend fühl' und kann.
Und Sie will ich in meiner Verse Bann
Zur Pallas, zur Minerva mir erlesen.

<163>

23. An Jordan163-1
(1738)

Sieh, Flora räumt, aus unfern Gärten scheidend,
Pomonen schon das Feld, so sterbensmüd!
Der Sommer schwand, Herbstwinde wehen schneidend,
Und alles dorrt, entfärbt sich und verblüht.
Des Tages Leuchte alle Macht verlor,
Frösteln rinnt durch die Welt, die bleichbesonnte,
Und täglich später tritt am Horizonte
Der Tag aus seinem Morgentor.

Colin und Lycas frohgemut geleiten
Die Ernte heim von unsern Ackerbreiten,
Und allerenden hallt das Echo wieder
Der ausgelaßnen, trunknen Schelmenlieder.
Ach, ungebundene Freiheit, Liebeslust
Begnaden reicher, tiefer ihre Brust,
Als all der Überfluß und üpp'ge Tand,
Den sich des Städters eitler Sinn erfand.
Denken beschwert sie kaum, ihr Magen
Kennt keinen Einspruch, kein Versagen;
Feldarbeit und ein karges Brot
Hält stark den Leib, die Wangen rot.
Frei bleibt ihr Sinn von Überspanntheit
Und weltvergeßner Wahnverranntheit.
Was Weltgeschick? Was Altertum?
Was schert sich ihresgleichen drum!
Vorm Draußen fiel ihr Hoftor zu,
Dahinter wohnt Gedankenruh,
<164>Wohnt Spiel und Frohsinn, Lieb' und Scherz.
Nie sah hier der tyrannische Götze
Des Eigennutzes das Neidgehetze
Nach des Paktolus gelbem Erz;
Nie keuchen sah er die Menschen hier
Unterm Joch der Begier.
Ruhmsucht, die alle Eitlen herrisch
Zu knechten weiß, sinnlos und närrisch,
Hat nichts Verführendes für sie;
Drum wagt ein unerlaubt Begehren
Und ein vermeßnes Beten nie
Die Gottheit zu beschweren.

In ihrer Ländlichkeit, wie sind sie glücklich!
Du hockst derweilen in Berlin,
Im lautsten Treiben mitten drin,
Und bist vermutlich augenblicklich
Vom heil'gen Staube Griechenlands
Und Latiums verschüttet ganz,
Mein würd'ger Freund, um Rats zu pflegen
Mit jedem Herrn gar hochgelahrt,
Der seiner zuverläss'gen Weisheit wegen
Der armen Menschheit eine Leuchte ward.
Von Deinem Trübsinn Dich zu heilen,
Und unsrer holden Narretei
Dir auch ein wenig mitzuteilen,
Steht meine Muse just mir bei:
Wir brachen auf, zu Dir zu eilen.

Du weißt, wir Dichter haben's gar leicht
Zu reisen; im Nu ist das Ziel erreicht!
So war's auch bis Berlin nicht weit,
Zum Unterschlupf Deiner Gelehrsamkeit.
Gleich an der Tür, von Buchschmuck überrankt,
Ein dicker heil'ger Augustinus prangt;
Schräg lehnt er an den Nachbarschwarten,
Verfaßt von einem überaus gelahrten
Und überaus geschwätz'gen Herrn vom Orden
Des heil'gen Benedikt; in ganzen Horden
Sieht man die trocknen Kerle all auf us
<165>Im Hausflur ausmarschiert — ein rechtes Fressen
Für'n Trödler oder Antiquarius!
Zwar Namen alle hohen Klangs, indessen
Gar schäbig von Gewand, so trotzen sie
Dem Erdgeschick, und wenig protzen sie
Im Kittel von schmutzfarbnem Pergament.

Doch nun mit frommem Graus verlassen wir
Den Tempelvorraum, der uns ja noch trennt
Von Deiner Cella, dem Studiergemach.
Wie'n Kapuziner hausest Du allhier,
In diese Freistatt dringt die Welt nicht nach.
Meister Erasmus, sieh! O feinberedter
Fürsprech der Narrheit!165-1 Aber sagt doch, sieht er
Nicht da wie ein Grandonio,165-2 groß und breit,
Wie der gewicht'ge Pförtner dieser Kammer,
In großem Folio, der Rotterdamer?
Und borten — ist's die Möglichkeit?
Die Büchermassen — lauter Kirchenväter!
So nahn wir Deinem Schreibtisch: also hier
Machst Du die Nacht zum Tage Dir
Und prägst Dir tausend Wunder ein
In Koptisch, Griechisch und Latein!
Dort Dein berühmter Abauzit165-3 — wer kennt ihn
Und wer sein Werk? — kein Titel nennt ihn;
Und da, der letzte Band von Reimerein,
Die Jean Baptiste Rousseau gedrechselt,
Seit er sein Wesen scheinheilig gewechselt. 165-4
Was mag das dort auf den Regalen sein?
Die Sammlung ist's von scharfen Diatriben,
Die ein gewandter Hugenott geschrieben,
Angriffe auf den Jesuitenorden.
Und dort auf jenen Bücherborden
Erbauliche Betrachtungen — da salbadert
<166>Ein Pfäfflein in gespreiztem Kanzelton,
Das mit dem großen „Tier“166-1 gewaltig hadert
Und mit der großen Hure Babylon;
Ungläubige trifft geschwind die Höllenpein,
— Aus lauter Christenliebe sicherlich —
Erbauungsschriften kurz für Papagein!
Nicht weit davon fand gar ein Opus sich,
Darin von Ungeziefer war zu lesen.166-2
Und dort ein Quellenwerk fürs Sektenwesen.166-3

Höchstselbst nahm seinen Sitz bei Dir Apoll,
Der Dir, daß Dein Museum werde voll,
Aus eigenen Helikonischen Beständen
So mancherlei geruhte zuzuwenden.
Berief auch einen Schatten hohen Ranges,
Den Freund des klaren Denkens, Herrn Horaz,
Dir nah zu sein; der ziere Meister tat's
Und sprach im Wortlaut seines frohen Sanges:166-4
„Das sei unsre ernsteste Sorge jetzt:
„Der Wein, der das Herz uns am lieblichsten letzt;
„Was hat es für Sinn, was hat es für Wert,
„So ein Planen und Sorgen
„Übers Heut und Morgen?
„Weitschauend Erwägen den Kopf uns beschwert;
„Wer weiß, wie bald
„Spricht die Parze ihr Halt,
„Die mit ihrer Schere dazwischen fährt.“

Nicht weit davon sieht einer eingereiht,
Ein Eifter für Vernunft und Richtigkeit,
Als Spötter oft zu scharf, zu grob, zu roh,
Doch am Parnaß beliebt, Herr BoUeau.
Mit Weltmannsmiene folgt sodann
Der überlegne Lucian,
Ein liebloser Spötter, doch niemals langwellig;
Der himmlischen Götter ist keiner ihm heilig,
<167>Und jedem hängt er Schabernack an.
Dann kommt da einer von des Pontus Ufer,
Der Einsamkeiten sehnsuchtsvoller Rufer,
Der allzu farbig schier sein klagend Lied
Aus seines Schauens Fülle hat geschmückt,
Und doch die Leser immer neu entzückt —
Der zärtliche Ovid.167-1
Dann weiter der berühmte Skeptiker,
Bayle, ein gewiegter Dialektiker;
Hei, wie er schneidig in die Schranken ladet
Die Herrn Doktoren, in den Sand sie schmeißt,
Die Glaubenseifrer, und zu Boden reißt
Der Theologen Dünkel, gottbegnadet,
Er, der dem Reich des Irrwahns stets geschadet.

Homer, den guten alten, schau' ich da,
Wie der sich von Voltaire verdunkelt sah
Und schamhaft sich in sein Gedicht versteckte,
Das ihm die Schar seiner Getreuen deckte.
Darüber hab' ich, kostbar eingebunden,
Den großen Schildrer der Natur167-2 gefunden,
Der, Romas Herrlichkeit zu mehren,
Mit seinen Versen mehr getan,
Als Ruhm und Größe ihr gewann
Ein Cäsar je mit seinen Siegesheeren.

So hohen Toten zugesellt,
Mein Jordan, sucht Dein Forschergeist
Das Sein und Wesen dieser Welt,
Woher sie kam, was sie erhält —
Ein Flug, der immer höher weist.
Glaub' mir, ich ehr' Dein hohes Streben,
Den Ernst, dem nur die Arbeit Leben;
Doch, mein Iordanus, magst Du Dir
Mit köstlich-seltner Lorbeerzier,
Die auf dem Pindus männiglich
Der eine tut dem andern neiden,
Im Leben schon Dein Haupt umkleiden —
Macht Dich das glücklicher, Geliebter, sprich?
<168>Bedenk die viele Müh und Plag',
Eh' zur Unsterblichkeit man dringt!
Lohnt denn, was mühsam man erlernen mag,
Das Freiheitopfer, das man dafür bringt?
Wie kann Dein Stolz sich so betrügen,
Mit Weihrauchdunst Dich zu begnügen,
Wo Du ein rechtes Herzgenügen
Und Daseinsfreude haben kannst!
Verstündst Du Dich, mit uns zu leben
Im frohen Kreis, Du, dem's gegeben,
Daß Du so manches Herz gewannst!
Wie in den letzten Herbsiestagen,
Wenn treulich in Pomonas Hut
Den Jahreszoll sie abgetragen,
Die Erde friedeatmend ruht,
So gönn' auch Du
Dir Feierruh.
Kehr wieder, hier ist's friedestill,
Hier sehnt sich alles Dir entgegen;
Mit jeder Lust, mit jedem Segen
Freundschaft Dich hier beglücken will...

Bedenke: mehr denn eine Lust
Hat Raum in einer Menschenbrust!
Welch schlechter Wirt ist doch der Sparer da,
Der sich von allem, was ihn freuen könnt',
Aus Kargheit nie den vollen Nutzen gönnt.
Chasot168-1 schwärmt für die Jagd und für Trara,
Jordan für Nächte, still beim Lampenschein,
Cäsarion168-2 für geleerte Flaschenreihn.
Der strebt nach Höflingsglanz und Gloria,
Der kann nicht ohne Liebesseufzer leben,
Und dem muß stets vom Ruhme dieser Welt
Ein Weihrauchwölklein um die Nase schweben.
Der dicke August168-3 braucht ein Heidengeld
Für seine Tafel; nun, und ich? — ich leime
Mir selbst zur Freude, Reim an Reime.
<169>Da wie ein Schatten unsre schönsten Tage
Vorüberwandeln, weiser Jordan, sage:
Warum denn unsre Freuden noch beschränken?
Wie sie zu mehren, das laß uns bedenken!
Wer sich aufs Leben will verstehn,
Läßt ihrer keine sich entgehn.

Auch Du denkst so, ich weiß es ganz bestimmt,
Denn Deine Weisheit, Deine abgeklärte,
Ist keine, die in überflüss'ger Härte,
Griesgräm'gem Ernst sich übernimmt.
Sah ich doch selbst in frohgeselligen Stunden
Dein Haupt, das des Parnasses Würde krönt,
Von Myrtengrün und Weingerank umwunden,
Sodaß mir's war, als säh' ich Dir verbunden
Uranien, die zur Venus sich verschönt,
Säh' die Vernunft, umschwebt vom Grazienreigen,
Sich wohlbedacht zur Weltlust niederneigen.

Komm denn! Ein Feuerhimmel andrer Art
Mit flücht'gen Erdenfreuden Deiner harrt!
Doch, hörst Du, bald! und Deinen Schritt beeil'!
Für uns gibt's ohne Jordan hier kein Heil.

Die alten Buchen kennst Du, die so kühn
Die Häupter recken, weitum breitend
Ihr Astgewirr, und unter üppigem Grün
Mit Schattenruh uns überspreitend —
Ein Bild, als wollten sie mit ihren Wipfeln
Der Himmelswölbung sich entgegengipfeln.
Dort, Jordan, in der trauten Dämmernacht,
Ist Wohlsein — mehr als unter Säulenpracht;
So schlicht und schmucklos war, in Heimlichkeit,
Der Sitz der Wonne zu der Väter Zeit.

Dort harr' ich, Jordan, Dein. — Wie gern in Ruh
Schau' ich von da, befreit vom Standeszwange
Und frei von jedem Ehrsuchtdrange,
Dem stillen Ablauf meines Lebens zu.
Ein Denker, dem nach Wahrheit sieht der Sinn,
<170>Will ich nicht mehr, denn was ich hab' und bin.
Dort, ganz beseelt von meines Gottes Feuer,
Werf' ich in Versen hin manch flüchtig Bild;
Dort weckt mein Mund zum Klange meiner Leier
Mit manchem Freundesnamen, der mir teuer,
Des Echos Widerhall; und nicht gewillt,
An Hasser und an Neider mich zu kehren,
Möcht' ich, den Freunden zärtlich zugetan,
Das Herz voll Mitgefühls mit jedermann,
Dem Dienst der ganzen Menschheit angehören.
So sonder Furcht und Bangen, halt' ich still,
Abwartend, welches Los mir fallen will.

<171>

24. An d'Argens171-1
(1747)

Lenz will's werden; schwach zum Sterben, räumt der Winter ihm das Feld,
Und die eis'gen Stürme haben schon ihr Wüten eingestellt.
Draußen, wo die Saaten keimen, frei und froh die Welle rollt
Durch des Eises Trümmerschollen, das sie gar ersticken wollt'.
hei, und unsre Rieselbäche! Über goldig-klaren Sand
Treiben lustig die erlösten ihren Schlängellauf durchs Land.
Flora aber hat Natur
Wie ein Lieblingskind bedacht:
Flora schmückt uns Feld und Flur
Schon mit Frühlingsblumenpracht.
Neu wird alles unterm Himmel, und es mahnt das junge Jahr
Alles Holden, alles Lieben, das vor Zeiten unser war...

Doch indes mein Griffel hier
Euch zu schildern treu bemüht ist,
Wie ringsum die Welt erblüht ist —
Was, mein träger Herr Marquis, tut Ihr?
Faulheit, die geliebte Herrin, hält Euch fest in Bann und Fron,
Unbeweglich, taub an Sinnen, ihre Lider schwer von Mohn!171-2
Wie ein Klausner lebt Ihr hin,
Unbekannt schier in Berlin,
Mitten in der Residenz,
Und zu freudigerm Genießen,
Draußen, wo die Saaten sprießen,
Ruft vergebens Euch der Lenz.
Ei, so laßt mal Euern Bau,
Wo die Langeweile nistet,
Die Gedanken grau in grau,
Eure Händel, Eure Grillen,
<172>Ärgernisse, die die Galle
Nur erregen, laßt sie alle!
Euer Herz mit Lust zu füllen,
Wüßt' ich schon ein Wo und Wie:
Kommt zu mir nach Sanssouci!
Dort erst ist man recht ein König, ist sein eigner Fürst und Herr,
Auf dem Lande, in der Stille! Weiß nicht, wo man freier wär'!
Fragt Ihr nun, wo sie gelegen, meine grüne Einsamkeit,
Wo beschaulich diese Strophen Euer Freund für Euch gereiht,
Jener Ort, wo meiner Tage schönste mir die Parze spinnt —
Hört, ob Ihr ein Bild gewinnt!

Hoch auf eines Hügels Rücken,
Wo das Auge mit Entzücken
Schweift, soweit der Himmel blau,
Hebt gebietend sich der Bau.
Hohe Kunst ward dran gewendet;
Sorglich schuf und meisterlich
Mir des Meißels Hieb und Stich
Stemgestalten formvollendet,
Die das Ganze prächtig schmücken,
Ohne lastend es zu drücken.
Morgens taucht mein Schlößlein ganz
Sich in goldnen Frühlichtglanz,
Der es grüßt, wenn er erwacht.
Sechs bequeme Treppen lassen
Nieder über sechs Terrassen,
Mählich sacht
Euch zum Haine niedersteigen,
Euch zu flüchten
In die grüne Dämmernacht.
Dorten läßt dann unter dichten,
Unter hundertfarbigen Zweigen
Loser Nymphen Schelmerei
Klare Silberwellen nieder
Sprudeln über Marmorglieder —
Gab's seit Phidias jemals wieder
Solche Meisterbildnerei?

Seht, dort regelt meine Tage
Holdes Gleichmaß, still gedeihlich,
<173>Fern der dummen Modeplage
Endlos langer Prunkgelage,
Steif, nach Vorschrift und langweilig:
Stumpfsinn gähnt da, Überdruß
Zum Verschwenderüberfluß
Unsrer Midasse von heute;
Und was alles da für Leute
Blind zuhauf der Zufall lehrt!
Frostig lächeln sie, verzerrt,
Ob des Zwanges still ergrimmt,
Der, was nie zusammenstimmt,
Dorten zur Gemeinschaft bindet,
Peinlich nur und unbequem!
Seht Ihr, nichts von alledem
Ihr in meinem Hause findet!
Mittags ladet unser Tisch zu bescheidenen Genüssen —
Just, daß man befriedigt sei:
Kein Zuviel, noch Schlemmerei —
Die mit wertvollen Gesprächen weidlich wir zu würzen wissen.
Wie das sprudelt, wie das schäumet! Funkelhelle Geistesblitze —
Manchmal macht man auch auf Kosten fremder Dummheit seine Witze.
Mehr denn so ein Schlemmerftaß
Eurer Herrn Apiciusse,
Eurer Helden im Genusse,
Gilt ein Wort von Geist und Anmut, gilt bei uns ein kecker Spaß!
Niemals spielt bei uns die Falschheit ihre niederträcht'gen Szenen,
Noch verstellter Haß, den keine Macht der Erde kann versöhnen:
Wie das sich verrenkt, sich windet, Brust an Brust bewegt sich drückt,
Süße Iudasworte stammelt und beinahe dran erstickt!

Dort ist auch kein Platz für jene, die, ins eigne Ich verliebt,
Es mit glühnden Farben malen,
Von sich selbst, dem Ausbund prahlen
Alles Tücht'gen, was es gibt;
Ihr Geschwätz ohn' Unterlaß
Ist nichts als ein Spiegelglas,
Davor sie in Andacht stehn,
Männchen machen und sich drehn.
Das Getu' und das Gespreize zierlich zimperlicher Herrn,
Hochbetitelter Hanswürste, die verschämt tun und sich sperrn,
<174>Die um nichts viel Motte machen
Und im Chorus gerne lachen —
Alldergleichen bleibt uns fern.
Dort, der Himmel sei gepriesen,
Sind wir auch verschont von diesen
Tröpfen, die mit ihren modischen
Metaphysischen, methodischen
Abhandlungen und Beweisen
Die erstaunte Welt bereisen —
All das Eselzeug auf us
Nach selbsteignem Taufbeschluß.
Bei uns gibt's kein hämisch grinsend, lieblos scharfes Besserwissen,
Keine Argusse mit gift'gen Krallen oder Raubtierbissen,
Keinen, der mit Höllenwässern seine Schmähschrift noch versetzt,
Und so sind wir auch zuletzt
Frei von jenen Schwätzern allen,
Leidigen Schmarotzerseelen,
Die die liebe Zeit uns stehlen
Und uns auf die Nerven fallen.

Diese stille Einsamkeit
Ist mir Bollwerk, Wehr und Turm
Wider jeden Stoß und Sturm
Dieser wildbewegten Zeit,
Unrast, Wirrsal, Not und Streit;
Wider alles, drein so gern
Uns die Menge möchte zerrn,
Uns, die Weisen, die dem Wissen, die den Künsten sich geweiht.
Ach, d'Argens, besieht man's recht,
Ist das menschliche Geschlecht
Nichts als gierig, dumm und schlecht!
Glücklich, wer abseits vom Wege sich ein Heiligtum gebaut,
Zuschaut, wie zu seinen Füßen Sturm und Wetter grollt und braut;
Wüste Trümmer sieht er treiben drunten in dem Klippenmeer,
Und er nickt: es ist nicht anders, seelenloses Ungefähr
Treibt sein Spiel mit eurer Ehrsucht! Seht, nun deckt den weiten Strand
Trümmergraus so stolzen Hessens, das gar bald sein Ende fand!
Glücklich jeder Unbekannte, ja, gesegnet tausendmal,
Der den Kopf sich klar behalten, der des Ruhmes Giftpokal
Von sich stieß, noch ungekostet, der sich zeitig noch besann,
Was an all dem Lorbeersegen der Geschichte ernstlich dran,
<175>Der in treuer Pfiichterfüllung quitt mit seiner Mitwelt ward
Und die Müh' um sein Gedächtnis bei der Nachwelt gern sich spart,
Nicht erbettelt ihre Gunst
Und ihr bißchen Weihrauchdunst!

Nein, Marquis, die eitlen Streber, laßt uns alle sie verachten,
Wir, fürwahr, sind nicht die Narren, ihrem Glückswahn nachzutrachten.
Eher soll ein Frühaufsteher unser Freund d'Argens sich nennen,
Eher soll ein Esel Sieger werden bei dem Pferderennen,
Oder die Camas175-1 'ne Metze,
Eher stießt die Elbe aufwärts wider die Naturgesetze!
Mögen denn die Ruhmbedürft'gen nur sich selber Beifall spenden,
Ungesättigt bleibt ihr Hunger, ihre Not wird nimmer enden.
Pläne über Pläne häufen mögen sie, der Unrast Beute,
Nur von ihrer Hoffnung lebend, abgestorben für das Heute!
Uns lockt alles dies vergebens;
Wir genießen unsres Lebens
Nach der Kunst und Möglichkeit!
Bellt nur, Höllenhund und Neid!
Uns sei eines nur bewußt:
Jedes Augenblickes Lust
Raubt der Sturmgang uns der Zeit,
Die uns unsre schönsten Tage
Wie im Fluge hetzt vorbei;
Heut des Lebens Blütenmai,
Morgen Alters Last und Plage!
Ach, der Mensch, geworden kaum,
Ist er auch gewesen schon,
Ja, das Leben ist ein Traum! —
Doch wenn dieser trockne Ton
Der Betrachtung Euch verdrießt,
Ei, so hört denn, was davon
Meine Nutzanwendung ist —
Ob Ihr der Euch wohl verschließt?!
Maßen meine Freundestreue Euch beschwört, nur zuzugreifen,
Frisch die Freude festzuhalten, die Euch will vorüberstreifen,
Leichter Hand und leichten Herzens, eh die flüchtige entschwinde!
Was geht uns das Morgen an?
Und der nächste Tag sodann?
Ob das Schicksal uns, das blinde,
<176>Einen Vorrat langer Jahre gnädig noch hat zugedacht,
Ob's mit Götterhuld uns lacht,
Oder ob es ohn' Erbarmen
Droht, mit seinen wucht'gen Armen
Uns, betäubt von Not und Schrecken,
Nieder in den Staub zu strecken —
Einerlei!
Rosen! Rosen bringt herbei!
Schlingt sie feiernd um die Stirn!
Seliger ein holdes Irrn
Denn die wahren Daseinsgüter! Darum raubt die flinken Schwingen
Jenen Liebesgötterschlingeln, ihre Pfeile, laßt sie schwirrn,
Laßt sie klingen, laßt sie springen
In die Herzen unsrer Schönen! — Denn zuletzt sind wir nur Herrn
Dieser flücht'gen Gegenwart;
Wer da aufschiebt, was er gern
Sein genannt, ist meist genarrt.
Drum so sag' ich: unverdrossen
Jedes Augenblicks genossen:
Heut' ist uns der Himmel hold;
Weiß nicht, ob er morgen grollt!


10-1 Pierre Joseph Bernard (1708—1775), genannt Gentil-Bernard, Verfasser des Gedichts „L'art d'aimer“, der es bis zu seinem Tode unveröffentlicht bewahrte und nur einzelne Stücke daraus im kleinen Kreise vortrug.

101-1 Baron Ernst Maximilian Sweerts, Generalintendant der Königlichen Schauspiele in Berlin.

102-1 Siovanna Astrua, Sängerin an der Oper.

102-2 Felicino Salimbeni, Sänger.

106-1 Karl Heinrich Graun, Komponist und Kapellmeister des Königs.

108-1 Anspielung auf die von Graun 1748 und 1749 komponierten Opern „Iphigenie in Aulis“ und „Coriolan“, für die der König selbst den Text verfaßt hatte.

11-1 In der „Vie de l'empereur Julien“ des Abbé de la Blatterie (Amsterdam, 1735).

111-1 Graf Franz Algarotti (1712—1764), der Freund des Königs.

112-1 Nisus ein Muster der Freundschaft, Achates ein treuer Diener, beides Gestalten aus der Äneis.

113-1 Eine Gestalt aus Bojardos und Ariosts Roland-Dichtungen.

117-1 Der Kabinettsminister Graf Karl Wilhelm Finck von Finckenstein.

119-1 Vgl. S. 9 und Bd. VII, S. 32.

119-2 Vgl. Bd. I, S. 90.

122-1 Vgl. Bd. I, S. 132 ff.; II, S. 26.

124-1 Jakob Kelch (vgl. Bd. III, S. 144). In einer Fußnote der Ausgabe van 1760 wird diese Epistel als „Nachahmung des dritten Buches von Lutrez“ bezeichnet. Gemeint ist das Lehrgedicht: „De rerum natura.“ Vgl. Bd. VII, S. 264.

124-2 Graf Moritz von Sachsen starb am 30. November 1750.

124-3 Graf Emanuel Franz Joseph von Bayern, natürlicher Sohn Kurfürst Maximilians II. Emanuel, fiel bei Laveld am 2. Juli 1747.

124-4 Der Chevalier de Belle-Isle, Bruder des Marschalls, fiel im Gefecht am Col d'Assiette am 19. Juli 1747 (vgl. Bd. III, S. 17 f.).

128-1 Anmerkung des Königs: „Der Dreißigjährige Krieg.“

13-1 Die Söhne des Lorenzo de Medici in den Jahren 1494—1512.

13-2 Anmerkung des Königs: „Karl I., König von England.“

130-1 Ludwig XIV. Vgl. S. 16.

131-1 Vgl. Bd. VII, S. 276 und 287.

133-1 Claude Etienne Darget war zunächst Sekretär des französischen Gesandten, Marquis Valory, gewesen, dann in König Friedrichs Dienste getreten und am 18. Januar 1746 zu dessen Privatsekretär und Vorleser ernannt worden. Im Frühjahr 1752 kehrte er nach Frankreich zurück.

134-1 Vgl. Ariost, Der rasende Roland, 34. Gesang, Stanze 84.

135-1 Anmerkung des Königs: „Chirurg bei der preußischen Armee.“

136-1 Das „offene E“ wird im Französischen stets ausgesprochen und daher im Verse als Silbe gezählt, das „stumme E“ hingegen nur, wenn lein Vokal folgt.

142-1 Anmerkung des Königs: „Bildhauer des Königs.“ Vgl. Bd. VIII, S. 224.

148-1 Anspielung auf den Kammerheirn Baron Pöllnitz, der bei Hofe den Beinamen „le vieux baron“ führte.

153-1 Generalleutnant Heinrich Augnst Baron de La Motte Fouque, der Freund des Königs seit den Rheinsberger Tagen. Vgl. Bd. IV, S. 39 f.

153-2 In der Schlacht bei Laveld (vgl. S. 73).

157-1 Gräfin Sophie Karoline Camas, geb. von Brandt, Witwe des Obersten von Camas und seit 1742 Oberhofmeisierin der Königin Elisabeth Christine, die mütterliche Freundin des Königs. Sie starb 1766 im Alter von 80 Jahren.

158-1 Edme Bonchardon (1698—1762), französischer Bildhauer.

16-1 M. Attillius Regulas, der während des Ersten Panischen Krieges von den Karthagern gefangen und zur Unterhandlung nach Rom geschickt war, mußte die Rückkehr, zu der er sich verpflichtet hatte, mit seinem Leben büßen.

16-2 Vgl. S. 6.

16-3 Als Ludwig XIV. 1715 starb, überlebte ihn nur sein Urenkel, der als Ludwig XV. den Thron bestieg.

160-1 In einer hier nicht aufgenommenen Epistel an Franz Isaal von Chasot, der noch zum Rheinsberger Freundeskreise gehörte, wird der Mißbrauch der Liebe gegeißelt.

160-2 Prinz Ferdinand, der jüngste Bruder des Königs (vgl. S. 67).

163-1 Charles Etienne Jordan, der Freund, Sekretär und literarische Berater Friedrichs. Vgl. Bd. VII, S. 275; VIII, S. 211 ff.

165-1 Anspielung auf Erasmus' Schrift: „lob der Narrheit.“

165-2 Der Riese Orandonio, ein Sarazenenfürst in Spanien, ist einer der Helden in Bojardos Epos „Orlando innamorato“.

165-3 Anmerkung Friedrichs: „Ein Genfer Professor, den Jordan als großen Schriftsteller zitiert, den aber zu kennen lein Mensch die Ehre hat.“ Gemeint ist Firmian Abauzit (1679—1767), ein philosophischer und theologischer Schriftsteller, der nach dem Edikt von Nantes nach Genf geflüchtet war.

165-4 I. B. Rousseau (1670—1741), der Verfasser sehr freier und schlüpfriger Verse, kehrte in späteren Jahren den Strenggläubigen heraus.

166-1 Offenbarung Johannis, Kap. 17.

166-2 Anmerkung Friedrichs: „Réaumur.“ Es handelt sich um den Physiker und Naturforscher René Anton Ferchault de Réaumur (1683—1757), den Verfasser der „Mémoires pour servir à l'histoire des insectes“ (Paris 1734/42).

166-3 Anmerkung Friedrichs: „Die Bibel.“

166-4 Vgl. Oden l, 11.

167-1 Vgl. Bd. VI, S. 387.

167-2 Anmerkung Friedrichs: „Virgil.“

168-1 Vgl. S. 160.

168-2 Dietrich von Keyserlink, der gleichfalls zum Rheinsberger Freundeskreise zählte, führte den Namen „Cäsarion“.

168-3 Anmerkung Friedrichs: „König von Polen.“

171-1 Vgl. S. 45. Die Entstehung dieser Epistel fällt in das Frühjahr 1747, kurz nachdem das „Lusthaus auf dem Weinberg“, Schloß Sanssouci, am 1. Mai durch ein festliches Mahl mit zweihundert Gästen eingeweiht worden war.

171-2 Vgl. Bd. VIII, S. 192ff.

175-1 Vgl. S. 157.

18-1 Am 24. Januar 1744 war die neue „Akademie der Wissenschaften und schönen Literatur“ durch eine Sitzung im Berliner Schlosse eröffnet worden.

22-1 Alexander der Große.

25-1 Vgl. Bd. II, S. 44 und 150: VI, S. 365; VIII, S. 227 ff. und 237.

26-1 Ein schlechter Dichter zur Zeit Birgits.

31-1 Marcus Claudius Marcellus eroberte 212 v. Chr. Syrakus.

32-1 Anmerkung des Königs: „Jurieu.“

34-1 Nebukadnezar, König von Babylon. Daniel, Kap. IV, Vers 30 f.

36-1 Vgl. Bd. VII, S. 34.

36-2 Durch Bestechung des Parlaments.

4-1 Vgl. dazu die Anleitung.

41-1 Marcus Antonius besiegte 42 v. Chr. bei Philipp Marcus Iunius Brutus, der sich darauf selbst den Tod gab.

45-1 Jean Baptisie de Boyer, Marquis d'Argens, der Freund des Königs. Vgl. Bd. VIII, S.132 ff. und 192 f.

49-1 Vgl. Bd. I, S. 190.

52-1 Anmerkung des Königs: „Karneades.“ Er lehrte den Skeptizismus und stiftete die sogenannte neue Akademie in Athen (gest. 129 v. Chr.).

54-1 Vgl. oben S. 25.

59-1 Anmerkung des Königs: „Die Milbe und das Rind von Lafontaine.“ Eine solche Fabel gibt es nicht von diesem Dichter; vielleicht ist die Fabel „Die Mücke und der Ochs“ von Phädrus gemeint (vgl. Bd. V, S. 211).

6-1 Nikomedes III., König von Bithynien (91—75 v. Chr.).

6-2 Vgl. Bd. II, S. 19.

60-1 Anspielung auf die Pest von 1720.

61-1 Anspielung König Friedrichs auf den von ihm selbst gegebenen Erlaß vom 22.Juni 1744: „Renovirtes und geschärftes Edict wegen Ausrottung der Sperlinge und Krähen.“

61-2 Ende der vierziger Jahre herrschte ein großes Viehsterben in den preußischen Provinzen.

62-1 Die Pest, die 1710 Ostpreußen und Litauen heimsuchte. Vgl. Bd. I, S. 114. 118.130 und 137.

63-1 Nisus und Euryalus, Orest und Pylades sind Vorbilder treuer Freundschaft.

64-1 Anmerkung des Königs: „Königsberg.“

67-1 Vgl. Bd. VII, S. 278 und 289.

72-1 Vgl. die „Gedächtnisrede auf Stille“ in Bd. VI, S. 364ff.

72-2 Für den russisch-schwedischen Krieg (1741—1743), der mit der Niederlage der Schweden und der Abtretung eines teils von Finnland an Rußland endete, vgl. Bd. II, S. 68. 84. 87. 97.128.137.

73-1 Vgl. Bd. II, S.206f.; III, S. 16.

74-1 Für Äußerungen des Königs über das Duell vgl. ferner Bd. VIII, S. 37f. und 273.

75-1 Die Marlgrafen Friedrich und Wilhelm von Brandenburg-Schwedt, Söhne Markgraf Albrecht Friedrichs und Enkel des Großen Kurfürsten. Der erstere fiel in der Schlacht bei Mollwitz, der zweite bei der Belagerung von Prag (vgl. Bd. II, S. 77 und 175).

75-2 Der Oberst und Generaladjutant Graf Friedrich Wilhelm Finck von Finckenstein, der älteste Bruder des Kabinettsministers, starb im Mai 1741 an den bei Mollwitz erhaltenen Wunden.

75-3 Generalleutnant Graf Adolf Friedrich von der Schulenburg war bei Mollwitz gefallen (vgl. Bd. II, S. 76).

76-1 Oberstleutnant Thomas Fitzgerald war ebenfalls bei Mollwitz geblieben.

76-2 Vgl. Bd. II, S. 107—116.

76-3 Generalmajor Graf Friedrich Rudolf Rothenburg wurde bei Chotusitz schwer verwundet (vgl. Bd. II, S. 115).

76-4 Generalmajor Ernst Friedrich von Werdeck fiel bei Chotusitz (vgl. Bd. II, S. 116).

76-5 Auch Major Karl Friedrich von Buddenbrock, Sohn des Feldmarschalls, blieb bei Chotusitz,

76-6 Anmerkung des Königs: „Feldzug von 1744 und 1745.“

77-1 Generalleutnant Graf Friedrich Sebastian Wunibald Truchseß-Waldburg, Oberst Felix Bogislav von Schwerin, Oberstleutnant Friedrich Wilhelm Adolf von Düring fielen bei Hohenftiedberg (vgl. Bd. l l, S. 220).

77-2 Das Dragonerregiment Bayreuth. Vgl. Bd. II, S. 220.

78-1 Oberstleutnant Georg von Wedelt, berühmt durch den heldenmütigen Widerstand, den er den Österreichern bei Selmitz am 19. November 1744 leistete, fiel bei Soor (vgl. Bd. II, S. 184 und 238).

78-2 Vgl. die „Gedächtnisrede“ auf Freiherr Georg Konrad von der Goltz in Bd. VI, S. 357 ff.

78-3 Gemeint ist der Winterfeldzug von 1745, der auf die Einnahme von Berlin angelegt war und zum Frieden von Dresden führte (vgl. Bd. II, S. 245—268).

78-4 Generalmajor Asmus Ehrentteich von Bredow (vgl. S. 81) wurde bei Kesselsdorf verwundet.

79-1 Generalmajor Samuel von Polenz, Oberst Friedrich Christoph von Rintorf und Major Joachim Erdmann von Kleist starben an den bei Kesselsdorf erhaltenen Wunden.

81-1 Generalmajor Asmus Ehrentreich von Bredow (vgl. S. 78) hatte den Winter 1750/51 in der Umgebung des Königs in Potsdam verlebt. Er wurde 1752 Mitglied der Akademie und starb 1756 als Generalleutnant.

81-2 Im Juli 1750 war der Tartarenoberst Mustapha Aga in Berlin erschienen, um dem König die Hilfe des Groß-Khans der Krim, Aslan Geray, gegen Rußland anzubieten, und von Friedrich am 27. Inli in Audienz empfangen worden.

82-1 Jean Regnauld de Segrais (1624—1701), französischer Dichter, der auch Virgils Werke ins Französische übertragen hat.

82-2 Anmerkung des Königs: „Abbe de la Blatterte“ (vgl. S. 11).

82-3 Anmerkung des Königs: „Abbé Dubos.“ Dieser war der Verfasser des Werkes: „Réflexions critiques sur la poésie et sur la peinture“ (Paris 1719).

83-1 Vgl. Bd. VII, S. 76 und 239.

84-1 Es handelt sich um den Entschluß Englands im Frühjahr 1743, die Offensive gegen Frankreich in Deutschland zu ergreifen, und um den Anschluß Hollands (vgl. Bd. II, S. 126.136. 140.146). Diese Wendung wurde durch die Treibereien eines „Schelmes“, des Herausgebers der „Gazette de Cologne“, namens Rodérique, herbeigeführt.

84-2 Kaiser Karl VII.

84-3 Großherzog Franz Stephan von Toskana, der Gemahl Maria Theresias.

85-1 Vgl. S. 6.

85-2 Vgl. S 7.

87-1 Der Kabinettsminister Graf Heinrich Podewils.

89-1 Der russische Großlanzler Graf Alexej Bestushew (vgl. S. 68).

9-1 Anspielung auf die „Odes philippiques“, die Schmähschrift von la Orange gegen den Regenten Herzog Philipp von Orleans. Aber auch Voltaire, der, obwohl fälschlich, als ihr Verfasser bezeichnet wurde, hatte ein Spottgedicht auf den Regenten geschrieben, das ihm seine erste Haft in der Bastille eintrug (vgl. Bd. VII, S. 32 und VIII, S. 234). Jedenfalls richtet sich diese Strophe, gleichwie die folgenden, auch gegen Voltaire, der der Veröffentlichung der „Œuvres du philosophe de Sanssouci“ (vgl. Einleitung) nicht ganz fernstand.

90-1 August III., König von Polen und Kurfürst von Sachsen.

92-1 Vgl. die Abhandlung: „Betrachtungen über die militärischen Talente und den Charakter Karls XII.“ (Bd. VI. S. 367 ff.).

94-1 Vgl. Bd. III, S. 152.

94-2 Jean de La Quintinie (1626—1688), Inspektor der Obst- und Gemüsegärten Ludwigs XIV. und Verfasser eines Wertes über Gartenbau, das lange als mustergültig galt.

98-1 Anmerkung des Königs: „Menenius Agrippa“ (vgl. Bd. VII, S. 83).

99-1 Vgl. Bd. VII, S. 88.